Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2024-0067
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Nutzerorientierte Mobilität im Münsterland
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Maren Klatt
Sabine Bertleff
Stefan Ladwig
Die Einhaltung der Klimaziele und die Suburbanisierung setzen neue Anforderungen an Mobilitätsangebote. Verkehrsinfrastrukturell wenig erschlossene Regionen stehen vor der Herausforderung, attraktive Alternativen für den vorherrschenden motorisierten Individualverkehr zu entwickeln. Im Projekt BüLaMo (Bürgerlabor Mobiles Münsterland) werden verschiedene Mobilitätskonzepte bedarfsgerecht entwickelt, implementiert und durch Nutzende evaluiert. Die Evaluationsergebnisse leisten für ländliche Gemeinden einen wertvollen Beitrag bei der Implementierung alternativer Mobilitätskonzepte.
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Insbesondere in ländlichen Regionen ist im Vergleich zu städtischen Ballungsräumen überwiegend der private PKW das Mittel der Wahl: Je ländlicher und schlechter die Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur, desto höher die Nutzungsintensität und Anzahl an PKW pro Haushalt [1]. Anforderungen an Mobilität im ländlichen Raum Mobilität ist eine Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe und grundlegend für die Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse. Hierzu zählen unter anderem der Weg zur Arbeit, der Gang in den Supermarkt oder der Besuch bei Freund*innen. Obwohl PKW-Fahren heutzutage klimaverträglicher denn je ist, hat der Anstieg des Verkehrsaufkommens in den letzten Jahren diesen positiven Effekt aufgehoben [2]: Der Anteil der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor ist von 13 % im Jahr 1990 auf 19,4 % im Jahr 2021 angestiegen, was laut dem Umweltbundesamt neben dem zuneh- Nutzerorientierte Mobilität im Münsterland Erkenntnisse aus dem Projekt BüLaMo zur Bewertung alternativer Mobilitätskonzepte durch Bürger*innen Akzeptanzforschung, Bürgerbeteiligung, Reallabor, Multimodale Mobilität, Mobilität im ländlichen Raum Die Einhaltung der Klimaziele und die Suburbanisierung setzen neue Anforderungen an Mobilitätsangebote. Verkehrsinfrastrukturell wenig erschlossene Regionen stehen vor der Herausforderung, attraktive Alternativen für den vorherrschenden motorisierten Individualverkehr zu entwickeln. Im Projekt BüLaMo (Bürgerlabor Mobiles Münsterland) werden verschiedene Mobilitätskonzepte bedarfsgerecht entwickelt, implementiert und durch Nutzende evaluiert. Die Evaluationsergebnisse leisten für ländliche Gemeinden einen wertvollen Beitrag bei der Implementierung alternativer Mobilitätskonzepte. Maren Klatt, Sabine Bertleff, Stefan Ladwig DOI: 10.24053/ IV-2024-0067 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 64 menden Straßengüterverkehr auch mit dem motorisierten Individualverkehr begründet werden kann [2]. Neben der kontinuierlich steigenden Anzahl an PKW [3] erfordern anhaltende Entwicklungen wie die Suburbanisierung und Stadtflucht das Zurücklegen weiterer Strecken [4,5] und können so zu einer intensiveren Nutzung des privaten PKW beitragen. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzziele der Bundesregierung [6] und des Green Deal der Europäischen Union [7] wird deutlich, dass der motorisierte Individualverkehr im Konflikt zu nationalen und internationalen Klimaschutzzielen steht. Dabei können verschiedene Ansätze verfolgt werden, um Mobilität klimafreundlicher zu gestalten: Zum einen kann der motorisierte Individualverkehr elektrifiziert werden, zum anderen kann der ÖPNV so gestaltet werden, dass dieser einen adäquaten und attraktiven Ersatz darstellt [8]. Hierbei kann die Erfassung der Bedürfnisse der Bürger*innen zentrale Erkenntnisse für die nutzerzentrierte Gestaltung eines bedarfsorientierten ÖPNV-Angebots liefern. So können Gründe für die Nutzung und - noch entscheidender - für die Nicht- Nutzung des ÖPNV erfasst und das ÖPNV- Angebot bestmöglich an die Bedürfnisse angepasst werden. Laut Kf W-Energiewendebarometer [1] können sich zwei Drittel (63 %) der Personen, deren Haushalt mehrmals die Woche den privaten PKW verwendet, vorstellen, auf den ÖPNV umzusteigen, wenn eine bessere Anbindung vorläge. Der Wunsch nach einer besseren Anbindung ist dabei in Landgemeinden verbreiteter als in Großstädten. Multimodale Mobilität als Mobilitätskonzept Vor allem im städtischen Bereich gibt es in den letzten Jahren ein wachsendes Angebot an alternativen Mobilitätskonzepten, welches das ÖPNV-Angebot z. B. durch (E-) Bikesharing, Carsharing oder E-Scooter ergänzt. Diese Angebote verbessern die flexible Kombinationsmöglichkeit unterschiedlicher Verkehrsmittel und können somit auch die Zielerreichung verbessern. Im Rahmen von BüLaMo wird im Kreis Coesfeld erprobt, wie man im ländlichen Raum bereits bestehende Mobilitätsangebote mit neuen Mobilitätskonzepten im Sinne einer multimodalen Mobilität kombinieren kann. Im Rahmen einer früheren Veröffentlichung [9] in Internationales Verkehrswesen wurde das Projekt BüLaMo, das darin geplante Vorgehen und die geplanten Mobilitätskonzepte vorgestellt. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird beschrieben, welche Mobilitätskonzepte realisiert wurden und welche Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen. Ein im Projekt implementiertes Mobilitätsangebot ist die Expressbuslinie X90 (kurz: X90): Diese verbindet die Städte Olfen, Lüdinghausen und Senden mit Münster und ist eine Ergänzung zum bestehenden (Schnell-)Busnetz. Die X90 zeichnet sich im Vergleich zu anderen (Schnell-)Bussen durch einen begradigten Linienverlauf und eine reduzierte Anzahl von Haltestellen aus. Dadurch soll die Zielerreichung beschleunigt und eine attraktive Möglichkeit geschaffen werden, größere Strecken entlang der Achse mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Zusätzlich sind die Busse der X90 mit WLAN und Tablets zum Lesen von Zeitungen und Zeitschriften ausgestattet. Neben der X90 wurden im Rahmen des Projekts On-Demand-Shuttles (kurz: Shuttle) implementiert, die unabhängig von existierenden Bushaltestellen und Fahrplänen im Gemeindegebiet Senden fahren. Durch die Bündelung verschiedener Fahrtwünsche, teilen sich Passagiere mit ähnlichen Routen ein Shuttle. Die Shuttles ermöglichen somit das flexible Zurücklegen insbesondere kürzerer Strecken. Zusätzlich wurde an verschiedenen Standorten in Senden ein Carsharing- Angebot geschaffen, welches seit Anfang 2024 verfügbar ist. Diese Carsharing-Stationen befinden sich in Wohngebieten und sollen dadurch besonders leicht für die Anwohner*innen zu erreichen sein. Ein weiteres in BüLaMo verfolgtes (und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht implementierendes) Konzept ist der Auf bau von Mobilstationen. Diese sind speziell ausgestattetet und bieten eine Anzahl von Services, wie z. B. WLAN, Schließfächer oder Ladestellen für E-Bikes. Somit sollen bspw. Umstiege und Wartezeiten angenehmer gestaltet und verschiedene Mobilitätsangebote physisch miteinander vernetzt werden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gibt es eine Muster-Mobilstation, die sich an der Bushaltestelle Mönkingheide in Senden befindet (siehe Bild 1). Anhand der Muster-Mobilstation