Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2022-0008
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttPhraseologie, Polysemie und Pragmatik im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens - zur Kreativität und Effizienz im Umgang mit focuzioni idiomatiche
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Elmar Schafroth
Le locuzioni idiomatiche hanno un notevole potenziale semantico e pragmatico che è rimasto nascosto in tutte le descrizioni lessicografiche precedenti, almeno per quanto riguarda le locuzioni idiomatiche verbali dell’italiano. L’articolo mira a mostrare che un approccio olistico e basato sui corpora, che esamina sistematicamente tutti i livelli linguistici, può aiutare a scoprire non solo Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 98 le caratteristiche semantiche e pragmatiche ma anche sintattiche (ad esempio le valenze) di ogni locuzione, come risulta dal progetto di ricerca Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen (GEPHRI), in italiano Fraseologia italiana basata sull’uso. Il capitolo 1 offre una breve panoramica dello stato della ricerca sull’uso dei fraseologismi nel discorso pubblico e politico. Il capitolo 2 spiega le caratteristiche generali della categoria fraseologica delle locuzioni idiomatiche verbali. Il capitolo 3 introduce il progetto (3.1) e approfondisce i corpora dell’italiano sottostanti (3.2). Il cap. 4 illustra alcune peculiarità semantiche e pragmatiche delle locuzioni idiomatiche verbali nell’uso pubblico della lingua, come potevano essere raccolte nel quadro del progetto GEPHRI. Il capitolo 5 trae una breve conclusione.
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ELMAR SCHAFROTH Phraseologie, Polysemie und Pragmatik im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens — zur Kreativität und Effizienz im Umgang mit locuzioni idiomatiche In diesem Beitrag geht es darum, das semantische und pragmatische Potenzial idiomatischer Wendungen 1 am Beispiel des öffentlichen Sprachgebrauchs in Italien, insbesondere im politischen Kontext, näher in Augenschein zu nehmen. Dass phraseologische Ausdrücke beliebte «sprachlich vorgeformte Phänomene» (Stein/ Stumpf 2019: 18) sind, wurde gerade in den letzten Jahrzehnten durch den Wiederaufschwung der Phraseologie und ihre fruchtbaren Verbindungen mit der Konstruktionsgrammatik, kognitiven Linguistik und Korpuslinguistik ins Bewusstsein der Sprachwissenschaft gerückt (vgl. Fellbaum 2007, Stumpf 2015, Ziem 2018). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phraseologie geht bekanntlich mindestens in die Zeit von Michel Bréal und Charles Bally zurück, die lexikographische Erfassung von Phrasemen ist jedoch so alt wie die Wörterbücher selbst (vgl. Fanfani 2007, Bárdosi 2017), sei es in allgemeinsprachlichen oder in Spezialwörterbüchern. Dennoch sind phraseologische Ausdrücke, besonders Idiome, in der Lexikographie in aller Regel semantisch unterspezifiziert abgehandelt worden, unter Angabe einer Art langue-Bedeutung, die zudem nur auf wenige Kontexte anwendbar ist. Eine kontextsensitive Beschreibung, die am Ende in vielen Fällen das Ergebnis einer Polysemie idiomatischer Wendungen nach sich gezogen hätte, war und ist aus diversen Gründen nicht im Interesse der Wörterbuchredaktionen und -verlage. Nichtsdestotrotz ist genau das der Normalfall in DOI 10.24053/ Ital-2022-0008 1 Locuzioni idiomatiche, hier auch als Idiome oder idiomatische Wendungen bezeichnet (vgl. Lüger 1999, Burger et al. 2007), sind eine Unterklasse von Phrasemen (oder phraseologischen Ausdrücken/ Einheiten/ Verbindungen). Letztere haben insgesamt einen beträchtlichen Anteil am Wortschatz (vgl. z. B. Fillmore/ Kay/ O ’ Connor 1988) und sind durch die Merkmale ʻ Mehrgliedrigkeit ’ und ʻ (relative) strukturelle und kognitive Festigkeit ’ gekennzeichnet. Idiome, wie z. B. schräger Vogel (substantivisches Idiom), frisch gebacken (adjektivisches Idiom), durch die Bank (adverbiales Idiom), jemanden auf den Arm nehmen (verbales Idiom), weisen zudem das Merkmal der semantischen Nicht-Kompositionalität auf: Neben einer (möglichen, denkbaren oder real existierenden) wörtlichen Bedeutung gibt es eine phraseologische (idiomatische) Bedeutung, die sich nicht aus der Summe der Bedeutungen der einzelnen Konstituenten ableiten lässt und mit der ersten synchronsemantisch nur sehr wenig oder nichts zu tun hat. Eine Unterklasse der Idiome wiederum sind die verbalen Idiome (locuzioni idiomatiche verbali), die ein flektiertes Verb mit oder ohne Objekt(e) als Prädikat enthalten (vgl. Burger 2015: 33, 40 f., Fleischer 1997: 154 ff., Giacoma 2012: 30). 81 der sprachlichen Wirklichkeit, wie nicht nur phraseologische Studien (Stathi/ Hümmer 2006, Dobrovol ’ skij/ Filipenko 2009, Koesters Gensini 2013, Andree 2020) nahelegen, sondern auch die Ergebnisse der Arbeit an der phraseologischen Datenbank GEPHRI (Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen) zeigen (s. Kap. 3.1). Die Erkenntnisse aus dieser korpusbasierten Sprachgebrauchsbeschreibung haben darüber hinaus zu Tage gefördert, dass idiomatische Wendungen des Italienischen auffallend oft im politischen Kontext, zum Teil auch mit einer eigenen Bedeutungsvariante, verwendet werden. Kap. 1 gibt einen kurzen Überblick über den Forschungsstand zum Gebrauch von Phrasemen im öffentlichen und politischen Sprachgebrauch. Kap. 2 erläutert allgemeine Merkmale der phraseologischen Kategorie der verbalen Idiome. Kap. 3 stellt das genannte phraseologische Forschungsprojekt vor (3.1) und geht auf die zugrundeliegenden Sprachkorpora ein (3.2). Kap. 4 illustriert einige semantische und pragmatische Besonderheiten verbaler Idiome im öffentlichen Sprachgebrauch, wie sie im Rahmen von GEPHRI erhoben werden konnten. In Kap. 5 wird ein kurzes Fazit gezogen. 