eJournals Internationales Verkehrswesen 76/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0066
1125
2024
764

Verkehrswende braucht (auch) Evaluation

1125
2024
Uwe Böhme
Juliane Haus
Melanie Herget
Michael Abraham
Volker Blees
Marie Wernecke
Die Autor:innen haben im interdisziplinären Arbeitskreis Evaluationen des DEPOMM e.V. (Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement [1]) einen Raum für den gemeinsamen Austausch geschaffen, um für die Bedeutung von Evaluationen im Mobilitätssektor zu sensibilisieren, Herausforderungen zu identifizieren und praxisorientierte Lösungsansätze weiterzuentwickeln. Der vorliegende Beitrag bildet einen Impuls für den Austausch mit der Fachöffentlichkeit, der unterschiedliche Erfahrungskontexte und Problemperspektiven bündelt und der zur Bewusstseinsschärfung für Evaluation sowie zur gemeinsamen Suche nach gangbaren Wegen für gelingende Evaluationen beitragen soll.
iv7640059
sind meist das Ergebnis langer Reihen unzulänglicher Prototypen. Etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden Evaluationsverfahren dezidiert beforscht und es werden spezifische Methoden entwickelt und in unterschiedlichen Lebensbereichen eingeführt. Der Kern moderner Evaluation besteht dabei darin, systematisch Prozesse, Programme, Projekte oder Institutionen zu untersuchen und zu bewerten mit dem Ziel, sie im Hinblick Einleitung und Grundlagen Seit jeher ist Evaluation, ganz allgemein verstanden als die Überprüfung und Reflexion der Ergebnisse des Tuns und Handelns, impliziter Bestandteil jeglicher Lern- und Entwicklungsprozesse: Kleinkinder nutzen die schmerzliche Erfahrung des Hinfallens, um den Prozess des Laufens zu optimieren, Köch: innen sind auf das Feedback ihrer Gäste angewiesen, um Rezepturen zu verbessern, erfolgreiche technische Produkte auf Wirksamkeit, Effizienz und Qualität zu beurteilen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Geht es stärker um das regelmäßige bzw. kontinuierliche Sammeln oder Erheben von Daten und Informationen, spricht man vom Monitoring, das Teil einer Evaluation sein kann. Es kann zwischen Wirkungs- und Prozessevaluation unterschieden werden. Die Wirkungsevaluation zielt darauf ab, die Auswirkungen von Maßnahmen auf die Verkehrswende braucht (auch) Evaluation Aktuelle Schmerzpunkte und Wege zur Heilung Evaluation, Indikatoren, Wirkungen, Prozess, Partizipation Die Autor: innen haben im interdisziplinären Arbeitskreis Evaluationen des DEPOMM e.V. (Deutsche Plattform für Mobilitätsmanagement [1]) einen Raum für den gemeinsamen Austausch geschaffen, um für die Bedeutung von Evaluationen im Mobilitätssektor zu sensibilisieren, Herausforderungen zu identifizieren und praxisorientierte Lösungsansätze weiterzuentwickeln. Der vorliegende Beitrag bildet einen Impuls für den Austausch mit der Fachöffentlichkeit, der unterschiedliche Erfahrungskontexte und Problemperspektiven bündelt und der zur Bewusstseinsschärfung für Evaluation sowie zur gemeinsamen Suche nach gangbaren Wegen für gelingende Evaluationen beitragen soll. Uwe Böhme, Juliane Haus, Melanie Herget, Michael Abraham, Volker Blees, Marie Wernecke DOI: 10.24053/ IV-2024-0066 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 59 Mobilitätssituation zu ermitteln. Dies geschieht anhand von (meist quantitativen) Indikatoren, welche entweder im Rahmen des Monitorings erfasst oder gezielt nur für die Evaluation erhoben werden. Die Prozessevaluation zielt demgegenüber darauf ab, die Qualität von Planungs- oder Umsetzungsprozessen zu beurteilen, um daraus für den laufenden und für künftige Prozesse zu lernen. Hierbei kommen überwiegend qualitative Methoden zur Anwendung [2]. Die Evaluationsforschung bildet eine Querschnittsdisziplin, die unter