Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2022-0038
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2022
4488
Fesenmeier Föcking Krefeld OttAntje Lobin/Eva-Tabea Meineke (Hrsg.): Handbuch Italienisch. Sprache – Literatur – Kultur. Für Studium, Lehre, Praxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2021, 691 Seiten, € 129,00, eBook 117,40
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2022
Harro Stammerjohann
ita44880150
Buchbesprechungen Antje Lobin/ Eva-Tabea Meineke (Hrsg.): Handbuch Italienisch. Sprache - Literatur - Kultur. Für Studium, Lehre, Praxis. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2021, 691 Seiten, € 129,00, eBook 117,40 Dies ist keine Neuauflage des 1995 ( 2 2016) im selben Verlag erschienenen, von Richard Brütting konzipierten Italien Lexikon[s], mit dem es sich inhaltlich naturgemäß überschneidet, personell aber kaum und konzeptionell überhaupt nicht. Anders als jenes alphabetische Lexikon, das «Schlüsselbegriffe zu Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Justiz, Gesundheitswesen, Verkehr, Presse, Rundfunk, Kultur und Bildungseinrichtungen» erklärt, ist das hier vorzustellende Handbuch thematisch aufgebaut und enthält 43 sprachwissenschaftliche, 22 literaturwissenschaftliche und 29 kulturwissenschaftliche Artikel von 92 Autorinnen und Autoren, jeder Artikel in einem Umfang von durchschnittlich sechs Seiten und mit einer Bibliographie mit durchschnittlich 18 Titeln. Die Herausgeberinnen, deutsche Romanistinnen, schreiben im Vorwort: «Mit dem Handbuch wird eine Strategie der interdisziplinären und vernetzten Wissensvermittlung verfolgt, indem die drei Teilbereiche der Italianistik untereinander und mit weiteren geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, wie der Musikwissenschaft, der Kunstgeschichte, der Geschichtswissenschaft, den Wirtschaftswissenschaften, der Politikwissenschaft u. a. m. ineinandergreifen. Die leitende Fragestellung, die dem Handbuch zugrunde liegt und auf die während des Entstehungsprozesses immer wieder Bezug genommen wurde, lautet, wie Sprache, Literatur und Kultur Italiens in der deutschsprachigen Italianistik ebenso wie in der schulischen Ausbildung wissenschaftlich fundiert und für das deutsch-italienische Verhältnis gewinnbringend kommuniziert werden können» (S. VIII). Herausgekommen ist ein Werk, dem keine Besprechung gerecht werden kann. In dem vorgegebenen Umfang ist es kaum möglich, die Artikel und ihre Verfasser zu nennen, geschweige denn, sie zu würdigen. Nur ganz ausnahmsweise bot es sich an, das Thema mit einem Halbsatz zu erläutern oder zu ergänzen. Der sprachwissenschaftliche Teil ist wie folgt gegliedert: Das Italienische als Nationalsprache (S. 3 - 94) I. Das Italienische aus synchronischer und diachronischer Perspektive (S. 3 - 31) II. Das Varietätengefüge (S. 32 - 77) DOI 10.24053/ Ital-2022-0038 150 III. Bedeutung und Gebrauch des Italienischen (S. 78 - 94) Strukturen der italienischen Sprache (S. 97 - 241) I. Aussprache und Rechtschreibung (S. 97 - 115) II. Der Wortschatz (S. 116 - 138) III. Wortbildung und Phraseologie (S. 139 - 155) IV. Satzgrammatik (S. 156 - 241) Das Italienische in der verbalen Interaktion I. Text- und gesprächslinguistische Fragestellungen (S. 245 - 267) II. Das Italienische in der Gesellschaft (S. 268 - 294) Die Artikelgruppe «Das Italienische aus synchronischer und diachronischer Perspektive» umfasst die Artikel «Das Italienische als romanische Sprache» von Michael Metzeltin (S. 3 - 9), «Das Italienische in seiner historischen Entwicklung» von Sabine Heinemann (S. 9 - 16), «Externe Geschichte des Italienischen» von Sabine Schwarze (S. 16 - 26) und, wiederum von Metzeltin, «Das Italienische aus typologischer und historisch-vergleichender Sicht» (S. 26 - 31). Diesen Artikel zu schreiben war niemand berufener als Metzeltin, der mit allen romanischen Sprachen umgehen kann und zusammen mit Thede Kahl 2015 eine Sprachtypologie. Ein Methoden- und Arbeitsbuch für Balkanologen, Romanisten und allgemeine Sprachwissenschaftler veröffentlicht hat (Wiesbaden: Harassowitz). Übrigens ist die italienische Ausgabe der Sprachgeschichte von Gerhard Rohlfs kürzlich durch eine Neuausgabe - mit unverändertem Text, aber einem Apparat von Einleitungen - nachgedruckt worden (Bologna: il Mulino 2021). Es folgen sechs Artikel zum «Varietätengefüge» des Italienischen, und zwar: «Standardsprache, Norm und Normierung» von Maria Selig (S. 32 - 39), «Diatopische Varietäten des Italienischen» von Thomas Krefeld (S. 39 - 51), «Diastratische und diaphasische Varietäten» von Gerald Bernhard (S. 51 - 58), «Gesprochenes Italienisch» von Gudrun Held (S. 58 - 65), «Die Italoromania: Das Italienische im Tessin» von Ursula Reutner (S. 65 - 72) und «Die Italoromania: Korsisch» von Aline Haist und Rolf Kailuweit (S. 72 - 77). Dieser letzte Artikel macht insofern besonders neugierig, als die korsische Varietät des Italienischen selten thematisiert wird. Das Korsische zählt, wie die Autoren selber schreiben, «zu den lebendigsten Minderheitensprachen Frankreichs und ist hinsichtlich seiner Schrifttradition eine vergleichsweise junge romanische Sprache. [. . .] Die Verbreitung des Französischen und der französischen Kultur und der geringe Abstand zur historischen Einzelsprache Italienisch spielen innerhalb des Sprachausbauprozesses eine wichtige Rolle» (S. 72). Dass man heute «eine inter-thyrrenische Romania als Sprachgruppe» postuliert, «zu der sowohl korsische als auch sardische und süditalienische Varietäten an der Buchbesprechungen 151 tyrrhenischen Küste sowie toskanische Inselvarietäten zählen» (ebd.), dürfte manchem Romanisten neu sein. Die Zusammenstellung der phonetisch-phonologischen und grammatischen Merkmale, die Darstellung der externen Sprachgeschichte und glottopolitische Aspekte sind überaus instruktiv. «Grundsätzlich steht der Ausbau des Korsischen vor der Aufgabe, eine doppelte Diglossie bzw. triglossie [. . .] zu überwinden. Zum einen gilt es, das Korsische als Schriftsprache gegenüber dem Französischen zu etablieren und mit sprachkontaktinduzierten Hybridformen umzugehen. Zum anderen muss das Korsische vom Standarditalienischen abgegrenzt werden, damit seine sprachliche Eigenständigkeit gerechtfertigt bleibt» (S. 76). Zum Thema «Bedeutung und Gebrauch des Italienischen» hat Ursula Reutner einen Artikel über «Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung des Italienischen» (S. 78 - 84) und Sylvia Thiele einen Artikel über den «Unterricht des Italienischen in deutschsprachigen Ländern» (S. 84 - 94) beigetragen. Reutner behandelt die Bedeutung des Italienischen als nationale und regionale Amtssprache und in internationalen Organisationen, als Wirtschaftssprache in Vergangenheit und Gegenwart. Man muss kein Italianist sein, um die Bedeutung des Italienischen als Weltkultursprache zu kennen, nicht nur in den bildenden Künsten, in Literatur und «Gesellschaftsleben», sondern auch in der Musik und in Mode und Kulinarik. Die Frage, ob das Italienische zur scheinbar idealen Opernsprache geworden wäre, wenn die Oper nicht in Italien erfunden worden wäre, ist müßig; dass sie in Italien erfunden