Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2025-0053
iv773/iv773.pdf0901
2025
773
Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen
0901
2025
Wolf Engelbach
Torsten Liebig
Landes- und Kreisstraßen leiden unter einem massiven Sanierungsstau. Der Artikel skizziert die Einführung einer Lkw-Maut als Lösung. Diese soll nach dem Verursacherprinzip eine zweckgebundene Finanzierung für den Straßenerhalt und den Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-Lkw sichern. Der Beitrag zeigt die rechtliche und technische Machbarkeit sowie die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile eines solchen, auf digitalen Technologien basierenden Systems auf.
iv7730076
Bei all diesen Überlegungen blieben die großen Netze der Landes- und Kreisstraßen bis jetzt außen vor, trotz ihrer hohen verkehrlichen Bedeutung und ihres immensen Sanierungsbedarfs. Dementsprechend hat die Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen bereits 2021 einen Platz im Koalitionsvertrag für die Landesregierung in Baden-Württemberg erhalten, ohne dass allerdings ein entsprechendes Gesetz bislang in den Landtag eingebracht wurde. Der folgende Artikel skizziert die im Verkehrsministerium Baden-Württemberg ausgearbeiteten Überlegungen zur Ein- Einleitung Seit der Einführung der Lkw-Maut auf Autobahnen im Jahr 2005 sind die Gebühr für die Straßennutzung und die Verwendung der eingenommenen Gelder einem steten Wandel unterworfen. Umgesetzt wurden eine Ausweitung auf Bundesstraßen und eine stärkere Orientierung am Schadstoffausstoß. Zuletzt wurde der Finanzierungskreislauf Straße geöffnet, so dass die Einnahmen auch für die Ertüchtigung des Schienennetzes bereit stehen; die 2025 angetretene Bundesregierung will diesen Schritt rückgängig machen. führung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen. Er zeigt auf, dass dies rechtlich wie technisch möglich sowie finanziell und wirtschaftlich sinnvoll ist. Damit sprechen eine Reihe guter Gründe dafür, dieses Finanzierungsinstrument einzuführen, sei es durch ein Land als Vorreiter oder gemeinsam von allen Ländern. Gründe für die Maut Landes- und Kreisstraßen bilden das Rückgrat der regionalen Wirtschaft und sind essenziell für die tägliche Mobilität von Pendlern, den Gütertransport in ländlichen Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen Brückensanierung und Ladeinfrastruktur digital finanzieren Infrastrukturfinanzierung, Verursacherprinzip, European Electronic Toll System, Landesgesetzgebung, Straßenerhalt Landes- und Kreisstraßen leiden unter einem massiven Sanierungsstau. Der Artikel skizziert die Einführung einer Lkw-Maut als Lösung. Diese soll nach dem Verursacherprinzip eine zweckgebundene Finanzierung für den Straßenerhalt und den Aufbau von Ladeinfrastruktur für E-Lkw sichern. Der Beitrag zeigt die rechtliche und technische Machbarkeit sowie die wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile eines solchen, auf digitalen Technologien basierenden Systems auf. Wolf Engelbach, Torsten Liebig DOI: 10.24053/ IV-2025-0053 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 76 Gebieten sowie die Anbindung industrieller Zentren an übergeordnete Verkehrsachsen. Dennoch weisen viele dieser Straßen erhebliche Substanzmängel auf: Risse, Schlaglöcher und die unzureichende Belastbarkeit vieler Brücken sind nur einige Symptome eines wachsenden Investitionsstaus. Mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts und angesichts zahlreicher Neu- und Ausbaumaßnahmen wurde die bestehende Straßeninfrastruktur