wurden die Erwartungen der Bürger*innen erfasst. Die Eröffnung der vollwertigen Mobilstation erfolgt voraussichtlich im Sommer 2024. Die in BüLaMo neu geschaffenen und bereits existierenden Mobilitätskonzepte können über die kommit! -App gebucht werden. Diese soll den Buchungsprozess mehrerer Mobilitätskonzepte einfach gestalten und somit einen Beitrag zur niederschwelligen Nutzung der Mobilitätsangebote leisten. Bürgerbeteiligung zur Erprobung neuer Mobilitätskonzepte Um die Entwicklung der Mobilitätskonzepte so nah am Nutzenden wie möglich zu gestalten, ist ein zentrales Element im Projekt die Bürgerbeteiligung in Form eines Bürgerlabors. Hierfür hat das Aachener Marktforschungsinstitut und Projektpartner Dialego AG ein Panel mit insgesamt rund 1.700 Bürger*innen aus dem Münsterland aufgebaut. Das Panel zeichnet sich durch seine demografische Heterogenität aus und wird im Projektverlauf zu verschiedenen Themen rund um die Mobilitätskon- Bild 1. Foto eines Shuttles und eines Busses der X90 (links) und der Muster-Mobilstation in Senden, Bushaltestelle Mönkingheide. Alternative Mobilitätskonzepte MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0067 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 65 Shuttle und Carsharing vorgestellt. Diese setzen sich aus den Befragungsergebnissen von Phase 1 und 3 (siehe Bild 2) zusammen. Mobilitätsverhalten Die Einblicke in das Mobilitätsverhalten der Befragten decken sich mit den im Einleitungstext genannten Daten über Mobilität im ländlichen Raum [1]: ca. 90 % der Befragten gaben an, einen Führerschein zu besitzen und mind. ein Fahrzeug im Haushalt zur Verfügung stehen zu haben. Etwas mehr als 40 % gaben an sogar mind. zwei Fahrzeuge im Haushalt zur Verfügung stehen zu haben. Zudem scheint die Verfügbarkeit von Fahrrädern und E-Bikes hoch zu sein: knapp 70 % der Befragten gaben an, dass dem Haushalt mind. ein Fahrrad zur Verfügung stünden, über 50 % verfügen im Haushalt über mind. ein E-Bike. Rund die Hälfte der Befragten nutzten höchstens einmal im Monat ÖPNV-Angebote, knapp ein Drittel nutzen den ÖPNV mehrmals die Woche bis täglich. Gründe für die Nicht-Nutzung des ÖPNV-Angebots seien unattraktive Abfahrtszeiten sowie die Standorte der Haltestellen. Auch Fahrtdauer, Kosten und Buchungsaufwand hielten einige Personen von der Nutzung ab. Sharing-Angebote, in Form von Car-, Bike- oder Scooter-Sharing scheinen unter den Befragten kaum genutzt zu werden, was unter anderem durch das geringe Angebot an Sharing-Dienstleistungen im Münsterland begründet werden könnte. Expressbuslinie X90 Über die Hälfte der Befragten gaben an, die X90 einbis mehrmals im Monat zu verwenden. Ein kleinerer Teil von fast 20 % nutze die X90 mehrmals pro Woche bis täglich. Die meisten Personen verwendeten die X90 für Freizeitaktivitäten und private Erledizepte befragt. Hierzu werden verschiedene Workshops oder Online-Befragungen durchgeführt. Das Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen University (ika) erweitert die kontinuierliche Bürgerbeteiligung von Dialego AG um die Erhebung der Akzeptanz der Nutzenden hinsichtlich der Mobilitätskonzepte. Die Erfassung der Akzeptanz ist ein entscheidender Faktor, da neuartige Technologien und Konzepte nur dann ihren vollen Nutzen entfalten können, wenn diese auch tatsächlich von Bürger*innen genutzt werden [10]. In den Akzeptanzbefragungen wurden auch Lob, Kritik, Verbesserungsvorschläge und Wünsche erfasst. Auf Grundlage dieses Feedbacks können Handlungsempfehlungen bezüglich der Gestaltung des Mobilitätsangebots abgeleitet werden. Die Akzeptanzuntersuchung der verschiedenen Mobilitätskonzepte erfolgt durch einen iterativen Evaluationsprozess: In diesem wechseln sich Phasen der Akzeptanzmessung mit Implementierungsphasen ab, in denen die abgeleiteten Verbesserungsmöglichkeiten berücksichtigt werden können (Bild 2). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung liegen Ergebnisse aus Phase 1 und 3 vor. In Phase 1 wurde die Akzeptanz der X90 nach Einführung des Angebots sowie die erwartete Akzeptanz des Shuttles vor der Einführung erfasst. In Phase 3 wurde die Akzeptanz der X90 und des On-Demand-Shuttles nach Einführung sowie die erwartete Akzeptanz des Carsharings vor Einführung des Angebots erhoben. Diese werden im Folgenden näher beschrieben. Erkenntnisse aus dem Projekt Im Rahmen dieses Beitrags werden die zentralen Ergebnisse der bisherigen Akzeptanzforschung zu den Mobilitätskonzepten X90, gungen. Knapp 40 % der Befragten nutzten die X90 für den Arbeits- und Ausbildungsweg. Unter der Annahme, dass es die X90 nicht geben würde, würden 80 % der Befragten den privaten PKW als Ersatz für die X90 nutzen. Dies deutet darauf hin, dass Personen durch das Angebot der X90 weniger Fahrten mit dem privaten PKW zurücklegen zu scheinen. Weitere Angaben zeigten, dass die Strecken auch mit anderen Buslinien (48 %) oder dem privaten Fahrrad/ E-Bike (22 %) zurückgelegt werden würde. Die Ergebnisse der Akzeptanzbefragung zeigen, dass sich die Bewertungen hinsichtlich der Akzeptanzdimensionen Einstellung zur Nutzung, Wahrgenommener Nutzen und Wahrgenommene Einfachheit der Nutzung im Zeitverlauf des Projekts nicht verändert haben, wobei alle drei Akzeptanzdimensionen bereits in der ersten Befragung gemessen an der Bewertungsskala als hoch zu bewerten waren. In Bezug auf die Akzeptanzdimension Wahrgenommene Bedenken konnte im zweiten Befragungszeitraum eine statistisch signifikant niedrigere Bewertung gemessen werden als im ersten Befragungszeitraum. Dies impliziert, dass sich vorhandene Bedenken gegenüber Mobilitätskonzepten im Laufe der Zeit, z. B. durch positive Erfahrungen abgebaut haben könnten. Die Varianz in den Daten deutet darauf hin, dass die X90 von den Befragten unterschiedlich bewertet wird. Obwohl die Bewertung im Durchschnitt positiv war, lohnt sich daher ein Blick auf die offenen Antwortmöglichkeiten, in denen die Befragten Kritik und Verbesserungsvorschläge äußern konnten. Personen, die die X90 nicht nutzen, begründen dies vor allem damit, dass die Strecke der X90 für sie nicht relevant sei oder die Haltestellen für sie ungünstig gelegen sind. Weitere, weniger häufig genannte Gründe waren, dass kein Bedarf an diesem Bild 2. Schematische Darstellung des iterativen Ablaufs der Akzeptanzerhebung des ika über den Projektverlauf von 2020 bis 2024 hinweg. MOBILITÄT Alternative Mobilitätskonzepte DOI: 10.24053/ IV-2024-0067 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 66 Angebot bestehe, weil alternative Verkehrsmittel genutzt würden, die Kosten (v. a. für Familien) zu hoch, die Verfügbarkeit von Informationen nicht ausreichend oder die Abfahrtszeiten für die Zwecke unpassend seien. Zudem wurde angemerkt, dass eine Erweiterung des Fahrplans vor allem am Wochenende und in den Randzeiten früh morgens und spät abends wünschenswert sei. On-Demand-Shuttle Das Nutzungsverhalten der Befragten zeigt, dass über die Hälfte der Befragten das Shuttle für Freizeitaktivitäten nutzen. Über 30 % nutzen das Shuttle für andere private Erledigungen, wie z. B. Arztbesuche. Unter der Annahme, dass es das Shuttle nicht geben würde, gaben rund 70 % der Befragten an, den privaten PKW als Ersatz zu nutzen. Dies deutet darauf hin, dass Personen