Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0012
0331
2025
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Neue Mobilitätsroutinen dank Deutschlandticket?
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Christian Lutz
Philipp Rollin
Präsentiert werden Ergebnisse einer bundesweiten Studie des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung zur Evaluation des Deutschlandtickets (D-Ticket). Die Daten zeigen spannende Auswirkungen des D-Tickets auf das Mobilitätsverhalten. Sie belegen eine deutliche Mehrnutzung des ÖPNV. Ferner liegen Indizien dafür vor, dass das D-Ticket starre Routinen der Verkehrsmittelwahl aufbricht und sie zugunsten des ÖPNV verschiebt. Darüber hinaus zeichnen sich Potenziale mit Blick auf die Reduzierung der Pkw-Nutzung ab, was sowohl für den fließenden als auch den ruhenden Verkehr gilt.
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von Ergebnissen einer bundesweiten Befragung von rund 2.250 Personen auf den Grund. Die hiesige Arbeit versteht sich als eine Ergänzung zu zahlreichen weiteren Studien, welche die Auswirkungen des D-Tickets aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Eine davon ist die VDV-Marktforschung, die auf besonders breiter Datenbasis steht (VDV W ie wirkt sich das Deutschlandticket (D-Ticket) auf das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger aus? Welchen Beitrag kann es leisten, starre Muster der Verkehrsmittelwahl aufzubrechen und neue Mobilitätsroutinen zugunsten des ÖPNV entstehen zu lassen? Diesen Fragen geht der vorliegende Artikel anhand 2024). Sie attestiert dem D-Ticket die Wirkung einer vermehrten ÖPNV-Nutzung, die zum einen auf Induzierung, zum anderen aber auf Verlagerung aus anderen Verkehrsmitteln, vor allem aus dem motorisierten Individualverkehr (MIV), zurückzuführen ist. Auch eine Untersuchung der infas gesteht dem D-Ticket zu, zwar keine Verkehrswende herbeigeführt, aber einen begrüßten Neue Mobilitätsroutinen dank Deutschlandticket? Wie das verkehrspolitische Instrument starre Muster der Verkehrsmittelwahl verschiebt Deutschlandticket, ÖPNV, Verkehrspolitik, Mobilitätsverhalten, Routinen, Modal Shift Präsentiert werden Ergebnisse einer bundesweiten Studie des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung zur Evaluation des Deutschlandtickets (D-Ticket). Die Daten zeigen spannende Auswirkungen des D-Tickets auf das Mobilitätsverhalten. Sie belegen eine deutliche Mehrnutzung des ÖPNV. Ferner liegen Indizien dafür vor, dass das D-Ticket starre Routinen der Verkehrsmittelwahl aufbricht und sie zugunsten des ÖPNV verschiebt. Darüber hinaus zeichnen sich Potenziale mit Blick auf die Reduzierung der Pkw-Nutzung ab, was sowohl für den fließenden als auch den ruhenden Verkehr gilt. Christian Lutz, Philipp Rollin Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 46 DOI: 10.24053/ IV-2025-0012 Auf bruch eingeleitet zu haben (Follmer 2024). Krämer (2024) hat das D-Ticket darüber hinaus aus einer wohlfahrtsökonomischen Perspektive betrachtet und ihm einen in gesamtvolkswirtschaftlicher Hinsicht positiven Nutzen bescheinigt. Mit Blick auf die Effekte im Zusammenhang mit der Klima- und Umweltpolitik haben beispielsweise Amberg & Koch (2024) eine Analyse vorgelegt, die eine durch das D-Ticket herbeigeführte CO 2 -Reduktion der Verkehrsemissionen von 4,7 % feststellt. Die genannten Publikationen deuten mindestens an, dass das D-Ticket ein vielversprechendes Instrument darstellt, das Mobilitätsverhalten der Menschen in Deutschland nachhaltiger auszurichten. Doch gehen sie über eine beschreibende Perspektive kaum hinaus. Die Fragen, wann das D-Ticket welche Wirkung warum entfaltet, bleiben dadurch zunächst weitgehend unbeantwortet. Anspruch der dem hiesigen Artikel zugrundeliegenden Mittelfriststudie