Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0023
0616
2025
772
Sicherheitskultur im Schienenverkehr entwickeln
0616
2025
Luise Rosshttps://orcid.org/0009-0005-8344-6562
Kristin Mühlhttps://orcid.org/0000-0002-3260-8286
Nicola Fricke
Sicherheitskultur spielt eine zentrale Rolle für die Sicherheit in Hoch-Risiko-Branchen, wie dem Schienenverkehr. Dieser Artikel analysiert Best Practices aus verschiedenen Industrien, um evidenzbasierte Maßnahmen zur Förderung von Sicherheitskultur zu identifizieren. Eine narrative Literaturrecherche zeigt, dass Führungskräften eine Vorbildfunktion zukommt und eine enge Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden entscheidend für erfolgreiche Sicherheitskulturinterventionen ist. Die Ergebnisse liefern praxisnahe Empfehlungen für Unternehmen im Eisenbahnsektor.
iv7720018
chen können (Hopkins, 2009). Daher ist es von zentraler Bedeutung zu verstehen, wie und warum solche Ereignisse auftreten, um bereits präventiv agieren zu können. Neben technischen Aspekten wird häufig menschliches Verhalten als Ursache für sicherheitskritische Ereignisse benannt (Naweed et al., 2022). Um Verhaltensweisen in risikoreichen Situationen zu verstehen, reicht der Fokus Sicherheitskultur in Hoch-Risiko-Unternehmen Hoch-Risiko-Unternehmen wie z. B. Eisenbahnverkehrsunternehmen agieren in einem Umfeld, in dem sicherheitskritische Ereignisse nicht nur schwerwiegende Folgen für einzelne Mitarbeitende haben, sondern auch katastrophale Schäden für die Umwelt, die Gesellschaft oder materielle Güter verursaauf das Individuum allein nicht aus; das soziale und kulturelle Umfeld, in dem Personen agieren, beeinflusst maßgeblich individuelles Sicherheitsverhalten (Schein, 1990; Bisbey et al., 2021). Das Konzept der Sicherheitskultur hat seit seiner Einführung nach der Tschernobyl-Katastrophe im Jahr 1986 das Interesse von Forschenden verschiedener Disziplinen geweckt und ist seither ein zentrales und viel Sicherheitskultur im Schienenverkehr entwickeln Best Practices aus Hoch-Risiko-Unternehmen Sicherheitskultur, Sicherheit, Maßnahmen, Schienenverkehr, Organisationsentwicklung Sicherheitskultur spielt eine zentrale Rolle für die Sicherheit in Hoch-Risiko-Branchen, wie dem Schienenverkehr. Dieser Artikel analysiert Best Practices aus verschiedenen Industrien, um evidenzbasierte Maßnahmen zur Förderung von Sicherheitskultur zu identifizieren. Eine narrative Literaturrecherche zeigt, dass Führungskräften eine Vorbildfunktion zukommt und eine enge Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden entscheidend für erfolgreiche Sicherheitskulturinterventionen ist. Die Ergebnisse liefern praxisnahe Empfehlungen für Unternehmen im Eisenbahnsektor. Luise Ross, Kristin Mühl, Nicola Fricke Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 18 DOI: 10.24053/ IV-2025-0023 diskutiertes Thema in Hoch-Risiko-Industrien (IAEA, 1986; Nævestad, 2009). Obwohl keine einheitliche Definition von Sicherheitskultur existiert, herrscht unter Forschenden Einigkeit darüber, dass Sicherheitskultur kollektive sicherheitsbezogene Werte und Einstellungen umfasst, die sich in sicherheitsrelevantem Verhalten innerhalb eines Unternehmens manifestieren (Cox & Cox, 1991; Bisbey et al., 2021). Ausgeprägtes Management-Engagement, hohe Sicherheitspriorisierung sowie Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden stellen einige zentrale Wegbereiter für eine starke Sicherheitskultur dar (Bisbey et al., 2021; Reason, 1998). Eine starke Sicherheitskultur wirkt sich, über