durch das Angebot des Shuttles weniger Fahrten mit dem privaten PKW zurücklegen. Andere Befragte gaben an, dass sie die Strecken mit dem privaten Fahrrad oder E-Bike (45 %) oder zu Fuß (29 %) zurücklegen würden. Die Akzeptanzdimensionen Einstellung zur Nutzung, Wahrgenommener Nutzen und Wahrgenommene Einfachheit der Nutzung sind gemessen an der Bewertungsskala als eher hoch zu bewerten. Zudem wurden die Wahrgenommenen Bedenken hinsichtlich der Nutzung des Shuttles gemessen an der Bewertungsskala als niedrig eingestuft. Wie bei der X90 zeigt sich auch in der Akzeptanzbewertung eine mäßig ausgeprägte Streuung in den Daten, was darauf hindeutet, dass das Mobilitätsangebot von Personen unterschiedlich positiv bewertet wird. Personen, die das Shuttle noch nicht genutzt haben, begründen dies vor allem damit, dass allgemein kein Bedarf am Angebot bestünde oder sie nicht im Einsatzgebiets des Shuttles wohnen würden. Zudem wird angemerkt, dass das Shuttle als Angebot nicht präsent sei, Unwissenheit über Abfahrorte und Preisstruktur bestünden oder das Prinzip des Shuttles unklar sei. Zudem wurde von einzelnen Personen geäußert, dass eine barrierefreie Nutzung z. B. bei der Mitnahme von Rollstühlen oder Kinderwagen wichtig sei. Die Anmerkungen der Befragten deuten zudem darauf hin, dass eine angemessene Auslastung wichtig sei - somit wurde eine hohe Auslastung zu Stoßzeiten genauso kritisiert, wie eine zu geringe Auslastung. Durch eine zu hohe Auslastung entstünden längere Wartezeiten oder das Shuttle sei zeitweise nicht buchbar. Eine geringere Auslastung hingegen vermittele den Eindruck, dass das Prinzip der Fahrtenbündelung nicht funktioniere und somit das Angebot nicht ökologisch effizienter sei als eine Fahrt mit dem privaten PKW. Carsharing Das Carsharing-Angebot in Senden ist das jüngste Angebot im Rahmen von BüLaMo und wurde vor der Einführung hinsichtlich der Akzeptanz bewertet. Bei dieser Befragung zeigte sich zum einen, dass die Befragten angaben, bisher wenig Erfahrung mit Sharing-Angeboten zu haben. Die Mehrheit der Befragten (86 %) nutze (fast) nie Sharing Angebote. Nur 2 % der Befragten seien bei einem Carsharing-Anbieter angemeldet, zum anderen zeigte sich, dass sich knapp die Hälfte der Befragten vorstellen könnten ein Carsharing-Angebot wie in BüLaMo zu nutzen. Diese Personen gaben an, dies vermutlich mehrmals im Monat (42 %) oder höchstens einmal im Monat (26 %) zu nutzen; eine tägliche Nutzung (4 %) oder eine Nutzung mehrmals die Woche (13 %) wurde weniger häufig genannt. Die Befragten können sich die Nutzung des Carsharing- Angebots vor allem für Freizeitaktivitäten, Einkäufe (z. B. zum Transport von sperrigen Gegenständen) oder private Erledigungen, wie z. B. Arzt- oder Friseurbesuche, vorstellen. Hierbei wurde von einzelnen Befragten hervorgehoben, dass das Angebot als Ersatzverkehrsmittel genutzt werden könne, falls der private PKW in der Werkstatt sei, der ÖPNV ausfalle oder die Wetterverhältnisse zu schlecht seien, um mit dem Fahrrad zu fahren. Als Fahrzeuge für das Angebot wünschten sich die Befragten vor allem Kleinwagen, Kleinstwagen und Kombis. Personen, die sich nicht vorstellen können, das Angebot zu nutzen, gaben an, dass ein privater PKW zu Verfügung stünde und somit kein Bedarf am Angebot vorhanden sei.Einzelne Befragte äußerten Unsicherheiten in Bezug auf den Umgang mit Schäden am Fahrzeug und damit verbundenen Haftungs- und Versicherungsfragen. Zudem zeigten sich Befragte besorgt, dass der Zustand der Fahrzeuge durch die öffentliche Nutzung schlecht und die Preisstruktur kompliziert oder intransparent sein könnte. Andere äußerten