eJournals Internationales Verkehrswesen 77/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0049
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Innovativer Personentransport im ländlichen Raum – Planung und Koordinierung konvoi-basierter Mobilität

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Jonathan Behm
Julian Bomm
Lisa Kleinjohann
Philipp Speckenmeyer
Miriam Stumpe
Christoph Weskamp
Diese Arbeit stellt ein schwarmartiges On-Demand-Mobilitätssystem vor: Autonome Elektro-Leichtbaufahrzeuge fahren von Tür zu Tür und schließen sich für längere Strecken zur Effizienzsteigerung in Konvois zusammen, die sich physikalisch an ein Zugfahrzeug koppeln. Basierend auf zentralen Gestaltungsdimensionen für eine systematische Analyse von Konvoi-Betriebsvarianten wird ein Entscheidungsunterstützungssystem skizziert, das Betreiber bei der systematischen Auswahl und Optimierung verschiedener Betriebsmodi unterstützt und damit zur Übertragbarkeit des Systems beiträgt.
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und effizienter zu gestalten. Zum anderen müssen neue Mobilitätsangebote den sich verändernden Mobilitätsbedarfen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft gerecht werden [1]. Der öffentliche Personennahver- Einleitung Im Zuge der Mobilitätswende steht der Verkehrssektor vor umfassenden Herausforderungen. Zum einen gilt es, Mobilitätslösungen nachhaltiger, emissionsärmer kehr (ÖPNV) übernimmt hierbei eine Schlüsselrolle, insbesondere mit Blick auf das Ziel, die verkehrsbedingten CO 2 -Emissionen signifikant zu senken. Im ländlichen Raum stößt der klassische Linienverkehr jedoch an Innovativer Personentransport im ländlichen Raum - Planung und Koordinierung konvoi-basierter Mobilität Wie ein Schwarmkonzept aus Paderborn Land und Leute wieder verbinden kann On-Demand-Mobiliäts(system), Konvoibetrieb, Planung, autonome Fahrzeuge Diese Arbeit stellt ein schwarmartiges On-Demand-Mobilitätssystem vor: Autonome Elektro-Leichtbaufahrzeuge fahren von Tür zu Tür und schließen sich für längere Strecken zur Effizienzsteigerung in Konvois zusammen, die sich physikalisch an ein Zugfahrzeug koppeln. Basierend auf zentralen Gestaltungsdimensionen für eine systematische Analyse von Konvoi-Betriebsvarianten wird ein Entscheidungsunterstützungssystem skizziert, das Betreiber bei der systematischen Auswahl und Optimierung verschiedener Betriebsmodi unterstützt und damit zur Übertragbarkeit des Systems beiträgt. Jonathan Behm, Julian Bomm, Lisa Kleinjohann, Philipp Speckenmeyer, Miriam Stumpe, Christoph Weskamp DOI: 10.24053/ IV-2025-0049 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 60 strukturelle und wirtschaftliche Grenzen. Aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte sind für ein flächendeckendes und zuverlässiges Angebot überdurchschnittlich viele Ressourcen in Form von Fahrzeugen, Personal und Energie notwendig. Ein ausgedünntes, unattraktives ÖPNV-Angebot fördert die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr (MIV). Dies wiederum schwächt langfristig die Nachfragebasis des ÖPNV und erschwert dessen Weiterentwicklung hin zu zukunftsfähigen Angebotsformen. Um den notwendigen Modal Shift vom MIV zum ÖPNV zu erreichen, bedarf es neuer Ansätze, die bedarfsgerechter, ressourcenschonender und flexibel skalierbar sind [2]. Diese Herausforderungen werden im Projekt NeMo.bil (https: / / nemo-bil.de/ ) adressiert. Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines On-Demand-Mobilitätssystems, dessen Kern eine autonom fahrende Flotte schwarmfähiger Fahrzeuge bildet. Diese Fahrzeuge können sich zu Konvois zusammenschließen. Koordinierte Fahrten mehrerer kleiner Fahrzeuge in einem modularen System ermöglichen eine effiziente Ressourcennutzung, insbesondere durch Energieeinsparungen und höhere Fahrzeugauslastung, was zu geringen Betriebskosten führt. Gleichzeitig erhöht sich die Flexibilität des Angebots, was die Attraktivität für Nutzerinnen und Nutzer steigert und die gesellschaftliche Teilhabe verbessert, etwa durch bessere Erreichbarkeit peripherer Regionen. Allerdings entstehen auch neue Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Echtzeit-Koordinierung der Fahrzeuge und der Planung von Konvoifahrten. Im weiteren Verlauf werden die Potenziale des Konzepts analysiert und zentrale Ausgestaltungsoptionen vorgestellt. NeMo.bil: Individueller und effizienter ÖPNV Das im Forschungsprojekt NeMo.bil entwickelte Mobilitätssystem adressiert die Herausforderungen ländlicher Räume durch einen neuartigen, technologiegestützten Lösungsansatz. Im Mittelpunkt steht ein modulares und schwarmbasiertes System autonomer Fahrzeuge, das sowohl den individuellen Mobilitätsbedarfen als auch den Anforderungen effizienter Verkehrsflüsse gerecht werden soll [3]. Kern des Konzepts ist die Kombination zweier spezialisierter Fahrzeugtypen: NeMo.Cab und NeMo.Pro. Die NeMo.Cabs sind kleine, leichte und elektrisch angetriebene Fahrzeuge, die für den autonomen Tür-zu-Tür-Transport auf der ersten und letzten Meile konzipiert wurden. Sie können flexibel eingesetzt werden und je nach Anwendungsfall unterschiedlich konfiguriert werden - etwa für zwei bis vier Personen oder barrierefrei mit Rollstuhlplatz. Für längere Distanzen, insbesondere auf Landstraßen und bei Fahrten zwischen Ortschaften, kommt eine besondere Systeminnovation zum Einsatz: die koordinierte Fahrt mehrerer Fahrzeuge im Konvoi. Dabei koppeln sich mehrere NeMo.Cabs physisch an ein Fahrzeug vom Typ NeMo.Pro an. Das NeMo.Pro ist ein leistungsstarkes, wasserstoff betriebenes Zugfahrzeug ohne Passagierkabine. Es übernimmt die Führung des Konvois mit höherer Reisegeschwindigkeit und dient gleichzeitig als mobile Ladeeinheit für die angeschlossenen Cabs. Diese Konvoifahrten bieten mehrere Vorteile: Durch den Windschatteneffekt sinkt der Energieverbrauch der nachfolgenden Fahrzeuge. Zudem ermöglicht das mobile Laden während der Fahrt eine effiziente Nutzung der Fahrzeit und minimiert Standzeiten für stationäre Ladevorgänge. Erst durch diese Kombination werden auch größere Distanzen überbrückbar, die die Cabs aufgrund ihrer Leichtbauweise und begrenzten Batteriekapazität allein nicht bewältigen könnten. In der Zielregion entkoppeln sich die Cabs wieder, um individuell die jeweils letzten Meter zurückzulegen. Bild 1 stellt das System schematisch dar. Zur Berücksichtigung ländlich geprägter regionaler Anforderungen wurden im Projektverlauf gezielt Kommunen im Raum Paderborn in den Entwicklungsprozess eingebunden. In Form von Interviews sowie durch den direkten Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern konnten praxisrelevante Einblicke in die Mobilitätsbedarfe vor Ort gewonnen werden. Die Ergebnisse dieser Beteiligungsformate verdeutlichen ein breites Spektrum potenzieller Einsatzszenarien - sowohl für Einzelfahrten mit NeMo.Cabs als auch für Konvoifahrten im Verbund. Insgesamt ist es Ziel des Projekts NeMo. bil, Mobilitätslösungen zu entwickeln, die nicht nur lokal im Raum Paderborn wirken, sondern zugleich auf andere Regionen übertragbar sowie anschlussfähig sind. Paderborn eignet