eJournals Internationales Verkehrswesen 77/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0008
0331
2025
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Verkehrswende: Jetzt steuern, nicht stoppen!

0331
2025
Kilian Frey
Leif Jacobs
Claudia Nobis
Die Verkehrswende ist beschlossen und notwendig für Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und finanzielle Stabilität. Das aktuelle Abgaben- und Besteuerungssystem der Mobilität bevorzugt Besserverdienende und benachteiligt vulnerable Personengruppen. Instrumente, wie ein Bonus-Malus-System, eine Pkw-Maut, zielgruppenspezifische Förderprogramme für Elektroautos und eine sozialdifferenzierte Klimaprämie, können Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit verbinden. Haushalte mit schlechtem ÖV-Anschluss und weiten Pendelwegen zur Arbeit, können von Spritpreissteigerungen bis in die mittleren Einkommensschichten empfindlich getroffen werden. Aufgabe der Politik ist es deshalb, Handlungsspielräume zu erweitern, um die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen auf effizientere und weniger klimaschädigende Weise zu ermöglichen. Dadurch wird die Akzeptanz gesteigert und der Erfolg der Verkehrswende langfristig gesichert.
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Umstellung auf E-Mobilität ist noch sehr teuer. Es braucht jedoch eine flächendeckende Verkehrswende, sie kann sich nicht auf den urbanen Raum beschränken. Die Verkehrswende hat zudem großes Potenzial, soziale Ungerechtigkeiten zu mindern, Mobilität zu erhalten und sogar zu verbessern. Der folgende Text stellt Ergebnisse zu den Verteilungswirkungen einer Verkehrswende vor und macht darauf auf bauend Vorschläge für eine möglichst sozialverträgliche Transformation. 1. Einleitung Verkehrspolitik ist ein kontroverses und emotionales Thema: Große Teile der Bevölkerung halten die Verkehrswende für sinnvoll und notwendig. Andere bezeichnen sie als überflüssig oder unrealistisch und möchten am Status quo festhalten. Allerdings ist die Verkehrswende keine Frage des „Ob“, sondern des „Wie“. Anders als in den Städten ist der öffentliche Verkehr auf dem Land häufig keine realistische Alternative zum eigenen Auto. Die 2. Umweltpolitische und fiskalische Notwendigkeit der Verkehrswende Der Verkehrssektor bleibt das Sorgenkind im Umweltschutz. Nahezu unverändert hohe negative Auswirkungen auf Menschen und Umwelt stellen eine enorme Herausforderung dar. Die Dekarbonisierung des Verkehrs - als Teil der Verkehrswende - ist mehrheitsfähig und wurde national und EU-weit, inklusive entsprechender Gesetze, beschlossen. Der Beschluss des Verbrenner-Aus und der Verkehrswende: Jetzt steuern, nicht stoppen! Verkehrswende, Soziale Gerechtigkeit, Soziale Teilhabe, Vulnerable Haushalte, Postfossile Mobilität, Ländliche Mobilität, Gerechte Transformation, Fiskalische Ergiebigkeit, Dekarbonisierung, Umweltschutz, Klimaschutz Die Verkehrswende ist beschlossen und notwendig für Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und finanzielle Stabilität. Das aktuelle Abgaben- und Besteuerungssystem der Mobilität bevorzugt Besserverdienende und benachteiligt vulnerable Personengruppen. Instrumente, wie ein Bonus- Malus-System, eine Pkw-Maut, zielgruppenspezifische Förderprogramme für Elektroautos und eine sozialdifferenzierte Klimaprämie, können Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit verbinden. Haushalte mit schlechtem ÖV-Anschluss und weiten Pendelwegen zur Arbeit, können von