positives sicherheitsrelevantes Verhalten, günstig auf die Sicherheit eines Unternehmens aus, was sich u. a. in niedrigeren Unfallraten widerspiegelt (Singer & Vogus, 2013). Verhaltensweisen, die darauf abzielen, Sicherheitsrisiken zu minimieren, Gefahren zu beseitigen oder auf Risiken angemessen zu reagieren, können mit der Zeit zur Norm werden und dadurch die Sicherheitskultur weiter stärken (Bisbey et al., 2021). Eine Weiterentwicklung bzw. Stärkung der Sicherheitskultur kann sich somit positiv auf Sicherheitsindikatoren eines Unternehmens auswirken. Erkenntnisse aus dem Eisenbahnsektor Die Sicherheitskultur ist ein wesentlicher Bestandteil des Sicherheitsmanagementsystems (SMS). Im Rahmen der Genehmigung und Aufsicht müssen Eisenbahnunternehmen, gemäß EU-Richtlinie 2016/ 798, eine Strategie zur kontinuierlichen Verbesserung ihrer Sicherheitskultur vorweisen. Eine Umfrage des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung (DZSF) unter Mitarbeitenden deutscher Eisenbahnunternehmen ( N = 76) am Tag der Sicherheitskultur 2024, veranstaltet durch das Eisenbahn-Bundesamt und das Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung, zeigte, dass Barrieren bestehen, die die Weiterentwicklung der Sicherheitskultur im deutschen Eisenbahnverkehrssektor erschweren. Dazu zählen u. a. ein limitiertes Vertrauen der Mitarbeitenden in Führungskräfte, knappe Ressourcen für sicherheitsrelevante Themen sowie konkurrierende Prioritäten. Als mögliche Maßnahmen für eine Stärkung der Sicherheitskultur identifizierten die Teilnehmenden vor allem Trainings und Workshops. Weiterhin wurde eine intensivere Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden als Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Sicherheitskultur genannt. Ansätze dazu, wie die genannten Barrieren durch gezielte Maßnahmen adressiert werden können, sowie deren mögliche Ausgestaltung, sollen nun anhand einer Analyse bestehender Sicherheitskulturinterventionen extrahiert werden. Daher ist das Ziel dieses Artikels, evidenzbasierte Maßnahmen zur Förderung der Sicherheitskultur in Hoch-Risiko-Branchen zu analysieren und Best Practices für Ansätze zur Förderung der Sicherheitskultur im Eisenbahnsektor zu identifizieren. Literaturrecherche zu Sicherheitskulturinterventionen Eine narrative Literaturrecherche, d. h. eine umfangreiche, strukturierte zusammenfassende Literaturdarstellung, wurde im Februar 2025 in der Web of Science-Datenbank durchgeführt, um Studien zu identifizieren, die Sicherheitskulturinterventionen in Hoch-Risiko-Unternehmen dokumentieren. Studien wurden einbezogen, wenn sie in englischer Sprache verfasst, nach 1990 in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurden und Sicherheitskulturinterventionen in Hoch-Risiko-Unternehmen evaluiert haben. Die Suche ergab 555 Treffer, von denen 518 nach Lesen des Titels und ggf. der Zusammenfassung ausgeschlossen wurden. Basierend auf der Analyse des Volltexts wurden 15 Studien extrahiert, die den Inklusionskriterien entsprachen. Dazu zählen, dass Sicherheitskulturinterventionen in Organisationen evaluiert wurden, die in Hoch- Risiko-Branchen wie der Öl- und Gasindustrie, der Kernenergiebranche, dem Bergbau, dem Eisenbahnsektor oder der chemischen Industrie aktiv waren (explizit wurde der medizinische Bereich ausgeschlossen, der den Fokus auf Patientensicherheit legt). Eine Übersicht der inkludierten Studien findet sich in Tabelle 1. Die Analyse der Interventionen konzentrierte sich auf folgende Aspekte: 1. Führungskräfte als Treiber der Veränderung - In welcher Weise engagieren sich Führungskräfte in Sicherheitskulturinterventionen? 