sich als Teststandort besonders, da seine Struktur mit einem zentralen Oberzentrum und umliegenden ländlichen Gebieten repräsentativ für viele Regionen Deutschlands ist. Die Umsetzung dieser Aufgabe zur Skalierung erfolgt federführend durch die Initiative Neue Mobilität Paderborn (NeMo), ein Zusammenschluss von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Gebietskörperschaften. Interoperabilität und offene Standards sollen die Voraussetzung für ein skalierbares System Bild 1: Konzeptionelle Darstellung des schwarmartigen Mobilitätssystems (in Anlehnung an [3]) On-Demand-Mobilität  MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2025-0049 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 61 Die algorithmische Forschung zur Planung solcher Systeme befasst sich bislang vor allem mit Optimierungsmethoden, die auf der Annahme beruhen, dass alle Mobilitätsanfragen bereits vor Beginn des Betriebs bekannt sind. Daher wird in diesem Zusammenhang auch von sogenannter Offline-Planung gesprochen. Die Streckenführung der Konvois ist in diesen Ansätzen fix, und Konvoi-Fahrten werden im Vorfeld auf bestimmten Linien oder Korridoren geplant. Auch das An- und Abkoppeln erfolgt an zuvor definierten Stationen [9][10][11] [12]. Entsprechend liegt der Schwerpunkt der Forschung auf zeitlichen Fragestellungen wie der Taktung von Fahrten oder der Synchronisation von An- und Abkoppelprozessen entlang festgelegter Strecken. Ein Ansatz zur flexibleren räumlichen und zeitlichen Planung wird in [13] beschrieben. Er berücksichtigt neben der zeitlichen Steuerung auch das Routing von „Leader“- und „Follower“-Fahrzeugen innerhalb eines Konvois. Allerdings geht auch dieser Ansatz davon aus, dass alle Mobilitätsanfragen bereits vor Betriebsbeginn bekannt sind, sodass die Planung im Voraus erfolgt. Einen Schritt weiter gehen dynamische Ansätze für die sogenannte Online-Planung, bei der Mobilitätsanfragen während des laufenden Betriebs in Echtzeit verarbeitet werden. In [14] erfolgt beispielsweise das Routing der Follower-Fahrzeuge in Echtzeit, während die Fahrpläne und Routen der Leader-Fahrzeuge fix bleiben, wodurch deren zeitliche und räumliche Flexibilität erneut eingeschränkt ist. Im Rahmen von NeMo.bil werden Algorithmen zur Online-Planung entwickelt, die sowohl die dynamische Verarbeitung von Mobilitätsanfragen ermöglichen als auch die flexible Echtzeitsteuerung der NeMo.Cabs und NeMo.Pros gewährleisten. Die Anforderungen an diese Algorithmen hängen maßgeblich von der Ausgestaltung des Konvoi-Systems ab. Deshalb werden im Folgenden zentrale Gestaltungsvarischaffen - insbesondere auch für den breiten Einsatz der Konvoi-Technologie über die Region Paderborn hinaus. Stand der Technik: Konvois im Mobilitätskontext Das Konzept des Konvoifahrens ist insbesondere im Bereich des Gütertransports seit vielen Jahren Gegenstand der Forschung. Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich mit den technischen, logistischen und wirtschaftlichen Potenzialen von Lkw-Platoons [4][5][6]. Im Zentrum stehen dabei meist konventionelle Lkw-Kombinationen, die auf Autobahnen in geringem Abstand zueinander fahren, um durch Windschatteneffekte Kraftstoff einzusparen und durch automatisierte Fahrfunktionen Fahrpersonal zu entlasten. In den letzten Jahren ist auch das Interesse am Konvoifahren für den Personentransport gestiegen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Projekt MINGA, in dem sogenannte Bus-Platoons entwickelt werden. Dabei folgt ein autonomer Bus einem manuell gesteuerten Leitfahrzeug auf