eJournals Internationales Verkehrswesen 77/2

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0027
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Resiliente und nachhaltige Logistiknetzwerke

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Die Anfälligkeit globaler Lieferketten wird durch zahlreiche Ereignisse immer wieder offenkundig, etwa den Vorfall der Ever Given im Suezkanal im Jahr 2021. Zu aktuellen Herausforderungen zählen die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der geopolitische Spannungen verstärkt, sowie die von Trump eingeführten umfassenden Zölle, die ein Risiko für die Weltwirtschaft darstellen. Diese Ereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit für Unternehmen, ihre Logistiknetzwerke widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. Nachhaltigkeit umfasst nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Dimensionen, während Resilienz die Fähigkeit beschreibt, sich rasch von Störungen zu erholen. Im Folgenden wird ein Ansatz des Fraunhofer IML beschrieben, der durch Simulation dazu beiträgt, Nachhaltigkeit zu messen und kritische Punkte im Netzwerk zu identifizieren. Daran anschließende Optimierungen helfen, nachhaltige und robuste Szenarien zu entwickeln.
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gestalten. Für die Zukunft sind Resilienz und Nachhaltigkeit keine optionalen Merkmale mehr, sondern zentrale Elemente eines zukunftssicheren Logistiknetzwerks. Die Anfälligkeit unserer Logistiknetzwerke und ihre mangelnde Nachhaltigkeit sind teilweise auf bestehende Planungsverfahren zurückzuführen, die vorwiegend darauf abzielen, die Gesamtkosten zu minimieren. Dies resultiert häufig in schlankeren Logistikkonzepten (lean concepts) mit wenigen zentralen Lagerstandorten. Infolgedessen ist man auf eine effiziente Outbound-Logistik mit hoher Fahrleistung angewiesen, um größere Distanzen zum Kunden zu überbrücken, was das Risiko bei Ausfall von Beteiligten erhöht. Zudem erhö- A ls das Containerschiff Ever Given am 23. März 2021, mit rund 20.000 Containern beladen, im Suezkanal auf Grund lief, dominierte das Ereignis die Weltnachrichten. Starker Wind und eine ungünstige Wendung führten dazu, dass das gigantische Schiff quer im Kanal stecken blieb und eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt blockierte. Die Sperrung des Suezkanals führte zu massiven Lieferengpässen weltweit und verdeutlichte, wie entscheidend die Resilienz von Logistiknetzwerken in der heutigen globalen Welt ist. Dies ist nur ein Beispiel von Vielen, das deutlich zeigt, vor welchen Herausforderungen Unternehmen stehen und wie imminent wichtig es ist, ihre Lieferketten anders zu hen die vorwiegend mit fossilen Antrieben betriebenen LKWs den CO 2 -Fußabdruck und es fehlt an Fahrpersonal, das bereit ist, die hohen Anforderungen zu erfüllen. Diese sekundären Auswirkungen sind schwer zu bewerten und beeinflussen Entscheidungen meist nur am Rande. Das Fraunhofer IML hat einen alternativen Ansatz entwickelt, der Resilienz und Nachhaltigkeit stärker hervorhebt. Beide können gemessen und ins Verhältnis zu Kosten gesetzt werden. Im Rahmen dieses Ansatzes werden durch Monte Carlo Simulation hunderte von Netzwerkvarianten und Szenarien simuliert, um ein sogenanntes Trade-Off-Bild zu erstellen, das die Beziehungen zwischen Kosten, Resilienz und Nachhaltigkeit zeigt. Resiliente und nachhaltige Logistiknetzwerke Wie Lieferketten zukunftssicher gemacht werden Nachhaltigkeit, Planungsverfahren, Use Case, Szenarien, Kosten Die Anfälligkeit globaler Lieferketten wird durch zahlreiche Ereignisse immer wieder offenkundig, etwa den Vorfall der Ever Given im Suezkanal im Jahr 2021. Zu aktuellen Herausforderungen zählen die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der geopolitische Spannungen verstärkt, sowie die von Trump eingeführten umfassenden Zölle, die ein Risiko für die Weltwirtschaft darstellen. Diese Ereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit für Unternehmen, ihre Logistiknetzwerke widerstandsfähiger und nachhaltiger zu gestalten. Nachhaltigkeit umfasst nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Dimensionen, während Resilienz die Fähigkeit beschreibt, sich rasch von Störungen zu erholen. Im Folgenden wird ein Ansatz