jahrzehntelang dem Wertverlust überlassen. In den vergangenen Jahren ist die Diskrepanz zwischen dem Zustand dieser nachgeordneten Straßennetze und den verfügbaren Finanzmitteln markant gewachsen. Während Bundesfernstraßen durch zentrale Mautsysteme refinanziert werden, lasten die Kosten für Erhaltungs- und Ausbaumaßnahmen für Landes- und Kreisstraßen auf den Haushalten der Länder und Kommunen. Besonders deutlich wird dies mit Blick auf den Zustand von Brücken. Die Zahl der sanierungsbedürftigen Brücken in Baden- Württemberg wird auf knapp 750 geschätzt. Von diesen liegt ein großer Teil in der Bauträgerschaft des Bundes, viele liegen jedoch auch im Bereich von Landes- oder Kreisstraßen. Ausfälle an dieser Stelle ziehen weniger große Staus als bei Autobahnen nach sich, schränken dafür aber das alltägliche Leben der Menschen wesentlich stärker ein. Steuer- und Abgabenerhöhungen für den reinen Erhalt der bestehenden Infrastruktur sind politisch aktuell nur schwer umsetzbar, Umverteilung innerhalb bestehender Haushalte wiederum eine Frage der politischen Priorisierung und seit Jahren nicht erfolgt. Derzeit entstehen durch das neue Sondervermögen für Infrastruktur, das mit einer Grundgesetzänderung vom März 2025 möglich gemacht wurde, potenziell neue Verteilungsspielräume auch für die Länder und Kommunen, wovon der Verkehrssektor ebenfalls profitieren sollte. Allerdings sind 12 Jahre für Infrastrukturinvestitionen nur ein kurzer Zeitraum, der hilft, den Sanierungsrückstau der Vergangenheit abzubauen. Für eine langfristige Lösung zur Finanzierung des Substanzerhalts ist damit aber nur Zeit gewonnen, um verlässliche Instrumente wie eine weitergehende Bemautung systematisch umzusetzen. Gestaltung der Maut Das Verursacherprinzip ist wichtig für die Akzeptanz einer fairen Kostenverteilung: Wer die Infrastruktur intensiv nutzt und stark abnutzt, soll auch anteilig dafür aufkommen. Bei einem Fokus auf die hauptsächlichen Verursacher von Straßenschäden ist daher eine Maut nur für Lkw, wie sie bereits auf Bundesfernstraßen existiert, richtig. Bei der Abnutzung der Straßeninfrastruktur wirkt die Fahrt eines 12-Tonners auf den Straßenbelag wie die Fahrt von 4.000 Pkw, eines 40-Tonners wie 60.000 Pkw, wie Berechnungen von Infras und dem Forschungsinformationssystem Mobilität und Verkehr ergeben haben. Für eine normale Land- oder Kreisstraße hat also die tägliche Überfahrt eines Lkw eine größere Schadenswirkung als der gesamte restliche Tagesverkehr. Hinsichtlich der Umwelteffekte von Lkw hat sich in der Bundes-Maut ebenfalls bereits eine Differenzierung der Mauthöhe nach externen Kosten, wie beispielsweise Luftschadstoffen, etabliert. Ähnlich entscheidend wie das Verursacherprinzip ist die Verwendung der eingenommenen Mittel für die breite Akzeptanz einer zusätzlichen Gebühr: Speziell die Verbände des Straßengüterverkehrs und der Wirtschaft haben ein Interesse daran, dass Einnahmen in ihrem Sinne verwendet werden. Sie entrichten ja die Gebühren, auch wenn sie diese letztendlich auf ihre Kunden und damit auf die Verbraucher umlegen. In der Logik der Bundes-Maut gibt es bereits zwei Komponenten, die für eine Landes-Maut ebenfalls relevant sind: der Infrastruktur-Mautsatz und der CO2-Emissionen-Mautsatz. Die beiden weiteren sind der Luftverschmutzung-Mautsatz und der Lärmbelastung-Mautsatz. Der Anteil für die Infrastruktur-Nutzung sollte direkt in die Instandhaltung des Straßenkörpers fließen. Der Umwelt-Anteil sollte einen Beitrag zur Verbesserung des Klimas, der Luftreinhaltung und des Lärmschutzes