1. Phraseme im öffentlichen Sprachgebrauch und in der ‘ politischen Sprache ‘ Im Fokus der Betrachtung steht hier einerseits der Stil der politischen Rede und Debatte, die freilich in den untersuchten Texten meist zitiert oder in einer Mischung aus zitierter direkter und paraphrasierter indirekter Rede wiedergegeben werden. Zum anderen geht es um öffentlichen Sprachgebrauch zur Politik oder im Kontext der Politik, wie er sich in den Printmedien, Blogs, Foren (in ihrer digitalen oder digitalisierten Form) manifestiert. Unser Untersuchungsobjekt ist also (medienvermittelte) ‘ politische Sprache ’ , die sich mit Burkhardt (1996: 80 f.) untergliedern lässt in ‘ Sprechen über Politik ’ (z. B. Blogs, Foren) und ‘ Politiksprache ’ ( ‘ Politikersprache ’ und ‘ Sprache in der Politik ’ ). Zwischen dem Sprechen über Politik und der Politiksprache «vermittelt die Politische Mediensprache als Kommunikationsform des politischen Journalismus» (ib.: 81). In solchen Texten (des Italienischen) soll der Gebrauch von verbalen Idiomen analysiert werden, von denen anzunehmen ist, dass sie eine besondere «textbildende» Rolle spielen (Sabban 2007). 2 Diese Annahme wird durch einige germanistische Studien bekräftigt, zusammengefasst in Elspaß (2007) und Stein (2017), die zeigen, dass idiomatische Wendungen nicht nur wesentlich zum Stil 2 Genauer gesagt ist die Rede von «textbildenden Potenzen», ein Terminus, der «auf Č erny š eva (1980: 93 ff.) zurück[geht], die damit die funktionale Betrachtungsweise in die sowjetische Phraseologie einführte» (Sabban 2007: 237). Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 82 eines Textes beitragen, sondern auch zur sprecherübergreifenden und intertextuellen Kohärenz (ib.: 290), aber auch Verwechslungen und phraseologischen Fehlleistungen unterliegen. Insbesondere wird deutlich, dass Idiome durch die Kreativität der Sprecher zahlreiche aufmerksamkeitswirksame Modifikationen erfahren, die «ein Potential [haben], den Sprachgebrauch zu individuieren und die eigene Person im Text präsent werden zu lassen» (Sabban 2007: 249), «d. h. die sprachspielerische Bestätigung im Bemühen um Selbstinszenierung zu instrumentalisieren» (Stein 2017: 129). Hier kommt ein wichtiger pragmalinguistischer Aspekt ins Spiel, der in dem «Potential [der Modifikation von Phrasemen] zur indirekten Kommunikation auf der Ebene des Mitgesagten und des Suggerierten [besteht], für das der Textproduzent nicht zur Verantwortung gezogen werden kann» (Sabban 2007: 249). Pragmatisch gesehen von Interesse ist ferner die Tatsache, dass «Modifikationen [. . .] verwendet werden [können], um in der Interaktion auf gemeinsames Wissen anzuspielen und durch Aufrufen geeigneter Wissenselemente die eigene Rede konnotativ aufzuladen» (ib.). Grundsätzlich wird der politischen Rede attestiert, sie präsentiere ihre Inhalte «in einer formelhaften Sprache [. . .], die sich oft in der einfachen Wiederholung eingefahrener Wendungen erschöpft» (Ueding/ Steinbrink 2011: 183). Auf Idiome bezogen fand Elspaß (1998: 299) für das Deutsche heraus, dass «idiomatische Verbindungen aufgrund ihres hohen semantischen und bildlichen Potentials ihre stilistisch-expressive Wirkung nur durch sparsame Verwendung entfalten können», während andere phraseologische Typen, z. B. Formeln, phraseologische Vergleiche, feste Phrasen und Gemeinplätze, «angesichts ihres geringen semantischen Gehalts eine beliebig häufige Verwendung erlauben» (ib.). Was das Italienische betrifft, so fehlen einschlägige Untersuchungen zum Gebrauch von Phraseologismen (geschweige denn von verbalen Idiomen) in der politischen Sprache. 3 Es ist aber davon auszugehen, dass gerade die locuzioni idiomatiche verbali in den italienischen Printmedien der letzten Jahrzehnte diesbezüglich auffällig sind, zumal die Expressivität eines sich weitgehend etablierten stile brillante Hand in Hand zu gehen scheint mit der Zunahme umgangs- und nähesprachlicher Merkmale (Bonomi 2016: 404). 4 Ebenfalls zu 3 In den Überblicksdarstellungen zum öffentlichen bzw. politischen Sprachgebrauch von Leso (1994), Dardano (2011) und Lubello (2016) wird auf phraseologische Merkmale nicht eingegangen, in Baldi/ Savoia (2009: 138) nur am Rande: «Accanto a questi dispositivi metaforici ve ne sono altri come le forme idiomatiche, ormai grammaticalizzate, del tipo Gianni ha mangiato la foglia. In queste strutture una lettura letterale è disponibile, anche se quella metaforica è generalmente preferita». Der Terminus grammaticalizzato wäre hier erläuterungsbedürftig. 4 «La prima aspirazione del discorso pubblico è oggi lo stile brillante, la benemerita agudeza rivisitata con spirito tecnologico e mitico» (Dardano 1981: 167). Loporcaro (2006: 63) sieht in den «meccanismi di vivacizzazione» das Hauptmerkmal des stile brillante. Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 83 nennen ist die vor allem in italienischen Zeitungen praktizierte Redewiedergabetechnik des discorso indiretto libero (vgl. Loporcaro 2006: 106 - 111), «in cui le parole o il pensiero di una persona vengono riferiti dall ’ autore in forma indiretta, ma tacendo il verbo dichiarativo reggente o ponendolo in inciso, come se si avesse la citazione diretta» (Treccani). Aufgrund dieser Rahmenbedingungen, die die italienischen Zeitungen von heute charakterisieren, können wir annehmen, dass die «immer häufigeren Einschübe direkter Rede» den Gebrauch von Idiomen (auch) im politischen Kontext fördern, um so «der Leserschaft ein Gefühl emotionaler Partizipation [zu] vermitteln» (Pietrini 2021: 285). 2. Die phraseologische Kategorie der locuzioni idiomatiche (verbali) Der Gebrauch von locuzioni idiomatiche ist bekanntlich ein wirkungsvolles Mittel, um das eigene Sprechen oder Schreiben mit einer ausdrucksstarken und meist auch bildhaften Komponente lexikalisch anzureichern. Die Hauptquelle für diese Expressivität sind rhetorische Figuren, zu denen nicht nur Metapher und Metonymie zählen, sondern nebst anderen auch Hyperbel, Litotes, Alliteration und Oxymoron (vgl. Weickert 2005). Idiome stehen also für ein anderes ‘ unauffälliges ’ Wort und erfüllen damit die bereits von der antiken Rhetorik erhobene Bedingung, für Abwechslung zu sorgen, genauer gesagt zum Ornatus (Schmuck) einer Rede bzw. des Sprechens beizutragen. Denn eine zu große perspicuitas kann unangemessen wirken, das Publikum sogar unterfordern und langweilen (vgl. Lausberg 1982: 51; Schafroth 2013: 186 f.). Hinzu kommt das bemerkenswerte pragmatische Potenzial von Idiomen, insbesondere verbalen Idiomen (locuzioni idiomatiche verbali), mit denen wir uns im Folgenden beschäftigen werden. Diese stellen nämlich in der Regel indirekte Sprechakte dar, d. h. mit ihnen können Sprechhandlungen wie kritisieren, vorwerfen, auffordern, warnen etc. ausgeführt werden. So kann mit arrampicarsi sugli specchi (vetri) die Illokution des Kritisierens realisiert werden. In nicht-phraseologischer Weise kann die Bedeutung etwa so wiedergegeben werden: ‘ tentare azioni difficili o impossibili, sostenere ragioni senza fondamento ’ (Treccani). Man wird nicht umhinkommen zuzugeben, dass die idiomatische Wendung «treffender, griffiger und aussagekräftiger» (Dietz 1999: 2) ist als die genannte freie Lexemverbindung. Idiomatische Wendungen können auch den Sprechakt des Vorwurfs realisieren, wie in (1) und (2) zum Ausdruck kommt: Hier wird durch senza/ non muovere un dito das Untätigbleiben angesichts eines Verbrechens (1) bzw. die Hilfeverweigerung (2) angeklagt: 5 5 Alle nummerierten Beispiele sind Korpusbelege oder Bedeutungsparaphrasen aus GEPHRI. Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 84 (1) In commissariato se ne fanno di tutti i colori - aveva dichiarato, a sorpresa - alcuni miei colleghi, quando finiscono il turno, fanno i buttafuori nei locali notturni. La droga gli passa sotto il naso senza che muovano un dito. (La Repubblica) (2) Sono amareggiata per l ’ inqualificabile comportamento dell ’ organizzatore inglese - aggiunge Annamaria Panda - che nei giorni scorsi non ha mosso un dito per salvare mio marito. (La Repubblica) Dass verbale Idiome mitunter sogar gehäuft in einer einzigen Äußerung vorkommen können, wird in (1) deutlich, wo se ne fanno di tutti i colori (in etwa ‘ [Auf dem Kommissariat] geschehen die unmöglichsten Dinge ’ ), gli passa sotto il naso ( ‘ [Die Drogen] werden unmittelbar unter den Augen der Polizei vertickt ’ ) und senza che muovano un dito ( ‘ ohne dass sie einen Finger rühren ’ ) in konzentrierter Weise zur Bildhaftigkeit und Expressivität des Gesagten beitragen und das Gemeinte somit prägnant zuspitzen. Die Belege zeigen zudem, dass idiomatische Wendungen auch als Implikaturen aufgefasst werden können, was durch die folgenden Definitionen untermauert wird: «Unter Implikaturen versteht man Bedeutungsaspekte, die Sprecher mit ihren Äußerungen nahelegen, ohne sie wörtlich zu kommunizieren» (Finkbeiner 2015: 21); «Implikaturen sind nichtwörtliche Interpretationen von Äußerungen, wobei Letztere wörtlich gelesen keinen rechten Sinn ergeben» (Liedtke 2016: 13). Eine Äußerung wie (3) (3) Ho fatto un discorso generale, se qualcuno si arrabbia è perché ha la coda di paglia. (CORIS ) ist nur deshalb zu verstehen, weil es in der italienischen Sprachgemeinschaft konventionalisiert ist, qualcuno ha la coda di paglia zu begreifen als (4) jd. hat ein schlechtes Gewissen, ein Schuldgefühl, das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, o. Ä. und befürchtet, dass man ihm dies anmerkt oder ihn dafür kritisiert, wodurch er sich letztlich nervös oder in anderer Weise auffällig verhält (z. B. indem er hinter jeder Äußerung einen Vorwurf vermutet, sich für etw. unnötig rechtfertigt, sich auffallend passiv verhält etc.). Jede/ r kompetente Muttersprachler/ in versteht dieses Idiom, unabhängig davon, in welchem Kontext es verwendet wird. Es handelt sich also um Implikaturen. Man kann sogar noch weiter gehen und behaupten, es handle sich um eine konventionelle Implikatur. 6 Bei einer konversationellen Implikatur hingegen wäre der Sinn der Äußerung hörerseitig jedes Mal neu zu interpretieren, was 6 «Konventionelle Implikaturen sind ein Resultat der Verwendung eines Ausdrucks in Übereinstimmung mit seiner konventionellen Bedeutung, und dies unterscheidet sie von Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 85 bei idiomatischen Wendungen auf den ersten Blick keinen Sinn ergeben würde. Aber es gibt verbale Idiome, die polysem sind, deren Äußerungssinn also durchaus kontextabhängig ist, wie z.B. mangiare la foglia: (5) ‘ etw. durchschauen (z. B. Tricks, Betrügereien oder Untreue), [logische] Zusammenhänge erkennen, Unangenehmes oder Vorteilhaftes erahnen [und dementsprechend handeln] ’ , zum Beispiel in: (6) Secondo me tua moglie mangia la foglia. [. . .] Tua moglie fa finta di crederti, cosí [sic! ] ha il tempo anche lei d ’ incontrare i suoi amanti. (itTenTen16 ). Aber es gibt auch eine gegenteilige Bedeutung, die man als ‘ falsch ’ betrachten kann, die aber nun einmal im Sprachgebrauch fest verankert ist: (7) ‘ einer [unwahren] Sache (z. B. einer Ausrede) Glauben schenken, auf etw. hereinfallen ‘ , zum Beispiel in: (8) Nasce il sito che crea alibi per tradimenti perfetti: a caro prezzo ci sono dei consulenti che vi oganizzeranno [sic! ] tutto e il vostro compagno «mangerà la foglia». (itTenTen16 ) Da also zumindest zwei (sogar gegensätzliche) semantische Interpretationen - aber eben keine x-beliebige Interpretation - möglich sind, würde sich hier eventuell der Begriff der generalisierten konversationellen Implikatur anbieten, die hier zweifach (je nach Kontext) vertreten wäre. 7 Dies sind «Implikaturen, die nicht im Moment der Äußerung aktuell errechnet werden müssen, sondern durch bestimmte Ausdrücke getriggert werden» (Liedtke 2016: 95). Es darf zur Diskussion gestellt werden, ob dies hier auf einen Fall wie mangiare la foglia zutrifft. 8 konversationellen Implikaturen» (Liedtke 2016: 85; Hervorhebung im Original fettgedruckt). 7 Bei einer partikularisierten konversationellen Implikatur müsste «ad hoc, also von Fall zu Fall neu [. . .] kalkuliert werden» (Liedtke 2016: 76), um einen Verstoß gegen eine der Griceschen Maximen unter Zugrundelegung des Kooperationsprinzips zu «reparieren». Auf die Phraseologie übertragen, hieße dies, dass keine der in Frage kommenden Bedeutungen eines verbalen Idioms in einem bestimmten Kontext anwendbar wäre, was nur schwer vorstellbar ist. 8 Ein ähnlicher Fall wäre im Deutschen das verbale Idiom den Vogel abschießen, das ebenfalls zwei gegensätzliche Bedeutungen haben kann: ʻ etwas besonders Positives leisten ’ oder ʻ durch eine Äußerung oder Handlung besonders negativ auffallen ’ . Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 86 3. Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen 3.1 Das Forschungsprojekt GEPHRI zu den verbalen Idiomen des Italienischen Trotz der zentralen Stellung, die den verbalen Idiomen innerhalb der Phraseologie zukommt, 9 und trotz ihrer Wichtigkeit für die Alltagskommunikation muss gesagt werden, dass Phraseologismen an sich, insbesondere aber Idiome, in der einsprachigen Lexikographie nach wie vor unzureichend beschrieben sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um allgemeinsprachliche Definitions- oder um phraseologische Spezialwörterbücher handelt. Die zweisprachigen Wörterbücher scheiden aus dieser Betrachtung aus, weil sie ja nicht beschreiben, sondern nur nach (Teil-)Äquivalenten 10 suchen oder, wenn diese fehlen, die Bedeutung in der Zielsprache nur grob paraphrasieren können. Die Idee, ein lexikographisches Instrumentarium zu schaffen, das diesem Zustand entgegenwirkt, ist also unter anderem diesem Umstand geschuldet. 