Italienisch
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Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2021-0024
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttCaterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828)
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Claudia Jacobi
Il contributo propone per la prima volta una traduzione in tedesco dell’Inno alla Morte (1828) di Caterina Franceschi Ferrucci (1803–1887), scrittrice e intellettuale dimenticata dalla tradizione storico-letteraria italiana. Nel commento si evidenzia come, a partire da una visione dantesca del paradiso di un io lirico femminile, l’autrice crei un’immagine estremamente progressista della donna, agli antipodi della rigidità morale dell’immagine femminile che espone nei suoi scritti teorici e pedagogici.
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CLAUDIA JACOBI Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Caterina Franceschi Ferrucci (1803 − 1887) war eine zu ihrer Zeit aktiv am Tagesgeschehen teilnehmende Autorin und Intellektuelle, die von so namhaften Persönlichkeiten wie Giacomo Leopardi, Alessandro Manzoni und Vincenzo Gioberti geschätzt und rezipiert wurde. Im Jahr 1838 hielt sie Vorlesungen zur italienischen Literatur an der Universität Genf und 1871 wurde sie als erste Frau in die Accademia della Crusca aufgenommen. Ihr von der Literaturgeschichtsschreibung schändlich vernachlässigtes Werk umfasst literarische, sozio-politische und patriotische Traktate sowie Schriften zur Mädchenerziehung und eine umfangreiche Gedichtproduktion. Den hier erstmals ins Deutsche übertragenen Inno alla Morte stellte Franceschi Ferrucci 1828 vor der Accademia dei Felsinei in Bologna vor und publizierte ihn noch im selben Jahr mit anderen Hymnen (Inno al sole, All ’ armonia) bei der Stamperia delle Muse in Bologna. 1873 nahm sie den Text schließlich mit leichten Änderungen in ihre bei Le Monnier in Florenz gedruckte Gedichtsammlung Prose e versi auf. Das Gedicht gliedert sich in vier Abschnitte: Nach der einleitenden Darstellung des Höhenflugs einer weiblichen Seele 1 ins Paradies (I. Teil, vv. 7 − 24) beschreibt das lyrische Ich die Auswirkungen des Todes auf den irdischen Naturkreislauf (II. Teil, vv. 25 - 54), präsentiert Erklärungsmodelle zur Entstehung und Entwicklung der Welt (III. Teil, vv. 55 - 102) sowie schließlich eine Vision des Jüngsten Gerichts (IV. Teil, vv. 103 - 133). Bemerkenswert ist, dass diese in der Tradition Dantes stehende Paradiesvision eines weiblichen lyrischen Ichs Franceschi Ferrucci dazu dient, ein dem sittenstrengen Weiblichkeitsideal ihrer theoretischen und pädagogischen Schriften diametral entgegengesetztes Frauenbild zu entwerfen: Während sie die Frau in ihren Schriften zur Mädchenerziehung aufgrund der ‘ Schwäche ihres Geistes ’ auf ihre Rolle als Hausfrau, Ehefrau und Mutter reduziert, deren einzige soziale Funktion darin bestehen solle, ihre Kinder im Sinne der Werte des Risorgimento zu DOI 10.24053/ Ital-2021-0024 1 Der Sexus der Sprecherinstanz wird erst in den letzten Versen explizit («A me misera», v. 129). 63 vaterlandstreuen Patrioten und Katholiken zu erziehen, 2 präsentiert der Inno alla morte ein selbstbewusstes weibliches Ich, das seine Paradiesvision mit gelehrten Reminiszenzen an die antiken Literaturen sowie Dantes Commedia spickt und sich mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit in eine bis auf die Antike zurückreichende männlich geprägte literarische Tradition einschreibt. Damit präsentiert Franceschi Ferrucci ein hochgebildetes Dichterinnen-Ich, das für sich die Rolle der visionären Prophetin beansprucht, die den Leser in die Geheimnisse des Paradieses einweiht. Der Höhenflug der Dichterinnenseele ins Paradies kann demnach als Streben nach intellektueller Freiheit und literarischem Ruhm gelesen werden. 