leisten. Konkret für die Dekarbonisierung des straßengebundenen Schwerlastverkehrs, die allen Prognosen nach vor allem über batterieelektrische Lkw erfolgen wird, ist das größte Nadelöhr momentan der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Diese Ladeinfrastruktur für Lkw ist mit Blick auf die Hoch- und Mittelspannungsstromnetze und Flächenbedarfe wesentlich aufwändiger zu errichten als für Pkw. Politische und finanzielle Unterstützung für den Auf bau der Ladeinfrastruktur ist daher für Speditionen und Unternehmen ebenfalls von hohem Interesse. Umsetzung der Maut Eine Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen sollte sich stark an den bekannten technischen Prinzipien der bundesweiten Lkw-Maut orientieren. Sie kann dabei aber zugleich die technischen Weiterentwicklungen und europäischen Standardisierungen aufgreifen, um modernere Lösungen zu forcieren. So lässt sich die angestrebte fahrzeug- und streckenabhängige emissionssensitive Lkw-Maut effizient und digital umsetzen. Der vertraute digitale Ansatz ermöglicht eine präzise Erfassung der tatsächlichen Fahrleistung und Emissionsklassen jeder Lkw-Fahrt. Satellitenbasierte GNSS-Systeme in Kombination mit On-Board-Units (OBU) oder zukünftig auch mobilen Apps garantieren eine exakte Abrechnung nach gefahrenen Kilometern und realem Fahrzeuggewicht. Eine Zusammenarbeit mit der bundeseigenen Toll Collect ist dafür möglich, jedoch nicht notwendig, weder hinsichtlich der Umsetzungsgeschwindigkeit noch bezüglich der Implementierungskosten. Denn es gibt bereits zahlreiche weitere Anbieter auf deutschen Straßen, die mit international einsetzbaren On-Bord-Units arbeiten und nach dem europaweit gültigen EETS-Standard (European Electronic Toll System) zertifiziert sind. So lassen sich mit verhältnismäßig geringem Aufwand neue Bild 1: Erklärgrafik zur Wirkung der Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen Finanzierung FORUM DOI: 10.24053/ IV-2025-0053 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 77 wegen der langfristigen Planbarkeit einer neuen Maut gut auf die Kunden umgelegt werden können. Ein vom Verkehrsministerium bei Infras beauftragtes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass diese Transportkostensteigerungen im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich bleiben. So würde sich der Preis von zwei Kästen Wasser durch die zu entrichtende Maut um einen Eurocent erhöhen, bei den Verbrauchern käme also kaum etwas an. Am größten ist die Wirkung bei sehr schweren Gütern, die dafür aber relativ kurze Strecken transportiert werden, etwa Sand oder Kies. Dass die Gesamtpreise so wenig ansteigen, liegt vor allem daran, dass die Verkehre auf Landes- und Kreisstraßen gerade einmal gute 10 % der gesamten Fahrleistung von Lkw ausmachen. Bei frühzeitiger Ankündigung und stringenter Umsetzung der Maut wird den Unternehmen darüber hinaus die Möglichkeit gegeben, die zusätzliche Abgabe bereits bei Angeboten an die Endkunden zumindest mittelfristig einzupreisen. Die intuitive Vermutung, dass die Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen allein in Baden-Württemberg den hiesigen Unternehmen des Speditionsgewerbes zum Nachteil gereichen muss, ist aus unserer Sicht nicht haltbar. Schließlich wird die Maut von allen Unternehmen gezahlt, die Landes- und Kreisstraßen des Bundeslandes nutzen. Wenn es dem Land sowie den Kommunen dagegen möglich ist, mit den Einnahmen aus der Lkw-Maut die Straßeninfrastruktur in Schuss zu halten sowie Ladeinfrastruktur vor Ort zeitnah im notwendigen