anderem im Bildungs- und Gesundheitswesen, in den Sozialwissenschaften und in Wirtschaft und Industrie Anwendung findet. Im Verkehrswesen wurden Evaluationen lange Zeit vorrangig als Bestandteil von Qualitätsmanagementsystemen für Produkte und Dienstleistungen durchgeführt, beispielsweise im Rahmen der Qualitätssicherung von Straßenbaustoffen [3] oder im Zuge von Bonus-Malus-Regelungen bei ÖPNV-Angeboten [4]. Die Evaluation verkehrspolitischer bzw. verkehrsplanerischer Strategien, Programme, Pläne und Maßnahmen wurde erst in den 2010er Jahren mit den „Hinweisen zur Evaluation von verkehrsbezogenen Maßnahmen“ der FGSV [5] und der UBA-Publikation „Evaluation zählt - Ein Anwendungshandbuch für die kommunale Verkehrsplanung“ [6] einer breiteren Fachöffentlichkeit nahegebracht. Nennenswerte Verbreitung gefunden haben Evaluationen in diesen Handlungsfeldern bis dato allerdings nicht. Dabei gibt es gerade in jüngerer Zeit eine Reihe von Entwicklungen, die als Treiber für die standardmäßige Evaluation von Verkehrsplänen und -maßnahmen wirken: ƒ Zunehmender Stellenwert quantitativer Ziele Mit den EU-Luftqualitätsrichtlinien haben bereits seit 2005 harte, quantitative und überprüf bare Ziele mit unmittelbarer Verkehrsrelevanz Einzug in die Verkehrsplanung gehalten, in jüngerer Zeit in ihrer Bedeutung abgelöst von Treibhausgas-Minderungszielen. Im Zuge der Novelle der TEN-V-Richtlinie plant die EU-Kommission die verbindliche Einführung von Sustainable Urban Mobility Plans (SUMPs) für die städtischen Knoten in Europa. Inhärenter Bestandteil von SUMPs wiederum ist die Durchführung von Evaluationen. ƒ Verbesserte Datenverfügbarkeit Insbesondere Dank der Digitalisierung steigen die Qualität und die Verfügbarkeit von verkehrs- und mobilitätsbezogenen Daten. Zugleich sinkt der Aufwand zu ihrer Sammlung und damit auch die Schwelle zur Durchführung von Evaluationen. ƒ Verbreitertes verkehrsplanerisches Maßnahmenspektrum In den letzten Jahren ist eine Vielzahl neuer bzw. neuartiger Maßnahmen und Handlungsansätze ins verkehrsplanerische Repertoire gekommen. Das Spektrum reicht von technologischen Innovationen wie Elektrokleinstfahrzeugen und On-Demand-Shuttles bis hin zu innovativen Marketing-Ansätzen wie Mobilitätsbudgets. Ihnen allen ist gemein, dass noch keine umfassenden, generalisierbaren Erkenntnisse zu ihren Effekten vorliegen. Evaluationen sind prädestiniert, die Erkenntnislücken zu schließen. ƒ Zunehmender Legitimationsdruck verkehrsplanerischer Maßnahmen Aufgrund verschiedener gesellschaftlicher und politischer Entwicklung stehen verkehrsplanerische Maßnahmen zusehends unter kritischer Beobachtung von Politik und Öffentlichkeit. Evaluationen können dazu beitragen, die Beurteilung von Maßnahmen zu objektivieren und zu versachlichen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der vorliegende Beitrag „Schmerzpunkte“, also Hemmnisse und Hürden, die nach den Erfahrungen der Autor: innen in der Praxis der erfolgreichen Durchführung von Evaluation entgegenstehen und zeigt mögliche Bild 1: Stimmungsbild zum Nutzen von Wirkungsevaluationen (aus einer Umfrage kommunaler Planer: innen und Akteure im Rahmen eines Forschungsprojektes zu Evaluationen in Verkehrs- und Mobilitätsplanungsprozessen, 2022) MOBILITÄT  Evaluation DOI: 10.24053/ IV-2024-0066 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 60 besonders elementar, so hat er womöglich ein Interesse daran, bestimmte Erfolge einer Maßnahme oder eines Förderprogramms besonders hervorzuheben oder Misserfolge zu vertuschen [8]. Das mit der Evaluation beauftragte Institut wiederum möchte bei vorrangiger Orientierung an der Erkenntnisfunktion (zur Ermittlung von CO2-Emissionen) die wissenschaftlichen Ansprüche wie die Einhaltung von