3 2 Vgl. z. B. «[. . .] io lodo che sia coltivata con cura la nostra mente, purché gli studi femminili vengano sempre rivolti ad un fine di pratica utilità, cioè a farne atte ad amare e a bene adempire i nostri doveri. Inoltre io credo che la buona coltura data all ’ ingegno abbia virtù di fare buoni affetti e costumi» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XXXI); «Perché dovremo noi invidiare agli uomini i loro faticosi guadagni, gli onori sovente mal dispensati, le dignità ai migliori spesso contese, quando nell ’ innocente sorriso dei nostri figli, nella bontà dei loro costumi, nel profitto fatto da essi nei loro studii, nel tenero e riverente amore che hanno per noi, abbiamo alle nostre cure una ricompensa che niun ’ altra di lei più grande o più bella possiamo su questa terra desiderare? Ed in vero chi è più felice di quella donna, che ha buoni figliuoli e marito buono? E che questi sia tale, da noi dipende. Che se la donna bada con diligenza alla casa, attende a bene educare i figliuoli, se in lei sia mansueta pazienza, dolcezza non mai alterata nei modi e nel favellare, docilità e sommissione, il marito avrà certamente per essa rispetto e amore uguali alle virtù sue [. . .]» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XXVIII). 3 Dazu ausführlich: Jacobi 2021, S. 90 − 109. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 64 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) O voi che, 4 senza speme, in lungo pianto Movete il passo in questa valle oscura, 5 3 A me intorno venite, io per voi canto: 6 Oh Ihr, die ihr ohne Hoffnung, in ewigen Tränen, fortschreitet in diesem dunklen Tal, versammelt Euch um mich herum, ich singe für Euch. E canterò di lei, che d ’ ogni cura L ’ anima solve quando la francheggia 6 Il forte usbergo del sentirsi pura. 7 Und ich werde von demjenigen singen, der die Seele von jedem Kummer befreit, wenn der feste Panzer der Reinheit sie wappnet. Perocchè morte dall ’ umana greggia Lei ritraendo le dischiude il varco 9 Dell ’ alto Olimpo 8 alla stellata reggia, Weil er, der Tod, sie herausnimmt aus der menschlichen Herde und ihr so die Schwelle öffnet vom hohen Olymp zum bestirnten Reich, Sì che disciolta dal terreno incarco Vola per l ’ aere, come dardo suole 12 Che si dilegua rapido dall ’ arco. sodass sie, befreit vom irdischen Ballast durch die Lüfte schwebt, gleich einem Pfeil, der schnell vom Bogen sich löst und verschwindet. 4 Vgl. das Incipit des zweiten Gesanges des Paradiso («O voi che siete in piccioletta barca [. . .]», Par. II, vv. 1 − 9), in dem Dante die Neuartigkeit, Komplexität und Originalität seiner von den Göttern inspirierten Paradiesvision hervorhebt. In ihren theoretischen Schriften betont Franceschi Ferrucci immer wieder, das Paradiso sei die komplexeste und beeindruckendste Cantica der gesamten Commedia: Hier behandle Dante ‘ theologische und philosophische Wahrheiten ’ , die Franceschi Ferrucci als ‘ Beweis ’ für Dantes ‘ übermenschlichen Geist ’ auffasst (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 226). Im Inno alla Morte übernimmt das weibliche lyrische Ich selbstbewusst das ambitionierte Vorhaben der Paradiesvision, was ganz im Gegensatz zu den Bescheidenheitstopoi ihrer theoretischen Schriften steht: «Ho però detto altre volte, e qui lo ripeto, che ne ’ miei studii non entra nè vanità nè ambizione» (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 366). 