11 Ein zweiter Grund besteht in der Inakzeptabilität der im Rahmen der Fremdsprachendidaktik und des Fremdsprachenunterrichts immer wieder vorgebrachten Behauptung, ‘ Redewendungen ’ (verbale Idiome) seien für Lernende nicht in den Griff zu bekommen (hierzu z. B. Ettinger 2013). Der dritte Grund resultiert aus der Erkenntnis, dass das Kriterium der «Stabilität» phraseologischer Verbindungen gerade bei den verbalen Idiomen im Sprachgebrauch mehr als diskutabel ist. Stattdessen ist in den meisten Fällen von einer teilweise beträchtlichen Variabilität auf formaler und inhaltlicher Ebene auszugehen (vgl. auch Feilke 1996: 107 f.), die selbstredend lexikographisch nicht erfasst ist (vgl. Ettinger 2009). 9 «Die verbalen Phraseologismen [hier: verbale Idiome] sind am reichsten entwickelt und weisen die mannigfachste [sic! ] Strukturen auf» (Fleischer 1997: 14). Für Dobrovol ’ skij/ Piirainen (2009: 11) bildet die «phraseologische Subklasse der Idiome an sich den Kernbereich der Phraseologie». Feilke (1996, 2004) und Stumpf (2015) legen allerdings eine andere Schwerpunktsetzung zugrunde, die die «usuellen Rekurrenzen» als den (auch quantitativ) wesentlichen Bereich der Phraseologie postuliert. 10 In Schafroth (2020 b) wird die Überzeugung vertreten, dass es absolute Äquivalenz bei Idiomen zwischen verschiedenen Sprachen nicht geben kann - gerade, weil alle Sprachebenen, und nicht nur die Bedeutung, involviert sind. 11 Natürlich gibt es sehr gelungene phraseologische Werke für die verschiedenen Einzelsprachen. Diese sind aber entweder onomasiologisch gegliedert, extensiv zweisprachig angelegt oder kulturgeschichtlich orientiert (Näheres in Schafroth 2020 a). Allerdings sind in keinem dieser Werke kommunikativ relevante «Gebrauchsanweisungen» für Phraseme zu finden. Für eine solche Zielsetzung bedarf es wesentlich detaillierterer Angaben, die auf gründlichen Korpusanalysen beruhen müssen. Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 87 Aus den genannten Gründen entstand das Vorhaben, eine lexikographische Datenbank zur Beschreibung verbaler Idiome zu erstellen, die folgende Eigenschaften für sich beanspruchen sollte: 1. Sie ist kontrastiv (Italienisch/ Deutsch) konzipiert. 2. Die Auswahl der Idiome beruht auf Frequenzuntersuchungen. 3. Die linguistische Beschreibung der Merkmale und des Gebrauchs der idiomatischen Wendungen ist strikt korpusbasiert (konstruktionsgrammatische Ausrichtung). 4. Es werden systematisch Lexeme und andere Phraseme desselben Wissensrahmens, dem das Idiom angehört, mit einbezogen, und zwar durch eine (auch) onomasiologische Darstellung der behandelten Frames in der Rubrik Thesauri (Anbindung an die Frame-Semantik). 5. Es werden «lernernahe» bzw. lernerrelevante Hinweise zum Gebrauch eines Idioms gegeben (einschließlich der Einbindung von YouTube-Videos, in denen das Phrasem in einer konkreten Kommunikationssituation gezeigt wird). Es kann in diesem Rahmen nur auf das dritte Qualitätskriterium eingegangen werden. Gemäß den theoretischen Prinzipien und der Forschungspraxis der gebrauchsbasierten Ansätze der Konstruktionsgrammatik (vgl. Ziem/ Lasch 2013) wurden in GEPHRI anhand der oben genannten Sprachkorpora die morphologischen und (bei Varianten) lexikalischen sowie syntaktischen, semantischen, pragmatischen und diskursfunktionalen Eigenschaften 12 (vgl. Croft 2001: 18) ermittelt und in einem eigens dafür geschaffenen digitalen Repräsentationsformat (PhraseoFrame) festgehalten (Näheres in Schafroth/ Imperiale 2019 oder direkt auf der Projektseite). Abb. 1 zeigt einen solchen PhraseoFrame am Beispiel des verbalen Idioms fare acqua ‘ in großen Schwierigkeiten sein; vorn und hinten nicht stimmen ‘ (wörtl. ‘ Wasser machen ’ ), hier: die Rubrik «Semantik». 12 Darüber hinaus wurden auch «merkmalbezogene» Besonderheiten, die Sprachvariation betreffend, und «indexikalische» Spezifika, die soziale Bedeutung betreffend (vgl. Peter 2021: 430 ff.), berücksichtigt. Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 88 Abb. 1: PhraseoFrame zu fare acqua, Rubrik Semantik (aus: https: / / gephri.phil.hhu.de/ ) In den fünf Rubriken werden zunächst die Bedeutungen semantisch-kontextsensitiv feindifferenziert und durch ausführliche Paraphrasen beschrieben (Semantik). Ein oder zwei Korpusbelege illustrieren die jeweilige Bedeutung. In der Rubrik Syntax werden Auffälligkeiten der internen und der externen Syntax zusammengefasst. Zu Ersteren gehören grammatikalische und lexikalische Valenzen, Kollokationen und weitere kookkurrente Elemente (vgl. Schafroth/ Imperiale 2019). Zur externen Syntax eines Idioms zählen typische syntaktische Strukturen, in die dieses eingebettet ist oder an die es angeschlossen wird, z. B. Spaltsätze, Relativsätze (ib.). Unter der Rubrik Pragmatik werden die typischen Verwendungskontexte einer idiomatischen Wendung zusammengefasst, die «situativer Rahmen» genannt werden, sowie die illokutiven Funktionen, die die Wendung haben kann, z. B. darstellen, kritisieren, einräumen, bezweifeln. In der Sparte Didaktik werden Gebrauchshinweise gegeben, die auf das Register und die Wirkung eines Phrasems in der verbalen Interaktion abzielen und Verwechslungen mit ähnlichen Formen vorbeugen sollen. Des Weiteren wird nach Möglichkeit ein YouTube-Video eingebunden, um das Idiom in einem konkreten Gesprächs- oder Redekontext zu illustrieren. Außerdem zeigen die «Thesauri Lexeme und Phraseme» in dieser Rubrik die lexikalischen und phraseologischen Elemente des Frames, dem die locuzione angehört. Schließlich werden Äquivalenzvorschläge zweisprachiger Wörterbücher und eigene Vorschläge, insbesondere die von den beteiligten Lexikograph/ inn/ en und externen Expert/ inn/ en gegebenen, integriert. Im Downloadbereich können die relevanten Korpusbelege (pro Korpus zwischen 10 und 30 Belege) sowie die phrasembezogenen Einträge Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 89 aus 21 einbzw. zweisprachigen und phraseologischen Wörterbüchern (digital oder gedruckt) als PDF-Dateien heruntergeladen werden. 