eJournals Internationales Verkehrswesen 77/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0004
0331
2025
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Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr werden ein Prüfstein für die neue EU-Kommission

0331
2025
Frank Hütten
iv7710016
Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr werden ein Prüfstein für die neue EU-Kommission Ü ber kaum ein Thema haben die EU- Verkehrspolitiker in den vergangenen Jahren so lange und erbittert gestritten, wie über das sogenannte Mobilitätspaket I, mit dem Wettbewerbs- und Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr neu geregelt werden. Der Streit endete mit der Verabschiedung der Gesetze im Juli 2020 nicht, sondern ging ansatzlos in Kritik der Befürworter an einer unzureichenden Kontrolle der neuen Vorschriften und in 15 Klagen von sieben „Gegner-Staaten“ des Mobilitätspakets vor dem Europäischen Gerichtshof über. Im Oktober 2024 urteilte der EuGH und erklärte die regelmäßige Rückkehrpflicht von Lkw in das Land ihrer offiziellen Betriebsstätte für nichtig. Der neue EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas sieht „derzeit keinen Bedarf für neue Gesetzgebung“ zur Rückkehrpflicht, durch die Briefkastenfirmen das Leben schwer gemacht werden soll. Die EU-Kommission habe die Regelung nie unterstützt. Er werde allerdings die Entwicklungen der Arbeitsbedingungen im Straßengüterverkehr beobachten und bei Bedarf eingreifen, sagt Tzitzikostas. Er versprach im Europäischen Parlament bei der Anhörung vor seiner Ernennung zum Kommissar, dass „der wesentliche Teil“ der EU-Vorschriften für den Verkehr „wirksam und konsequent umgesetzt und durchgesetzt wird“. An diesen Aussagen wird er sich messen lassen müssen. Denn die Richter des EuGH haben sich außer bei der Lkw-Rückkehrpflicht voll und ganz hinter die erklärten Ziele der EU-Gesetzgeber gestellt: mit dem Mobilitätspaket für faireren Wettbewerb und bessere Arbeitsbedingungen im europäischen Straßengüterverkehr zu sorgen. Sie machen dabei einige bemerkenswerte grundsätzliche Aussagen von weitreichender Bedeutung. Den fortwährenden Beschwerden aus östlichen Mitgliedsstaaten über Protektionismus des Westens setzt der EuGH zum Beispiel die Aussage entgegen: „Für den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich des Verkehrs gilt eine Sonderregelung.“ Verkehrsunternehmen hätten nur insoweit ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr, wie es ihnen durch EU-Gesetzgebung wie das Mobilitätspaket eingeräumt wird. Höhere Kosten durch besseren sozialen Schutz von Lkw-Fahrern müssten Unternehmen in peripheren EU-Staaten nicht deshalb tragen, weil sie diskriminiert würden, sondern weil sie sich für das Geschäftsmodell entschieden hätten, ihre Transportdienste ausschließlich oder überwiegend Kunden in weit entfernten Mitgliedsstaaten anzubieten. Das Mobilitätspaket hindere sie nicht, durch die Gründung von Tochterfirmen in anderen Ländern näher an die Kunden zu rücken. Kabinenschlafverbot, regelmäßige Fahrerheimkehr und Kabotageeinschränkungen heißt der EuGH mit ebenso klaren Worten gut. Durch Kabotage dürfe keine „dauerhafte oder ununterbrochene Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat“ entstehen, urteilt er. Die EU-Gesetzgeber haben allerdings die Lkw-Rückkehrpflicht als flankierende Regelung für unverzichtbar gehalten, um die übrigen Vorschriften des Mobilitätspakets in der Realität durchzusetzen. Kann das auch ohne Rückkehrpflicht funktionieren? Möglicherweise schon, mit Hilfe digitaler Technologien wie etwa „intelligenter“ Tachographen. Die damit aufgezeichneten Informationen müssen allerdings von nationalen Kontrollbehörden ausgewertet und Verstöße von ihnen geahndet werden, damit sich etwas ändert. Ob das in allen Mitgliedsstaaten in gleicher Weise geschieht, ist angesichts der sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen aber zweifelhaft. Unsicher ist ebenso, ob sich eine EU-Behörde mit Durchgriffsrechten installieren ließe, die Unternehmen bei wiederholten Verstößen die EU-Gemeinschaftslizenz entziehen könnte. Die damalige belgische EU-Ratspräsidentschaft hat im Frühjahr 2024 eine europäische Behörde für Straßengüterverkehr ins Gespräch gebracht, passiert ist bei dem Thema seither aber nichts. Vielversprechender erscheint, die verladende Industrie über ihre gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen - Stichwort: EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) - dazu zu bringen, für die Zustände in ihren Logistikketten Verantwortung zu übernehmen. Dass Druck von Verladern auf Transportunternehmen wirkt, hat sich bereits bei den Konflikten an der Raststätte Gräfenhausen gezeigt. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 16 B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN DOI: 10.24053/ IV-2025-0004