5 Vgl. Dantes Beschreibung des Hölleneingangs und Höllentores: «la valle d ’ abisso dolorosa/ [. . .] Oscura e profonda» (Inf. III, vv. 8 − 12), «Lasciate ogni speranza» (Inf., III, v. 9). Vgl. auch Canto XXIX, vv. 64 − 66: « - Si ristoràr di seme di formiche; / Ch ’ era a veder per quella oscura valle/ Languir li spirti per diverse biche». 6 Das weibliche lyrische Ich nimmt hier die traditionell männlich konnotierte Rolle des antiken Epensängers ein, verzichtet dabei aber bemerkenswerterweise auf die im antiken Proömium topisch verankerten Musenaufrufe und Bescheidenheitstopoi, die in Franceschi Ferruccis theoretischen Schriften leitmotivisch präsent sind (vgl. z. B. Franceschi Ferrucci 2021, S. 367 − 388). 7 Vgl. Dante: «la buona compagnia che l ’ uom francheggia/ sotto l ’ asbergo del sentirsi pura» (Inf. XXVIII, v. 117). 8 Vgl. Dante: «La mia sorella, che tra bella e buona/ Non so qual fosse più, triunfa lieta/ Nell ’ alto Olimpo già di sua corona» (Purg. XXIV, vv. 13 − 15). Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 65 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) E passati que ’ cieli, ove carole Intreccian gli astri, e in cui suona l ’ alterna 15 Armonia delle sfere, 9 entra nel sole: Und jenseits jener Himmel, in denen Tänze und Gesänge die Sterne miteinander verbinden und in denen die Sphärenharmonie erklingt, betritt sie die Sonne: In esso l ’ occhio disioso interna, Mira quel mar di luce e di colori, 18 Vede senza ombra ogni bellezza eterna, In sie dringt das begierige Auge ein, schaut jenes Meer aus Licht und Farbe, sieht ohne Schatten alle ewige Schönheit. E accolta poscia in tra i perpetui fiori 10 Di quel giardin, che tutto ride intorno 21 Alla letizia de ’ celesti cori, Empfangen dann zwischen den ewigen Blüten jenes Gartens, wo alles lacht rings um die Wonne der himmlischen Chöre, Gioisce e grida: - Benedetto il giorno Che a libertà mi rese, e benedetta 24 Morte, se ’ tu: chè a Dio per te ritorno. - frohlockt und ruft sie: - Gepriesen sei der Tag, Der mir die Freiheit brachte, und gepriesen, Tod, seist Du: zu Gott kehre ich durch dich zurück. - E certo solo alla turba dispetta 11 Che si pasce d ’ errore alta paura 27 Solo al nome di morte in cor s ’ alletta. Gewiss erfüllt sich nur den verächtlichen Scharen, die an Irrtum sich weiden, mit Angst das Herz, sobald sie auch nur den Namen des Todes hören. Ma quei, che dietro al ver drizzò sua cura, Non si turba per lei, mente non muta, 30 Perchè ben sa, che questa di natura Doch der, der stets nach dem Wahren gestrebt hat, lässt sich von ihm nicht beirren, er wandelt seine Gesinnung nicht, weil er weiß, dass der Tod von Natur aus L ’ eterne leggi eternamente aiuta; Sa, che le cose in che stende sua possa 33 Non distrugge quaggiù, ma le trasmuta. den ewigen Gesetzen auf ewig hilft; er weiß, dass der Tod jene Dinge, auf die er seine Macht ausbreitet, hier unten nicht zerstört, sondern verwandelt. 9 Vgl. die auf Pythagoras zurückgehende Vorstellung der Sphärenharmonie, der zufolge die Abstände zwischen den Planeten auf musikalischen Intervallen beruhen. In ihren Vorlesungen über die italienische Literaturgeschichte betonte Franceschi Ferrucci den Einfluss dieser Theorie auf Platon und Dante (Franceschi Ferrucci 1873, S. 119 − 121). 