eJournals Italienisch 44/87

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2022-0016
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2022
4487 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Antonio Lucci/Esther Schomacher/Jan Söffner (Hrsg.): Italian Theory. Leipzig: Merve Verlag 2020, 304 Seiten, € 24,00

91
2022
Walter Baumann
ita44870142
praticando le virtù consone a chi è povero: «[. . .] umiltà del sacrificio, [. . .] non chiedere troppo, [. . .] dignità» (p. 250, tr. ted. p. 259). Entrambe le donne, la madre e la figlia, sviluppano forme di resistenza e agognano la salvezza, conferendo però un senso diverso a tali processi. La madre declina la sua libertà in termini di insubordinazione, non piegandosi alla sua condizione di disabilità, rifiutando di imparare e di usare la lingua dei segni, non arginando la propria precarietà tramite l ’ esercizio di una attività lavorativa, fuggendo di continuo dai posti in cui le capita di vivere, sottraendosi, infine, ai suoi compiti di madre e di educatrice. La figlia è, al contrario, attraversata dal bisogno di mettere radici, di «fare famiglia» (p. 243, tr. ted. p. 251), di ‘ restare ’ , di sviluppare una forma di soggiorno nel mondo. Questo le riesce, d ’ altro canto, non attraverso un gesto solitario, ma grazie al fratello. Parlando della madre ella così afferma: «Io e mio fratello potevamo perderla di vista: a volte usciva per passeggiare, dormiva per strada, faceva chilometri da sola al buio soprattutto se pioveva, e noi ci abituavamo alla nostra vita anarchica fatta di mandarini sbucciati sul divano a guardare film dell ’ orrore. Era un ’ esistenza priva di orari in cui non ci facevamo troppe domande: avevamo qualche preoccupazione che lei potesse farsi male o non tornare, ma noi restavamo.» (p. 62, corsivo mio, tr. ted. 61) È grazie al fratello che, in assenza dell ’ autorità genitoriale, si fa incarnazione della Legge, che la scrittrice coglie che il suo riscatto può passare solo attraverso l ’ appropriazione della Lingua e poi del Sapere. Imparare correttamente a parlare, leggere libri, far ordine con la scrittura sono gli strumenti con i quali si può invertire la sorte, attraverso i quali trovare un posto nel mondo. Luciana Casale Antonio Lucci/ Esther Schomacher/ Jan Söffner (Hrsg.): Italian Theory. Leipzig: Merve Verlag 2020, 304 Seiten, € 24,00 Die HerausgeberInnen wenden sich mit diesem Band, wie sie in ihrer ausführlichen Einleitung betonen («Italian Theory: politische Philosophie, neu gedacht», S. 7 - 21), gegen die These vom Ende der Theorie und hier speziell in der politischen Philosophie. Die Krisen der Gegenwart, nicht zuletzt die Corona-Pandemie, verlangten nach einer Befassung mit politischen und kulturellen Herausforderungen, denen sich gerade italienische DenkerInnen mit unorthodoxen Reflexionen gestellt hätten. Der Band konfrontiert zugleich ein deutsches Publikum mit der These einer spezifisch italienischen Theorietradition, die sich in den ver- DOI 10.24053/ Ital-2022-0016 Kurzrezensionen 142 gangenen Jahrzehnten herausgebildet habe. Der Titel Italian Theory (IT) ist daher kein zufälliger Anglizismus, sondern rekurriert auf eine jüngere Rezeption italienischen DenkerInnen nicht zuletzt durch die angelsächsische Welt, die die Frage nach Gemeinsamkeiten in diesem Denken jenseits der nationalen Herkunft aufgeworfen hat. Amerikanische Universitäten werden von mehreren Autoren explizit als Geburtshelfer der IT verortet. Die in dem Band versammelten Texte sind überwiegend in den letzten zehn Jahren geschrieben worden und werden erstmalig in deutschen Übersetzungen vorgelegt, die von Daniel Creutz, Andreas Gipper und Federica