3.2 Korpora Die Auswahl der Korpora wurde dadurch begründet, dass in allen vier Fällen (CORIS, La Repubblica, itTenTen16, PAISÀ) lemmatisierte und annotierte sowie umfangreiche Datenbestände (zwischen 150 Millionen und knapp 6 Milliarden tokens) mit einer guten Recherchemaske und -syntax vorliegen. Die Tatsache, dass es sich dabei ausschließlich um schriftsprachliche Texte (codice grafico) handelt, wird dadurch relativiert, dass alle Korpora, bedingt durch ihren Zeitungscharakter (stile brillante) bzw. durch ihre Webbasiertheit, auch zahlreiche Elemente von (simulierter oder wiedergegebener) Mündlichkeit enthalten. Darüber hinaus wären die zur Verfügung stehenden Korpora authentisch gesprochener Sprache (z. B. BADIP) oder audiovisueller Medien (z. B. LIR) schlicht zu klein und/ oder, was die Phraseologie betrifft, zu unergiebig gewesen. PAISÀ ist zudem auf Lernende des Italienischen als Zweit- oder Fremdsprache zugeschnitten (vgl. Crocco 2015). Das Korpus WEBBIT, inzwischen nicht mehr zugänglich, wurde für die ersten Idiome des Projekts verwendet und kam bei der Häufigkeitsbestimmung zum Einsatz. Was den Zeittraum betrifft, aus dem die Texte stammen, ergibt sich eine Zeitspanne von 30 Jahren, genauer gesagt von 1986 bis 2016 (s. auch Literaturverzeichnis). In politische Zahlen umgerechnet entspricht dieses Intervall 13 Regierungen (von Craxi bis Gentiloni, einschließlich vier Amtszeiten von Berlusconi) in neun Legislaturperioden. 4. Drei Fallstudien zu locuzioni idiomatiche verbali im politischen Kontext Die Korpusanalysen bringen, wie bereits angedeutet wurde, eine erstaunliche semantisch-pragmatische Kreativität bei verbalen Idiomen zum Vorschein, die häufig in politischen und wirtschaftlichen Kontexten verankert ist, z. B. bei essere alla frutta ([u. a.] ‘ einen moralischen, sittlichen o. a. Tiefpunkt erreichen, der ans Groteske, Absurde oder Lächerliche grenzt ’ , z. B. in Bezug auf unsinnige politische Entscheidungen der Regierung etc.), oder bei muovere mari e monti ( ‘ (auch) seine Beziehungen spielen lassen, seine Verbindungen zu einflussreichen Leuten nutzen, um bestimmte Interessen durchzusetzen [und dabei in nicht ganz legaler oder in unmoralischer Weise vorgehen] ’ ). Die folgenden Fallstudien 13 sollen diese 13 Es werden jeweils nur die wichtigsten bzw. häufigsten Merkmale erwähnt. Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 90 Besonderheiten näher beleuchten, vor allem im Hinblick darauf, was den Mehrwert idiomatischer Wendungen im Dunstkreis politischer Sprache ausmacht. 4.1 fare scena muta Die Bedeutung dieser idiomatischen Wendung, die dem Frame Schweigen zuzuordnen ist, wird, so wie sie sich aus der Analyse der Korpora ergeben hat, in (9) dargestellt und in (10) illustriert: (9) ‘ (häufig in mündlichen Prüfungen oder in Verhören) schweigen, nicht auf eine Frage antworten, entweder weil man die Antwort nicht kennt, oder weil man keine Auskunft geben möchte ’ , vgl. (10) Per esempio, un ’ amica di mia sorella aveva tutti otto e nove, ma alla maturità ha fatto scenamuta [sic! ] e ha preso un votaccio . . . (La Repubblica) Zu den syntaktischen Besonderheiten gehören die Möglichkeit der elliptischen Verwendung (ohne Verb) und das Vorhandensein einer grammatikalischen Valenz su qualcosa, wie in (11) ersichtlich wird: (11) Parla dei soldi presi dalla Goldman Sachs, del voto a favore della guerra in Iraq, di Obamacare da dare gratis a tutti, ma fa scena muta su uno scandalo di natura etica grande come il Vermont. (itTenTen16 ) Was die pragmatischen Merkmale des Phrasems betrifft, so fällt auf, dass es vor allem in den Kontexten Schule/ Universität (mündliche Prüfung), Gerichtsprozess (Verhör), Journalismus (Interview) und Politik ([absichtliches] Schweigen über heikle Themen) verwendet wird. Dies sind wichtige Informationen, die den Gebrauchsradius des Idioms von vornherein typisieren und dadurch einschränken. Was die illokutiven Funktionen betrifft, so können diese wie folgt beschrieben werden: (12) darstellen, dass jemand schweigt oder nicht antwortet, vgl. (13): (13) Lo studente però è stato bocciato all ’ esame orale, dove ha fatto scena muta di fronte ad una commissione non certo «tranquilla». (itTenTen16 ) (14) kritisieren/ Missbilligung darüber äußern, dass jemand schweigt oder nicht antwortet, vgl. (15): (15) La Bonino parla di diritti umani e di Tibet quando è a Roma, ma fa scena muta quando è in Cina. Ipocrita anche lei! Lo diciamo per onestà intellettuale, altrimenti anche il nostro tacere sarebbe ipocrisia. (itTenTen16 ) (16) bewusstmachen (und Bedauern oder Schock darüber äußern), dass man eine Frage nicht beantworten kann, vgl. (17): Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 91 (17) A Roma, a un ragazzino che usciva dagli esami orali di terza media con la faccia imbronciata è stato chiesto il perché di quella faccia sconsolata. «Mi hanno fatto una domanda di storia e ho fatto scena muta», ha risposto il ragazzo triste. (CORIS ) Was den phraseologischen Thesaurus betrifft, so wurden auf der Basis des analogischen Wörterbuchs von Feroldi/ Dal Pra (2011) und des zweisprachigen Wörterbuchs von Giacoma/ Kolb (2019) unter anderen folgende Phraseme ermittelt: non aprire bocca/ becco, non spiccicare parola, tenere la bocca chiusa/ cucita, non proferire parola, asserragliarsi/ barricarsi/ chiudersi/ trincerarsi nel (più totale) silenzio. Als Äquivalente, die zusätzlich zu den in den Wörterbüchern verzeichneten erhoben wurden, können die folgenden genannt werden: keinen Mucks machen/ von sich geben, keinen Piep(s) von sich geben, sich in Schweigen hüllen, sich ausschweigen, (bei Prüfungen) (jmd.) die Antwort schuldig bleiben. 4.2 predicare bene e razzolare male Die Bedeutung dieses verbalen Idioms ist folgende: (18) ‘ (oft in Bezug auf Personen in Machtpositionen oder mit einer gewissen Autorität) von anderen ein bestimmtes [vorbildliches oder moralisch einwandfreies] Verhalten fordern, während man sich selbst nicht an diese Forderungen hält; sich nicht so konsequent vorbildlich verhalten, wie man wollte oder angekündigt hat ’ , vgl. (19): 14 (19) L ’ impressione, purtroppo, è che l ’ on. Reichlin abbia predicato bene, mentre poi il suo partito continua a razzolare male quando si tratta di assegnare alla Lega un ruolo realmente diverso da quello tradizionale di struttura fiancheggiatrice del Pci. (La Repubblica) An syntaktischen (und z.T. lexikalischen) Auffälligkeiten wurde Folgendes ermittelt: 1. Das Verb predicare wird mitunter durch parlare ersetzt. 