Spritpreissteigerungen bis in die mittleren Einkommensschichten empfindlich getroffen werden. Aufgabe der Politik ist es deshalb, Handlungsspielräume zu erweitern, um die Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen auf effizientere und weniger klimaschädigende Weise zu ermöglichen. Dadurch wird die Akzeptanz gesteigert und der Erfolg der Verkehrswende langfristig gesichert. Kilian Frey, Leif Jacobs, Claudia Nobis Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 30 DOI: 10.24053/ IV-2025-0008 Emissionshandel für Gebäude, Straßenverkehr und zusätzliche Sektoren (EU-ETS 2) 1 zeigen, dass Deutschland und die EU sich auf eine postfossile Mobilität ausrichten. Das aktuelle Abgaben- und Besteuerungssystem der Mobilität basiert jedoch zu weiten Teilen auf den Grundlagen des „fossilen Zeitalters“. Perspektivisch werden die mit dem Absatz fossiler Kraftstoffe verbundenen staatlichen Einnahmen gegen Null gehen (Bild 1). Die Einnahmen aus dem EU- ETS 2 können dieses Problem nur verlangsamen, da sie kurzfristig auch bei sinkendem Verbrauch von Kraftstoffen für gleichbleibende oder höhere Einnahmen sorgen (vgl. Blanck, R. et al: 2021). Langfristig werden auch über den EU-ETS keine Einnahmen mehr generiert. Folgerichtig geht die Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums für das Jahr 2040 von der Einführung einer fahrleistungsabhängigen Pkw-Maut auf überörtlichen Straßen aus. Dort wird ein Entgelt in Höhe von real 5 Cent pro Fahrzeugkilometer angesetzt, um die Einnahmenausfälle aufgrund des sinkenden Absatzes an Kraftstoffmengen und den sinkenden Einnahmen durch die Energiesteuer auszugleichen (vgl. Kluth, T. et al: 2024). 3. Soziale Notwendigkeit der Verkehrswende Neben Umweltaspekten und fiskalischen Notwendigkeiten ist auch die Sozialverträglichkeit des Verkehrssystems von großer Bedeutung. Bevor wir einen Blick auf die sozialen Auswirkungen der Verkehrswende werfen, betrachten wir die Situation im Status quo. Aktuell besteht eine große Gerechtigkeitslücke in der Mobilität (vgl. UBA: 2020). Je wohlhabender Haushalte sind, desto mehr Autos besitzen sie (vgl. Bild 2). Personen aus einkommensstarken Haushalten legen im Durchschnitt mehr Kilometer, insbesondere mit dem Auto, zurück, als dies bei Personen aus einkommensschwachen Haushalten der Fall ist. Wohlhabendere Menschen tragen damit zu einem höheren Umweltverbrauch und zu mehr Umweltschäden bei. Die damit verbundenen Umweltkosten des Verkehrs werden zu weiten Teilen nicht von den Verursachenden getragen, sondern auf die Gesellschaft abgewälzt. Im Gegensatz dazu sind Menschen mit niedrigem Einkommen aufgrund ihrer Wohnlage und ihrer Verkehrsmittelnutzung im Durchschnitt stärker von verkehrsbedingten Luftschadstoffen und Lärm betroffen als besser gestellte Gesellschaftsschichten. Besonders benachteiligt sind Frauen, Kinder und ältere Menschen, die häufig auf den Fußverkehr angewiesen sind. In einem Verkehrssystem, das vom Auto dominiert wird, stehen sie oft im Abseits (vgl. UBA 2020). Auch den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung, Kindern und älteren Personen wird das aktuelle Verkehrssystem oft nicht gerecht. Physische Zugangsbarrieren durch fehlende Rampen oder hohe Einstiegshöhen, zu kurze Umsteigezeiten oder die Bereitstellung von Tickets in digitaler Form sind nur einige Beispiele, die zum Ausschluss solcher Personengruppen führen können. Teilweise kann schon das Überqueren einer Straße zum Problem werden. Diese Menschen