Romanini vorgenommen wurden. Darunter sind auch z. T. ältere Beiträge bekannter Autoren wie Agamben, Negri oder Virno, die beispielgebend für Ansätze italienischen Denkens stehen. Einige jüngere Texte wurden bereits unter dem Eindruck der These von der «Italian Theory» geschrieben und reflektieren deren Genealogie und verbindende Merkmale. Unter dem Titel «Der italienische Unterschied» findet sich darin zu Beginn ein Auszug aus dem Buch Pensiero vivente von Roberto Esposito aus dem Jahr 2010, das als ein Gründungsdokument der Italian Theory verstanden werden kann (S. 22 - 71). Esposito zeichnet hier den internationalen Erfolg italienischer Denker- Innen in der Nachkriegszeit nach und verweist auf deren eigenständige Ansätze in Abgrenzung zu den deutschen Strömungen der Frankfurter Schule, der Hermeneutik oder der analytischen Philosophie in der angelsächsischen Welt. Auch wenn das französische Denken ein wesentlicher Referenzpunkt wurde, haben italienische TheoretikerInnen die dekonstruktivistische Wende in der Sprachphilosophie nicht mitvollzogen. Laut Esposito haben sie Sprache und Biologie grundsätzlich miteinander verknüpft. Die italienische Philosophie habe sich immer lebens- und außenweltorientiert verstanden. Daneben hebt er das kritische Potential italienischer DenkerInnen in Bezug auf Staat und politisches Handeln hervor, dessen Wurzeln er schon im frühneuzeitlichen Denken eines Machiavelli, Vico oder Bruno angelegt sieht. Körper und Leben, Konflikt und Politik sind ontologische Grundlagen, auf die die politische Theorie in Italien immer bezogen blieb. Insofern sieht Esposito auch eine «Mundanisierung des Subjekts» (S. 67), womit die italienische Philosophie in ihrem Festhalten an aktiver Diesseitigkeit einen Ausweg aus den Sackgassen der postmodernen Philosophie aufzeigt. Viele Stichworte von Esposito bilden Bezugspunkte für die weiteren Beiträge. Dario Gentili konzentriert sich in seinem 2012 entstandenen Text auf die angesprochene politische Dimension in der jüngeren italienischen Debatte («Sinisteritas», S. 72 - 97). Foucaults Begriff der «Biopolitik» ist für Gentili wie für Esposito Kern- und Ausgangspunkt der IT, mit dem italienische Denker die Krise der Postmoderne umgehen und zugleich an zentralen Kategorien der Moderne festhalten. Für Gentili steht die Reformulierung der politischen Philosophie durch Kurzrezensionen 143 Antonio Gramsci als einer Politik der Praxis hier ebenso im Zentrum wie die Strömung des italienischen Operaismus der 1960er und 1970er Jahre. Mit der Textüberschrift «Sinisteritas» sieht Gentili die IT in Fortführung einer kritischen Relektüre von Marx in einer linken Tradition, für die Politik und Klassenkampf zentrale Themen bleiben. Die diesbezüglichen Ansätze zum Beispiel bei Negri oder Agamben hätten gerade aber auch modifizierte Beschreibungen der unterdrückten Subjekte ermöglicht, die sich nicht auf den Konflikt von Arbeit und Kapital beschränken. Die ebenfalls an Esposito anknüpfenden Ausführungen von Enrica Lisciani- Petrini aus dem Jahr 2017 geben dann einen eher kursorischen Überblick über die schon genannten AutorInnen und Anknüpfungspunkte der IT, die nicht zuletzt aus amerikanischer Perspektive Impulse für ein neues Denken nach der durch 9/ 11 ausgelösten Wende liefern (« ‘ Glück ’ und ‘ Tugend ’ des italienischen Denkens», S. 98 - 119). Lisciani-Petrini sieht im Operaismus und den «wilden Jahren» Italiens einen fruchtbaren Schmelztiegel für politische Ideen. Bei Foucaults kritischer Kant-Lektüre findet sie Ausgangspunkte für die Einlassung der IT auf die konkrete Geschichte. Das «unreine» Denken geht über Philosophie weit hinaus, dem der Begriff «Italian Thought» nach