wurde, hat kulturelle Gründe, nicht sprachliche, und Opern gibt es längst nicht mehr nur auf Italienisch, sondern in allen europäischen Kultursprachen, sogar im angeblich so unmelodiösen Deutschen. Der Artikel schließt elegant mit einer italienischen Variante des bekannten Mottos von Nebrija: «Sempre la lingua fu compagna della cultura». Dass, wie Thiele schreibt, in Deutschland zwar eine gute halbe Million Schüler Latein lernt, aber kaum 50.000 Italienisch (S. 85), wird manchen überraschen. Sie zählt die wichtigsten Merkmale des Italienischen für Nichtitaliener und besonders für Deutsche auf und wendet sich ausführlicher Vermittlungsfragen zu. «Die Inputweicht der Outputorientierung» (S. 88) schreibt sie, d. h. «Es geht nicht mehr primär um die Frage, was die Lernenden noch nicht können, sondern was sie bereits beherrschen» (ebd.). Das kann freilich für Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen gelten, nicht nur für den «Unterricht des Italienischen als Fremdsprache.» Von didaktischer Phantasie zeugt der «Praxisausblick» anhand des Konzepts bar, angefangen mit dem Eintrag dieses Wortes im Zingarelli. Zu den Anregungen, die dieser Artikel gibt, gehört nicht zuletzt der Überblick über «Lehrwerke und Hilfsmittel». Buchbesprechungen 152 Die Artikelgruppe «Aussprache und Rechtschreibung» beginnt mit «Phonetik und Phonologie des Italienischen» von Matthias Heinz (S. 97 - 103), der auch Lernprobleme anspricht. Kontrastive Aussagen gehen ins Typologische, z. B.: «Maßgeblich für die Wahrnehmung des it. Vokalreichtums ist nicht die absolute Zahl der Vokaltypen, sondern deren hohe Vorkommenshäufigkeit (z. B. in Flexionsendungen)» (S. 98). Es folgt ein anspruchsvoller Artikel über die «Prosodie des Italienischen» von Christoph Gabriel (S. 103 - 109) und ein weiterer über die «Orthographie des Italienischen» von Rembert Eufe (S. 109 - 115). Die Artikelgruppe «Der Wortschatz» umfasst die Artikel «Aufbau und Differenzierung des Wortschatzes» von Helga Thomaßen (S. 116 - 121), «Etymologie und Wortgeschichte im Italienischen» von Johannes Kramer (S. 121 - 125), «Onomastik des Italienischen» von Holger Wochele (S. 125 - 131) und «Der Wortschatz der einsprachigen Lexikographie» von Elmar Schafroth (S. 131 - 138), dessen Wörterbuchvergleiche darüber aufklären, wie irreführend die Umfangsangaben der Verlage sein können. Zur Artikelgruppe «Wortbildung und Phraseologie» gehören die Artikel «Grundprinzipien der Wortbildung» von Daniela Marzo (S. 139 - 144), «Kollokationen und Funktionsverbgefüge» von Christine Konecny (S. 144 - 150) und «Phraseologismen» von Esme Winter-Froemel (S. 150 - 155), zur Gruppe «Satzgrammatik» die Artikel «Grundbegriffe der Beschreibung des Italienischen auf Satzebene» von Cecilia Poletto (S. 156 - 163), die sich nur auf italienische Autoren stützt und auch Christoph Schwarzes Grammatik der italienischen Sprache ( 2 1995; 2009 auch italienisch) nicht nennt; «Wortklassen» von Sascha Gaglia (S. 163 - 168), «Verb, Valenz, Satzbaupläne» von Fabio Mollica (S. 169 - 174), «Adverbiale» von Klaus Grübl (S. 174 - 180), «Komplexe Sätze» von Eva-Maria Remberger (S. 180 - 186), «Morphosyntax» von Livia Gaudino Fallegger (S. 186 - 192). Sarah Dessì Schmid geht in ihrem Artikel «Einzelaspekt: Tempus, Aspekt und Modus» (S. 192 - 201) hinter Weinrich zurück, dessen Tempustheorie von 1964 sich sowohl gegen die (von Wolfgang Pollak vertretene) Aspekttheorie als auch gegen onomasiologische Sprachbetrachtung richtete. Die aspektuelle und die textuelle Tempustheorie über den Begriff der Affinität miteinander zu