Sicht, um auf stark nachgefragten Linien die Transportkapazität ohne zusätzliches Fahrpersonal zu erhöhen [7]. Auch hier steht jedoch die reine Fahrzeugfolge im Vordergrund - physische Kopplungen oder modulare Fahrzeugeinheiten werden nicht betrachtet. Ein anderer Forschungsstrang setzt an der Idee modularer Fahrzeuge an, die sich physisch verbinden lassen. Konzepte sogenannter Autonomous Modular Vehicles (AMV) sehen vor, dass sich mehrere identische „Pods“ zu größeren Einheiten zusammenschließen, um auf Nachfrageschwankungen flexibel reagieren zu können. Im Unterschied zu NeMo.bil liegt der Fokus hier auf gleichartigen Fahrzeugen mit durchgehender Kabine, bei denen ein Passagierwechsel zwischen den Pods während der Fahrt möglich ist. Beispiele wie das NEXT- Shuttle, das bereits kurzzeitig in Dubai betrieben wurde, zeigen erste prototypische Umsetzungen solcher Konzepte [8]. anten des Konvoi-Betriebs strukturiert vorgestellt, die die zeitliche und räumliche Flexibilität der Fahrzeuge entscheidend beeinflussen. Konvoi-Konzept: Planung und Gestaltungsvarianten Die Planung von Fahrzeugen im Konvoi lässt sich grundsätzlich in zwei Betrachtungsebenen unterteilen: die mikroskopische Ebene der Fahrzeugsteuerung (Platoon Control) und die makroskopische Ebene der Konvoi- Koordinierung (Platoon Coordination) [15] [4]. Die mikroskopische Ebene befasst sich mit der Steuerung einzelner Fahrzeuge innerhalb eines Konvois. Dazu gehören zum Beispiel die Anpassung der Geschwindigkeit und Fahrmanöver für das Ein- und Ausscheren. Auf der makroskopischen Ebene geht es dagegen um die Zusammenstellung der Konvois sowie dessen zeitlich-räumliche Planung. Hier werden zum Beispiel geeignete Fahrzeuge für die Bildung eines Konvois identifiziert, gemeinsame Routenabschnitte geplant und Abfahrtssowie Ankunftszeiten festgelegt. Im Zentrum dieses Kapitels stehen Planungsmethoden für die makroskopische Ebene. Die Anforderungen an diese Planungsmethoden variieren stark in Abhängigkeit vom betrachteten Konvoi- System. Deshalb werden im Folgenden verschiedene Konvoi-Gestaltungsvarianten näher erläutert. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht zentraler Variablen und deren Ausprägungen zur Gestaltung des Konvoi-Betriebs innerhalb eines On-Demand-Mobilitätssystems. Es handelt sich dabei um einen morphologischen Kasten, in dem verschiedene Optionen für relevante Gestaltungsdimensionen systematisch dargestellt werden [16][17]. Eine konkrete Konvoi-Gestaltungsvariante ergibt sich, indem für jede Variable eine spezifische Ausprägung gewählt wird. Variablen zur Charakterisierung eines Konvoi-Systems lassen sich in drei Kategorien unterteilen: die vorangehende Planung, die Gestaltung der Kopplung sowie die Interaktion von Konvois. Zur vorangehenden Planung gehören Merkmale, durch die der Ablauf des Konvois bereits im Vorfeld festgelegt wird. Dazu zählt die fixierte Abfahrtszeit , welche angibt, ob der Konvoi zu einem zuvor definierten Zeitpunkt startet. Der fixierte Streckenverlauf bestimmt wiederum, ob ein Konvoi ausschließlich auf einer vorab festgelegten Route unterwegs ist oder eine dynamische Routenwahl erlaubt ist. Die Gestaltung der Kopplung beschreibt, wo und wie sich Fahrzeuge in den Konvoi integrieren und aus ihm herauslösen lassen. Die Anzahl der Ankopplungspunkte legt fest, ob Fahrzeuge dem Konvoi nur an einem einzigen Startpunkt oder an verschiedenen Orten beitreten Kategorien Variablen Ausprägung 1 Ausprägung 2 Vorangehende Planung Fixierte Abfahrtszeit Ja Nein Fixierter Streckenverlauf Ja Nein Gestaltung