und ihre spezifischen Belange sind im öffentlichen Raum dadurch nicht mehr sichtbar (vgl. Aktion Mensch 2022: Inklusionsbarometer Mobilität). Die jüngsten Änderungen im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und in der Straßenverkehrsordnung (StVO) lassen hoffen, dass künftig mehr Rücksicht auf die schwächsten Verkehrsteilnehmenden genommen wird. Darüber hinaus profitieren besserverdienende Haushalte und Männer überproportional oft von staatlichen Förderungen und umweltschädlichen Subventionen im Verkehr - wie z. B. dem Dienstwagenprivileg (vgl. Jacobs et al. 2024). Auch die Dekarbonisierung der Mobilität kann zur Verschärfung der finanziellen Ungleichheiten beitragen. Geringverdienende Haushalte können sich keine teuren Elektroautos leisten. Dies kann zur finanziellen Belastung der Haushalte führen, da - wie in Bild 3 anhand eines Hochpreisszenarios des Emissionshandels dargestellt - die durchschnittlichen variablen Kosten fossil betriebener Fahrzeuge in den kommenden Jahren deutlich ansteigen können. Bild 1: Zukunft der Energiesteuereinnahmen: Szenario bei Erreichung von Treibhausgasneutralität bis 2050, Quelle: Blanck, R. et al. (2021) Bild 2: Autobesitz nach ökonomischem Status der Haushalte in Deutschland 2017, Quelle: Nobis, Kuhnimhof (2019) Teilhabe  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 31 DOI: 10.24053/ IV-2025-0008  Bezieher*innen höherer Einkommen  Bewohner*innen des ländlichen Raums Umgekehrt gewinnen die Menschen, die von den negativen Folgen bislang überproportional betroffen waren:  Bezieher*innen geringerer Einkommen  Alte und junge Menschen  Menschen mit gesundheitlicher Vorbelastung  Menschen mit Migrationshintergrund Negative Folgen, insbesondere durch eine hohe finanzielle Belastung, sind für die folgenden Gruppen zu befürchten:  Haushalte mit schlechter ÖPNV-Anbindung  Haushalte mit langen Pendelwegen  Haushalte mit unterdurchschnittlichem Einkommen und  Familien Ein Teil der untersuchten preiswirksamen Instrumente ist bereits beschlossen. Der europäische Emissionshandel für Gebäude und Verkehr startet beispielsweise im Jahr 2027. Die Studie macht Empfehlungen für eine umweltorientierte und sozialverträgliche Umsetzung der Verkehrswende. In den folgenden Unterkapiteln werden Instrumente zweierlei Typs vorgestellt:  Vorschläge zur Beschleunigung der Dekarbonisierung des Verkehrs sowie  Vorschläge zur Minderung sozial unerwünschter Verteilungswirkungen von Instrumenten zur Dekarbonisierung 4.2 Dekarbonisierung des Verkehrs beschleunigen Um die Dekarbonisierung des Verkehrssektors sozialgerecht voranzutreiben, sind neben der Einführung des EU-ETS 2 weitere Maßnahmen notwendig. Jacobs et al. (2024) haben die Umwelt- und Verteilungswirkungen von 17 Reformmaßnahmen analysiert, aus denen im Folgenden die vielversprechendsten Ansätze vorgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der gezielten Beseitigung umweltschädlicher Anreize im motorisierten Individualverkehr. 