eJournals Italienisch 43/85

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2021-0001
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2021
4385 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Fremde Freunde - Fragile Freundschaft

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2021
Ludwig Fesenmeier
ita43850001
1 DOI 10.24053/ Ital-2021-0001 Fremde Freunde - Fragile Freundschaft Das Jahr 2020 wird wohl als das Jahr der Corona-Krise in das kollektive Gedächtnis eingehen und in diesem Zusammenhang vielleicht auch als eines, das alles andere als eine Sternstunde der deutsch-italienischen Beziehungen war: «La Germania ‘soffoca’ l’Italia» hieß es am 13� März 2020 in einer italienischen Zeitung vor dem Hintergrund des zunächst verhängten (und glücklicherweise nur kurz gültigen) Exportstopps für medizinische Schutzausrüstung� Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme (überdies in einer «stampa più vicina all’area sovranista», wie man in La Repubblica kommentierte), und wenig Beachtung dürfte auch ein Beitrag Paolo Magris vom Istituto per gli Studi di Politica Internazionale gefunden haben, der von Ende Februar 2020 stammt und mit «Coronavirus: vietato l’ingresso agli italiani» überschrieben ist� Magri thematisiert darin coronabedingte Mobilitätsbeschränkungen und lädt ein zu einem Verhalten mit Augenmaß: «Adelante con juicio, senza isterie e possibilmente senza troppi cartelli ‘vietato l’ingresso’ che ci riportano ad un passato che seppelliremmo con molto piacere»� Die Formulierung vietato l’ingresso (agli italiani) verweist dabei ausdrücklich auf «cartelli [che] facevano parte dell’arredo urbano di alcune città» - gemeint sind deutsche Städte in den 1960er Jahren, als man dort Schilder sehen konnte (zu Beginn des Beitrags steht ein solches im Hintergrund), auf denen stand «Proibito rigorosamente l’ingresso agli Italiani - Eintritt für Italiener verboten! »� «Während die Italiener in den sechziger Jahren noch den Prototyp des temperamentvollen und unzuverlässigen ‘Südländers’ darstellten und als gefährliche ‘Messerstecher’ und ‘Frauenhelden’ galten, sind sie im heutigen Deutschland die Vertreter eines bewunderten ‘italienischen Lebensstils’�» Oliver Janz und Roberto Sala führen diese Veränderung in der Wahrnehmung auf die politische und wirtschaftliche Entwicklung Italiens zurück, und dann muss die Bewunderung wirklich groß sein: Italien ist - ebenso wie Deutschland - Nettozahler in der EU, und wenn Deutschland bei der Industrieproduktion im europäischen Vergleich auch ganz vorne liegt, nimmt Italien doch (wenngleich mit sich vergrößerndem Abstand) Platz zwei ein� Nun könnte man auf den - womöglich naheliegenden - Gedanken kommen, Bewunderung generiere systematischeres Interesse an ihrem Gegenstand, und dies gilt zweifellos und schon lange für die addetti ai lavori im politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Betrieb, aber die Ergebnisse einer aktuellen Meinungsumfrage zu den «deutsch-italienischen Beziehungen» im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung sind eher ernüchternd: Zwar haben «die deutschen Befragten in ihrer übergroßen Mehrheit und meist mehrfach Italien schon be- Fremde Freunde - Fragile Freundschaft 2 reist» (umgekehrt gilt das nicht), doch die Sicht auf Land und Leute sei «von althergebrachten Stereotypen geprägt», heißt es im Fazit� Gleichwohl gibt es Indizien, dass «ein stärkerer persönlicher Kontakt mit dem jeweils anderen Land» dazu beitragen kann, das Bild zu korrigieren und «zu einer geringeren negativen oder stärkeren positiven Stereotypisierung führt»: Vergleicht man die Angaben zu der Frage ‘Welche Begriffe beschreiben am ehesten die Menschen und ihre Mentalität? ’ in der genannten und einer analogen Umfrage aus dem Jahr 2016, kann man durchaus erstaunliche Unterschiede feststellen… Die in der Überschrift aufgegriffenen Formulierungen greifen - in chronologischer Folge - die Titel der beiden Umfragen auf� Ob man zwischen Fremde Freunde und Fragile Freundschaft eine Entwicklung sehen kann, sei dahingestellt - auf jeden Fall ist bezüglich des Wissens um die jeweils anderen und dessen Vermittlung in einer breit(er)en Öffentlichkeit noch viel zu tun� Packen wir’s an! Ludwig Fesenmeier