der Kopplung Anzahl der Ankopplungspunkte Eins Mehrere Position der Ankopplung im Konvoi Nur hinten Flexibel Gestaltung der Abkopplung Anzahl der Abkopplungspunkte Eins Mehrere Position der Abkopplung vom Konvoi Nur hinten Flexibel Interaktion von Konvois Wechsel zwischen Konvois Nein Ja Tabelle 1: Konvoi-Gestaltungsvarianten (Morphologischer Kasten) MOBILITÄT  On-Demand-Mobilität DOI: 10.24053/ IV-2025-0049 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 62 können. Die Position der Ankopplung im Konvoi entscheidet darüber, ob neue Fahrzeuge ausschließlich am Ende des Konvois aufgenommen werden oder flexibel an verschiedenen Positionen innerhalb des Konvois eingegliedert werden können. Entsprechend verhält es sich bei der Abkopplung: Die Anzahl der Abkopplungspunkte bestimmt, ob das Verlassen des Konvois nur an einem oder an mehreren festgelegten Orten möglich ist. Die Position der Abkopplung vom Konvoi legt wiederum fest, ob das Verlassen in einer festen Reihenfolge oder flexibel erfolgen kann. Schließlich umfasst die Kategorie Interaktion von Konvois die wechselseitige Beeinflussung verschiedener Konvois. Ein zentrales Merkmal ist hier die Möglichkeit des Wechsels zwischen Konvois , also ob es Fahrzeugen erlaubt ist, während eines Kundentransports den Konvoi zu wechseln, zum Beispiel zur Optimierung der Route. Bei diesem morphologischen Kasten ergeben sich aus der Kombination der jeweils zwei Ausprägungen der sieben Variablen insgesamt 128 theoretisch mögliche Gestaltungsvarianten für das Konvoi-System. Zur Veranschaulichung werden im Folgenden zwei dieser Varianten näher betrachtet. In der ersten Gestaltungsvariante nehmen alle Variablen die Ausprägung 1 an, während in der zweiten Variante alle Variablen die (gegensätzliche) Ausprägung 2 annehmen. Diese beiden Varianten stellen die jeweiligen Extremformen des Konvoi-Systems dar und dienen zum Vergleich der Auswirkungen unterschiedlicher Gestaltungsentscheidungen. Gestaltungsvariante 1 - Fahrplanbasierte Punkt-zu-Punkt Konvois Bei dieser Gestaltungsvariante werden sämtliche Systemmerkmale des Konvois bereits vor dem Betrieb festgelegt. Der Konvoi startet zu einer fixierten Abfahrtszeit und folgt einer zuvor definierten Strecke, wobei keine Abweichungsmöglichkeit vorgesehen ist. Sowohl für das Anals auch das Abkoppeln gibt es jeweils nur einen festen Ort, an dem Fahrzeuge ausschließlich am Ende des Konvois einbzw. ausgegliedert werden können. Ein Wechsel zwischen Konvois während eines Kundentransports ist ausgeschlossen. Diese Variante stellt ein strukturiertes Konvoi-System dar, das nur begrenzte Flexibilität im Betrieb zulässt. Gestaltungsvariante 2 - Vollständig flexible Konvois Bei dieser Gestaltungsvariante erlauben die Systemmerkmale einen flexiblen und an die Nachfragesituation angepassten Verlauf des Betriebs. Sowohl die Startzeit als auch die Routenführung des Konvois werden in Abhängigkeit von den individuellen Kundentransporten dynamisch, also während des Betriebs ermittelt. Für das An- und Abkoppeln gibt es mehrere flexible Punkte innerhalb des Einsatzgebietes, an denen Fahrzeuge an beliebigen Stellen innerhalb des Konvois ein- und ausgegliedert werden können. Außerdem sind Wechsel zwischen Konvois während eines Kundentransports möglich. Die Variante stellt ein dynamisches Konvoi-System dar, das eine hohe Flexibilität während des Betriebs bietet. Vor- und Nachteile der Gestaltungsvarianten Die beiden Gestaltungsvarianten - die fahrplanbasierten Punkt-zu-Punkt Konvois und die vollständig flexiblen Konvois - unterscheiden