die Sorge, dass die spontane Verfügbarkeit der Fahrzeuge nicht gegeben oder die Carsharing-Station zu weit weg sein könnte. Zusammenfassung und Ausblick Die Ergebnisse der Akzeptanzerhebung zeigen, dass grundsätzlich das ein grundsätzliches Interesse an alternativen Mobilitätskonzepten bei vielen Befragten besteht und dass die X90, das Shuttle und das geplante Carsharing-Angebot positiv bewertet werden. Es zeigte sich aber auch, dass die ständige Verfügbarkeit und Flexibilität am privaten PKW im Vergleich zum ÖPNV-Angebot sehr geschätzt werden. Wenn zukünftige Mobilitätsangebote den private PKW ersetzen sollen, sollten diese sich daher durch eine flexible Zielerreichung auszeichnen. Zudem sind Lösungen denkbar, bei denen bereits vorhandene Transportmittel - wie etwa das private Fahrrad oder der PKW - mit öffentlichen Transportmitteln kombiniert werden. Fahrradabstellmöglichkeiten oder Parkplätze entlang von Expressbuslinien könnten diese Kombination attraktiver machen und wurden explizit von Befragten als Wunsch genannt. Seit der Einführung des Deutschlandtickets gibt es eine attraktive und niederschwellige Möglichkeit den ÖPNV regelmäßig zu nutzen. Jedoch gaben Personen an, dass - auch nach Einführung des Deutschlandtickets - die Kosten weiterhin ein Grund seien, nicht den ÖPNV zu nutzen. Eine attraktivere Tarifstruktur für Einzel- oder Mehrfahrtentickets für Gelegenheitsfahrer*innen könne das Angebot weiter verbessern, so die Befragten. Eine weitere Erkenntnis aus dem Projekt ist, dass die Nutzung der Mobilitätskonzepte grundsätzlich so niedrigschwellig wie möglich sein sollte. Gerade die Nutzung von neuen und noch unbekannten Mobilitätskonzepten kann auf den ersten Blick kompliziert erscheinen und mit Befürchtungen verbunden sein, wie z. B. die Befürchtung vor intransparenten Kosten beim Carsharing oder Unsicherheiten in Bezug auf den Umgang mit eventuellen Schäden am Fahrzeug. Um eventuellen Unsicherheiten entgegenzuwirken könnten bspw. Tage der offenen Tür bei Einführung des Angebots oder attraktive Probeangebote hilfreich sein. Die Erfahrung aus dem Projekt zeigt, dass sich Personen noch mehr Informationen über die Mobilitätskonzepte wünschen. Bei der Kommunikation neuer Mobilitätskonzepte sollten daher so viele Kanäle wie möglich verwendet werden. Gleichzeitig sollten Buchungsprozess und Tarifstrukturen so einfach wie möglich gestaltet sein. Bei der Interpretation der Daten aus der Akzeptanzbefragung ist zu berücksichtigen, dass die Stichprobe keinen festen Anforderungen hinsichtlich ihrer Repräsentativität unterlag. Zwar war die Altersstruktur mit Teilnehmern von 18 bis 89 Jahre sehr divers und auch die Beschäftigung reichte von Schüler*innen über Angestellte in Voll- und Teilzeit bis hin zu Renter*innen, jedoch wurden nicht alle demografischen Parameter erfasst, um sicherzustellen, dass es sich um eine repräsentative Erhebung handelt. Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Befragungsergebnisse wertvolle Einblicke in die Einstellungen und Bedürfnisse der Bürger*innen liefern, sodass bspw. in der Kommunikation von Mobilitätskonzepten darauf eingegangen werden kann. Gemeinden, die ebenfalls neuartige Mobilitätskonzepte implementieren wollen, wird Alternative Mobilitätskonzepte MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2024-0067 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 67 [9] Bertleff, S; Klee, P.