vereinbaren, scheint noch nicht versucht worden zu sein. Der Artikel «Einzelaspekt: Wortstellung, Informationsstruktur und Passiv» von Ludwig Fesenmeier (S. 202 - 213) ist ein Beispiel (von mehreren) dafür, wieviel man auf wie wenig Seiten sagen kann. Es folgen noch «Einzelaspekt: Deixis» von Waltraud Weidenbusch (S. 213 - 218) und «Einzelaspekt: Pronominalsystem» von Georgia Veldre-Gerner (S. 219 - 224). Der Artikel «Kontrastierung und Übersetzbarkeit ausgewählter Strukturen des Italienischen und des Deutschen» von Michael Schreiber (S. 225 - 234), macht z.T. subtile Beobachtungen zum deutsch-italienischen Sprachvergleich. Vielleicht Buchbesprechungen 153 fand sich kein systematischerer Platz als am Ende der Artikelgruppe «Satzgrammatik» für den Artikel «Grammatikographie» von Otto Winkelmann (S. 234 - 241). Der Schwerpunkt liegt auf der italienischen Grammatikographie, aber auch einige außerhalb Italiens erschienene Werke kommen zur Sprache, darunter die von Winkelmann selbst mitverfasste, überaus bewährte Praktische Grammatik der italienischen Sprache ( 1 1989 - 8 2016). Hätte er auch amerikanische Grammatiken berücksichtigt, wäre vielleicht die Descriptive Italian Grammar von Robert A. Hall Jr. (Cornell Univ. Press 1948) zu nennen gewesen, die zu ihrer Zeit wegen ihres rigiden Distributionalismus Furore machte. Die Artikelgruppe «Text- und gesprächslinguistische Fragestellungen» beginnt mit «Textfunktionen, Textklassen und Textsorten» von Daniela Pirazzini (S. 245 - 250), die sich mit der Definition von Textualität und der Klassifizierung von Texten beschäftigt, jedoch mehr in funktionaler als in formaler Hinsicht. Sie orientiert sich an Werlich, nicht an Weinrich, und wie sich Textualität sprachlich manifestiert, ist nicht ihr Thema. In dieser Hinsicht ist der Artikel «Gesprächsorganisation» von Gudrun Held (S. 251 - 256) konkreter, und auf seine Art subtil ist, was Verena Thaler über «Sprachliche Höflichkeit im Italienischen» (S. 256 - 261) schreibt. Die Artikelgruppe schließt mit «Korpuslinguistik» von Annette Gerstenberg (S. 261 - 267). Der sprachwissenschaftliche Teil des Handbuchs schließt mit der Artikelgruppe, «Das Italienische in der Gesellschaft». Die behandelten Themen sind «Fachsprachen» von Falk Seiler (S. 268 - 273), «Italienisch in Institutionen» von Nadine Rentel (S. 273 - 278), «Sprache und Politik» von Julia Kuhn (S. 278 - 283), «Italienisch in den Medien» von Daniela Pietrini (S. 283 - 289) und «Italienisch in der Unternehmenskommunikation» von Fiorenza Fischer und Holger Wochele (S. 289 - 294). Der literaturwissenschaftliche Teil ist wie folgt gegliedert: I. Literaturtheoretische Grundlagen (S. 297 - 340) II. Italienischsprachige Literatur (chronologisch) (S. 341 - 413) III. Besonderheiten der italienischen Literatur (S. 414 - 459) Den Anfang macht ein Überblick über «Literaturtheoretische Fragestellungen» von Thomas Klinkert (S. 297 - 302) - eine allgemeine Einleitung, die dem sprachwissenschaftlichen Teil fehlt, wo sie vorstellbar gewesen wäre. Spezifischer ist der Artikel «Literaturwissenschaft in Italien» von Alberto Destro (S. 302 - 307), an dem für deutsche Leser besonders instruktiv sein könnte, dass Friedrich Schlegels für die Romantik so wichtige Vorlesungen über dramatische Kunst nach der französischen Fassung ins Italienische übersetzt wurden, was, wie dem Artikel von Andreas Gipper (s. w. u.) zu entnehmen ist, jedoch so ungewöhnlich nicht war. Destro ist Emeritus der Universität Bologna, umso mehr fragt man sich, was ihn Buchbesprechungen 154 bewogen hat, seinen seinerzeit hochberühmten Bologneser Vorgänger, Francesco Flora, Crocianer, Autor einer fünfbändigen, mehrmals aufgelegten Storia della letteratura italiana, nicht zu nennen. - Der Begriff «Erzähltextanalyse», Titel des anschließenden Artikels von Axel Rüth (S. 307 - 313), wird im Deutschen eher textlinguistisch verstanden. Für Rüth gilt das Erzählen «als eine Universalie [. . .]