2 Streckenbezogene Pkw-Maut Ein wirksamer Ansatz ist die Einführung einer streckenbezogenen Pkw-Maut, die sowohl die Infrastrukturals auch die Umweltkosten der Pkw-Nutzung einpreist. Mit Einnahmen von weit über 40 Mrd. Euro jährlich könnte sie nicht nur das fiskalische Defizit durch rückläufige Erträge aus der Energiesteuer und des CO 2 -Preises ausgleichen. Da von einer Pkw-Maut auch Elektroautos betroffen sind, würden alle Nutzenden zur Infrastrukturfinanzierung beitragen; es käme zu einer gerechten Lastenverteilung. gen der folgenden Instrumente: verschiedene Varianten der Entfernungspauschale, eine einheitliche Energiesteuer auf Kraftstoffe, ein ambitioniertes nationales Emissionshandelssystem, eine streckenbezogene Pkw-Maut, ein Bonus-Malus-System, ein ambitionierter CO 2 -Flottenzielwert, eine Pauschalbesteuerung von privat genutzten Dienstwagen, eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 innerorts, eine Luftverkehrs- und eine Kerosinsteuer, die Verbesserung der ÖPNV-Qualität, verschiedene Varianten einer Klimaprämie sowie die Einführung von vergünstigten Strompreisen und von Sozialtickets für den öffentlichen Verkehr. Im Kern kommen die Forscher*innen vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik, der Freien Universität Berlin und dem Institut für Energietechnik und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart zu folgenden Auswirkungen der Instrumente: Im Durchschnitt werden vor allem die Bevölkerungsgruppen höher belastet, die vom bisherigen Verkehrssystem besonders profitiert haben. Dies sind:  Berufspendler*innen  Männer 4. Vorschläge für eine sozialgerechte Verkehrswende Ziel der Verkehrswende ist es, ein umweltfreundliches und sozial gerechtes Verkehrssystem zu schaffen. Wichtige Bausteine sind z. B. der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die Förderung des Fuß- und Radverkehrs sowie die Verbesserung der Lebensqualität in Städten durch eine Reduzierung des Pkw- Verkehrs. Einkommensschwache Gruppen profitieren von diesen Maßnahmen oft in besonderem Maß. Die Dekarbonisierung des Verkehrs kann, wie dargestellt, aber auch zu neuen sozialen Schieflagen führen. In diesem Kapitel werden zunächst die sozialen Folgen unterschiedlicher Instrumente für mehr Klimaschutz im Verkehr beschrieben und im Anschluss vielversprechende Maßnahmen für die Verkehrswende vorgestellt. Abschließend geht es um Möglichkeiten zum Abbau von sozialen Ungerechtigkeiten. 4.1 Verteilungswirkungen ausgewählter Instrumente Das Umweltbundesamt hat eine Studie veröffentlicht, die sich mit den sozialen Folgen der Verkehrswende befasst (vgl. Jacobs et al. 2024). Untersucht wurden die Auswirkun- Bild 3: Vergleich der durchschnittlichen variablen Mobilitätskosten nach Antriebsart bei einem CO 2 -Preis von 300 Euro pro Tonne CO 2 im Jahr 2030 Bild 4: Finanzielle Belastungen durch eine streckenbezogene Pkw-Maut nach Bevölkerungsgruppen im Jahr 2030 MOBILITÄT  Teilhabe Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 32 DOI: 10.24053/ IV-2025-0008 bieten auch Verhaltensanpassungen in Form einer geänderten Verkehrsmittelwahl nur begrenzt Möglichkeiten, auf die steigenden CO 2 - und Energiepreise zu reagieren. Das UBA (2025 im Erscheinen) schlägt daher zwei Arten zur Rückverteilung von Einnahmen aus der CO 2 -Bepreisung von Haushalten vor: (1) eine sozialdifferenzierte Klimaprämie für untere und mittlere Einkommen sowie (2) eine spezifische Förderung von vulnerablen Haushalten. Eine sozialdifferenzierte Klimaprämie kann die CO 2 -bedingten Kostensteigerungen für spezifische Bevölkerungsgruppen spürbar reduzieren. Es wäre wichtig, dass die Klimaprämie bereits im Vorfeld steigender CO 2 -Preise eingeführt und „perspektivisch so lange als Basisabsicherung aufrechterhalten wird, bis ausreichend kostengünstige und breit verfügbare Möglichkeiten für einen Umstieg von Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen auf CO 2 -freie oder energie-effiziente Optionen im Mobilitäts- und