Gütekriterien erfüllen und ist daher auf eine „saubere“ Datengrundlage angewiesen. Entscheidend hierfür ist die einheitliche und möglichst zentrale Datenerfassung, also möglichst durch einen zuständigen Evaluator. Demgegenüber möchten die evaluierten Praxispartner eventuell eigene Aspekte bei der Datenerhebung berücksichtigt haben oder diese am besten selbst durchführen, um sich exklusive Zugriffsrechte auf Daten und Ergebnisse zu sichern. Es ist daher wichtig, dass die am Evaluationsprozess beteiligten Akteure mit ihren teilweise divergierenden Interessen und Erwartungshaltungen diese vorab offenlegen und dabei insbesondere über die dominierende Evaluationsfunktion reflektieren, da sonst Frustration, Irritation und ein abnehmendes Evaluationsinteresse entstehen können [9]. Für „weiche“ und „frühe“ Veränderungen sensibilisieren Wie eingangs dargestellt, zielen Wirkungsevaluationen darauf ab, die Effektivität und Effizienz von kommunalen Verkehrswendemaßnahmen zu ermitteln. Aufgrund der systemischen Komplexität insbesondere integrierter, multi- und intermodaler Mobilitätssysteme und der Beurteilung neuer verkehrlicher Maßnahmen werden sie immer anspruchsvoller. Oft zielen einzelne Maßnahmen auf eine Transformation ganzer Systeme ab. Grundlegend kommen für die Wirkungsermittlung sowohl qualitative als auch quantitative Indi- Wege zur „Heilung“, also zur Überwindung der Hemmnisse und Hürden auf. Evaluation als Daueraufgabe verstehen Aktuell sind Evaluationen kein fester Bestandteil in der Verkehrsplanung auf kommunaler Ebene. Wenn Evaluationen durchgeführt werden, bleiben Anpassungen und Optimierungen von Prozessen oder Maßnahmen jedoch aus. Die Ergebnisse werden innerhalb der Verwaltung zur Kenntnis genommen, jedoch nicht weiterverfolgt, oft aus Kapazitätsgründen. Auch die Furcht vor Misserfolgen spielt eine Rolle im Kontext von Evaluationen. So können Schwachstellen und Mängel offengelegt werden, wodurch sich kommunale Gebietskörperschaften angreif bar machen. Da Evaluationen aufwendig und oft nicht im Tagesgeschäft unterzubringen sind, werden sie nicht als prioritär angesehen (vgl. Bild 1). In den gegebenen Strukturen fällt es den Fachverwaltungen schwer, Evaluationen kontinuierlich durchzuführen. Um langfristig engagiert und konsequent Evaluationen durchzuführen, muss ein Wandel in der Planungskultur erfolgen. Evaluationen sind als Chance zu sehen, um Maßnahmen transparent und sachbasiert offenzulegen. Dabei führt eine kontinuierliche Evaluation auf kommunaler Ebene langfristig im gesamten Prozess zu einer Einsparung von Ressourcen und Aufwand. Damit eine offene, sachbasierte und verbesserungsorientierte Planungskultur entstehen kann, müssen Evaluationen als fester Bestandteil im Planungsprozess verankert sowie die Offenlegung möglicher Schwachstellen und Mängel als Chance angesehen werden. Erwartungen, Interessen und Funktionen offenlegen Die Bundespolitik hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Danach soll Deutschland bis 2045 klimaneutral sein. Aus diesem Grund besteht in den verschiedenen Sektoren wie auch im Verkehrssektor häufig das Ziel der Evaluation, den durch eine Intervention eingesparten Betrag an CO2-Emissionen zu ermitteln. Vor der Durchführung der Evaluation sollte aber bei allen beteiligten Akteuren (siehe Bild 2) auch ein Bewusstsein darüber bestehen, dass Evaluationen ganz verschiedene Funktionen erfüllen können. Beispielsweise lassen sich Evaluationen unterscheiden nach [7]: ƒ Erkenntnisfunktion, ƒ Kontrollfunktion, ƒ Dialogfunktion, ƒ Legitimationsfunktion. Ist für den Auftraggeber der Evaluation beispielsweise die Legitimationsfunktion katoren in Betracht. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass in der Umsetzung von Wirkungsevaluationen zumeist auf ein recht begrenztes Set quantitativer Indikatoren (z. B. CO2-Reduktion) zurückgegriffen wird, die als zentrale Referenzgrößen für die Verkehrsplanung betrachtet werden (siehe Einleitung). Die häufige Verengung der Wirkungsevaluation nachhaltiger Mobilitätsmaßnahmen begrenzt ihre realistische Evaluation sowie das frühzeige Identifizieren und Erfassen komplexer Veränderungen, da solche quantitativen Indikatoren erst nach einiger Zeit der abgeschlossenen Maßnahmenumsetzung erhoben werden können. Weitere und insbesondere qualitative Indikatorenbereiche (wie Akzeptanz, Nutzungsfreundlichkeit oder Informationsqualität) werden dabei vielfach kaum berücksichtigt, obwohl sie entscheidenden Einfluss auf die Effektivität umgesetzter Maßnahmen besitzen können. Eine stärkere Berücksichtigung von qualitativen Indikatoren kann dazu beitragen, für qualitative und frühe Veränderungen zu sensibilisieren. Dies ermöglicht zugleich, weitere Stakeholder bereits frühzeitig über erste Veränderungswirkungen zu informieren und unterstützt so die Kommunikationsfähigkeit und das Self-Empowerment kommunaler Akteure mit Blick auf die Wirkungen umgesetzter Maßnahmen. Potential von Prozessevaluationen und partizipativen Evaluationsansätzen stärker nutzen Um beurteilen zu können, ob eine Maßnahme erfolgreich war, sollte nicht nur auf die Wirkung geachtet werden. Vielmehr ist es auch relevant, wie der Prozess, der zur Wirkung geführt hat, abgelaufen ist. Diese Prozessevaluation wird aber immer noch zu selten durchgeführt. Im Unterschied zu Wirkungsevaluationen werden Prozessevaluationen nicht erst nach Abschluss einer Maßnahmenumsetzung eingesetzt, sondern Bild 2: Akteure im Evaluationsprozess [8] Evaluation  MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0066 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 61 bestenfalls bereits flankierend zum Planungs- und Umsetzungsprozess. Sie können so frühzeitig dazu beitragen, Probleme und Hindernisse zu identifizieren und diese im Projektverlauf zu beheben und so zugleich die Effizienz des Ressourceneinsatzes zu optimieren. Da Prozessevaluationen vielfach das Feedback der heterogenen Beteiligten und Betroffenen von Maßnahmen mit einbeziehen, können sie zudem dazu beitragen, die Kommunikation und Akzeptanz bei Maßnahmenumsetzungen zu fördern. Missverständnisse können so reduziert und die Zusammenarbeit verbessert werden. Da die Dokumentation von Prozessen ein wichtiges Element von Prozessevaluationen darstellt, verhelfen sie zudem zu einem höheren Grad an Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Arbeitsprozesse. Sie liefern wichtige Kontextinformationen und verhelfen so dazu, die Ergebnisse und komplexen Wirkungen von Maßnahmen besser zu interpretieren. Dies gilt auch für die Kausalzusammenhänge zwischen umgesetzten Maßnahmen und eingetretenen Wirkungen. Prozessevaluationen ermöglichen es auf diese Weise besser zu verstehen, warum die angestrebten Ergebnisse (nicht) wie geplant erreicht oder sogar übertroffen wurden und was bei einer wiederholten Umsetzung von Maßnahmen verbessert werden könnte. Aus diesem Grund sind sie insbesondere für eine begleitende Evaluation von Projekten geeignet und sollten im verstärkten Maße Anwendung finden. In Kombination mit Wirkungsevaluationen verhelfen Prozessevaluationen dazu, ein komplexeres Bild von der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen ebenso wie ihren Wirkungspotentialen und Skalierungsmöglichkeiten zu erhalten. Verbindliche Indikatorensets stärker partizipativ entwickeln Mit der Nutzung von Fördermitteln geht zumeist eine Auskunfts- und Berichtspflicht gegenüber Projektträger und förderndem Ministerium über Projektfortschritte einher. Evaluationen