. Besonders stark präsent ist das Erzählen in den Künsten [. . .], insbesondere in der Literatur» (S. 307). Spezifisch textlinguistisch ist der Verweis auf Genette. - Es folgt eine Gruppe von gattungsanalytischen Artikeln: «Analyse von Gedichten, Lyrik und Liedtexten» (Andreas Bonnermeier, S. 313 - 319), «Dramenanalyse» (Rolf Lohse, S. 319 - 324), «Filmanalyse» (Uta Felten, S. 324 - 330), «Medienanalyse» (Luca Viglialoro, S. 330 - 335). Andreas Gipper zeichnet in dem Artikel «Literarische Übersetzung» (S. 335 - 340), der diese Artikelgruppe abschließt, wie das heute so übersetzungsproduktive Italien erst spät, nach Frankreich, Spanien, aber auch England mit Übersetzen anfing und wie erst im Laufe der Zeit Übersetzungen, anfangs volgarizzamenti an ‘ Dignität ’ gewannen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs begannen Vittorini und Pavese, amerikanische Literatur zu übersetzen. Scrittori tradotti da scrittori sind ein Merkmal italienischer Übersetzungskultur. Die Artikelgruppe «Italienischsprachige Literatur (chronologisch)» umfasst die Artikel «Italienische Literatur des Mittelalters» (Anna Isabell Wörsdörfer, S. 341 - 347), «. . .des Trecento» (David Nelting, S. 348 - 358), «. . .des Quattrocento» (Susanne Goumegou, S. 358 - 365), «. . .des Cinquecento» (Steffen Schneider, S. 365 - 375), «. . .des Seicento und Settecento» (Dietrich Scholler, S. 376 - 386), «. . .des Ottocento» (Peter Ihring, S. 386 - 396), «. . .des Novecento» (Rotraud von Kulessa, S. 396 - 406) und «. . .der Gegenwart» (Francesca Bravi, S. 407 - 413). Was mag die Autorin des Artikels über das 20. Jahrhundert bewogen haben, Silone (1900 - 1978) und Rodari (1920 - 1980) nicht zu nennen? Ignazio Silone wird in einem späteren Artikel gewürdigt (S. 568), Gianni Rodari gar nicht. Der Dichter und Zeichner Rodari, 2020 durch Aufnahme in die Meridiani des Verlags Mondadori geadelt, lässt sich auch didaktisch einsetzen. Es folgt eine Gruppe von Artikeln zu «Besonderheiten der italienischen Literatur», die mit einem Artikel über «Die italienische Literatur und die questione della lingua» von Judith Frömmer (S. 414 - 421) beginnt. Fabien Vitali stellt «[d]ie Literaturen Siziliens und Sardiniens» (421 - 428) dar, von denen diejenige Siziliens die bedeutendere ist, angefangen mit der Scuola siciliana über die Veristen Capuana, Verga und De Roberto sowie Pirandello und Tomasi di Lampedusa bis zu den Kriminalautoren Sciascia und Camilleri. «Vom Unbehagen im Idyll», so charakterisiert Vitali die Werke der Sarden Grazia Deledda (1871 - 1936) und Salvatore Satta (1902 - 1977). Zu dieser Artikelgruppe gehören noch «Die transkulturelle italophone Literatur» von Dagmar Reichardt (S. 428 - 436), wofür es seit Buchbesprechungen 155 dem Mittelalter Beispiele gibt und die zeitgenössische italophone Migrationsliteratur emblematisch ist, ferner «Die italienische Literatur und der Film» von Sabine Schrader (S. 437 - 442), «Die italienische Literatur und die bildende Kunst und Musik» von Tanja Schwan (S. 442 - 447) und «Italienische Nobelpreisträger/ innen für Literatur» von Milan Herold (S. 448 - 453). Den Schluss des literaturwissenschaftlichen Teils bildet ein Artikel von Silke Segler-Meßner