Wärmebereich bereitstehen“ (vgl. UBA 2025 im Erscheinen). Im Verkehrssektor gelten insbesondere Haushalte in der unteren Einkommenshälfte, mit schlechter ÖV-Anbindung und hohen Mobilitätsausgaben als besonders betroffen von der CO 2 -Bepreisung (vgl. Jacobs, L. et al., 2024). In dünn besiedelten Regionen wird der motorisierte Individualverkehr trotz Ausbau des Öffentlichen Verkehrs auch zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Ziel sollte es daher sein, vulnerablen Haushalten in diesen Regionen über spezifische Förderprogramme und alternative Finanzierungsoptionen Zugang zu einem Elektroauto zu ermöglichen. Nachdem die allgemeine Kaufprämie für Elektroautos in Deutschland ausgelaufen ist, wäre eine Neuauflage der Kaufprämie, die sich ausschließlich an vulnerable Haushalte ohne ausreichenden Zugang zum Öffentlichen Verkehr richtet und auch den Kauf gebrauchter Elektroautos fördert, sinnvoll. Eine hohe Zielgruppengenauigkeit der Förderung und die Vermeidung ungewollter Mitnahmeeffekte haben dabei hohe Priorität. Die Kaufprämie sollte dabei über ein Bonus-Malus-System (s. o.) finanziert werden und nur auf den Kauf kleiner und mittelgroßer Elektroautos ausgerichtet sein. Dies hat bei Neuwagen den positiven Nebeneffekt, dass im Gebrauchtwagenmarkt langfristig mehr kleine und damit günstigere Elektroautos zur Verfügung stehen. Wenn das System aufkommensneutral gestaltet ist, trägt es sich selbst und benötigt netto keine Mittel aus dem Staatshaushalt. Der Kauf von gebrauchten Elektroautos kann auch über zinslose Kredite, die ausschließlich Personen mit geringem Einkommen bereitgestellt werden, gefördert werden. Aus Umweltsicht sollten wie bei erheblich zur Dekarbonisierung des Verkehrs beitragen. So würde eine einheitliche Energiesteuer auf Kraftstoffe, die die Besteuerung von Diesel an das Niveau von Benzin angleicht, ähnlich umweltfreundliche Anreize wie der CO 2 -Preis setzen (vgl. Jacobs et al. 2022). Diese Maßnahme könnte hohe Fahrleistungen von Dieselfahrzeugen verringern, die Konkurrenzfähigkeit von Elektroautos steigern und dadurch die frühzeitige Ablösung des Diesels durch emissionsärmere Alternativen fördern. Da Haushalte mit Dieselfahrzeugen im Durchschnitt über ein höheres Einkommen verfügen, würde die Maßnahme primär diese Gruppe betreffen. Dienstwagen und Entfernungspauschale Auch eine realitätsnähere Pauschalbesteuerung privat genutzter Dienstwagen und eine degressive Umgestaltung und Begrenzung der Entfernungspauschale würden vor allem einkommensstarke Haushalte belasten, da diese von den bisherigen Regelungen stärker profitieren. Die Anhebung des Pauschalsatzes bei der Dienstwagenbesteuerung würde den Anreiz zur Privatnutzung von Dienstwagen reduzieren. Eine Halbierung der Entfernungspauschale würde den finanziellen Vorteil von weiten Pendelstrecken abschwächen, die überproportional oft von Personen höherer Einkommensgruppen durchgeführt werden. Um Härten für vulnerable Haushalte zu vermeiden, könnten Ausnahmeregelungen für Steuerpflichtige, die z. B. aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen oder mangels zumutbarer ÖPNV-Alternativen auf das Auto angewiesen sind, eingeführt werden. Alle genannten Instrumente verfolgen das Ziel, den Verkehrssektor nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch sozial gerechter zu gestalten und den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität zu ermöglichen. 