sind hier oft ein zentrales Moment der Dokumentation. Die Indikatorensets werden extern durch Ministerien, Projektträger oder Begleitforschungsteams festgelegt und in regelmäßigen Abständen in den Projekten erhoben. Gerade im Kontext von größeren Fördermaßnahmen besteht häufig das Problem, dass vorab festgelegte Sets von Indikatoren genutzt werden, um die durchaus heterogenen Projekte einer ganzen Fördermaßnahme zu evaluieren. Sowohl für die Begleitforschungsteams, die mit wenig passenden Ansätzen und Indikatoren sinnvolle Daten erheben sollen, als auch für Projekte, die die Wirkung ihrer Maßnahmen und Aktivitäten nicht repräsentiert sehen, stellt dies ein Problem dar. Das Resultat sind nur begrenzt aussagefähige Evaluationen und Daten in schlechter Qualität. Partizipative Evaluationsansätze setzen genau an diesem Problem an und beziehen aktiv unterschiedliche Betroffene und relevante Interessengruppen in den Evaluationsprozess ein. So ermöglichen sie die Integration von entscheidendem Praxis- und Kontextwissen in die Entwicklung, Umsetzung und Datenauswertung im Rahmen der Evaluationen [10]. Wege zur praktischen Umsetzung können hier sich regelmäßig wiederholende Workshopformate oder Interviews mit Expertinnen und Experten sein, in denen die Inputs der einzelnen Stakeholdergruppen getrennt voneinander ermittelt werden. In der Entwicklung und Auswahl von Indikatoren kann so einerseits ihre Praxistauglichkeit erhöht werden. Dies unter anderem dadurch, dass Herausforderungen ihrer praktischen Operationalisierung durch ein verbessertes Kontextverständnis von Wirkungen deutlich werden. Eine solche kollaborative und lösungsorientierte Zusammenarbeit trägt dazu bei, die Datenqualität von Evaluationen stark zu verbessern. Neben einer Verbesserung der Dateninterpretationen fördern partizipative Ansätze das gemeinsame Commitment und die Akzeptanz des Evaluationsansatzes, da die Beteiligten eine höhere Wertschätzung gegenüber ihren Perspektiven erfahren. Die gemeinsame Arbeit und Reflexion trägt bei den Beteiligten auch zu einem Kompetenz- und Kapazitätsauf bau und so zu einem Empowerment im Evaluationsbereich bei. Nicht nur Wege der Identifikationen von Wirkungen, sondern auch Kompetenzen diese methodisch zu erfassen und über diese auch gegenüber anderen zu kommunizieren, werden so in ihrer Entwicklung unterstützt. Fokussiertere Förderziele, Kontextmonitoring und Kontrollgruppen bei Maßnahmenbündeln prüfen Gut durchdachte Maßnahmenbündel sind in der Regel effektiver als nur eine isoliert durchgeführte Einzelmaßnahme. Jedoch besteht die große Herausforderung für jede externe Evaluation darin, dass man zwar idealerweise im Nachhinein Veränderungen feststellen kann, jedoch keine Aussage darüber, ob diese Veränderungen nur durch genau diese Maßnahmenkombination ausgelöst wurden oder vielleicht schwerpunktmäßig nur durch eine bestimmte Teilmenge davon oder schlichtweg durch andere Parallelaktivitäten oder externe Rahmenbedingungen. Gerade die Coronapandemie zeigte ja sehr eindrücklich, wie stark externe Rahmenbedingungen die reinen Maßnahmeneffekte überlagern können, indem beispielsweise aus Sorge vor Ansteckung die Bereitschaft, mit anderen Menschen ein Fahrzeug zu teilen oder gemeinsam zu nutzen, auch nach Ende der Kontaktbeschränkungen noch eine ganze Weile deutlich geringer blieb als vor der Pandemie. Aber auch ohne solche extremen Kontexteinflüsse stellt man bei der Begleitforschung von mehreren ähnlichen Projekten oft fest, dass die unterschiedliche Kombination und lokale Ausgestaltung dazu führen, dass die über Erhebungen ermittelten Veränderungen (z. B. in der Verkehrsmittelwahl, in den Einstellungen o. Ä.) sehr unterschiedlich ausfallen können, auch wenn sehr ähnliche