über «Letteratura al femminile und andere Genderfragen» (S. 453 - 459), der vermuten lässt, dass Frauen in der italienischen Literatur, ebenso wie in Kunst und Musik, früher und öfter in Erscheinung treten konnten als in anderen Ländern. Der kulturwissenschaftliche Teil ist wie folgt gegliedert: I. Grundlagen der Kultur- und Landeswissenschaften (S. 463 - 479) II. Geschichte und Politik Italiens (S. 480 - 529) III. Italien: historisch-systematische Problemfelder und Schlüsselbegriffe (S. 530 - 583) IV. Kultur, Medien, Öffentlichkeit (S. 584 - 655) Die Artikelgruppe «Grundlagen der Kultur- und Landeswissenschaften» beginnt mit einer willkommenen Reflexion über den theoretischen Status einer «Italianistische[n] Landes- und Kulturwissenschaft» von Anna Campanile (S. 463 - 469). Was man als deren Explikandum bezeichnen kann, ist Thema des Artikels von Stephanie Neu-Wendel, «Kategorien der Identität: Italianità» (S. 469 - 474), zu deren spezifischen Merkmalen die oft negative Selbstwahrnehmung der Italiener gehört. In dem Artikel über «Deutsch-italienische Kulturbeziehungen» von Eugenio Spedicato (S. 474 - 479) hätte man sich auch einen Absatz über die deutsche Italianistik vorstellen können. Es folgen sechs Artikel zu «Geschichte und Politik Italiens», und zwar «Italien von den Anfängen bis ins Spätmittelalter» von Filippo Carlà-Uhink (S. 480 - 487), «Italien von der Renaissance bis zum Risorgimento» von Matthias Schnettger (S. 487 - 494), «Das geeinte Italien bis zum Ende der sog. Prima Repubblica» von Lutz Klinkhammer (S. 494 - 505), «Die Seconda Repubblica» von Alexander Grasse (S. 505 - 517), «Die Kolonialgeschichte Italiens» von Aram Mattioli (S. 517 - 522), die von einer für unitalienisch gehaltenen Brutalität war, und «Italiens Stellung in Europa und der Welt» von Roberto Ubbidiente (S. 522 - 529), der mit Zahlen belegt, dass Italienisch eine der meistgelernten Fremdsprachen der Welt ist. «Wie die 70-jährige Geschichte der Repubblica italiana zeigt,» schreibt Ubbidiente, «hat es das Belpaese bisher immer geschafft, der Süden des Nordens sowie der Osten des Westens zu sein. Doch mittlerweile riskiert Italien, zum Norden des Südens bzw. zum Westen des Ostens zu werden» (S. 526), und er schließt mit dem Satz, «dass die Welt Italien zumindest genauso braucht, wie dieses die Welt» (S. 529). Buchbesprechungen 156 Zur Thematik «Italien: historisch-systematische Problemfelder und Schlüsselbegriffe» gehören die Artikel «Italiens Siedlungen» von Klaus Rother (S. 530 - 535), «Italiens Wirtschaft» von Ulrich Glassmann (S. 536 - 541), «Demographie und Gesellschaft» von Luca Rebeggiani (S. 541 - 547). In dem Artikel «Die autonomen Regionen und ethnischen Minderheiten Italiens» von Elton Prifti (S. 547 - 556) erscheint Italien als ein Vielvölkerstaat, dessen größte autochthone Minderheit die Sarden mit ca. 1 Mio. Mitgliedern und die größte allochthone Minderheit die rumänischsprachige Gemeinschaft mit insgesamt ca. 1.340.000 Mitgliedern darstellen. Dass und wie «Italien vom Emigrationszum Immigrationsland» geworden ist, vertieft der anschließende Artikel von Elisabeth Tiller (S. 556 - 561). Die wichtigste germanischsprachige Bevölkerungsgruppe machen die Südtiroler aus, die mit 64 % oder ca. 315.000 Personen die Mehrheit in der Provinz Südtirol bilden. - Klassische Themen der Italienkunde sind: «Das Verhältnis von Kirche und Staat in Italien» (Christine Liermann Traniello/ Francesco Traniello, S. 561 - 566), «Die Problematik des Mezzogiorno» (Angela Oster, 566 - 572) und «Die Mafia» (Letizia Paoli, S. 572 - 578). Aktuell