Umfang auszubauen, würde dies den Speditionsunternehmen im Land einen Vorsprung bei der Umstellung auf eine klimaneutrale Flotte sowie durch verlässlich funktionierende Verkehrssysteme verschaffen. Systeme auf bauen und an bestehende Infrastrukturen anschließen. Die Einführung einer Landes-Lkw-Maut kann für Baden-Württemberg jährliche Mehreinnahmen von ca. 250 Millionen Euro pro Jahr generieren. Entsprechende Simulationsrechnungen gehen von der aktuellen Lkw-Fahrleistung in Baden-Württemberg aus und legen den derzeitigen Mautsatz des Bundes zugrunde. Dabei würden nur Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen bemautet, was der aktuellen Planung entspricht. Wenn analog zur Maut des Bundes bereits ab 3,5 Tonnen die Bemautung einsetzen würde, wäre mit Einnahmen bis zu 400 Mio. Euro zu rechnen. Diese Mauteinnahmen sollten in einen Fonds fließen und so nicht an die haushaltspolitische Diskussion gebunden sein sowie überjährig zur Verfügung stehen. Das würde dem Anliegen der Bauwirtschaft nach Verlässlichkeit entgegenkommen. Der auf den Kreisstraßen eingenommene Anteil der Einnahmen würde den Kommunen zugutekommen. Den Einnahmen stehen verhältnismäßig niedrige Betriebskosten gegenüber, die auf einen Wert zwischen 25 und 28 Mio. Euro für Verwaltung und Erhebung pro Jahr taxiert werden. Der Löwenanteil hiervon entfällt auf die Kontrolle, um gegen Mautpreller vorgehen zu können und für eine damit einhergehende Gerechtigkeit und Akzeptanz des Gesamtsystems zu sorgen. Hierauf entfallen grob geschätzt 12 Mio. Euro. 8 Mio. Euro werden für die Wahrnehmung der Rolle als MSP fällig, hierzu weiter unten mehr. Weitere 4 Mio. Euro entfallen auf die Zusammenarbeit mit den EETS-Anbietern. Mit 3 Mio. Euro schlägt die Überwachung der Systembetreiber zu Buche. Konsequenzen der Maut Für Transportunternehmen entstehen durch die Maut kalkulierbare Kosten, die Für die Umwelt ebenso wie für die Unternehmen gibt es einen weiteren Vorteil dadurch, dass emissionsfreie Fahrzeuge in den ersten Jahren komplett von der Landesmaut ausgenommen werden könnten. Nach erfolgtem Hochlauf würde diese Befreiung wegfallen, an einer weiterhin differenzierenden CO2-Komponente jedoch festgehalten. Diese Befreiung der E-Lkw von der Landesmaut würde die Antriebswende beschleunigen und damit den Unternehmen aus dem Bundesland einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen. Konzeptionell kann eine solche Lkw- Maut über reine Finanzierungsaspekte hinaus auch als flexibles Steuerungsinstrument eingesetzt werden. Geobasierte Preiszonen und zeitabhängige Zuschläge in Stoßzeiten ermöglichen eine Entzerrung des Verkehrsauf kommens, sie können zudem Staus und Emissionsspitzen reduzieren. Dies kann beispielsweise dazu genutzt werden, um etwa viel Lkw-Verkehr während der nachmittäglichen Pendlerspitzen verstärkt zu bemauten und entsprechend Anreize zu setzen, diese Stunden zu vermeiden. Ebenso wäre es denkbar, im Falle eines Staus auf einem Autobahnabschnitt die Preise für die umgehenden Landes- und Kreisstraßen stark anzuheben, um ein Abfahren von der Autobahn und Umfahrung des Staus zu verteuern oder im besten Falle zu unterbinden. Allerdings bräuchte es vermutlich unrealistisch hohe Zuschläge, um das Fahrverhalten signifikant zu beeinflussen. Die volle Wirkung würden diese Maßnahmen zudem erst in Koordination mit der Bundesmaut entfalten, die aktuell noch statisch ist. Die Analyse der Mautdaten kann Verkehrsplanern aber auch bereits so wertvolle Informationen für eine echtzeitnahe Verkehrssteuerung und die