2. Motivation für Veränderung - Wie werden Mitarbeitende durch die Interventionen motiviert Veränderungen hin zu einer verbesserten Sicherheitskultur voranzutreiben? 3. Zusammenarbeit zur Förderung von Vertrauen - Wie stärken die Interventionen Kommunikation und Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden? 4. Indikatoren zur Evaluation der Intervention - Woran wird der Erfolg der Interventionen gemessen? Überblick über die Interventionen Die analysierten Studien dokumentieren Sicherheitskulturinterventionen unterschiedlichsten Umfangs, von einmaligen Schulungen bis hin zu langfristigen, umfassenden Programmen (z. B. Edkins, 1998). Alle Studien berichten positive Effekte der Interventionen auf Sicherheitsverhalten, Sicherheitskultur oder Sicherheitskennzahlen. Allerdings variieren die Erfolgsindikatoren stark, was den Vergleich verschiedener Ansätze erschwert. Sicherheitskulturinterventionen können auf sicherheitsrelevante Einstellungen (z. B. Haghighi et al., 2017) oder Sicherheitsverhalten (Cox & Jones, 2006) abzielen. Sicherheitsrelevante Einstellungen leiten individuelles Verhalten, Verhaltensänderungen wiederum können über den Mechanismus der kognitiven Dissonanz sicherheitsrelevante Einstellungen prägen (Hudson, 2007). Einstellungen und Verhaltensweisen stehen in einem reziproken Zusammenhang (Bandura, 1986). Die untersuchten Studien zeigen, dass Maßnahmen, die auf die Förderung von sicherheitsbewusstem Verhalten als Manifestation von Sicherheitskultur abzielen, auf zwei Ebenen ansetzen können. Eine Möglichkeit ist ein sogenannter „Bottomup-Ansatz“, bei dem Verhaltensweisen der Mitarbeitenden durch z. B. kollegiale Verhaltensbeobachtungen in sicherheitskritischen Situationen und gegenseitiges Feedback verbessert werden sollen. Andere Ansätze sind „Top-down-Interventionen“, bei denen Führungskräfte eine entscheidende Rolle spielen. Sie leben die Priorisierung und Förderung von Sicherheit vor. Vielversprechend scheint eine Kombination dieser beiden Ansätze (Nævestad et al., 2018). Dies gewährleistet, dass sowohl Mitarbeitende als auch Führungskräfte ein Interesse am Erfolg der Intervention haben und gemeinsam Verantwortung tragen (z. B. Zuschlag et al., 2016; Kines et al., 2013). Führungskräfte als Treiber der Veränderung In Übereinstimmung mit Bisbey et al. (2021) kristallisierte sich Führung als zentraler Aspekt der analysierten Sicherheitskulturinterventionen heraus. Die Unterstützung der Intervention durch das obere Management von Beginn an signalisiert Mitarbeitenden das Engagement der Unternehmensleitung für Sicherheit und fördert die Bereitstellung von Ressourcen (Cromie et al., 2015). Führungskräfte spielen eine zentrale Rolle für den Erfolg von Sicherheitskulturinterventionen, da ihr Verhalten und ihre Entscheidungen Vorbildwirkung für die Mitarbeitenden haben (Brown, Trevino & Harrison, 2005). Indem sie sicheres Verhalten vorleben und gezielt verstärken, beeinflussen sie die Verhaltenserwartungen der Mitarbeitenden und können so die nachhaltige Verankerung von Sicherheitsmaßnahmen fördern (Bisbey et al., 2021). Sicherheitskultur INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 19 DOI: 10.24053/ IV-2025-0023 Ein erfolgversprechender Ansatz von Hudson (2007) setzt auf die Entwicklung von leicht umsetzbaren „Mikro-Tools“, die ohne spezielle Schulungen durch Führungskräfte verwendet werden können, z. B. praktische Übungen, die in kurzer