sich insbesondere in Bezug auf Flexibilität und Planung. Gestaltungsvariante 1 bietet eine hohe Planbarkeit und Vorhersagbarkeit, da alle wichtigen Merkmale des Konvois im Voraus festgelegt werden. Die Fixierung von Startzeit und Route sowie die festen An- und Abkopplungspunkte ermöglichen eine effiziente Planung, bei der während des Betriebs lediglich die einzelnen Fahrzeuge zu Konvois zugeordnet werden müssen. Diese Variante ist besonders vorteilhaft, wenn die Nachfrage konstant und stabil ist, da der Planungsaufwand in Echtzeit gering bleibt. Die begrenzte Flexibilität stellt jedoch einen Nachteil dar, wenn eine schnelle Reaktion auf schwankende Nachfrage erforderlich ist. Im Gegensatz dazu zeichnet sich Gestaltungsvariante 2 durch eine hohe Flexibilität aus, da während des Betriebs sowohl über die Startzeit und Route als auch die verschiedenen Punkte zum An- und Entkoppeln und über Wechsel zwischen Konvois entschieden wird. Diese Flexibilität ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Veränderungen während des Betriebs und kann eine hohe Auslastung und Effizienz in dynamischen Umfeldern fördern. Der Nachteil dieser Variante liegt in der hohen Planungskomplexität, die durch die Vielzahl an Entscheidungen entsteht, die in Echtzeit getroffen werden müssen. Lösungsansatz: Flotten- und Betriebsplanung Im Rahmen des NeMo.bil-Projekts wird ein Entscheidungsunterstützungssystem (Decision Support System, kurz: DSS) entwickelt, das die strategische Flottenplanung und die operative Betriebsplanung integriert. Dieses System ist darauf ausgelegt, die vielfältigen Anforderungen der zuvor beschriebenen Konvoi-Gestaltungsvarianten zu adressieren. Ziel des Systems ist es, Planer und Betreiber bei der Systemgestaltung, insbesondere der Auswahl von Fahrzeugflotten und der Planung von Betriebsabläufen, zu unterstützen, um eine optimale Kombination von Effizienz und Servicequalität zu erreichen. Es werden ausgewählte Gestaltungsoptionen aus Tabelle 1 berücksichtigt (siehe Abschn. Planungs- und Gestaltungsvarianten), um verschiedene Betriebsmodi abzubilden und vergleichen zu können. Die strategische Flottenplanung umfasst dabei die Festlegung der Anzahl und Typen der Fahrzeuge sowie der Konvoi- Fahrpläne - abhängig von den gewählten Gestaltungsvarianten. Beispielsweise erfordern eine feste Abfahrtszeit und ein vorab definierter Streckenverlauf eine andere Flottenzusammensetzung und Planungslogik als ein flexibles System mit dynamischem Routenverlauf und mehreren Kopplungsstellen. Diese Komponente des DSS simuliert eine Vielzahl von Flottenkonfigurationen, um verschiedene Fahrzeugtypen und -mengen zu evaluieren. Jede Konfiguration wird anhand von Leistungskennzahlen (KPIs) bewertet, die sowohl betriebliche (z. B. Kostenminimierung) als auch kundenorientierte Perspektiven (z. B. Maximierung der Kundenabdeckung) widerspiegeln. Diese KPIs werden verwendet, um Flottenkonfigurationen zu bewerten und solche zu identifizieren, die ausgewogene Kompromisse zwischen den Zielgrößen darstellen. Die operative Betriebsplanung ist darauf ausgelegt, in Echtzeit die Zuordnung von Kundenanfragen zu Fahrzeugen, die Zuweisung von Fahrzeugen zu Konvois sowie die Planung von Ladeprozessen durchzuführen. Dabei werden, je nach Ausprägung der Gestaltungsvarianten, etwa An- und Abkopplungspunkte sowie vorgegebene Streckenverläufe für Konvois berücksichtigt. Das DSS ermöglicht es so, den Grad der Flexibilität, der im jeweiligen Konvoi System vorgesehen ist, zu berücksichtigen. Diese Komponente des DSS wird im Rahmen