des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt (DZSF) ist es, dafür Erklärungen zu liefern. Neben den mobilitätswissenschaftlichen Betrachtungen wird dabei auch eine sozial- und dezidiert politikwissenschaftliche Perspektive eingenommen, um das Phänomen des Mobilitätsverhaltens und dessen Veränderungen zu erklären. Unsere bisherigen Analysen bestätigen die zuvor zitierten Studien insofern, dass das D-Ticket sowohl zu einer deutlichen ÖPNV-Mehrnutzung als auch zu einer Reduktion der Pkw-Nutzung bei den D-Ticket-Besitzenden geführt hat. Unsere Befragungsdaten deuten aber auch darauf hin, dass sich Möglichkeitsfenster zur Veränderung starrer Mobilitätsroutinen zugunsten des ÖPNV öffnen, weshalb die langfristige Sicherung des in Deutschland ausgesprochen beliebten Tarifprodukts einmal mehr an Bedeutung gewinnt. Hauptbestandteil des Projektes ist eine sechswellige Trendstudie, die jeweils mittels eines Online-Access-Panels durchgeführt wird. In diesem Kontext werden seit Sommer 2023 zweimal im Jahr 2.500 Personen unter anderem zum Mobilitätsverhalten, zu soziodemografischen Merkmalen und zu Einstellungen gegenüber verkehrs- und gesellschaftspolitischen Kontroversen befragt. Der Schwerpunkt liegt hier auf den empirischen Befunden auf Basis der Daten der Sommerwelle 2024, die in den Kalenderwochen 24 und 25 durchgeführt wurde. Die Stichprobe ist auf Geschlecht quotiert und auf eine angemessene Verteilung verschiedener Wohnortgrößen ausgerichtet. Der aus der Erhebung gewonnene Datensatz wurde einer umfassenden Qualitätsprüfung unterzogen, infolgedessen insbesondere inkonsistentes Antwortverhalten sowie eine unrealistisch kurze Bearbeitungsdauer des Online-Fragebogens zum Ausschluss einiger Fälle (n = 253) geführt hat. Der bereinigte Datensatz (n = 2.248) weist mit Blick auf die wesentlichen soziodemografischen Merkmale und hinsichtlich des D-Ticket- Besitzes folgende Verteilung auf (siehe Tabelle 1). Deutschlandticket und die Veränderung des Mobilitätsverhaltens Zur Beantwortung der Frage, inwieweit sich das Mobilitätsverhalten der Befragten, die mindestens einmal ein D-Ticket besessen haben, verändert hat, werden die selbst berichteten Mobilitätsverhaltensänderungen in Augenschein genommen. Diese sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Menschen, die ein D-Ticket haben oder hatten, nutzen seitdem auf der einen Seite in der Mehrheit häufiger den ÖPNV (55,98 %), auf der anderen Seite weniger das Auto (42,42 %). Der Anteil derer, die in Bezug auf das Auto keine Verhaltensänderung angeben, ist ebenfalls ausgeprägt: In etwa die Hälfte der betrachteten Personengruppe (49,35 %) nutzt das Auto genauso wenig bzw. viel wie vor Besitz des D-Tickets. Während der Mittelwert der Verhaltensänderung in Bezug auf den ÖPNV mit 3,69 recht deutlich über dem Skalenmittelpunkt von 3,0 (Abstand: ,69) rangiert, es also deutlich wahrnehmbare, positive Verschiebungen mit Blick auf die ÖPNV-Nutzung gibt, bewegt sich das arithmetische Mittel in Bezug auf die Automobilität mit 2,47 unter dem Skalenmittelpunkt, was eine negative Verschiebung bedeutet. Der Abstand zum Skalenmittelpunkt (-,53) ist hier allerdings geringer als bei der Verhaltensänderung in Bezug auf den ÖPNV, was zeigt, dass der Rückgang in der Automobilität nicht so hoch ist wie der Zuwachs bei der Nutzung des ÖPNV. Ein statistisch hochsignifikanter Zusammenhang zwischen einem Mehr an ÖPNV auf der einen und einem Weniger an Automobilität auf der anderen Seite ist bei den Menschen, die ein D-Ticket besitzen oder mal eines besessen haben, nachweisbar. 