Zeit das Situationsbewusstsein verbessern sollen. Diese Tools können die Selbstwirksamkeit der Führungskräfte erhöhen und so ihre Motivation und Engagement stärken. Motivation für Veränderung Laut Hudson (2007) sollten „Menschen die Veränderung wollen“, damit eine Sicherheitskulturintervention erfolgreich sein kann. Um eine Veränderungsbereitschaft bei den Mitarbeitenden zu schaffen, müssen diese einen Bedarf für die Veränderung sehen, die geplante Intervention als angemessen einschätzen, Vertrauen in ihre Fähigkeit zur Umsetzung der Veränderung haben, das Gefühl haben, dass die Führungskräfte die Veränderung unterstützen, und verstehen, wie die Veränderung ihnen persönlich zugutekommt (Armenakis & Harris, 2009). Die untersuchten Interventionen nutzten unterschiedliche Ansätze, um diese Veränderungsbereitschaft bei Mitarbeitenden zu fördern. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Kommunikation. Einige Unternehmen nutzten Kick-off-Meetings zu Beginn der Intervention für alle Mitarbeitenden, um die Zielsetzung und den Zweck der Intervention zu kommunizieren und Fragen zu beantworten (Myers, 2010). Diese heben die Bedeutung des Themas Sicherheitskultur hervor und stellen ein gemeinsames Verständnis der Vision und Ziele sicher. Eine kontinuierliche transparente Kommunikation im Verlauf der Intervention über Ziele, Fortschritte und Herausforderungen ist zentral, um Motivation und kontinuierliches Engagement zu fördern (Edkins, 1998; Myers et al., 2010). Ein weiterer Fokus der untersuchten Interventionen richtet sich auf die aktive Einbeziehung der Mitarbeitenden in die Gestaltung und Umsetzung der Interventionen, z. B. durch die Nominierung von Mitarbeitenden für ein Lenkungsteam, das die Umsetzung der Intervention begleitete (Myers, 2010). Dies kann die wahrgenommene Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden fördern. Zudem wird so vermieden, dass Sicherheitskultur als ein von oben auferlegtes Thema wahrgenommen wird. Eine weitere Möglichkeit, die Eigenverantwortung von Mitarbeitenden für das Thema Sicherheit zu fördern, sind Verhaltensbeobachtungen innerhalb des Teams, bei denen Mitarbeitende Sicherheitsverhalten dokumentieren und rückmelden. Die Durchführung dieser Verhaltensbeobachtungen erfolgt häufig auf Grundlage einer Checkliste, die im Vor- Autoren, Jahr Branche Evaluationskriterien Beginn Intervention bis Evaluation Cox & Jones (2006) Kernkraft • Interviews und informelle Gespräche mit Mitarbeitenden zu Vorteilen, Herausforderungen und Erkenntnissen bezogen auf die Intervention • Fragebogen zur Erfassung der Einstellungen gegenüber der Intervention 5 Jahre Cromie et al. (2015) Luftfahrt • Trainer- und Trainee-Feedback zu den Workshops • Vorher-/ Nachher-Untersuchung • Fragebogen zu wahrgenommener Sicherheitskultur • Verhaltensbeobachtungen im normalen Betrieb • Fragebogen dazu, wie häufig aufgrund von Zeitdruck etc. riskante Verhaltensweisen durchgeführt werden • Anzahl der gemeldeten Vorfälle Noch im Prozess des Rollouts Kines et al. (2013) Metallverarbeitung • Vorher-/ Nachher-Untersuchung mit Kontrollgruppe • Sicherheitskulturfragebogen • Verhaltensbeobachtungen zu riskanten Verhaltensweisen und Arbeitsumfeld • Interviews zu bestehenden Sicherheitsproblemen und inwiefern diese durch die Intervention gelöst wurden ca. 6 Monate Haghighi et al. (2017) Öl & Gas • Vorher-/ Nachher-Untersuchung mit einer Kontrollgruppe • Sicherheitskulturfragebogen 2 Monate Mengolini & Debarberis. (2007) Kernkraft • Vorher-/ Nachher-Untersuchung • Interviews zu den Themen Führungskräfteengagement, Kommunikation, Fehlerkultur, Priorisierung von Sicherheit, Sicherheitskultur, lernende Organisation 2 Jahre Sundström & Nygren (2023) Bergbau • Interviews mit Sicherheitsverantwortlichen der Unternehmen Kein Zeitraum angegeben Zuschlag et al. (2016) Eisenbahn • Vorher-/ Nachher-Untersuchung mit Kontrollgruppe • Sicherheitskulturfragebogen • Häufigkeit von sicherheitskritischen Ereignissen (z. B. Vorfälle mit Materialschäden, Aberkennungen der Fahrerlaubnis von Triebfahrzeugführenden) • Häufigkeit von unsicheren Verhaltensweisen, die in Verhaltensbeobachtungen identifiziert wurden 2 Jahre Chen & Jin (2013) Bau • Multilevel-Sicherheitskultur- und Klimafragebogen bezogen auf Aspekte der Intervention, der getrennt für operative Mitarbeitende, operative Vorgesetze und die oberste Führungsetage entworfen und ausgewertet wurde 2 Jahre Hameed & Sarfraz (2021) Chemie • Vorher-/ Nachher-Untersuchung • Anzahl sicherheitskritischer Vorfälle und Verletzungen 1 Jahr Möller & Rothmann (2006) Bergbau • Vorher-/ Nachher-Untersuchung • Sicherheitskulturfragebogen • Fragen zum Sicherheitsmanagementsystem • Fragebogen, der das Verhalten erfragt, das die Sicherheit anderer beeinflusst • Teilnahmerate an kollegialen Verhaltensbeobachtungen • Arbeitsausfälle durch Verletzungen bei der Arbeit 2 Jahre Hudson (2007) Öl & Gas • Positive Rückmeldungen und ein weltweiter Rollout des Programms, aber keine standardisierte Evaluation 3 Jahre Edkins (1998) Luftfahrt • Vorher-/ Nachher-Untersuchung mit Kontrollgruppe Sicherheitskulturfragebogen • Wahrnehmung von Sicherheitsrisiken (Wie gefährlich sind sie, wie wahrscheinlich treten sie auf? ) • Anzahl gemeldeter Risiken und Vorfälle • Anzahl gelöster/ bearbeiteter Sicherheitsrisiken 8 Monate Olsen et al. (2009) Öl & Gas • Interviews und Fragebögen zu den fünf Aspekten: Teilnahme am Kick-Off, Engagement für die Intervention, Effektivität der Intervention, Veränderungen in sicherheitsrelevantem Verhalten und Sicherheitskultur 1-2 Jahre Myers et al. (2010) Öl & Gas • Jährliche Evaluationen • Anzahl durchgeführter Verhaltensbeobachtungen pro Monat • Partizipationsrate an Verhaltensbeobachtungen • Arten von Sicherheitsbedenken im Rahmen der Verhaltensbeobachtungen • Unfälle und Arbeitsausfälle • Entschädigungsansprüche 15 Jahre Kadak & Matsuo (2006) Kernkraft • Jährliche Evaluation • Sicherheitsindikatoren (z. B. Strahlungsexposition, Brennstoffzuverlässigkeit) 9 Jahre Tabelle 1: Inkludierte Studien INFRASTRUKTUR Sicherheitskultur Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 20 DOI: 10.24053/ IV-2025-0023 feld spezifische, positive sicherheitsrelevante Verhaltensweisen definiert, die von den Beobachtenden gezielt erfasst und dokumentiert werden sollen (Myers, 2010; Cox & Jones, 2006). Aus den Studien kann geschlussfolgert werden, dass die klare, kontinuierliche Kommunikation von Sicherheitszielen und Fortschritten sowie die partizipative Einbindung von Mitarbeitenden während des gesamten Prozesses zentrale Hebel darstellen, um Motivation und Engagement für Sicherheit kontinuierlich auf einem hohen Niveau zu halten. So wird Sicherheitskultur als gemeinschaftliche Verantwortung wahrgenommen, die alle Mitarbeitenden aktiv mitgestalten können. Zusammenarbeit zur Förderung von Vertrauen Die untersuchten Interventionen betonen die Bedeutung der Zusammenarbeit von Führungskräften und Mitarbeitenden für eine erfolgreiche Intervention. Edkins (1998) beschreibt den Auf bau von Fokusgruppen, in denen