4.3 Förderung von Haushalten mit hohen fossilen Energiebedarfen und geringen Anpassungsspielräumen Die CO₂-Bepreisung von Brenn- und Heizstoffen über den ETS 2 ist ein maßgeblicher Hebel zum Erreichen der Klimaziele im Gebäude- und Verkehrsbereich. Dabei muss auf die Vermeidung sozialer Härten geachtet werden. Haushalte im unteren und mittleren Einkommenssegment mit hohem fossilem Energiebedarf werden besonders stark durch die CO 2 -Bepreisung belastet. Sie sind aus eigener Kraft meist nicht in der Lage, diese monetären Belastungen durch investive Klimaschutzmaßnahmen, wie eine energetische Sanierung oder den Kauf eines Elektroautos, hinreichend schnell zu verringern. Bei mangelnden Alternativen, wie einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr, Emissionsarme Fahrzeuge würden weiterhin mit Abstand die geringsten Mobilitätskosten aufweisen, der Anreiz zur Dekarbonisierung bliebe erhalten. Die Simulationsergebnisse eines solchen Szenarios (vgl. Bild 4) legen nahe, dass insbesondere Haushalte, die klassischerweise stark auf ein Auto angewiesen sind, mit erheblichen Zusatzkosten rechnen müssten. Nutzende von Diesel-Pkw mit ihren überdurchschnittlich hohen Fahrleistungen wären besonders betroffen, während einkommensschwache Haushalte mit ihren im Durchschnitt geringeren Fahrleistung weniger belastet würden. Vergleicht man allerdings nur Haushalte mit Pkw, ergeben sich für die Einkommensschwächsten auffällig hohe Belastungen. Zudem könnten die Kosten für Haushalte ohne Zugang zu Elektromobilität spürbar steigen. Die schrittweise Einführung der Maut dürfte jedoch mit einem deutlich weiterentwickelten Fahrzeugmarkt einhergehen, der Elektroautos zu erschwinglichen Preisen bereitstellt und damit realistische, emissionsarme Mobilitätsoptionen für große Teile der Bevölkerung ermöglicht. Zudem gibt es Ansätze für eine Preisreduzierung für vulnerable Haushalte (siehe Kapitel 4.3). Da steigende Mobilitätskosten in der Vergangenheit nachweislich zur Reduktion von Emissionen beigetragen haben, stellt die streckenbezogene Maut einen der wirksamsten Hebel zur Senkung der Treibhausgase im Pkw-Verkehr dar. Bonus-Malus-System Ein Bonus-Malus-System wäre ein wirkungsvolles Instrument, um den Übergang zu emissionsärmeren Antrieben zu beschleunigen und damit vor allem die Antriebswende voranzutreiben. Beim Kauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor würden Abgaben anfallen, deren Höhe sich nach den CO 2 -Emissionen des jeweiligen Fahrzeugs richtet: Je höher die Emissionen, desto größer der finanzielle Malus. Die daraus generierten Einnahmen könnten gezielt zur Förderung des Kaufs von Elektrofahrzeugen - als Bonus für vulnerable Haushalte - eingesetzt werden (s. u.). Dies würde nicht nur eine klare Lenkungswirkung zugunsten emissionsarmer Fahrzeuge entfalten, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung stärken. Erfahrungen aus Ländern wie den Niederlanden und Norwegen, in denen ähnliche Abgaben bei der Zulassung eingeführt wurden, zeigen, dass solche Systeme die durchschnittlichen CO 2 -Emissionen neu zugelassener Pkw deutlich stärker reduzieren können als im EU-Durchschnitt (Blanck und Zimmer 2021). Energiesteuer auf Diesel Neben diesen neuen Instrumenten können auch Anpassungen bestehender Regelungen Teilhabe  MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 33 DOI: 10.24053/ IV-2025-0008 und Verkehr (BMDV) - Zusatzdokument 6.1: Start- Prognoseprämissen Prognosefall 1 „Basisprognose 2040“. Online verfügbar unter https: / / bmdv. bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ G/ BV WP/ verkehrsprognose-2040-zusatzdokument-6-1-startprognosepraemissen-prognosefall-1-basisprognose-2040.pdf? _ _blob=publicationFile UBA (2020): Verkehrswende für Alle - So erreichen wir eine sozial gerechtere und umweltverträglichere Mobilität. Online verfügbar unter https: / / www. umweltbundesamt.de/ publikationen/ verkehrswende-fuer-alle UBA (2025 im Erscheinen): CO 2 -Preis im Gebäude- und Verkehrsbereich effektiv und sozialverträglich gestalten. Jacobs, L; Quack, L.; Mechtel, M. (2022): Distributional effects of carbon pricing by transport fuel taxation. In: Energy Economics 114, 106290. DOI: 10.1016/ j.eneco.2022.106290. Jacobs, L. et al. (2024): Verteilungswirkungen einer Verkehrswende - Analyse von Verteilungswirkungen umweltpolitischer Instrumente im Verkehrssektor und ein Gesamtkonzept für eine ökologische und inklusive Verkehrswende. Online verfügbar unter https: / / www.umweltbundesamt. de/ publikationen/ verteilungswirkungen-einerverkehrswende Wappelhorst, S. und Díaz, S. (2024): Moving past the early market: How to get battery electric vehicles to the mainstream (Blog) Online verfügbar unter https: / / theicct.org/ how-to-get-bevs-to-the-mainstream-sept24/ Eingangsabbildung: © iStock.com/ RomoloTavani gestellt werden. Insbesondere bei Menschen im ländlichen Raum mit langen Pendelwegen könnte es ohne staatliche Unterstützung bis in die mittleren Einkommensgruppen hinein zu sozialen Härten kommen. Es ist notwendig, dass sich die Politik den Anliegen dieser Bevölkerungsgruppen widmet - allein schon, um die erfolgreiche Umsetzung ihrer gefassten Beschlüsse nicht zu gefährden. Ein Weg ist die Auflage spezifischer Förderprogramme, die gezielt vulnerable Bevölkerungsgruppen entlasten. ▪ ENDNOTEN 1 Das 2023 beschlossene EU weite zweite Emissionshandelssystem für Brennstoffe (EU-ETS 2 - Emissions Trading System) löst 2027 das nationale Emissionshandelssystem (nEHS) ab. Mit dem Übergang auf den EU-ETS 2 sind deutlich steigende CO 2 -Preise möglich. Im Gegensatz zum nEHS verfügt der EU-ETS 2 über feste Emissionsobergrenzen. Der CO 2 - Preis bildet sich daher ab 2027 als Knappheitspreis am Markt (vgl. UBA 2025 im Erscheinen). 2 Maßnahmen zur Stärkung eines attraktiven Umweltverbunds, für die Dekarbonisierung des gewerblichen Verkehrs und des Luftverkehrs, sowie Instrumente, die in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen, sind ebenfalls essenziell für die Verkehrswende, können in diesem Beitrag jedoch nicht näher beschrieben werden. Für weitere Informationen siehe Jacobs et al. (2024). 3 Haushalte, die als förderwürdig eingestuft werden, bekommen ein Elektroauto zu vergünstigten (da staatlich subventionierten) Leasingraten gestellt. LITERATUR Aktion Mensch (2022): Inklusionsbarometer: Mobilität (S. 86 ff). Online verfügbar unter https: / / aktionmensch.stylelabs.cloud/ api/ public/ content/ inklusionsbarometer-mobilitaet.pdf? v=ebc7d6ea Burger, A. et al. (2022): CO 2 -Bepreisung im Verkehrs- und Gebäudebereich sozialverträglich gestalten. Online verfügbar unter CO₂-Bepreisung im Verkehrs- und Gebäudebereich sozialverträglich gestalten | Umweltbundesamt Blanck, R. et al. (2021): Mobilität in die Zukunft steuern: Gerecht, individuell und nachhaltig. Online verfügbar unter https: / / www.umweltbundesamt. de/ publikationen/ mobilitaet-in-die-zukunft-steuern-gerecht Blanck, R. und Zimmer, W. (2021): Umgestaltung der Kfz-Steuer: Bonus-Malus-System. Online verfügbar