1 Mindestens eine weitere Erkenntnis an dieser Stelle aber bleibt: Der Besitz eines D-Tickets bedeutet noch nicht, dass das Auto in genau dem Maße weniger genutzt wird, in dem es zu Zuwächsen beim ÖPNV kommt. Um im Hinblick auf aktuell D-Ticket- Besitzende isolierte Effekte identifizieren zu können, werden nun die beiden folgenden Gruppen separat betrachtet: (i) jene Personen, die aktuell ein D-Ticket (regulär, als Job-, Schul- oder Semesterticket oder integriert in einer BahnCard 100) besitzen und (ii) jene Menschen, die mal eines hatten, es aber wieder gekündigt haben. Dies ermöglicht, unter Umständen aufgetretene Verzerrungen in den vorangegangenen Berechnungen zu reduzieren. Tabelle 3 zeigt die Differenzen zwischen der gemeinsamen Betrachtung der Mobilitätsverhaltensänderung aktuell und ehemalig D-Ticket-Besitzender auf der einen und der akzentuierten Darstellung der jeweiligen Personengruppen auf der anderen Seite. Deutlich werden die farblich hervorgehobenen und in Klammern dargestellten Ver- Merkmal Verteilung / Ausprägung Geschlecht w = 51,07 %; m = 48,89 %; div = 0,04 % Alter xˉ = 52,34 (Befragte ab 16 Jahren) Wohnortgröße weniger als 2.000 EW = 14,99 % 2.000 bis 4.999 EW = 11,83 % 5.000 bis 19.999 EW = 16,01 % 20.000 bis 49.999 EW = 15,39 % 50.000 bis 99.999 EW = 11,43 % 100.000 bis 499.999 EW = 14,28 % 500.000 oder mehr = 16,06 % D-Ticket-Besitz gesamt = 30,83 % aktuell im Besitz eines D-Tickets = 20,99 % ehemalig im Besitz eines D-Tickets = 9,83 % Berechnung in R mit bereinigtem Datensatz (n = 2.248) wesentlich weniger (1) etwas weniger (2) genauso wenig bzw. viel (3) etwas mehr (4) wesentlich mehr (5) Zeilensumme xˉ SD Auto 21,21 % 21,21 % 49,35 % 5,34 % 2,89 % 100 % 2,47 0,977 ÖPNV 3,61 % 4,33 % 36,08 % 31,02 % 24,96 % 100 % 3,69 1,008 n = 693; Berechnung in R mit bereinigtem Datensatz; xˉ = Mittelwert; SD = Standardabweichung Tabelle 1: Soziodemografische Merkmale der bereinigten Stichprobe, Quelle: Eigene Darstellung Tabelle 2: Mobilitätsverhaltensänderungen der Menschen, die aktuell ein D-Ticket besitzen oder mal eines besessen haben, Quelle: Eigene Darstellung Deutschlandticket MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 47 DOI: 10.24053/ IV-2025-0012 Zieht das D-Ticket auch Menschen an, die zuvor nicht fest an das System ÖPNV gebunden waren? Die DZSF-Daten zeigen, dass zwar mehr als die Hälfte der Befragten schon vor dem D-Ticket regelmäßig ein Abonnement für den ÖPNV besessen hat (vgl. Tabelle 5). Gut ein Drittel von ihnen konnte der ÖPNV aber gewissermaßen neu an sich binden - also genau jene Personengruppe, die zuvor über kein Abonnement für den Nahverkehr verfügt hat. Die übrigen rund 13 % der aktuell D-Ticket-Besitzenden geben an, zuvor gelegentlich ein Abonnement gehabt zu haben. Statistisch betrachtet ist auch hier ein (zugegeben sehr) zarter, aber eben signifikanter Zusammenhang mit der Mobilitätsverhaltensänderung nachweisbar, sodass behutsam gefolgert werden darf: Je eher die Menschen zuvor im Schnitt kein Abonnement für den Nahverkehr besessen haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Mehrnutzung des ÖPNV bei Besitz eines D-Tickets. 3 Deutschlandticket und dessen Effekte auf Mobilitätsroutinen Die Beharrungskräfte, die auf das Mobilitätsverhalten einwirken, sind mitunter immens. Die Menschen halten weitgehend an vertrauten Wegen und Verkehrsmitteln fest. Es ist viel einfacher, ein gewohntes Verhalten, wie z. B. jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, beizubehalten, als alternative Wege zur Arbeit zu suchen und diese auszuprobieren. Mobilitätsroutinen bieten also Sicherheit und bedeuten eine Vereinfachung des Alltags. Jede Verhaltensänderung ist mit einem gewissen kognitiven Aufwand verbunden, was von den Betroffenen häufig als unangenehm empfunden wird. So braucht es zum Beispiel Antworten darauf, wie man von zu Hause zum Bahnhof und wieder zurückkommt oder wie man das bestmögliche Ticket erhält (Rollin & Mühl 2021). In Studien werden daher - wenig überraschend - Mobilitätsroutinen