Mitarbeitende und Führungskräfte gemeinsam Sicherheitsrisiken besprechen und Empfehlungen für Maßnahmen entwickeln. Diese Zusammenarbeit stärkt das Vertrauen, da sowohl die Beiträge der Mitarbeitenden als auch die der Führungskräfte berücksichtigt werden und eine transparente Kommunikation gefördert wird. Ein weiteres Beispiel für den Auf bau von Vertrauen durch Zusammenarbeit ist die Kooperation von Mitarbeitenden und Führungskräften bei der Evaluierung der Ursachen für risikoreiches Verhalten und Unfälle, um systemische Ursachen zu identifizieren, die dann zu Korrekturmaßnahmen führen. Dieser offene Dialog und die gemeinsame Problemlösung fördern nicht nur das Vertrauen, sondern auch die gemeinsame Verantwortung für Sicherheit am Arbeitsplatz (Zuschlag et al., 2016). Ein weiterer Ansatz ist die kollaborative Ableitung von angemessenen Verhaltensweisen basierend auf zuvor identifizierten Werten für sicherheitsrelevante Interaktionen. Dies stellt sicher, dass ein gemeinsames Verständnis darüber besteht, wie Sicherheitskultur in der Praxis umgesetzt wird, und sorgt für vorhersehbare und transparente Erwartungen. Das Vertrauen der Führungskräfte in das Sicherheitsverhalten der Mitarbeitenden sowie das Vertrauen der Mitarbeitenden in eine faire Behandlung durch die Führung werden so gestärkt (Myers et al., 2010). Indikatoren zur Evaluation der Intervention Die Evaluation der untersuchten Sicherheitskulturinterventionen erfolgte anhand verschiedener quantitativer und qualitativer Indikatoren (siehe Tabelle 1). Häufig wurden prä-post-Vergleiche durchgeführt, um Veränderungen in der Sicherheitskulturwahrnehmung und sicherheitsrelevanten Verhaltensweise zu messen (Zuschlag et al., 2016; Kines et al., 2013). Dabei kamen insbesondere Befragungen, Interviews sowie Daten aus Verhaltensbeobachtungen zum Einsatz. Ebenso wurden Sicherheitskennzahlen wie Unfallraten, gemeldete sicherheitskritische Vorfälle oder Arbeitsausfälle herangezogen, um Veränderungen messbar zu machen (Myers, 2010; Möller & Rothmann, 2006). Die Messung der Effekte der Interventionen fanden teilweise bereits nach wenigen Monaten statt (e.g. Kines et al., 2013), während andere Studien einen Beobachtungszeitraum von mehreren Jahren berichteten (e.g. Myers et al., 2010). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Veränderung einer Kultur Zeit braucht (Denison, 1996). Dies bedeutet, dass Interventionen strategisch über mehrere Jahre hinweg geplant und regelmäßig evaluiert werden sollten, um langfristige Fortschritte sicherzustellen. Fazit Die analysierten Sicherheitskulturinterventionen zeigen, dass Führungskräfte eine Schlüsselrolle bei der Implementierung einnehmen, indem sie als Treiber der Veränderung agieren, Priorisierung von Sicherheit konsequent vorleben und durch regelmäßigen Austausch mit Mitarbeitenden Vertrauen stärken. Gleichzeitig ist es essenziell, dass Sicherheitskultur nicht ausschließlich von der Führungsebene vorgegeben wird, sondern in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden entwickelt und umgesetzt wird, um Akzeptanz und Engagement zu fördern. Dabei sollte der Fokus auf der regelmäßigen Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften zu Sicherheitsrisiken liegen, um die gemeinsame Verantwortung für die Sicherheitskultur des Unternehmens zu stärken. Zudem ist eine regelmäßige und kontinuierliche Erfolgsmessung unerlässlich, um Fortschritte sichtbar zu machen und gezielt nachzusteuern. Dies kann durch eine Kombination aus Befragungen zur wahrgenommenen