ihrer Meinung besser gerecht wird. Mit einem frühen Text von Giorgio Agamben aus dem Jahr 1970 dokumentiert der Band die Hinwendung eines der Protagonisten der IT zu deren zentralen Themen: In «Über die Grenzen der Gewalt» (S. 120 - 139) geht Agamben dem Verhältnis von Sprache und Gewalt nach und untersucht kulturelle Äußerungsformen der Gewalt in Literatur und Geschichte. Sein Hauptinteresse richtet sich dabei auf die legitime und die revolutionäre Gewalt. Letztere verklärt er im jugendlichen Pathos der 1970er Jahre als «Negation des Anderen und des Eigenen» (S. 136), die die Sprache überschreitet und in einem eschatologischen Sinne Erlösung verspricht. Hier zeigt sich auch die Nähe zu einer politischen Theologie, die viele AutorInnen als ein Kennzeichen der IT hervorheben. Wie Agamben ist Antonio Negri durch vielbeachtete Schriften einem breiteren deutschen Publikum bis heute bekannt. Mit seinen Ausführungen aus dem Jahr 2010 «Wann und wie ich Foucault gelesen habe» (S. 140 - 159) blickt er zurück auf Inspirationsquellen seiner früheren Arbeiten. Foucault wurde nicht nur für ihn zur Zentralfigur einer neuen Analyse von Macht und Herrschaft, nachdem der PCI in Italien nach seiner Meinung nicht länger als Stimme der Unterdrückten angesehen werden konnte und im «historischen Kompromiss» ein Bündnis mit der Rechten anstrebte. «Biopolitik» und «Biomächte» wurden die neuen Zentralbegriffe. Negri beschreibt, wie ihm insbesondere Foucaults Surveiller et punir (Überwachen und Strafen, 1975) einen neuen Blick auf soziale Herrschaft über Leben und Körper vermittelte und damit eine erweiterte Beschreibung der Mikrophysik sozialer Konfliktualität ermöglichte. Kurzrezensionen 144 Paolo Virno ist mit einem Text aus dem Jahr 1994 vertreten, «Der Gebrauch des Lebens» (S. 160 - 197), der schon im Titel auf zentrale Begriffe der IT verweist. Virno geht hier von den späten Schriften Wittgensteins aus, um das Verhältnis von Sprache und Leben zu durchleuchten. Er sieht eine spezifische Eigenschaft des Menschen darin, sich von seinem Selbst zu distanzieren und das eigene Leben als Werkzeug zu gebrauchen. Mit der Fähigkeit «zu haben» (S. 170 ff.) würden dem Menschen wesentliche Existenzbedingungen äußerlich verfügbar und damit nicht zuletzt zu umkämpften kulturellen Institutionen, Normen und Klassenfragen. Die Sorge um den Gebrauch des Selbst sei z. B. schon seit Augustinus in religiösen Riten als kulturelle Frage präsent. Für Virno stellt das Theater, und darin ganz besonders das Epische Theater Brechts, ein Paradigma für die menschliche Selbstdistanzierung und Selbstbeobachtung in der Sprache dar. Maurizio Lazzarato geht mit seinem Beitrag aus dem Jahr 2012 von der Finanzkrise und der aus italienischer Sicht verbreiteten Kritik an der Europäischen Union aus («Der Staat gegen die Gesellschaft», S. 198 - 237). Seine Überlegungen zu «Souveränität und Gouvernabilität» (S. 201 ff.) beziehen sich kritisch auf Foucaults Begriff des Liberalismus. Für Lazzarato wurde in der Europäischen Union die Tradition der Schule des Ordoliberalismus übernommen, die in Deutschland eine wesentliche Nachkriegskonstituente des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft war. Der Verzicht auf im eigentlichen Sinne liberale Grundprinzipien schaffe einen Staatskapitalismus, der später im Neoliberalismus die totale Unterwerfung von Politik, Recht und Demokratie unter die Vorherrschaft des Kapitals ermöglicht. Im Sinne der Foucaultschen Biopolitik würden die Trennungen von Ökonomie und Staat, Privatem und Öffentlichen aufgehoben. Der letzte Beitrag in dem Band wurde von Elena Esposito 2017 verfasst und greift eine ganz gegenwärtige Frage des sozialen