10 Vgl. Dantes Paradiesbeschreibung: «O perpetui fiori/ Dell ’ etterna letizia, che per uno/ Parer mi fate tutti i vostri odori [. . .]» (Par. XIX, vv. 22 − 24). Auch die Lichtmetaphorik, der Engelsgesang und das Lächeln der Seligen sind bekannte Motive aus Dantes Paradiso. In ihren Vorlesungen über die italienische Literatur verwendet Franceschi Ferrucci dieselbe Harmonie- und Lichtmetaphorik, um die Vorstellungskraft des Dichters zu beschreiben (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. XVI). Der Höhenflug der Seele kann somit als metapoetische Reflexion über den Schreibakt gelesen werden. 11 Vgl. Dante: «O cacciati del ciel, gente dispetta» (Inf. IX, v. 91). Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 66 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Onde se chiuso giacque in poca fossa, 12 Robusto tauro, onor del bianco armento, 36 Esce poi da quel sangue e da quelle ossa Dort, wo gefangen lag in kleiner Grube der kräftige Stier, Ehre der weißen Herde, entsteht sodann aus jenem Blut und jenen Knochen Un nuvol d ’ api, ch ’ or con mover lento Desta lieve susurro, or nelle sponde 39 D ’ un fiumicel simile a puro argento ein Bienenschwarm, der langsam sich fortbewegt mit sanftem Summen und am Ufer eines Flüsschens wie aus klarem Silber Liba l ’ apio e la persa, o sulle fronde Nel rio cadute, mentre il vento tace, 42 Sta posato nuotando in mezzo all ’ onde. nippt an der Glyzine und dem Majoran, oder verweilt auf dem ins Wasser rankenden Laubwerk, bei schweigendem Wind, und schwimmt durch die Wellen. E dalla terra ove sepolta giace La spoglia di pudica verginella 45 Tu vedi l ’ erba germogliar vivace; Und aus der Erde, in der begraben liegt der Leichnam einer schamhaften Jungfer, siehst Du das Gras lebhaft hervorsprießen; Crescervi miri alla stagion novella Rose, gigli, viole ed ogni fiore, 48 Di che Zefiro lieve i campi abbella. wachsen siehst Du in der neuen Jahreszeit Rosen, Lilien, Veilchen und jede Blume, durch die Zephyr die Felder sanft verziert. Onde il garzon, che nel soave amore Di quella onesta si tenea beato, 51 Meraviglia ai fior nuovi, al grato odore; Wo der Jüngling, der in der sanften Liebe der Ehrbaren schwelgte, die neuen Blumen und deren lieblichen Duft bewundert; E per un dolce error del volto amato Crede in essi veder le fresche rose, 54 E lo spiro sentir del molle fiato. Und durch einen süßen Irrtum glaubt er in ihnen die frischen Rosen des geliebten Antlitzes zu sehen, und den Hauch zu spüren des schwachen Atems. O sacra Morte, poichè Dio ti pose A tramutar quant ’ è sotto la luna, 57 Tu volvi a posta tua le umane cose. Oh, heiliger Tod, da Gott Dich erwählte zu walten über all das, was unter dem Mond geschieht, bestimmst Du über die menschlichen Dinge. Cedon dinanzi a te tempo e fortuna: Quel che nel mondo a meraviglia invita 60 Tutto nel regno tuo ratto s ’ aduna. Bei Deinem Anblick weichen Zeit und Glück: Das, was auf Erden zum Staunen anregt, versammelt sich alsbald in Deinem Reiche. 12 Vgl. Vergils Georgica, Buch IV (37 − 30 V. Chr.). In der sog. Aristaeus-Erzählung beschreibt Vergil den ewigen Erneuerungskreislauf der Natur, anhand der Entstehung von Bienen aus Tierleichen. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 67 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) E pria che fosse fuor del nulla uscita Codesta opaca mole, ad altre genti 63 Tu furasti le dolci aure di vita. Und noch bevor aus dem Nichts diese glanzlose Erdmasse entstand, raubtest Du Anderen den süßen Anhauch des Lebens. Chè allor del cielo pe ’ campi lucenti Rotavano altri soli ed altre stelle 66 Più delle nostre di bel fuoco ardenti. Damals kreisten durch die leuchtenden Felder des Himmels andre Sonnen und andre Sterne, die mehr noch als die unseren in schönem Feuer glühten. Ivi eran terre più felici, e in quelle 13 Senza il pronto mutar di state o verno 69 Sempre liete ridean l ’ erbe novelle. Es waren glücklichere Welten, in denen ohne den stetigen Wechsel von Sommer und Winter die jungen Kräuter stets fröhlich lachten. Nè l ’ uom dell ’ uomo vi fèa mal governo, Non v ’ eran tristi al bene oprare avversi, 72 Chè pace vi regnava e amore eterno. Der Mensch misshandelte den Menschen nicht, keiner widersetzte sich dem guten Handeln, Frieden herrschte und ewige Liebe. Pur tutti, o Morte, in Caos conversi Da te furon que ’ mondi: altri col fuoco 75 Consunti ed altri nell ’ acqua sommersi. Doch stürztest Du, oh Tod, ins Chaos all diese Welten: manche vom Feuer verzehrt, andere im Wasser versunken. Onde se alcun poggiar potesse al loco, Dov ’ eran tante terre, in fra gl ’ immensi 78 Spazi dell ’ aere sol v ’ udrebbe il roco Könnte jemand an die Stelle treten, wo so viele Erdkugeln waren, dort, zwischen den ewigen Weiten der Lüfte, würde er nur das raue Mugghiar de flutti, sol vedria condensi Globi di tetro fumo e di faville, 81 Monti di fiamme orribilmente accensi. Brüllen der Wogen hören, nur dichte Bälle aus finsterem Rauch und Funken sehen, Berge aus grauenhaft lodernden Flammen. Indi poi nacquer mille soli e mille Stelle, che roteando in lor viaggio 84 Fanno meravigliar nostre pupille. Daraus entstanden tausend Sonnen und tausend Sterne, die auf ihrer Umlaufbahn kreisend unsere Pupillen in Staunen versetzen. Risursero altre terre e al nuovo raggio Stupîr del sole, si diffuse il mare, 87 Destò i fiori la mite aura di maggio. Andere Planeten entstanden und staunten beim neuen Strahl der Sonne, das Meer erquoll, die sanfte Mailuft erweckte die Blumen. 13 In vv. 67 ff. baut Franceschi Ferrucci ihre eigene prähistorische Utopie auf Vergils Vorstellung des Elysions, eines mit eigenen Sonnen und Sternen ausgestatteten Ortes des ewigen Frühlings in der Unterwelt auf. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 68 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Rari volaron gli augelletti e rare 14 Pe ’ boschi ignoti gian le belve errando, 90 Ed i pesci guizzâr tra l ’ acque chiare. Wenige Vöglein flogen und wenige Tiere irrten in unbekannten Wäldern umher und die Fische schwammen in den klaren Gewässern. Poscia le piante e gli animali amando, Come l ’ instinto natural gl ’ invita, 93 Moltiplicârsi, e in ordine ammirando Sodann vermehrten sich die Pflanzen und Tiere durch die Liebe, wie der natürliche Instinkt es verlangt, bevölkerten sie in bewundernswerter Ordnung Tutto empirono il suolo, ed ebber vita Ancor ne ’ lidi più dal sol remoti, 96 Fin nella terra più da noi partita. die ganze Erde, und lebten gar noch in den von der Sonne entferntesten Gestaden, bis hin zu den von uns am weitesten entfernten Orten. Ma pur non fia che eternamente roti Ogni pianeta al maggior astro intorno, 99 Chè anco i rinati mondi a te devoti Dennoch wird nicht jeder Planet ewig um den größten aller Sterne kreisen, denn auch die neu geborenen Welten werden Dir Saranno, o Morte, e in quel tremendo giorno Quanto per