-A.; Lender, B., Bickendorf, P., Ladwig, S. (2021): Mobilitätsentwicklung im Münsterland - Bedarfsgerechte Gestaltung der Anbindung des ländlichen Raums im Bürgerlabor mobiles Münsterland. In: Internationales Verkehrswesen, (73. Jg.) Heft 3. [10] Osswald, S.; Wurhofer, D.; Trösterer, S.; Beck, E.; Tscheligi, M. (2012). Predicting information technology usage in the car: towards a car technology acceptance model. In: Proceedings of the 4th International Conference on Automotive User Interfaces and Interactive Vehicular Applications, S. 51-58. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Drazen Zigic LITERATUR [1] Römer, D.; Salzgeber, J. (2022). Verkehrswende in Deutschland braucht differenzierte Ansätze in Stadt und Land. In: KfW Research Fokus Volkswirtschaft, Heft 363. [2] Umweltbundesamt (2023). Emissionen des Verkehrs. Online: https: / / www.umweltbundesa m t . d e / d a t e n / v e r k e h r / e m i s s i o n e n d e s ve r ke h r s#ve r ke h rb e la s tetlu f tu n d k lim a minderungsziele-der-bundesregierung (Abruf: 21.02.2024) [3] Umweltbundesamt (2023). Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeugbestand. Online: https: / / www. umweltbundesamt.de/ daten/ verkehr/ verkehrsinfrastruktur-fahrzeugbestand#entwicklung-deskraftfahrzeugbestands (Abruf: 26.02.2024) [4] Wolking, C. (2021): Öffentliche Mobilität und neue Mobilitätsdienstleistungen - Rahmenbedingungen und Gestaltungsperspektiven. In: Öffentliche Mobilität, S. 105-138. [5] Münter, A. (2012): Wanderungsentscheidungen von Stadt-Umland-Wanderern. Regionaler Vergleich der Muster und Motive, Informations- und Wahrnehmungslücken sowie Beeinflussbarkeit der Wanderungsentscheidung in vier Stadtregionen. In: MV-Wissenschaft. [6] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) (2016): Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, BMU, Arbeitsgruppe IK III 1. [7] Europäische Kommission (2019): Der europäische Grüne Deal, COM(2019) 640 final. Brüssel. [8] Umweltbundesamt (2024). Klimaschutz und Verkehr. Online: https: / / www.umweltbundesa m t . d e / t h e m e n / v e r k e h r / k l i m a s c h u t z i m verkehr#undefined (Abruf: 23.2.24) auf Basis der Projekterfahrung der enge Austausch mit den Bürgern empfohlen. Weitere Informationen zum Projekt BüLaMo und die im Rahmen des Projekts durch Dialego AG erhobene Ergebnisse des Bürgerlabors können auf der Projekthomepage eingesehen werden: https: / / www.muensterland.com/ muensterland-kommit/ mitmachen/ ergebnisse/ Danksagung Wir bedanken uns beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen sowie dem Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe für die Förderung des Projekts. Zudem danken wir dem Kreis Coesfeld als Projektträger, dem Zweckverband Mobilität Münsterland Fachbereich Bus und der Gemeinde Senden, der Regionalverkehr Münsterland GmbH als Mobilitätsdienstleister im Projekt und den Verbundpartnern: Dialego AG, e.Mobility. Hub GmbH und dem Institut für Straßenwesen und dem Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen University. ■ Maren Klatt, M.Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsbereich Verkehrspsychologie und Akzeptanz, Institut für Kraftfahrzeuge (ika), RWTH Aachen University, Steinbachstraße 7, 52074 Aachen maren.klatt@ika.rwth-aachen.de Sabine Bertleff, Dr. rer. medic., ehem. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsbereich Verkehrspsychologie und Akzeptanz, Institut für Kraftfahrzeuge (ika), RWTH Aachen University, Steinbachstraße 7, 52074 Aachen Stefan Ladwig, Dr. phil., Forschungsbereichsleiter Verkehrspsychologie und Akzeptanz, Institut für Kraftfahrzeuge (ika), RWTH Aachen University, Steinbachstraße 7, 52074 Aachen stefan.ladwig@ika.rwth-aachen.de MOBILITÄT Alternative Mobilitätskonzepte DOI: 10.24053/ IV-2024-0067 Internationales Verkehrswesen (76) 4 ǀ 2024 68