Wandels auf. In Bezug auf die allgegenwärtigen algorithmischen Verfahren untersucht sie das «Recht auf Vergessenwerden» im Internet («Algorithmisches Gedächtnis und das Recht auf Vergessenwerden im Internet», S. 238 - 273). Sie geht dabei von einem Urteil des EuGH von 2014 aus, das dieses Freiheitsprinzip der französischen Rechtstradition auch für die virtuelle Welt der Daten aufrecht erhalten will und folglich Google u. a. Internet-Provider zu Anpassung ihrer Algorithmen verpflichtet. Esposito beschreibt die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Unmöglichkeit des Vergessens im Internet, das nur um den Preis der aktiven Beeinflussung von Daten zu haben oder mit paradoxen Effekten versehen ist. Wenn nicht die Löschung von Daten, so könnte deren Unerreichbarmachung im Rahmen einer spezifischen Kontextualisierung eine Lösung sein. In ihrem Vorschlag, Algorithmen unter dem Aspekt ihrer eigenen «Agency» (S. 251 ff.) zu betrachten, greift sie einen Topos der aktuellen soziologischen Akteurdebatte auf. Dieser, vergleichsweise eng problemzentrierte Text von E. Esposito bleibt im Hinblick auf das Kurzrezensionen 145 Themenfeld von Kultur und Leben im Rahmen der IT. Er belegt aber aus Sicht der HerausgeberInnen des Bandes die Breite der hier möglicherweise einzuordnenden Beiträge. Den Schlusspunkt des Bandes setzt eine Gesprächsrunde unter Beteiligung von Roberto Esposito, Dario Gentili und Giacomo Marramao, welche bei einer Veranstaltung an der Universität Rom im Jahr 2014 von Antonio Lucci und Federica Buongiorno befragt wurden («Was ist Italian Theory? », S. 274 - 298). Das Gespräch beleuchtet die Möglichkeit von nationalen Denkschulen in einer globalisierten Welt und berührt neben schon genannten Merkmalen der IT u. a. deren Bezüge zur deutschen Staats- und Rechtstheorie eines Carl Schmitt, die Nähe zu einer säkularisierten Theologie oder das Festhalten an der Frage nach dem Subjekt von Veränderung, die anderen Denkschulen verloren gegangen ist. Auch diese Runde wendet sich gegen eine starre Eingrenzung der IT, vielmehr liege deren Akzent gerade in einem synthetischen Denken, das Spezialisierungen überwindet. Insgesamt liefert der sorgfältig edierte Band mit kurzen Einführungen zu jedem Beitrag einen höchst instruktiven Einblick in die politische Philosophie und das kritische Denken Italiens in den letzten 50 Jahren. Längst nicht mehr auf Italien beschränkt, kristallisiert sich eine Denkbewegung heraus, für die Leben und Politik zentrale Ankerpunkte sind und die damit Eigenständigkeit behauptet. Die Texte belegen die Bedeutung der französischen Vordenker für die IT, ob man es mit einem besonderen Theorietypus zu tun hat, lassen die Beiträge mit dem Verweis auf die Heterogenität der Bezüge der IT selber offen. Man wird beobachten müssen, ob und wie davon weitere Impulse für den internationalen politisch-philosophischen Diskurs ausgehen. Derzeit jedenfalls ist hier eine lebhafte Gedankenproduktion zu vermelden, über die man sich im Italian Thought Network (www.italianthoughtnetwork.com) informieren kann. Walter Baumann Martha Kleinhans/ Julia Görtz/ Maria Chiara Levorato (Hrsg.): La forma dell ’ assenza. Facetten italienischer Epistolographie vom 14. Jahrhundert bis heute. Würzburg: Würzburg University Press 2021, pp. 146, € 24,90 In un ’ epoca in cui la comunicazione digitale ha soppiantato in parte in modo significativo quella cartacea può apparire un anacronismo - se non un cedimento nostalgico al passato - parlare di scrittura epistolare. La miscellanea La forma dell ’ assenza. Facetten italienischer Epistolographie vom 14. Jahrhundert bis heute, si DOI 10.24053/ Ital-2022-0017 Kurzrezensionen 146