regelmäßig als die stärkste Einflussvariable auf Mobilitätsentscheidungen identifiziert (Havlíčková & Zámečník 2020). Ein Reproduzieren von Mobilitätsroutinen bietet zahlreiche Vorteile, beispielsweise den geringen Verbrauch kognitiver Ressourcen. Eine Änderung dieser Gewohnheit ist hingegen mit verschiedenen Unsicherheiten und bewussten Anstrengungen verbunden (Gärling & Axhausen 2003). Gewohnte Mobilitätsroutinen sind somit oft die schnellste bzw. bequemste Option. Aus diesen Gründen kommt es selbst bei ausgeprägter Veränderungsbereitschaft immer wieder zu Rückfällen in gewohnte Verhaltensmuster (Thøgersen & Møller 2008). Doch kann das D-Ticket ein geeigneter Impuls zum Auf brechen von Mobilitätsroutinen sein? Ein Blick auf Befragungser- Auch der Anteil derer, die das Auto wesentlich/ etwas weniger nutzen, steigt bei den aktuell D-Ticket-Besitzenden um fast 5 Prozentpunkte. Im etwa gleichen Maße sinkt der Anteil derjenigen, bei denen sich keine Verhaltensänderung in Bezug auf die Automobilität eingestellt hat. Vor dem Hintergrund des Wissens über die Zähigkeit von Veränderungen im Mobilitätsverhalten wird im Folgenden kontrolliert, inwieweit die Dauer des Besitzes des D- Tickets einen Einfluss auf Verschiebungen in der selbst berichteten Mobilität hat. Tabelle 4 stellt dar, wie viel Prozent der aktuell D- Ticket-Besitzenden das Tarifprodukt für die Dauer wie vieler Monate innehaben. Dabei wird der große Anteil derjenigen deutlich, die das D-Ticket seit dessen Start in ihrem Smartphone oder Portemonnaie haben (49,36 %). Der bestehende positive und zudem statistisch signifikante (also nicht bloß zufällige) Zusammenhang zwischen der Dauer des Besitzes und der Mobilitätsverhaltensänderung mündet in der aufgrund der geringen Effektstärke betont vorsichtigen Schlussfolgerung: Je länger die Menschen ein D-Ticket besitzen, desto stärker stellt sich bei ihnen im Schnitt eine Verhaltensänderung in Bezug auf eine vermehrte ÖPNV-Mobilität ein. 2 schiebungen gegenüber der gesamthaften Betrachtung. Die selbst berichtete Mobilitätsverhaltensänderung in Bezug auf die ÖPNV- Nutzung erfährt durch das D-Ticket bei den Personen, die auch aktuell noch ein D-Ticket besitzen, erwartungsgemäß einen deutlich größeren Effekt als bei jenen, die das Tarifprodukt besessen, es aber wieder gekündigt haben. In der differenzierten Betrachtungsweise zeigen sich die größten Verschiebungen bei der Verhaltensänderung hinsichtlich der ÖPNV-Nutzung der ehemalig D-Ticket-Besitzenden. Aus diesem Segment geben deutlich weniger Menschen (-15,91 Prozentpunkte) an, den ÖPNV wesentlich mehr zu nutzen. Gleichzeitig steigen auch die Anteile derer, bei denen sich sowohl in Bezug auf die ÖPNV- (+12,79 Prozentpunkte) als auch auf die Automobilität (+9,93 Prozentpunkte) keine Verhaltensänderung abzeichnet. Im Gegensatz dazu verstärken sich die Effekte hinsichtlich der ÖPNV-Nutzung bei den aktuell D-Ticket- Besitzenden: 64,62 % geben an, den ÖPNV wesentlich oder etwas mehr zu nutzen. Das entspricht einer Steigerung von beinahe 9 Prozentpunkten gegenüber der integrierten Betrachtung beider Personengruppen. wesentlich weniger (1) etwas weniger (2) genauso wenig bzw. viel (3) etwas mehr (4) wesentlich mehr (5) Zeilensumme xˉ SD (i) Personengruppe der aktuell D-Ticket-Besitzenden (n = 472) Auto 25,85 % (+4,64 %P) 21,40 % (+,19 %P) 44,70 % (-4,65%P) 5,51 % (+,17%P) 2,54 % (-,35%P) 100 % 2,38 (-,10) 1,008 ÖPNV 1,48 % (-2,13 %P) 3,81 % (-,52 %P) 30,08 % (-6,00 %P) 32,20 % (+1,18 %P) 32,42 % (+7,46 %P) 100 % 3,90 (+,21) 0,950 (ii) Personengruppe der ehemalig D-Ticket-Besitzenden (n = 221) Auto 11,31 % (-9,90 %P) 20,81 % (-,40 %P) 59,28 % (+9,93 %P) 4,98 % (-,36%P) 3,62 % (+,73%P) 100 % 2,69 (+,21) 0,872 ÖPNV 8,14 % (+4,53 %P) 5,43 % (+1,10 %P) 48,87 % (+12,79 %P) 28,51 % (-2,51 %P) 9,05 % (-15,91 %P) 100 % 3,25 (-,45) 0,985 Berechnung in R mit bereinigtem Datensatz; Nicht-D-Ticket-Besitzende n = 1.555 (2.248 - 472 - 221); Rundungsfehler möglich; farblich und in Klammern sind die Unterschiede gegenüber der gemeinsamen Betrachtung beider Gruppen gem. Tabelle 2 angegeben; xˉ = Mittelwert; SD = Standardabweichung; %P = Prozentpunkte Tabelle 3: Mobilitätsverhaltensänderungen differenziert nach aktuell und ehemalig D-Ticket- Besitzenden, Quelle: Eigene Darstellung Anzahl Monate 1-3 Monate 4-6 Monate 7-9 Monate 10-12 Monate dauerhaft seit Beginn des D-Tickets (1. Mai 2023) Anteil 7,63 % 16,31 % 15,04 % 11,65 % 49,36 % Tabelle 4: Dauer des D-Ticket-Besitzes der aktuell D-Ticket-Besitzenden, Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Berechnungen in R; n = 472 Prä-Besitz Regelmäßiger Besitz eines Abonnements Gelegentlicher Besitz eines Abonnements Kein vorheriger Besitz eines Abonnements Anteil 55,30 % 13,35 % 31,36 % Tabelle 5: Vorheriger Abo-Besitz der aktuell D-Ticket-Besitzenden, Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Berechnungen in R; n = 472 MOBILITÄT Deutschlandticket Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 48 DOI: 10.24053/ IV-2025-0012 "Würden Sie sich persönlich denn ganz generell vorstellen können, mittel bis langfristig auf ein eigenes Auto zu verzichten? " 36% 35% 29% 58% 27% 15% 64% 24% 12% Nein Vielleicht Ja Personengruppe, die jederzeit oder gelegentlich über einen privaten Pkw verfügen kann (n = 1.868) Äußerer Ring: Darunter die Personengruppe der ehemaligen Deutschlandticket- Besitzenden (n = 185) Mittlerer Ring: Darunter die Personengruppe der aktuell Deutschlandticket- Besitzenden (n = 318) Innerer Ring: leicht an Effektstärke 6 und ist in Bild 1 in eckigen Klammern dargestellt. Dies gilt als empirisches Indiz dafür, dass das D-Ticket Wegbereiter für die Herausbildung neuer ÖPNV-Routinen ist, deren Festigung freilich nur gelingen kann, wenn das D-Ticket den Menschen als dauerhaft ausfinanziertes Tarifprodukt erhalten bleibt. Deutschlandticket und der ruhende Pkw-Verkehr Das Auto stehen zu lassen, ist das eine - das andere ist, in der letzten Konsequenz nach Möglichkeit keinen Pkw mehr privat zu besitzen, um insbesondere in den dicht besiedelten Städten den öffentlichen Raum, der häufig durch parkende Fahrzeuge beansprucht wird, zurückzugewinnen bzw. ihn einer anderen Nutzung zuzuführen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Herstellung von Verkehrsflächengerechtigkeit oder mit dem Ziel der Entsiegelung von Flächen kann die Reduzierung des ruhenden Pkw-Verkehrs entsprechende Beiträge im Rahmen des Klima- und Umweltschutzes leisten. In den vom DZSF erhobenen Daten zeigt sich, dass sich 12,04 % derjenigen Personen, die jederzeit oder gelegentlich auf einen privaten Pkw zurückgreifen können, vorstellen könnten, mittelbis langfristig ganz auf ein eigenes Auto zu verzichten. 23,50 % können sich das vielleicht vorstellen. Die große Mehrheit hingegen sagt, das käme nicht in Frage. Wie sieht das mit Blick auf die aktuell und ehemalig D- Ticket-Besitzenden aus? Die Ergebnisse sind gästen mit steigender Dauer des D-Ticket- Besitzes wiederum neue ÖPNV-Routinen herausbilden und in der Folge etablieren können. Um diese Schlussfolgerung kontrollieren und untermauern zu können, wird diejenige Personengruppe herausgerechnet, die vor dem D-Ticket bereits regelmäßig ein ÖPNV-Abonnement besessen hat und die demnach zu den ohnehin schon ÖPNV- Routinierten gehört. Betrachtet werden also nur noch die mit dem D-Ticket im weitesten Sinne neu im System ÖPNV zu verortenden Menschen. Der Zusammenhang bleibt statistisch hochsignifikant, verliert nur gebnisse vor Einführung des D-Tickets gibt Hoffnung. Dort wurde das Tarifsystem von den Befragten regelmäßig als zu kompliziert und als zu teuer bewertet. Somit waren dies offensichtliche Hemmnisse, eine Mobilitätsroutine zugunsten einer häufigeren Nutzung des ÖPNV zu verändern (Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. 