langfristige Verkehrsplanung liefern. Bild 2: Potentielle Organisation der Lkw-Maut in Baden-Württemberg FORUM Finanzierung DOI: 10.24053/ IV-2025-0053 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 78 Landesaufgaben für die Maut Die EU-Wegekostenrichtlinie (2022/ 362/ EU) erlaubt nationale und regionale Mautsysteme mit differenzierten Tarifen. Landesparlamente können auf dieser Grundlage eigenständige Gebührenordnungen erlassen, Umweltboni definieren und die Mittelverwendung zweckgebunden festschreiben. Dass die Einführung einer Maut in einem einzelnen Bundesland möglich ist, ergibt sich daraus, dass die Bundesgesetzgebung für Landes- und Kommunalstraßen keine Regelung trifft. Das BM(D)V hat bestätigt, dass einer landesgesetzlichen Lösung nichts im Wege steht. Aus rechtlicher Sicht ist die Straßenbenutzungsgebühr das Mittel der Wahl, weil sie einerseits gerecht, andererseits mit dem Bundessystem kompatibel ist. Andere Möglichkeiten weisen entweder rechtliche Risiken auf (Sonderabgabe) oder entfalten keine Lenkungswirkung hin zu alternativen Antrieben, ja könnten Verkehr sogar befördern (wie z. B. eine Vignettenlösung). Das Land muss für die Implementierung der Maut selbst eine Reihe von neuen Aufgaben übernehmen. Zum einen würde es in der Rolle des Toll Charger das gesamte System steuern und die politischen Leitplanken setzen. Das meint insbesondere die Gesetzgebung für eine Mautregelung, aber auch operative Anpassungen im Zeitverlauf wie etwa die Mauttarife. Zu den Aufgaben als Toll Charger gehört auch die Abwicklung der Zahlungen von den EETS-Providern an die Landeskasse. Sofern solche Aufgaben an einen externen Dienstleister vergeben werden, sind sie hoheitlich zu kontrollieren. Eine besondere Rolle würde das Land darüber hinaus als Main Service Provider (MSP) einnehmen. Wird die Maut über EETS-Provider abgewickelt, hat eine Spedition keine andere Wahl, als mit einem solchen ein Vertragsverhältnis einzugehen. Die EETS-Provider sind jedoch nicht verpflichtet, mit einem Unternehmen eine Geschäftsbeziehung einzugehen. Auch kann es sich für eine lokale Spedition schlicht nicht lohnen, einen Vertrag mit einem europaweit agierenden Unternehmen einzugehen. Für solche Fälle würde das Land als MSP dann eine Rückfalloption anbieten und selbst als Provider auftreten, also selbst in ein Vertragsverhältnis mit Speditionen treten und diesem eine On-Board-Unit zur Verfügung stellen, damit eine digitalisierte Mauterhebung möglich bleibt. Diese Aufgabe würde mit hoher Wahrscheinlichkeit jedoch an einen privaten Auftragnehmer vergeben werden. Zuletzt wäre das Land in der Kontrollpflicht, die eine herausragende Rolle spielt. Aus den Erfahrungen der Autobahnpolizei ist bekannt, dass Kontrollen im Schwerlastverkehr eine sehr hohe Trefferquote für Verstöße gegen verschiedene Regularien, etwa Ladungssicherheit, Ruhezeiten oder Fahrzeugsicherheit zeigen. Es ist darum realistisch anzunehmen, dass nur ein hoher Kontrolldruck von Anfang an sicherstellen würde, dass die Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen zuverlässig entrichtet und nicht mehr oder minder kreativ umgangen würde. Auch die Kontrolle soll nach Möglichkeit digitalisiert werden. So können am Straßenrand aufgestellte Kontrolleinrichtungen das Fahrzeug samt Fahrer identifizieren und feststellen, ob die On-Bord-Unit aktiviert ist. Von diesem Moment an kann das Verfahren zur Nacherhebung der nicht entrichteten Mautsumme starten. Unterstützt wird dieser Ansatz von punktuellen Schwerpunkt-Kontrollen der Polizei an wichtigen