des Fraunhofer IML beschrieben, der durch Simulation dazu beiträgt, Nachhaltigkeit zu messen und kritische Punkte im Netzwerk zu identifizieren. Daran anschließende Optimierungen helfen, nachhaltige und robuste Szenarien zu entwickeln. Lars Hackstein Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 39 DOI: 10.24053/ IV-2025-0027 Eingangsabbildung: © iStock.com/ imaginima Der Artikel verdeutlicht die enorme Bedeutung der Anpassung globaler Lieferketten zur Zukunftssicherung von Unternehmen. Die Blockade der Ever Given und die aktuellen geopolitischen Herausforderungen sind eindrucksvolle Beispiele für die Anfälligkeit bestehender Logistiknetzwerke. Traditionelle Planungsverfahren, die vorwiegend auf Kostensenkung abzielen, führen zu anfälligen Systemen. Der Ansatz des Fraunhofer IML zeigt, wie durch Simulation und differenzierte Bewertung der Resilienz und Nachhaltigkeit stabile und zukunftsfähige Logistiknetzwerke geschaffen werden können. Indem Unternehmen die richtige Balance zwischen Kosten, Resilienz und Nachhaltigkeit finden, können sie sich besser gegen Störungen wappnen und zugleich ihre ökologische und soziale Verantwortung wahrnehmen. Letztendlich zeigt der Ansatz, dass durch gezielte Anpassungen und Investitionen erhebliche Fortschritte bei der Schaffung resilienter und nachhaltiger Logistiknetzwerke erzielt werden können. Resilienz und Nachhaltigkeit sind keine optionalen, sondern essenzielle Komponenten moderner Logistikstrategien. ▪ ort die benötigten Produkte überhaupt im Sortiment hat. Ähnlich wie bei Nachhaltigkeit, kann der IML-Optimierer zahlreiche Ausfallszenarien für ein konkretes Standort-Setup simulieren. Bild 3 illustriert, wie der Ausfall eines italienischen Lagerstandorts die Netzwerkperformance beeinflussen würde, mit einer möglichen Steigerung der Transportkosten um 5 %, einer Service-Level- Verschlechterung von 18 %, und einer Erhöhung der Lagerkosten um 12 %. Der IML-Ansatz kombiniert diese Szenarien zu einem Bewertungsmodell und berechnet das durchschnittliche Ausfallrisiko in Form von zusätzlichen Transportkosten, verlängerten Service-Zeiten und erhöhten Standortkosten. Durch die Kombination der Ansätze zur Bewertung von Nachhaltigkeit und Resilienz ergibt sich ein detailliertes Bild für ein spezifisches Standort-Setup, das den Vergleich alternativer Setups ermöglicht, so dass besonders kosteneffiziente Setups anderen Lösungen gegenübergestellt werden, die stärker auf Nachhaltigkeit oder Resilienz fokussieren. Oftmals gibt es auch sogenannte Sweet Spots, bei denen bereits geringe Änderungen zu deutlichen Verbesserungen in den einzelnen Themenbereichen führen. Bild 1 zeigt den Trade-Off zwischen zusätzlichen Kosten und eingesparten Emissionen. Die Punkte auf der Kurve repräsentieren jeweils ein einzelnes Standort-Setup, das vollständig durch das Fraunhofer-Optimierungsmodell bewertet wurde. So kann dargestellt werden, wie viel Mehrkosten nötig sind, um einen bestimmten Grad an CO 2 -Emissionen einzusparen. In diesem Use Case wären bereits bei 6,5 % Mehrkosten 15 % der Gesamtemissionen einsparbar. Beim Thema Resilienz betrachtet der IML-Ansatz insbesondere Ausfälle im Netzwerk. Dabei geht es zunächst darum, die Akteure zu benennen und deren individuelles Ausfallrisiko zu ermitteln, sei es Lieferanten, Werke oder Lagerstandorte. Bild 2 zeigt den Use Case eines Lagerausfalls. Kunden, die an das süddeutsche Lager angebunden sind, müssen von einem anderen Standort beliefert werden. Längere Anfahrtstrecken wirken sich negativ auf die Outbound-Logistik aus und belasten sowohl Fuhrpark wie auch Fahrpersonal. Auch der einspringende Standort steht durch die zusätzliche Belastung vor erheblichen Herausforderungen. Lagerkapazitäten sind aufgrund des „lean concepts“ schnell erschöpft und das Lagerpersonal muss Mehrarbeit leisten. Zudem ist zu prüfen, ob der Stand- Bild 1: Use Case: Trade-Off zwischen Kosten und eingesparten Emissionen Bild 2: Bewertung von Resilienz: Case Lagerausfall Bild 3: Bewertung von Resilienz: Case Lagerausfall Italien (Ausschnitt) Lars Hackstein, Dipl.-Wirt.-Inf., Stellv. Abteilungsleiter, Fraunhofer- Institut für Materialfluss und Logistik IML LOGISTIK  Logistiknetzwerke Internationales Verkehrswesen (77) 2 ǀ 2025 40 DOI: 10.24053/ IV-2025-0027