2010: 58f.). Diese Aspekte werden durch das D-Ticket nun weitgehend negiert. Insbesondere regelmäßige Pendelfahrten werden in einigen Regionen deutlich günstiger. Fahrten über Kommunal- und Verbundgrenzen hinaus oder dort, wo bislang keine Verkehrsverbünde existieren, werden durch die einheitliche, deutschlandweite Gültigkeit maximal vereinfacht. Im Folgenden wird daher analysiert, inwieweit das D-Ticket mit Mobilitätsroutinen zusammenhängt und ob es als verkehrspolitische Maßnahme geeignet ist, neue Mobilitätsmuster zu verankern. Die Daten zeigen, dass tatsächlich ein deutlicher Zusammenhang zwischen einer ausgeprägten ÖPNV-Routine auf der einen und dem D-Ticket-Besitz auf der anderen Seite besteht 4 (vgl. Bild 1). Außerdem ist eine nur geringfügig schwächere, dabei ebenfalls positive Korrelation zwischen der ÖPNV-Routine einerseits und der Dauer des D-Ticket-Besitzes andererseits erkennbar. 5 Vor dem Hintergrund dessen, dass sich Mobilitätsroutinen schon weit vor Einführung des D-Tickets herausgebildet haben dürften, kann hier - bei aller Vorsicht - ein (multi-) kausaler Einfluss auf den Erwerb bzw. die Nutzung des D-Tickets vermutet werden: Menschen, die also ohnehin routiniert in ihrer ÖPNV-Nutzung sind, kaufen sich eher ein D-Ticket als solche, deren Mobilitätsroutinen eher weniger bzw. nicht auf der Nutzung des ÖPNV beruhen. Indizien gibt es allerdings auch in die Gegenrichtung (vgl. ebenfalls Bild 1) - und zwar dahingehend, dass sich bei den Fahr- ÖPNV- Routine Deutschlandticket- Besitz Dauer des Deutschlandticket- Besitzes +,573*** +,504*** [+,437***] Bild 1: D-Ticket-Besitz und ÖPNV-Routine - Indizien zweier kausaler Effekte Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Berechnungen in R; n = 693 [n = 397]; die beiden fetten Pfeilstriche markieren den vermuteten kausalen Einfluss; die feineren Pfeilstriche kennzeichnen die Gegenrichtung des Zusammenhangs, der im Rahmen von Korrelationsberechnungen nicht vollständig auszuschließen bzw. ebenso wahrscheinlich ist; die dargestellten Koeffizienten weisen die Stärke des jeweiligen Zusammenhangs aus; der in eckigen Klammern dargestellte Koeffizient bezieht sich auf den Zusammenhang zwischen der Dauer des D-Ticket-Besitzes (als kategoriale Variable, s. Tabelle 4) ohne vorherige Abo-Besitzer und der ÖPNV-Routine (als metrische Indexvariable aus den Items „Die ÖPNV-Nutzung (Bus oder Bahn) ist etwas, das ich routiniert mache“, „Die ÖPNV-Nutzung (Bus oder Bahn) ist etwas, das ich häufig mache“ und „Die ÖPNV-Nutzung (Bus oder Bahn) ist etwas, das ich tue, ohne nachzudenken“; die drei Routine-Items sind angelehnt an Verplanken & Orbell 2003) Bild 2: Verzicht auf einen privaten Pkw Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Berechnungen in R; Werte sind auf ganze Prozentzahlen gerundet Deutschlandticket MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 49 DOI: 10.24053/ IV-2025-0012 Christian Lutz, M.A., Wissenschaftlicher Referent und Doktorand, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt (DZSF) lutzc@dzsf.bund.de Philipp Rollin, M.A., Wissenschaftlicher Referent für Bahn und Gesellschaft, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung beim Eisenbahn-Bundesamt (DZSF) rollinp@dzsf.bund.de LITERATUR Amberg, M. & Koch, N. (2024). Ariadne D-Ticket Impact Tracker. Kopernikus-Projekt Ariadne. Online unter: https: / / mcc-berlin-ariadne.shinyapps.io/ dtickettracker/ ; zuletzt abgerufen am 08.10.2024. Follmer, Robert (2024). D-Ticket nachgefragt. Keine Mobilitätswende, aber ein begrüßter Aufbruch; online unter: https: / / www.infas.de/ D-Ticketnachgefragt-keine-mobilitaetswende-aber-einbegruesster-aufbruch/ ; zuletzt abgerufen am 22.3.2024. Gärling, T., & Axhausen, K. W. (2003). Introduction: Habitual travel choice. Transportation, 30, 1-11. Havlíčková, D., & Zámečník, P. (2020). Considering habit in research on travel mode choice: A literature review with a two-level methodology. Transactions on Transport Sciences, 11(1), 18-32. Krämer, Andreas (2024). Das D-Ticket in einer wohlfahrtsökonomischen Betrachtung. In: Internationales Verkehrswesen: Jg. 76 (3). Rollin, P., Mühl, K. (2022). Sozialwissenschaftliche Erklärungen, warum Menschen die Bahn (nicht) nutzen. ZEVrail, Jahrgang 146, Ausgabe 09. Thøgersen, J., & Møller, B. (2008). Breaking car use habits: The effectiveness of a free one-month travelcard. Transportation, 35, 329-345. VDV - Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (2024): „Das Deutschland-Ticket in 2024 - Zentrale Ergebnisse der bundesweiten Marktforschung“, https: / / www.vdv.de/ 241112-faktenblatt-deutschland-ticket-zum-vdv-praesidium.pdfx; zuletzt abgerufen am 14.11.2024. Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (2010). Verbrauchermonitoring. Perspektiven der Verbraucher zum Klimaschutz: Mobilität & Ernährung. Online unter: http: / / ernaehrungsdenkwerkstatt. de/ fileadmin/ user_ upload/ EDW Text / TextEle mente/ Ernaehrungsoekologie/ Klimaschutz_Ernaehrung_Mobilitoet_VZ_Prognos_Stduie_2010- 01-12_t_Verbrauchermonitoring.pdf; zuletzt abgerufen am 14.11.2024. Verplanken, B. & Orbell, S. (2003). Reflections on Past Behavior: A Self‐Report Index of Habit Strength, Journal of Applied Social Psychology 33/ 6, S. 1313-1330, https: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ 10.1111/ j.1559-1816.2003.tb01951.x; zuletzt abgerufen am 08.01.2025). VRR - Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (2024). Große Tarifreform im VRR vereinfacht den Ticketkauf. Online unter: https: / / www.vrr.de/ de/ presse/ grossetarifreform-im-vrr-vereinfacht-den-ticketkauf/ ; zuletzt abgerufen am 02.10.2024. Eingangsabbildung: © nikkimeel - stock.adobe.com teil der Menschen erhöhen, die ihre Auto- Nutzung (weiter) reduzieren (vgl. ebd.) und die zu nicht unerheblichen Anteilen tendenziell auch bereit wären, auf den Besitz eines privaten Pkw zu verzichten. Neben der Untersuchung der Auswirkungen des D-Tickets auf die Mobilitätsverhaltensänderung der Bürgerinnen und Bürger fokussiert das DZSF im Projekt „Verkehrspolitik und Mobilitätsverhalten: Effekte der Einführung des Deutschlandtickets“ 7 auch das Instrument als solches sowie in Relation zu weiteren, einer Mobilitätswende Vorschub leistenden verkehrspolitischen Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund wird mittels einer Policy-Analyse versucht, das D-Ticket als verkehrspolitische Maßnahme greif bar zu machen, dessen Wirkungsweise also über die Messung gesellschaftlicher Effekte hinaus theoretisch zu durchdringen. Daraus abgeleitet sollen so wiederum entsprechende Handlungsempfehlungen im Rahmen der Ressortforschung in Bezug auf die Weiterentwicklung des D-Tickets formuliert werden können. Das Projekt läuft noch bis Anfang 2027, ein erstes Zwischenfazit darf aufgrund der bisherigen empirischen und in diesem Artikel skizzierten Erkenntnisse aber bereits gewagt werden: Das Deutschlandticket wirkt. Daher bedarf es der Verstetigung und langfristigen Sicherung des Tarifprodukts, damit die hier beschriebenen Verschiebungen im Mobilitätsverhalten nachhaltig wirken. Das ist prioritär im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, aber auch im Interesse derjenigen, die die Leistungen organisieren und bereitstellen: Aufgabenträger, Verkehrsverbünde und -unternehmen. In diesem Kontext hat insbesondere der reichweitenstarke Verkehrsverbund Rhein-Ruhr bereits eine entscheidende Weichenstellung getroffen und eine große Tarifreform für 2025 angestoßen (VRR 2024), die maßgeblich ein tragendes Rückgrat hat - das Deutschlandticket. ■ ENDNOTEN 1 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = -,484 (Wertebereich: -1 bis +1; statistisch hochsignifikant auf dem 0,001-Niveau), n = 693. 