ist die Thematisierung der «Ökologische[n] Herausforderungen der Moderne» durch Caroline Lüderssen (S. 578 - 583). Ihr geht es um die ästhetische, insbesondere literarische Verarbeitung eines ökologischen Bewusstseins («ecologia letteraria»), die bei den amerikanischen Transzendentalisten angefangen hat und in Italien mit Namen wie Calvino, Pasolini, auch Gramsci verbunden ist, jüngere Autoren und Autorinnen mit dem Thema «Naturkatastrophen und Ökologie» hier nicht zu nennen. «Venedig steht exemplarisch für einen durch den Menschen errichteten und dann zerstörten Raum, denkt man an die Großbauprojekte (Mose, Marghera), die Gefahren durch overtourism, die in ästhetischen und politischen Diskursen thematisiert werden» (S. 582). Zur Artikelgruppe «Kultur, Medien, Öffentlichkeit» gehören: «Kulturpolitik und Medienlandschaft in Italien» von Michele Vangi (S. 584 - 592) - u. a. mit dem Hinweis auf die vergleichsweise eingeschränkte Pressefreiheit (2018 auf Platz 46 der Rangliste). Der Bibliographie möchte man das Buch von Giorgio Boatti, Preferirei di no. Le storie dei dodici professori che si opposero a Mussolini (Torino: Einaudi 2001) hinzufügen. Domenica Elisa Cicala widmet einen Abschnitt ihres Artikels über «[d]as italienische Bildungssystem» (S. 592 - 597) «[n]arrative[n] Darstellungen»: Literarisierungen des Schulwesens, angefangen bei Edmondo De Amicis ’ Cuore von 1886. Es folgen die Artikel «Bildende Kunst in Geschichte und Gegenwart» (Elisabeth Oy-Marra, S. 597 - 604), «Architektur und Städtebau in Geschichte und Gegenwart» (Harald Bodenschatz, S. 604 - 609), «Musik in Geschichte und Gegenwart» (Gesa zur Nieden, S. 609 - 615), «Theater in Geschichte und Gegenwart» (Daniel Winkler/ Sabine Schrader/ Gerhild Fuchs, S. 615 - 621) und «Der italienische Film» ( Julia Brühne, S. 615 - 626) - klassische Themen jeder Buchbesprechungen 157 Beschäftigung mit Italien. Mara Persello erinnert in ihrem Artikel über «Volks-, Alltags- und Subkulturen in Italien» (S. 626 - 633) daran, dass Dantes Divina Commedia, die heute zur Hochkultur gehört, da auf Italienisch geschrieben, früher zur Volkskultur gehörte. Man denke aber auch an die Auftritte TuttoDante von Roberto Benigni. (Gegen Aberglauben scheint selbst das akademische Milieu nicht gefeit zu sein, wie jeder erleben kann, der nach dem Verfasser des Buches La carne, la morte e il diavolo [1930] fragt und keine Antwort erhält, weil die Nennung seines Namens Unglück bringen soll.) Zur vom Faschismus forcierten Italianisierung der Sprache des Sports vgl. jetzt Gesine Seymer, Fremdwörter in der italienischen Sportsprache (1920 - 1979): lexikalischer Wandel unter dem Einfluss des faschistischen Fremdwortpurismus im Spiegel von «La Stampa» (Berlin/ Boston: de Gruyter [2021]. Marita Liebermann («Kulturstädte Italiens», S. 633 - 638) stellt die Polyzentralität Italiens insofern als Glücksfall dar, als die Stadtstaaten auch kulturell miteinander wetteiferten (wie die Kleinstaaten im deutschen Partikularismus). Sie konzentriert sich auf das Verhältnis Mailand-Rom und auf das «Paradigma Venedig» und sieht die «Gefahr der Musealisierung und Uniformierung der Kulturstädte durch deren touristische und anderweitige Vermarktung, also die Zerstörung der einen Kulturform (Stadt) durch eine andere (Tourismus)» (S. 637). Die letzten Artikel sind noch zwei Erscheinungen der Italianità gewidmet: «Italienische Esskultur» von Christine Ott (S. 638 - 644) und «Mode und Design» von Dagmar Reichardt (S. 644 - 650), der allerletzte Artikel «Italienbilder[n] in der deutschsprachigen Literatur und