Einzelmaßnahmen umgesetzt wurden. Belastbare Aussagen über die reinen Maßnahmenwirkungen sind dann schon allein aufgrund der Heterogenität in der Ausgangslage und bei den beteiligten Akteuren im Grunde so gut wie nicht möglich. Hinzu kommt, dass die Aufträge für externe Evaluationen - sei es für eine lokale Initiative oder für ein bundesweites Modellprogramm - i. d. R. keine „Kontrollgruppen“ beinhalten. Es wird also aus Gründen der finanziellen Ersparnis meist darauf verzichtet, neben den Pilotgebieten, in denen etwas Neues erprobt wird, auch noch möglichst vergleichbare räumlich-soziale Untersuchungseinheiten als Vergleichsbasis zu suchen, in denen dann keine Maßnahmen durchgeführt werden. Angesichts der Komplexität in den Wirkbeziehungen und der Heterogenität in den Ausgangsbedingungen und Maßnahmenkombinationen gibt es nicht einen „Königsweg“ für eine saubere Evaluation und Begleitforschung. Dennoch können einige Empfehlungen, vor allem in Richtung Fördermittelgeber, gegeben werden: ƒ Bei der Gestaltung von Förderprogrammen ist es empfehlenswert, sich auf maßnahmenseitig homogenere Vorhaben zu konzentrieren und die Förderziele fokussierter zu formulieren. Wird hingegen eine möglichst heterogene Projektfamilie angestrebt, so sollte realistischerweise auf eine Wirkungsevaluation verzichtet und ausschließlich eine Prozessevaluation ausgeschrieben werden. ƒ Bei der Ausschreibung von externen Evaluationsleistungen sollte ein kontinuierliches Kontextmonitoring fester Bestandteil sein. Die Möglichkeit, dabei explizit auch mit Kontrollgruppen zu arbeiten, sollte geprüft werden. ƒ Sowohl für die Programmverantwortlichen von zukünftigen Förderprogrammen als auch für die konkreten Zuwendungsempfänger ist es sehr hilfreich, sich bereits vor Projektstart zu überlegen, von welchen Annahmen über Wirkungsbeziehungen man eigentlich ausgeht - und dies im weiteren Verlauf mehrmals zu überprüfen und ggf. anzupassen. Bei diesem Klärungsprozess MOBILITÄT  Evaluation DOI: 10.24053/ IV-2024-0066 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 62 den evaluationsfördernden strukturellen Rahmenbedingungen besteht entsprechend noch einiger Handlungsbedarf. Mit diesem Artikel möchten wir Mut machen, mehr und vor allem qualitativ hochwertigere Evaluation zu wagen, ohne dabei jedoch in typische Fallstricke zu geraten. Außerdem freuen wir uns auf weitere Fachdebatten zu den genannten Aspekten. Bei Interesse kontaktieren Sie gerne die Autorinnen und Autoren dieses Beitrags. LITERATUR [1] https: / / depomm.de/ [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2018): Empfehlungen zur Anwendung von Mobilitätsmanagement - EAM 18, R2. [3] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2004): Leitfaden für das Qualitätsmanagement im Straßenbau - Teil 1 bis 7. [4] DIN EN 13816: 2002-07, Transport - Logistik und Dienstleistungen - Öffentlicher Personenverkehr; Definition, Festlegung von Leistungszielen und Messung der Servicequalität; Deutsche Fassung EN 13816: 2002 [5] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (2012): Hinweise zur Evaluation von verkehrsbezogenen Maßnahmen. [6] Dziekan, K., Riedel, V., Moczek, N., Daubitz, S., Keßler, S., Kettner, S., & Abraham, M. (2015). Evaluation zählt: Ein Anwendungshandbuch für die kommunale Verkehrsplanung. [7] Stockmann, R. (2000): Evaluation in Deutschland. In: Stockmann, R. (Hrsg.): Evaluationsforschung - Grundlagen und ausgewählte Forschungsfelder. Sozialwissenschaftliche Evaluationsforschung Band 1. Seiten 11- 40. Leske+Budrich. Opladen. [8] Bartsch, R. (2004): Validität durch Triangulation? Erfahrungen aus der Evaluation regionaler Entwicklungskonzepte (REK) in Thüringen. In: Sedlacek, P. (Hrsg.): Evaluation in der Stadt- und Regionalentwicklung. Stadtforschung aktuell Band 90. Seiten 65 - 82. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden. [9] Rolfes, M.; Wilhelm, J. L. (2021): System[theoret] ische Stadtentwicklung - Der Potsdamer Leitsternansatz. Wiesbaden. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978- 3-658-34516-7 (link.springer.com, Zugriff am 30.9.24) [10]Brandes, S.; Schaefer, I. (2013): Partizipative Evaluation in Praxisprojekten. Chancen und Herausforderungen. Prävention und Gesundheitsförderung, Band 8, Ausg. 3, Seiten 132 - 137, Springer Verlag. Berlin-Heidelberg. https: / / doi. org/ 10.1007/ s11553-013-0390-5 (link.springer. com, Zugriff am 10.10.24) Eingangsabbildung: © iStock.com/ metamorworks über die zugrundeliegenden „mentalen Modelle“ können auch externe Evaluationsteams sehr hilfreich sein, sofern dies explizit Teil ihrer Beauftragung ist. ƒ Um auch Erkenntnisse über den Einfluss von Generationeneffekten und den Einflüssen des jeweiligen „Zeitgeists” zu erlangen, wäre es schließlich interessant, wenn ein konkretes Förderprogramm nach z. B. 10 Jahren wiederholt und mit den gleichen Evaluationsinstrumenten begleitet werden würde. Ausblick Angesichts der globalen Klimakrise und den daraus resultierenden Verpflichtungen zur CO2-Reduktion steht die Verkehrsplanung unter Druck, neben wirtschaftlich tragfähigen auch umweltfreundliche und zugleich sozial gerechte Mobilitätslösungen zu entwickeln. Dies spiegelt auch die geplante Einführung von Sustainable Urban Mobility Plans (SUMPs) für die städtischen Knoten in Europa im Zuge der TEN-V-Novelle wider. Evaluation ist entscheidend, um zu überprüfen, ob neu eingeführte Maßnahmen tatsächlich zur Erreichung dieser gewünschten Ziele beitragen. Durch technologische Innovationen wie autonomes Fahren, intelligente Verkehrssysteme (ITS) und die Sektorkopplung von Elektromobilität mit erneuerbaren Energien verändert sich der Verkehrssektor rasant. Evaluation spielt hier eine zentrale Rolle, um Akzeptanz, Einsatzzwecke und Auswirkungen dieser neuen Technologien zu erfassen und zu bewerten. Zudem kann Evaluation dazu beitragen, die Perspektiven und das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden besser zu verstehen und vorgesehene Maßnahmen auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Bevölkerung abzustimmen. So kann durch stärker partizipative Evaluationsprozesse die Akzeptanz von Veränderungen erhöht und das Vertrauen der Bevölkerung gestärkt werden. Aussagefähige Evaluationen benötigen eine nachvollziehbare Datengrundlage und idealerweise auch ein gewisses Maß an Standardisierung, um jenseits von Einzelfällen Vergleiche ziehen zu können. Dies kann nur von geschulten Personen mit ausreichender Kapazität und durch deren Austausch untereinander gewährleistet werden, denn es bedeutet eine detaillierte Offenlegung der Vorgehensweise sowie der systeminhärenten Unsicherheiten und Zielkonflikte. Bei Uwe Böhme, Dr.-Ing., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen- Geislingen uwe.boehme@hfwu.de Juliane Haus, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung juliane.haus@wzb.eu Melanie Herget, Dr.-Ing., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel m.herget@uni-kassel.de Michael Abraham, Referent für Kommunales Mobilitätsmanagement bei der Deutschen Plattform für Mobilitätsmanagement michael.abraham@depomm.de Volker Blees, Prof. Dr.-Ing., Professur „Verkehrswesen“ im Fachbereich Architektur und Bauingenieurwesen der Hochschule RheinMain Volker.Blees@hs-rm.de Marie Wernecke, Mitarbeiterin bei Hessen Mobil im Bereich strategische Nahmobilitätsplanung Marie.werneke@outlook.com Evaluation  MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0066 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 63