2. Zudem kann eine der Verbalphrasen predicare bene und razzolare male auch weggelassen werden. 14 Das in den Wörterbüchern zu findende Äquivalent Wasser predigen und Wein trinken zeigt zwar semantische Schnittstellen mit predicare bene e razzolare male auf, Letzteres weist jedoch einen größeren Bedeutungsumfang auf und kann sich allgemein auf das Nichtgerechtwerden der eigenen Ansprüche beziehen und muss nicht unbedingt eine moralische Komponente wie das deutsche Phrasem haben. Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 92 3. Das Strukturelement e ist insgesamt relativ variabel. So kann es neben ma durch weitere Elemente ersetzt werden, etwa durch die Konjunktionen anche se oder die Präposition per, die meist noch durch poi ergänzt werden. 4. Das Strukturelement male wird gelegentlich durch expressive Formen wie malissimo und di merda ersetzt. 5. Die Inversion der Phrasemkomponenten predicare bene und razzolare male ist möglich, vgl. (20): (20) Eppure persino il Fondo monetario, che razzola male ma come spesso è accaduto predica bene, ai paesi del G20 ha rivolto un invito pressante: la politica dei tassi zero mostra di aver raggiunto i suoi limiti, i governi devono spendere in infrastrutture per stimolare la crescita. (itTenTen16 ) Der situative Rahmen, in dem charakteristischerweise das Idiom verwendet wird, ist durch die folgenden Kontexte gekennzeichnet: Politik (Aussagen oder Verhalten von Politikern oder Verhalten der Regierung), Aussagen oder Verhalten der [katholischen] Kirche oder gemeinnütziger Organisationen, persönliches Verhalten/ Lebensstil (umweltbewusstes Verhalten, z. B. beim Energieverbrauch oder Konsumverhalten: Konsum von Alkohol oder Zigaretten; sportliche Aktivitäten). Die Illokutionen, die durch das Phrasem realisiert werden, sind: (21) darstellen, dass jemand nicht so [vorbildlich] handelt wie angekündigt; (22) sich eingestehen/ zugeben, dass man nicht konsequent umsetzt, was man für richtig oder angemessen hält; (23) Empörung äußern und [harsch] kritisieren, dass jemand ein bestimmtes Verhaltensmodell vertritt, an das er sich selbst nicht hält; (24) (mit direkter Referenz auf Hörer) jemandem bewusstmachen und ihn zugleich dafür kritisieren, dass er sich an ein bestimmtes Verhaltensmodell nicht hält, das er selbst vertritt; (25) (mit Referenz auf Dritte oder auf den Hörer) jemanden dazu anhalten/ ermahnen, sich so zu verhalten wie [von diesem selbst] angekündigt oder wie dieser von anderen gefordert hat. Sehen wir uns einige politische Kontexte an: (26) I politici si comportano con la Rai un po ’ come il dottor Jekyll e mister Hyde: di giorno predicano bene e la notte razzolano male, ha dichiarato all ’ Espresso Gianni Pasquarelli, alla sua prima intervista, da quando, nel febbraio scorso, è stato nominato direttore. (La Repubblica) (27) E a dar loro manforte è sceso addirittura in campo il Governatore, Antonio Fazio, dimostrando così di predicare bene (quando si rivolge agli altri) e di razzolare male (quando si occupa di casa propria). (CORIS) Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 93 (28) MOLTO [sic! ] spesso è lo stesso Governo che predica bene (negando aumenti per contratto) e razzola male (concedendo premi salariali occulti a certe categorie del pubblico impiego con apposite leggine). (La Repubblica) Man sieht, dass diese locuzione über eine relativ hohe rhetorische Kraft verfügt, die wahrscheinlich auf ihre allgemeine Bekanntheit als Volksweisheit zurückzuführen ist. Dementsprechend wird auch gerne metasprachlich darauf Bezug genommen: (29) Personalmente non amo affatto i luoghi comuni del tipo ’ predica bene ma razzola male ’ , ma nel caso del leader dell ’ Udc e di Emilio Colombo quel giudizio viene spontaneo. (CORIS) Die zweifache antithetische Parallelstruktur des Idioms (predicare/ razzolare, 15 bene/ male) begünstigt dessen textkonstituierende Funktion: die Kontrastierung von Prädikationen, die mit (dem gut gemeinten) predicare und (dem schlecht ausgeführten) razzolare (eigentlich ‘ scharren ’ ) versinnbildlicht werden. Dies öffnet die argumentative Perspektive und gibt die strategisch-kommunikative Praxis der Persuasion (Knape 2003: 874) schematisch vor. Damit wird das textbildende Potenzial von Phrasemen deutlich, das «der Kreativität des Sprachproduzenten ebenso wie der konstruktiven Verstehensleistung des Rezipienten [. . .] und auch der Dynamik der Sprache vom Ansatz her Rechnung [trägt]» (Sabban 2007: 238). In (30) und (31) wird diese Dynamik sehr deutlich. Während in (30) zum einen durch eine morphologische Modifikation (male → malissimo) der Autor dieses Textes (auf der Internetseite alateus.it, «sito ateo e razionalista») sich selbst individuierend ins Spiel bringt und das Verb predicare als «kohäsive Brücke» (Sabban 2007: 243) zu predica benutzt und somit nicht nur Kohäsion, sondern auch Kohärenz stiftet, wird in (31) durch das Idiom eine ganze Folge von Äußerungen konfiguriert, die nicht nur die partielle Umkehr der Parallelstruktur (predicare male) beinhaltet, sondern auch die Attraktion von agire durch den «host» razzolare innerhalb des Wortfelds des Handelns zeigt. Die Kohärenz wird weitergeführt durch das Lexem dialogo, das (wie predicare) zum Frame Reden gehört: 15 Ursprünglich (vom Hahn) cantare bene e razzolare male im Sinne von «tenere comportamenti non coerenti con le proprie affermazioni» (Battaglia, XV). Die ursprüngliche Funktion eines Balzrufs und der Reviermarkierung, die durch das Krähen des Hahns symbolisiert wurde, ist offenbar im Laufe der Zeit umgedeutet worden zu einem Symbol des eigenen Anspruchs, das sich in predicare wiederfindet. Das razzolare kann als metonymische Übertragung auf die Qualität der Performanz (der Handlung) betrachtet werden. Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 94 (30) Deve schierarsi con i poveri, almeno a chiacchere [sic! ], predicando bene, seppure razzolando male, anzi malissimo. Si sa che sul terreno delle prediche i preti giocano in casa e la storia insegna che sono maestri eccellenti e campioni insuperabili. (itTenTen16) (31) E, d ’ altra parte, non può essere che i "miei" più validi principi teorici non trovino poi altrettanta corrispondenza nella "vita pratica"? Si può predicare bene, e razzolare altrettanto male! E "loro"? Possono predicare "male" (cioè sostenendo tesi oggettivamente erronee) e agire "bene". Certo, anche "loro" possono razzolare male. E ce ne sono. Tanti. E noi? Ogni dialogo ha i suoi rischi. (itTenTen16) Durch diese Belege wird auch deutlich, dass es eine «Korrelation von Phrasemtyp und Textsorte» (ib.) zu geben scheint, in diesem Fall zwischen dem Idiom predicare bene e razzolare male und argumentativ-appellativen Texten. In (27) zeigt sich außerdem die bereits angesprochene Konzentration verbaler Idiome durch den Gebrauch von scendere in campo ( ‘ in die Arena steigen, zum Kampf antreten, sich aktiv einbringen ‘ ), das ebenso wie predicare bene e razzolare male zu einer typischen Sprechweise im politischen Kontext gehört: «entrare in politica, o impegnarsi attivamente su qualche questione» (Treccani, s. v. scendere). 4.3 avere voce in capitolo Die idiomatische Wendung avere voce in capitolo (in qualcosa) 16 hat folgende Bedeutungen: (32) ‘ [aufgrund der eigenen Autorität, Bedeutung, wichtigen Stellung etc.] mitbestimmen können, Mitspracherecht, Einfluss oder Geltung haben u. Ä. (bei Entscheidungen im Allgemeinen, in politischen Angelegenheiten, in [wissenschaftlichen] Diskursen etc.) ’ , vgl. (33): (33) I giapponesi stanno investendo in aree strategiche sia dal punto di vista geografico che sotto l ’ aspetto produttivo. Se non prenderemo provvedimenti noi europei o saremo eliminati o diverremo satelliti economici, senza alcuna voce in capitolo. (La Repubblica) (34) ‘ (auch) [dank einer gewissen Kenntnis, Kompetenz, Wettbewerbsfähigkeit o. Ä.] bei etw. mitreden können, eine wichtige Rolle spielen ’ , vgl. (35): 16 Giacoma/ Kolb (2019) geben als Äquivalente (bei etw.) (ein Wort/ Wörtchen) mitzureden haben, bei etw. mitzubestimmen haben an. Neben in qualcosa (vgl. 39) konnten auch su qualcosa (vgl. 38, 40) und con qualcuno/ qualcosa als grammatikalische Valenzen erhoben werden. Als lexikalische Valenzen können unter anderen in materia di qualcosa (vgl. 35, 41) riguardo a/ circa qualcosa und presso qualcuno/ qualcosa angesetzt werden. Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 95 (35) e poi gli italiani nn [sic! ] hanno per nulla voce in capitolo in materia di film visto che l ’ unica cosa che sanno fare sn [sic! ] film politici, film che mostrano solo il peggio di un italia [sic! ] piena di bellezze e che poi pretendono pure di partecipare agli oscar. . . (PAISÀ) (36) ‘ (seltener auch auf unbelebte Nomina bezogen) eine wichtige Rolle spielen, etw. in wichtiger Weise beeinflussen ’ , vgl. (37): (37) L ’ accorciamento della lunghezza di gara fa pensare a un arrivo ravvicinato oggi, con i migliori racchiusi in pochi decimi. Saranno i materiali ad avere la maggiore voce in capitolo. (La Repubblica) Das finite Verb avere kann auf unterschiedliche Weise variiert werden. Belegt sind ottenere, perdere, dare, chiedere, assicurarsi, rivendicare, garantire. Zudem sind Gebrauchsvarianten möglich, in denen die Nominalphrase voce in capitolo als autonomes Substantiv verwendet wird. Sie kann dann entweder ohne finites Verb oder mit Verben wie essere und costituire konstruiert werden 17 . Mit der Änderung der grammatischen Funktion geht entsprechend eine leichte Bedeutungsveränderung einher (im Sinne von ‘ eine wichtige Instanz, Autorität o. Ä. in einer [Entscheidungs-]Angelegenheit darstellen ’ ). Die typischen Verwendungskontexte sind (zu Bedeutung in (31)): 1) politische Entscheidungsprozesse 2) Entscheidungen innerhalb von Firmen und Unternehmen 3) gesellschaftliche Stellung 4) künstlerische Gestaltungsprozesse 5) Stellung und/ oder Gestaltungsmöglichkeit in Vereinen oder Organisationen. Die illokutiven Funktionen sind: 1. darstellen, dass jemand oder man selbst [kein] Mitbestimmungsrecht, [keinen] Einfluss hat oder mitreden kann; 2. fordern, dass jemand oder man selbst in einer Sache mitbestimmen sollte; 3. klarstellen, dass jemand keinerlei Mitspracherecht oder Einfluss hat bzw. in einer Diskussion [mangels Kenntnis o. Ä.] nicht mitreden kann; 4. jemanden fragen, ob er Einfluss auf eine bestimmte Entscheidung hat; 5. die Einschätzung vornehmen, dass etwas den Ausgang von etwas in wichtiger Weise beeinflussen wird. 17 Vgl. «Non si può dire, in questo caso, che l ’ Auditel costituisca l ’ unica voce in capitolo per sancire il futuro di una trasmissione». (PAISÀ) Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 96 Innerhalb der politischen Kontexte finden sich zahlreiche Belege: (38) Nel frattempo, secondo Melillo, voce in capitolo sul bando dei nuovi concorsi per professore associato e sul piano di sviluppo degli atenei devono averla non solo Dc e Psi, ma tutti i partiti della coalizione. (La Repubblica) (39) Poiché la casata degli Hannover, nel 1714, ascese al trono britannico, per tutto il secolo XVIII la monarchia inglese ebbe voce in capitolo nell ’ elezione dell ’ Imperatore del Sacro Romano Impero, per l ’ elettorato di Brunswick- Hannover e le contee di Hoya, Diepholz, Spiegelberg. (PAISÀ) (40) Nel suo ruolo di speaker, la Pelosi avrà il controllo dell ’ agenda politica della Camera da qui alle elezioni presidenziali: avrà voce in capitolo non solo sulla distribuzione delle cariche nelle commissioni parlamentari, ma anche su quali leggi mandare in votazione e quali affossare. (CORIS) (41) «Vogliamo avere voce in capitolo in materia di turismo ed invece si sta creando una situazione che rischia di escluderci totalmente». La protesta degli albergatori per come stanno andando le cose in merito all ’ attuazione della legge quadro sul turismo approvata dal parlamento nel 1983, monta da qualche giorno. (La Repubblica) 4.4 Idiome und politischer Sprachgebrauch Dass politischer Sprachgebrauch für die Durchsetzung strategischer oder ideologischer Interessen in besonderer Weise zu persuasiven oder sogar manipulativen Mitteln greift, ist nichts Neues (vgl. Niehr 2014: 12 ff.). Zur politischen Rhetorik gehört nicht nur, dass diejenigen, die sprechen oder schreiben, verstanden werden, sondern auch, dass das Gesagte nicht unbedingt mit dem Gemeinten deckungsgleich sein muss oder gegebenenfalls auch nicht sein soll (vgl. Ehrhardt/ Heringer 2011: 82 ff.). Genau diese Eigenschaft ist den Idiomen einer