der integrierten Planung von der strategischen Flottenplanung aufgerufen. Dabei werden Einflussgrößen wie die Fahrzeugreichweite und die verfügbare Ladeinfrastruktur berücksichtigt. Die Softwarelösung des DSS verfügt über ein interaktives Dashboard, das Entscheidungsträgern die Ergebnisse der strategischen und operativen Planung transparent visualisiert. Dadurch können verschiedene Konfigurationsalternativen im Hinblick auf die vorgestellten Gestaltungsvarianten systematisch verglichen werden. Zielkonflikte werden erkennbar, und fundierte Entscheidungen zur optimalen Gestaltung des skalierfähigen Mobilitätssystems lassen sich ableiten. Zusammenfassung und Ausblick Dieser Beitrag widmet sich einem innovativen, schwarmbasierten Mobilitätssystem On-Demand-Mobilität  MOBILITÄT DOI: 10.24053/ IV-2025-0049 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 63 cy and Practice, Volume 151, 81-98. https: / / doi. org/ 10.1016/ j.tra.2021.07.005. [14] Repoux, M., Geroliminis, N. Kaspi, M. (2021). 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Im Gegensatz dazu ermöglichen dynamische und flexible Konvoi-Strategien eine adaptive Reaktion auf schwankende Nachfragesituationen und bieten dadurch Potenziale für eine verbesserte Auslastung und Kundenzufriedenheit. Gleichzeitig steigt mit zunehmender Flexibilität jedoch auch die Planungskomplexität deutlich an. Zukünftige Forschungsarbeiten sollten die identifizierten Herausforderungen beim Konvoi-Betrieb aufgreifen und diese (erste) qualitative Einordnung der verschiedenen Konvoi-Strategien fortführen. Simulationen und mathematische Optimierung sind dabei vielversprechende Ansätze, um die Vorteilhaftigkeit der jeweiligen Konvoi-Strategie aus Perspektive verschiedener Zielkriterien wie Kundenzufriedenheit, Betriebskosten und Energieeffizienz fundiert zu untersuchen. Dies ermöglicht die Durchführung von Sensitivitätsanalysen, sodass für ein gegebenes Einsatzgebiet die Vor- und Nachteile verschiedener Konvoi-Strategien im Detail verglichen werden können. Der simulative Ansatz erlaubt eine frühzeitige Bewertung unterschiedlicher Konvoi-Varianten und unterstützt so die Übertragbarkeit und Anschlussfähigkeit des NeMo.bil-Systems auf neue Regionen. Danksagung Das dieser Arbeit zugrunde liegende Vorhaben „NeMo.bil-System kooperierender Fahrzeuge für einen individualisierten Öffentlichen Verkehr“ wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz unter dem Förderkennzeichen 19S23003 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren. ▪ ENDNOTE 1 Weitere Informationen hierzu finden sich auch auf der Website des Vereins NeMo Paderborn (nemo-paderborn.de) sowie in Episode 1 des Podcasts Wissen2Wirtschaft der Universität und Wirtschaftsförderung Paderborn (wissen2wirtschaft.podigee.io/ ). Jonathan Behm Neue Mobilität Paderborn e.V. Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn Julian Bomm Neue Mobilität Paderborn e.V. Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn Lisa Kleinjohann, Dr. Universität Paderborn Software Innovation Lab Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn Philipp Speckenmeyer Universität Paderborn Software Innovation Lab Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn Miriam Stumpe, Dr. Universität Paderborn Software Innovation Lab Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn Christoph Weskamp, Dr. Universität Paderborn Software Innovation Lab Zukunftsmeile 2, 33102 Paderborn MOBILITÄT  On-Demand-Mobilität DOI: 10.24053/ IV-2025-0049 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 64