Sicherheitskultur und objektiven Daten wie Sicherheitskennzahlen oder Verhaltensbeobachtungen erreicht werden. Die Erkenntnisse aus der Analyse von Sicherheitskulturinterventionen in Hoch- Risiko-Branchen bieten wertvolle Ansätze für die Gestaltung von Maßnahmen, die den spezifischen Anforderungen des Eisenbahnsektors gerecht werden. Insbesondere das Zusammenspiel von Führung und Mitarbeitenden ist entscheidend, um die Sicherheitskultur zu stärken. Angesichts oft starker Hierarchien ist es wichtig, Interventionen zu entwickeln, die regelmäßigen Austausch und damit Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden fördern. Hinzu kommt die Stärkung der Relevanz des Themas über alle Unternehmen hinweg, denn im Schienenverkehr ist eine enge Zusammenarbeit u. a. der Infrastruktur- und der Eisenbahnverkehrunternehmen gelebte Praxis. ▪ LITERATUR Armenakis, A. A., & Harris, S. G. (2009). Reflections: Our journey in organizational change research and practice.- Journal of Change Management,- 9 (2), 127-142. Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: A social cognitive theory. Prentice-Hall. Bisbey, T. M., Kilcullen, M. P., Thomas, E. J., Ottosen, M. J., Tsao, K. & Salas, E. (2021). Safety culture: An integration of existing models and a framework for understanding its development. Human Factors, 63 (1), 88-110. https: / / doi. org/ 10.1177/ 0018720819868878 Brown, M. E., Treviño, L. K., & Harrison, D. A. (2005). Ethical leadership: A social learning perspective for construct development and testing. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 97 , 117-134. Chen, Q., & Jin, R. (2013). Multilevel safety culture and climate survey for assessing new safety program.- Journal of Construction Engineering and Management,-139 (7), 805-817. Cox, S., & Cox, T. (1991). The structure of employee attitudes to safety: A European example. Work & Stress, 5 , 93-106. Cox, S., & Jones, B. (2006). Behavioural safety and accident prevention: Short-term ‘fad’or sustainable ‘fix’? .- Process Safety and Environmental Protection,-84 (3), 164-170. Cromie, S., Ross, D., Corrigan, S., Liston, P., Lynch, D., & Demosthenous, E. (2015). Integrating human factors training into safety management and risk management: A case study from aviation maintenance.- Proceedings of the Institution of Mechanical Engineers, Part O: Journal of Risk and Reliability,-229 (3), 266-274. Denison, D. R. (1996). What is the difference between organizational culture and organizational climate? A native’s point of view on a decade of paradigm wars. Academy of Management Review, 21 , 619-654. Edkins, G. D. (1998). The INDICATE safety program: evaluation of a method to proactively improve airline safety performance.- Safety Science,-30 (3), 275-295. Haghighi, M., Taghdisi, M. H., Nadrian, H., Moghaddam, H. R., Mahmoodi, H., & Alimohammadi, I. (2017). Safety Culture Promotion Intervention Program (SCPIP) in an oil refinery factory: an integrated application of Geller and Health Belief Models.- Safety Science,-93 , 76-85. Hameed, H., & Sarfraz, M. A. (2022). Measuring vital signs of process safety culture.- Process Safety Progress,-41 (1), 111-119. Hopkins, Andrew. (2009). Thinking About Process Safety Indicators. Safety Science. 47 . 10.1016/ j. ssci.2007.12.006. Sicherheitskultur INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 21 DOI: 10.24053/ IV-2025-0023 Zuschlag, M., Ranney, J. M., & Coplen, M. (2016). Evaluation of a safety culture intervention for Union Pacific shows improved safety and safety culture.