Sprache eigen: etwas zu meinen, aber wörtlich etwas Anderes zu bedeuten. Sprachliche Camouflage kann also opportun sein, um einen «Zugewinn an diskursiver Macht in der öffentlichen Kommunikation» (Meyer 2012: 907) zu erlangen, aber auch um sich hinter einer «wiederholten Rede» gewissermaßen zu verstecken (vgl. Sabban 2007: 249). Und wenn die «sprachliche Verpackung» auch noch gefällig und unterhaltsam ist, dann sind die politischen Akteure gleich mehrfach erfolgreich: Sie nehmen durch das Gemeinte Einfluss auf ihrAuditorium oder ihre Leserschaft und sie tun dies auf expressive und ausschmückende Weise, womit zwei rhetorische Grundfunktionen erfüllt sind: «Denn in der Wirkungsabsicht und in der Wirkung», so Lausberg (1982: 60), «ist der ornatus eine Verfremdung [. . .] mit den Funktionen des delectare [. . .] und des movere [. . .]». Aber es ist nicht nur die Ausschmückung des Gesagten, durch die das Publikum, Elmar Schafroth Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens 97 wie Cicero und Quintilian gleichermaßen betonten (vgl. Ueding/ Steinbrink 2021: 284), «aufmerksam[er] zuhör[t] und sich leichter überzeugen [lässt]» (ib.), es ist auch die Ausdrucksadäquatheit (aptum), die eine Rednerin oder ein Redner treffen muss, um Wirkung zu erzielen. Idiome können diese Aufgabe bewältigen, da sie auch eine gewisse «Volkstümlichkeit» der Sprache vermitteln, vorausgesetzt, das Phrasem hat einen hohen Bekanntheitsgrad. Die behandelten idiomatischen Wendungen fare scena muta, predicare bene e razzolare male und avere voce in capitolo erfüllen alle diese Bedingungen. Sie sind Muttersprachlern bekannt (Rekurs auf gemeinsames sprachliches Wissen), sorgen fürAbwechslung und treffen genau den Punkt, semantisch, vor allem aber pragmatisch: Sie evozieren Bilder und Frames, enthalten Konnotationen und können illokutive Funktionen aufrufen. Hinzu kommt, dass sie stilbildend sein und das rhetorische Image einer Autorin oder eines Autors aufwerten können. 5. Fazit Wie gesehen, verfügen idiomatische Wendungen über ein beträchtliches semantisches und pragmatisches Potenzial, das in allen bisherigen lexikographischen Beschreibungen, zumindest was verbale Idiome des Italienischen betrifft, im Verborgenen geblieben ist. Der Artikel sollte zeigen, dass ein korpusbasierter und holistischer Ansatz, der alle Sprachebenen systematisch untersucht, dabei behilflich sein kann, nicht nur die semantischen und pragmatischen, sondern auch syntaktische Besonderheiten (z. B. Valenzen) jeder einzelnen locuzione aufzudecken. Derartige Erkenntnisse sind Ergebnis des Forschungsprojekts Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen, das hier einen Schwerpunkt der Ausführungen darstellte. Der andere Fokus lag auf dem Gebrauch phraseologischer Einheiten im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem im Kontext der Politik. Es hat sich gezeigt, dass die Expressivität von Idiomen bei politischen Themen auf besonders fruchtbaren Boden fällt. Aber auch ihr illokutiver Gehalt und ihre «textbildende Potenz» zur Herstellung von Kohäsion und Kohärenz können Gründe sein, warum auf diesen Phrasemtyp, wie sich ebenfalls anhand der Projektergebnisse gezeigt hat, besonders in argumentativen und appellativen Texten im politischen Kontext zurückgegriffen wird. Abstract. Le locuzioni idiomatiche hanno un notevole potenziale semantico e pragmatico che è rimasto nascosto in tutte le descrizioni lessicografiche precedenti, almeno per quanto riguarda le locuzioni idiomatiche verbali dell ’ italiano. L ’ articolo mira a mostrare che un approccio olistico e basato sui corpora, che esamina sistematicamente tutti i livelli linguistici, può aiutare a scoprire non solo Phraseologie im öffentlichen Sprachgebrauch Italiens Elmar Schafroth 98 le caratteristiche semantiche e pragmatiche ma anche sintattiche (ad esempio le valenze) di ogni locuzione, come risulta dal progetto di ricerca Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen (GEPHRI), in italiano Fraseologia italiana basata sull ’ uso. Il capitolo 1 offre una breve panoramica dello stato della ricerca sull ’ uso dei fraseologismi nel discorso pubblico e politico. Il capitolo 2 spiega le caratteristiche generali della categoria fraseologica delle locuzioni idiomatiche verbali. Il capitolo 3 introduce il progetto (3.1) e approfondisce i corpora dell ’ italiano sottostanti (3.2). Il cap. 4 illustra alcune peculiarità semantiche e pragmatiche delle locuzioni idiomatiche verbali nell ’ uso pubblico della lingua, come potevano essere raccolte nel quadro del progetto GEPHRI. Il capitolo 5 trae una breve conclusione. Summary. Idiomatic expressions have a considerable semantic and pragmatic potential that has remained hidden in all previous lexicographic descriptions, at least as far as verbal idioms of Italian are concerned. The article aims to show that a corpus-based and holistic approach, which systematically examines all levels of language, can help to uncover not only the semantic and pragmatic but also syntactic features (e. g. valency) of each verbal idiom, as it is the case in the research project Gebrauchsbasierte Phraseologie des Italienischen (GEPHRI), in English Usage-based Phraseology of Italian. Ch. 1 gives a brief overview of the state of research on the use of phrasemes in public and political speech. Ch. 2 explains general features of the phraseological category of verbal idioms. Ch. 3 introduces the project (3.1) and describes the underlying speech corpora (3.2). Ch. 4 illustrates some semantic and pragmatic peculiarities of verbal idioms in public language use, as they could be analysed in the GEPHRI project. Ch. 5 draws a brief conclusion. Literaturverzeichnis Andree, Kathrin: «Polysemie in der Phraseologie (und Phraseographie) am Beispiel des Französischen», in: Cotta Ramusino, Paola/ Mollica, Fabio (ed.): Contrastive Phraseology, Cambridge: Cambridge Scholars 2020, S. 181 - 198. BADIP = BAnca Dati dell ’ Italiano Parlato (2003 - 2013). http: / / badip.uni-graz.at/ it (28.03.2022) [Daten von 1992 - 1993]. Baldi, Benedetta/ Savoia, Leonardo M.: «Metafora e ideologia nel linguaggio politico», in: Lingua italiana d ’ oggi 6, 2009, S. 119 - 165. Bárdosi, Vilmos: Du phrasème au dictionnaire. Études de phraséographie franco-hongroise. Budapest: Eötvös Kiadó 2017. 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