Straßen sowie durch Betriebskontrollen im Verdachtsfall bei häufigerem Fehlverhalten bestimmter Fahrzeughalter. Abschließend lässt sich noch der Pfad für die Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen skizzieren. Es bedarf zuerst einer landesgesetzlichen Regelung. Parallel zum Gesetzgebungsverfahren sollten entsprechende Planstellen in den Haushalten für die Folgejahre hinterlegt werden, sodass der hoheitliche Personalauf bau nicht verzögert wird. Auf Basis des Gesetzes kann dann die technische Systemarchitektur ausgeschrieben werden. Zugleich erfolgt der Auf bau organisatorischer Strukturen, vermutlich über eine Landesanstalt, da diese eine sinnvolle Flexibilität mitbringt. Mit Hilfe eines Wegekostengutachtens lassen sich die Infrastrukturkosten abschätzen und den Mauttarifen zugrunde legen. Wenn die organisatorischen Prozesse sowie die technischen Systeme ausreichend getestet und auf den Straßen die notwendigen Kontrolleinrichtungen aufgebaut sind kann das System scharf geschaltet werden. Während der Auf bauphase ist die zielgruppenspezifische Kommunikation in Richtung der Verbände und der Bevölkerung sowie der Transportunternehmen und des Fahrpersonals wichtig. Fazit zur Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen Die digitale Landes-Lkw-Maut bietet eine faire und verursachergerechte Finanzierung, sie hat zudem eine klare Umweltwirkung. Sie liefert verlässliche Einnahmen für den Erhalt und Ausbau regionaler Straßennetze, fördert klimafreundliche Technologien und ermöglicht eine datenbasierte Verkehrssteuerung. Durch modulare Systemarchitektur, EU-rechtliche Grundlagen und pragmatische Governance-Modelle ist eine stringente Umsetzung möglich. Ein solch modular konzipiertes System kann von einem Land auf andere Regionen übertragen werden. Bereits vorhandene Organisationsstrukturen der Länder können weiterentwickelt werden, um die neuen Aufgaben effizient abzuwickeln. Offene und standardisierte Schnittstellen ermöglichen die Interoperabilität mit bundesweiten und internationalen Mautsystemen, etwa in Österreich oder der Schweiz. So entsteht ein föderales Mautnetz, das regionale Besonderheiten wahrt und gleichzeitig einen einheitlichen Nutzerkomfort bietet, beispielsweise durch dieselbe On-Board-Unit eines EETS-Providers. Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg kann weitere interessierte Bundesländer bei entsprechenden Überlegungen auch ressourcenschonend unterstützen. Es besteht keine Notwendigkeit, das Rad neu zu erfinden, da ein Gesetzesentwurf, die Prozessbeschreibung und sogar ein Kommunikationskonzept bereits fertig ausgearbeitet sind. Erfolgsentscheidend ist ein integrierter Ansatz: Politik, Verwaltung und Wirtschaft müssen von Anfang an eingebunden werden. Transparente Kommunikation, zweckgebundene Mittelverwendung und aktive Stakeholder-Dialoge bilden das Fundament für Vertrauen und Akzeptanz. Für eine langfristig sichere Finanzierung des Verkehrssystems ist jetzt der richtige Moment, den nächsten Schritt zu gehen - für eine leistungsfähige, nachhaltige und zukunftsorientierte Mobilität unserer Regionen. ▪ Eingangsabbildung: © Stuttgart Airport Dr. Wolf Engelbach, Referatsleiter „Grundsatz, Mobilitätsrecht, Europa“ im Ministerium für Verkehr Baden- Württemberg Wolf.Engelbach@vm.bwl.de Torsten Liebig, Referent für europäische Angelegenheiten und Fachkräftesicherung im Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Torsten.Liebig@vm.bwl.de Finanzierung FORUM DOI: 10.24053/ IV-2025-0053 Internationales Verkehrswesen (77) 3 ǀ 2025 79