mente o per occhio si mira 102 Al gran vuoto, onde uscì, farà ritorno. ergeben sein, oh Tod, und an diesem furchtbaren Tage wird all das, was man mit dem Geiste oder den Augen sieht, in die große Leere, aus der es einst hervorkam, zurückkehren. Ahi già nell ’ intelletto mi si gira Tutto l ’ orror della ruina estrema, 105 Veggo quell ’ ora di spavento e d ’ ira! 15 Oh, im Geiste vernehme ich bereits das ganze Grauen der äußersten Zerstörung, ich sehe jene Stunde des Schreckens und des Zorns! Di già parmi sentir, che l ’ aura trema, Treman le terre abbandonate e sole, 108 E ruinando giù dalla suprema Bereits meine ich zu spüren, dass die Luft bebt, es beben die allein zurückgelassenen Böden, und vom höchsten Firmament 14 VV. 88 − 96: vgl. in groben Zügen die biblische Schöpfungsgeschichte in sieben Tagen: nach der Erschaffung der Sonne, der Erde und des Meeres bevölkern Pflanzen, Vögel, Fische und andere Tiere die Erde (Genesis 1, 1 − 31). Bezeichnenderweise findet der Schöpfergott bei Franceschi Ferrucci jedoch keine Erwähnung. Ihre Kosmogonie beruft sich damit weder vollständig auf die Genesis noch auf antike Modelle wie etwa Hesiods Theogonie (~700 v. Chr.). Die Autorin entwirft ihr eigenes, von ihrem naturwissenschaftlichem Interesse an den unterschiedlichen Erdzeitaltern geprägtes, kosmogonisches Modell. Damit macht sich Franceschi Ferrucci selbstbewusst einen Themenkomplex zu eigen, den sie in ihren theoretischen Schriften neben der Paradiesvision als das schwerste und ambitionierteste Dichtungsprojekt bezeichnet (Franceschi Ferrucci 1873 a, S. 123). 15 Das Wortfeld des Zorns weist intertextuelle Bezüge zum in der Liturgie des 19. Jahrhunderts besonders populären mittelalterlichen Hymnus Dies irae über das Jüngste Gericht auf, so z. B. die Vorstellung der Zerstörung der Welt durch Flammen und des hinter den Wolken hervortretenden richtenden Gottes. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 69 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Vòlta cadono gli astri, e svelto il sole Dall ’ igneo trono nell ’ abisso piomba, 111 Ed arde e strugge la terrestre mole. fallen gewaltvoll die Sterne, und schnell stürzt die Sonne von ihrem lodernden Thron in den Abgrund, und brennt und zerstört die Erdmasse. Destati al suon dell ’ angelica tromba Surgono i morti, e paurosi e lenti 114 Lascian la pace dell ’ antica tomba. Erweckt vom Klang der Engelsposaune erheben sich die Toten und ängstlich und langsam verlassen sie den Frieden des Grabes. Poi va ciascuno ove su nubi ardenti Posa l ’ Eterno, e giudica e discerne 117 Colpe e virtù nelle risorte genti. Dann geht jeder dahin, wo der Allmächtige auf glühenden Wolken weilt, und richtet und waltet über Schuld und Tugend der Wiederauferstandenen. Onde giù caccia nelle bolge inferne 16 Gli spirti maledetti, e chiama il santo 121 Coro de ’ giusti alle dolcezze eterne. Und nach unten in die Höllengräben jagt er die verdammten Seelen, und ruft den heiligen Chor der Gerechten zur ewigen Süße herbei. Sciolgono allor gli eletti un lieto canto; Ma l ’ aere assorda quello stuol dannato 124 Con orribili voci e strida e pianto. 17 So stimmen die Auserwählten einen fröhlichen Gesang an; doch jene verdammte Schar betäubt die Luft mit grausigen Stimmen und Gezeter und Tränen. O pietoso Signor, tu che campato N ’ hai da ruina, e del primo parente 127 Col tuo sangue lavasti il gran peccato, Oh, barmherziger Herr, der Du uns vom Unglück befreit hast, und des ersten Verwandten mit Deinem Blute die große Sünde reinwuschest, Nel dì dell ’ ira tua volgi clemente A me misera il guardo, e da ’ martiri 130 Deh! mi salva del secolo dolente. 