- Safety Science,-83 , 59-73. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Vladimir_Timofeev ture.- Journal of Contingencies and Crisis Management,-17 (2), 126-136. Nævestad, T. O., Hesjevoll, I. S., & Phillips, R. O. (2018). How can we improve safety culture in transport organizations? A review of interventions, effects and influencing factors.- Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour,-54 , 28-46. Naweed, A., Bowditch, L., Chapman, J., Dorrian, J., & Balfe, N. (2022). On good form? Analysis of rail Signal Passed at Danger pro formas and the extent to which they capture systems influences following incidents. Safety Science, 151 , 105726. doi: 10.1016/ j.ssci.2022.105726 Olsen, E., Bjerkan, A. M., & Nævestad, T. O. (2009). Modelling the effects of a large-scale safety culture programme: A combined qualitative and quantitative approach. Journal of Risk Research, 12 , 1- 21. Reason, J. (1998). Achieving a safe culture: Theory and practice.- Work & Stress,- 12 (3), 293-306. https: / / doi.org/ 10.1080/ 02678379808256868 Schein, E. H. (1990).- Organizational culture. American Psychologist, 45 (2), 109-119. https: / / doi. org/ 10.1037/ 0003-066X.45.2.109 Singer, S. J., & Vogus, T. J. (2013). Reducing hospital errors: Interventions that build safety culture. Annual Review of Public Health, 34 , 373-396. https: / / doi. org/ 10.1146/ annurev-publhealth-031912-114439 Sundström, E., & Nygren, M. (2023). Safety initiatives in support of safety culture development: Examples from four mining organisations.- Mining, Metallurgy & Exploration,-40 (4), 1007-1020. Hudson, P. (2007). Implementing a safety culture in a major multi-national.- Safety Science,- 45 (6), 697- 722. IAEA (1986), Summary Report on the Post-Accident Review Meeting on the Chernobyl Accident, International Safety Advisory Group Safety series 75-INSAG 1 , IAEA. Kadak, A. C., & Matsuo, T. (2007). The nuclear industry’s transition to risk-informed regulation and operation in the United States.- Reliability Engineering & System Safety,-92 (5), 609-618. Kines, P., Andersen, D., Andersen, L. P., Nielsen, K., & Pedersen, L. (2013). Improving safety in small enterprises through an integrated safety management intervention.- Journal of Safety Research,-44 , 87-95. Mengolini, A., & Debarberis, L. (2007). Safety culture enhancement through the implementation of IAEA guidelines.- Reliability Engineering & System Safety,-92 (4), 520-529. Moller, G. P., & Rothmann, S. (2006). The implementation and evaluation of a behaviour-based safety intervention at an iron ore mine.- South African Journal of Economic and Management Sciences,-9 (3), 299-314. Myers, W. V., McSween, T. E., Medina, R. E., Rost, K., & Alvero, A. M. (2010). The implementation and maintenance of a behavioral safety process in a petroleum refinery.- Journal of Organizational Behavior Management,-30 (4), 285-307. Nævestad, T. O. (2009). Mapping research on culture and safety in High-Risk organizations: Arguments for a sociotechnical understanding of safety cul- Luise Ross, Doktorandin, Deutsches Zentrum für rsforschung https: / / orcid.org/ 0009-0005-8344-6562 Kristin Mühl, Dr., Wissenschaftliche Referentin Human Factors, Deutsches Zentrum für Schienenverkehrsforschung, https: / / orcid.org/ 0000-0002-3260-8286 Nicola Fricke, Prof. Dr., Leiterin des Lehrstuhls Soziotechnische Systeme, Bergische Universität Wuppertal INFRASTRUKTUR Sicherheitskultur Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 22 DOI: 10.24053/ IV-2025-0023