2 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = ,151 (statistisch signifikant auf dem 0,01-Niveau). 3 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = ,139 (statistisch signifikant auf dem 0,01-Niveau). 4 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = ,573 (statistisch hochsignifikant auf dem 0,001-Niveau), n = 693. 5 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = ,504 (statistisch hochsignifikant auf dem 0,001-Niveau), n = 693. 6 Spearmans Rangkorrelationskoeffizient = ,437 (statistisch hochsignifikant auf dem 0,001-Niveau), n = 397. 7 In Kooperation mit Prof. Dr. Johannes Weyer von der TU Dortmund. in Bild 2 dargestellt. Deutlich wird das Gefälle: Während sich die ehemalig D-Ticket- Besitzenden - in Relation zur Gesamtstichprobe - schon eher vorstellen könnten, auf einen privaten Pkw zu verzichten (in etwa 15 %), sind es bei den aktuell D-Ticket-Besitzenden schon wesentlich mehr (rund 29 %). Gerade der Anteil derjenigen, die diesbezüglich unentschlossen sind, ist mit über einem Drittel der aktuell D-Ticket-Besitzenden (knapp 35 %) nicht unerheblich. Der erbrachte Nachweis, dass die Automobilität mit Besitz eines D-Tickets in der Tendenz zurückgeht, erfährt insofern Unterstützung, als dass das D-Ticket scheinbar auch Potenziale mit Blick auf die Eindämmung nicht nur des fließenden, sondern auch des ruhenden Verkehrs hat. Mit Einführung des D-Tickets scheint somit - bei aller Vorsicht - dem Trend immer weiterwachsender Zahlen von in Deutschland zugelassenen Pkw zumindest partiell Einhalt geboten werden zu können. Deutschlandticket und DZSF- Forschung: Wie geht es weiter? Aus dem bis hierhin Dargestellten lässt sich ableiten, dass sich Mobilitätsverhalten - am konkreten Beispiel der verkehrspolitischen Maßnahme D-Ticket - langsam in die Richtung der verstärkten Nutzung des ÖPNV ändert. Da das Ändern von Routinen sehr viel Zeit beansprucht, können die dargestellten Verschiebungen im Mobilitätsverhalten nach nur einem Jahr D-Ticket (Daten aus Sommer 2024) bereits als vielversprechendes Indiz für eine Wirksamkeit des Tickets hinsichtlich eines nachhaltigeren Mobilitätsverhaltens in Deutschland interpretiert werden. Die Verschiebungen können eine noch größere Wirkung entfalten, wenn es nicht nur gelingt, die Menschen für ein Abonnement und als Gelegenheitsfahrende zu gewinnen, sondern sie dann - viel wichtiger noch - längerfristig an das System ÖPNV zu binden. So kann das D-Ticket einen spürbaren Beitrag zur Verkehrswende leisten. Dies wird einmal mehr deutlich, wenn man die Unterschiede zwischen den ehemalig und aktuell D-Ticket- Besitzenden betrachtet. Im Segment der ehemalig D-Ticket-Besitzenden liegen besonders große Potenziale. Denn mit ihnen können gerade die Menschen (erneut) an das System ÖPNV gebunden werden, die sich bereits ein D-Ticket gekauft hatten und somit Berührungspunkte mit dem Nahverkehr gesammelt, das Ticket aber unterdessen wieder gekündigt haben. Angenommen werden darf, dass es sich um eine Gruppe handelt, die dem ÖPNV nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Die ÖPNV-Mehrnutzung, die für die aktuell D-Ticket-Besitzenden nachgewiesen wurde (vgl. Tabelle 3), ließe sich bei der Rekrutierung der zahlenmäßig nicht kleinen Gruppe ehemalig D-Ticket-Besitzender somit weiter steigern und im gleichen Zuge auch der An- MOBILITÄT Deutschlandticket Internationales Verkehrswesen (77) 1 ǀ 2025 50 DOI: 10.24053/ IV-2025-0012