18 am Tage Deines Zorns richte Deinen Blick gnädig auf mich Erbärmliche, und von den Qualen des schmerzvollen Jahrhunderts - bitte ich Dich! - mich zu befreien. 16 Die Dies irae-Reminiszenzen verschwimmen mit Verweisen auf Dantes Jenseitsvision. Franceschi Ferrucci ersetzt beispielsweise die Vorstellung einer glühenden Hölle durch das danteske Bild der Höllengräben, in denen Dante die Betrüger bestraft. 17 Vgl. Dante: «Quivi sospiri, pianti ed alti guai/ Risonavan per l ’ aer senza stelle,/ Perch ’ io al cominciar ne lagrimai» (Inf. III, vv. 22 − 24). 18 Vgl. Dantes Höllenbeschreibungen als «città dolente» (Inf. III, v. 1), «dolente strada» (Inf. XXVIII, v. 40), «dolente regno» (Purg. VII, v. 22). Im Gegensatz zur ewigen Verdammung der Sünder des Inferno äußert das lyrische Ich hier jedoch die Hoffnung aus dem «secolo dolente» befreit zu werden und im Sinne von Horaz ’ Exegi monumentum aere perennius mit ihrer Dichtung literarischen Ruhm zu erlangen. Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) Claudia Jacobi 70 Inno alla Morte (1828) Hymne an den Tod (1828) Teco mi traggi ne ’ superni giri Alla letizia di tua santa Corte, 133 Ond ’ io, quetando in Te tutti i desiri, Trag ’ mich mit Dir in die hohen Kreise, in die Seligkeit Deines heiligen Hofes, wo ich all meine Wünsche in Dir stillend, M ’ allegri e possa benedir la morte. frohlocke und den Tod loben kann. Abstract. Il contributo propone per la prima volta una traduzione in tedesco dell ’ Inno alla Morte (1828) di Caterina Franceschi Ferrucci (1803 - 1887), scrittrice e intellettuale dimenticata dalla tradizione storico-letteraria italiana. Nel commento si evidenzia come, a partire da una visione dantesca del paradiso di un io lirico femminile, l ’ autrice crei un ’ immagine estremamente progressista della donna, agli antipodi della rigidità morale dell ’ immagine femminile che espone nei suoi scritti teorici e pedagogici. Summary. This contribution presents the first German translation of the Inno alla Morte (1828) by Caterina Franceschi Ferrucci (1803 - 1887), an Italian writer and intellectual who has been inexplicably neglected by Italian literary tradition. The commentary shows that the author ’ s dantesque vision of paradise, narrated by a female lyrical I, creates a progressive image of women which is diametrically opposed to the morally strict ideal of femininity of her own theoretical and pedagogical writings. Bibliographie Franceschi Ferrucci, Caterina: I primi quattro secoli della letteratura italiana. Seconda edizione riveduta e corretta, Firenze: Successori Le Monnier, vol. I, 1873 a. Franceschi Ferrucci, Caterina: Prose e versi, Firenze: Successori Le Monnier, 1873 b. Franceschi Ferrucci, Caterina: «L ’ état actuel de la Poésie en Italie» [1838], in: Jacobi, Claudia, Mythopoétiques dantesques - une étude intermédiale sur l ’ Italie, la France et l ’ Espagne (1766 - 1897), Straßburg: ELiPhi, 2021, S. 367 - 378. Jacobi, Claudia: «L ’ ascension au paradis comme envol vers la gloire littéraire féminine: L ’ Inno alla morte (1828) de Caterina Franceschi Ferrucci», in: Jacobi, Claudia: Mythopoétiques dantesques - une étude intermédiale sur l ’ Italie, la France et l ’ Espagne (1766 - 1897), Straßburg: ELiPhi, 2021, S. 90 - 109. Claudia Jacobi Caterina Franceschi Ferruccis Inno alla Morte (1828) 71