unter https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 366/ dokumente/ ubakurzpapier_bonus-malus-system_kliv.pdf Nobis, C. und Kuhnimhof, T. (2019): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT zu und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, S. 35. https: / / www.mobilitaet-in-deutschland.de/ archive/ pdf/ MiD2017_Ergebnisbericht.pdf Kluth, T. et al. (2024): Verkehrsprognose 2040 im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales der Kaufprämie nur kleinere Pkw gefördert werden. Im europäischen Ausland existieren bereits Beispiele für solche Modelle (z. B. Frankreich). Ein weiteres Instrument, das den hohen Kaufpreis von Elektroautos in den Blick nimmt, ist das „Social Leasing“ 3 für vulnerable Haushalte. Frankreich hat erste Analysen dieses Förderinstruments veröffentlicht. Die Ergebnisse sind positiv: Insgesamt hilft das System auch weniger begüterten und jüngeren Menschen Zugang zu einem Elektroauto zu bekommen (vgl. Wappelhorst und Díaz 2024). Auch wenn die Situationen von Frankreich und Deutschland nicht 1: 1 vergleichbar sind, sollte ein solches System geprüft werden. Empfehlenswert wäre es, die deutsche Autoindustrie in den Prozess einzubeziehen. Neue staatliche Förderinstrumente bergen die Gefahr, neuen bürokratischen Aufwand zu generieren. Es besteht ein Zielkonflikt zwischen Praktikabilität und Zielgruppengenauigkeit. Bei den Leistungen sollte deshalb ein besonderes Augenmerk auf eine bürokratiearme und praxistaugliche Ausgestaltung gelegt werden. So bedarf es nicht immer neuer Förderungen. Es können auch existierende Sozialtransfers um weitere Aspekte ergänzt oder zumindest deren Förderkriterien genutzt werden, um eine möglichst effiziente Umsetzung spezifischer Förderansätze zu gewährleisten. 5. Zusammenfassung und Fazit Die mit der Verkehrswende verbundene Transformation leistet einen elementaren Beitrag zum Schutz von Menschen und Umwelt. Durch das beschlossene Auslaufen von Fahrzeugen mit fossilen Antrieben werden die Energiesteuereinnahmen perspektivisch gegen Null gehen. Eine Neuausrichtung des Abgaben- und Besteuerungssystems der Mobilität kann dem stattfindenden Wandel eine Struktur geben und zur Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates beitragen. Die Verkehrswende ist dabei mehr als ein technischer Wandel. Sie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und moderne Mobilitätsbedürfnisse miteinander in Einklang bringen muss. Da der Status quo im Verkehrssystem sozial ungerecht ist, kann die Verkehrswende zum Ausgleich sozialer Ungleichheiten genutzt werden. Mit diesem Ziel hat das Umweltbundesamt eine Studie (Jacobs et al. 2024) in Auftrag gegeben, die sich mit den sozialen Auswirkungen verschiedener Handlungsoptionen zur Umsetzung der Verkehrswende befasst. Die Ergebnisse zeigen: Die meisten Menschen können die Folgen der Verkehrswende gut bewältigen - viele profitieren sogar von ihr. Es gibt aber auch Gruppen, die vor Herausforderungen Kilian Frey, Fachgebiet: „Umwelt und Verkehr“, Umweltbundesamt, Wörlitzer Platz 1, 06844 Dessau-Roßlau kilian.frey@uba.de Leif Jacobs, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT, Schloss Birlinghoven, 53757 Sankt Augustin leif.jacobs@fit.fraunhofer.de Claudia Nobis, Dr., Leitung Fachgebiet Umwelt und Verkehr, Umweltbundesamt, Wörlitzer Platz 1, 06844 Dessau- Roßlau Claudia.Nobis@uba.de MOBILITÄT  Teilhabe Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 34 DOI: 10.24053/ IV-2025-0008