im Film» (Anne-Rose Meyer, S. 650 - 655). Die Artikel sind nummeriert, und Querverweise auf andere Artikelnummern eröffnen dem Leser alternative Zugänge zu einem Thema. Der Orientierung dienen auch die Register: ein Sachregister (S. 657 - 675) und ein Personenregister (S. 677 - 690), worauf noch ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren mit ihren Wirkungsorten (S. 691) folgt. Im Sachregister wird das Wort Frieden, das hier niemand sucht, 17mal nachgewiesen, die drei historischen Friedensschlüsse, die dort auch nachgewiesen sind, gar nicht mitgezählt. Dafür fehlt ein Begriff wie Grand Tour, der sehr wohl vorkommt und eines von Dagmar Reichardts Beispielen für italophone Transkulturalität ist. Abkürzungen (z. B. IPA=International Phonetic Association, S. 97) oder gar ein eigenes Abkürzungsverzeichnis fehlen. (Dass im Sachregister beim Buchstaben I die alphabetische Reihenfolge durcheinandergeraten ist, merkt und korrigiert der Leser selbst.) Das Personenregister scheint nicht die Bibliographien einzuschließen, aber es fehlen auch Namen, die in den Texten prominent sind. So ist S. 305 in zwei Sätzen nacheinander von Giuseppe De Robertis, Gianfranco Contini, Karl Vossler und Leo Spitzer die Rede, aber nur De Robertis und Vossler haben es auch ins Personenregister geschafft, Contini und Spitzer nicht. Buchbesprechungen 158 Gendersternchen (die in der Linguistik ‘ ungrammatische Form ’ bedeuten), Unterstriche oder Doppelpunkte bleiben dem Leser erspart. Die Beiträge sind nach dem Muster Italiener/ innen mit der üblichen Inkonsequenz - mal ja, mal nicht - gegendert. Nur im Vorwort (S. VII - X) werden beide Formen ausgeschrieben, und wenn auf ganzen vier Seiten von Schülerinnen und Schülern, Sprecherinnen und Sprechern, Literatinnen und Literaten, Künstlerinnen und Künstlern, Autorinnen und Autoren, Vertreterinnen und Vertretern, Italianistinnen und Italianisten, Germanistinnen und Germanisten, Doktorandinnen und Doktoranden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Beiträgerinnen und Beiträgern die Rede ist, z.T. mehrmals, wünscht man sich das generische Maskulinum zurück. Dass in dem Handbuch «der zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktuellste Stand der wissenschaftlichen Diskussion abgebildet» werde, wie der Werbeflyer behauptet, bestätigt sich - dass der Stand der Diskussion «auf allgemeinverständliche Weise zugänglich gemacht» werde, dürfte auf die sprachwissenschaftlichen Artikel am wenigsten zutreffen. Nur, wer interessiert sich schon gleichzeitig für italienische Korpuslinguistik, für Übersetzungen ins Italienische und für die Siedlungsgeschichte Italiens? Das heißt, jeder der drei Teile - Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft - wendet sich an andere Leser. Dem ließe sich Rechnung tragen, indem man das teure Handbuch, das Bibliotheken vorhalten werden, in drei erschwingliche Einführungen aufspaltete: eine Einführung in die italienische Sprachwissenschaft, eine in die italienische Literaturwissenschaft und eine in die italienische Kulturwissenschaft. Handbücher bergen die Gefahr, dass in ihnen festgeschrieben wird, was in ständiger Entwicklung ist, und eine Aufspaltung in drei Einführungen hätte den weiteren Vorteil, dass jede sich leichter aktualisieren ließe als das ganze Handbuch. Die wenigen kritischen Bemerkungen können der großen intellektuellen und organisatorischen Leistung, die das Handbuch Italienisch darstellt, nichts anhaben. Dem ehemaligen Orchideenfach Italienisch stellt es ein schönes Zeugnis aus. Harro Stammerjohann Buchbesprechungen 159