eJournals Italienisch 45/90

Italienisch
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2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2023-0019
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2024
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Italien als Gastland der Buchmesse 1988 I 2024

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Caroline Lüderssen
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Italien als Gastland der Buchmesse 1988 I 2024 Caroline Lüderssen Diejenigen, die den ersten Gastlandauftritt Italiens bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1988 miterlebt haben, erinnern sich in diesem Spätsommer 2024 zwangsläufig an die schwungvolle Präsentation der literarischen Landschaft von damals, an die Gestaltung des Gastlandpavillons, an das Programm der Lesungen mit beeindruckenden Gästen, die lebendige, fast festliche Stimmung. Die „Gastlandregelung“ war noch neu, Italiens Auftritt unter dem Motto „Diario Italiano“ war allüberall von einem Aufbruchsgefühl und von Neugier geprägt. Die großen Texte und Themen der Nachkriegszeit waren präsent: „Der Geist von Turin“, wie Maike Albath (2010) die Gruppe der Intellektuellen um den Einaudi-Verlag genannt hat, war noch lebendig, mit Primo Levi, Cesare Pavese, Italo Calvino und Natalia Ginzburg (die auf der Messe sogar noch dabei war), einer Gruppe, deren antifaschistische Haltung für die nachfolgende Generation prägend bleiben würde. Das alles war Anlass für Begeisterung des Lesepublikums und Anerkennung der Kritik. Der Blick der jungen Autoren---Antonio Tabucchi, Stefano Benni, Andrea De Carlo, Daniele Del Giudice, Pier Vittorio Tondelli u.-v.-a.---lebte von einem neuen, auch vom Film geprägten erzählerischen Gestus und von einer Hinwendung zu aktuellen Themen - Ökologie, Friedensbewegung, kulturelle Öffnung. Hinzu kam der Erfolg der Werke Umberto Ecos, die das Genre des historischen Romans erneuerten, beginnend mit Il nome della rosa (1980, auf Deutsch in der Übersetzung von Burkhart Kroeber 1982) - auf dieser Welle durfte der Gastlandauftritt 1988 mitreiten. Bei den Veranstaltungen gab es zudem einen Schwerpunkt „Lyrik“ mit Begegnungen mit Mario Luzi, Giorgio Caproni, Edoardo Sanguineti und anderen. In der Zeitschrift Italienisch (Nr. 20/ 1988) erschienen Gedichte von Gabriella Sica, Claudia Damiani, Giacomo F. Rech und Beppe Salvia, die auch einen Abend während der Messe in der Deutsch-Italienische Vereinigung e. V. gestalteten. Dieser Logik folgend sind im aktuellen, zur Buchmesse 2024 erscheinenden Heft neue Gedichte von Gabriella Sica und Antonio Prete mit DOI 10.24053/ Ital-2023-0019 deutscher Übersetzung enthalten, die sich zum einen im poetischen Dialog an den 2016 verstorbenen Lyriker Valentino Zeichen erinnern und zum anderen dem neuen nature-writing widmen. Dass Dacia Maraini mit einer Übersetzung ihrer im April veröffentlichten Erinnerung an Elsa Morante hier ebenfalls vertreten ist, hat eine besondere Strahlkraft, ist sie doch eine Autorin, die sowohl 1988 als auch 2024 auf der Messe präsent war bzw. ist. Man erlebte 1988 gewissermaßen eine literarische ʻWuchtʼ all’ italiana in Frank‐ furt, ein Gefühl, das sich nicht nur über die Bar-Stimmung im nachgebauten Triestiner „Caffè degli Specchi“, das Teil des Pavillons (gestaltet von Mario Garbuglia, z.T. inspiriert durch Ansichten aus Viscontis „Gattopardo“-Film) und Anziehungspunkt für die ganze Messe war, vermittelte - Stefano Bennis Bar Sport von 1976 war 1988 in fünfter Auflage erschienen. Auch in einem lebendigen Austausch der ganzen Branche, generationen- und länderübergreifend, manifes‐ tierte sich die Fähigkeit zu einem Dialog, der Jahrzehnte fruchtbar bleiben sollte. Ausdruck dieser Verfasstheit der italienischen Literaturszene von damals kann bis heute der Almanach zur italienischen Literatur der Gegenwart sein, herausgegeben von Viktoria von Schirach, den der Hanser-Verlag zur Messe 1988 publiziert hat: eine alphabetische Übersicht der literarischen Welt Italiens, bibliographisch ergänzt, unterbrochen von Essays der Autorinnen und Autoren selbst, ein Abbild des damaligen Panoramas, Handbuch und Anleitung in einem. Politisch war das alles natürlich auch. Und auch damals gab es Polemik, wegen des überbordenden Spektakels, das für manche Beteiligte die Sache selbst - die Literatur - überstrahlte. „Erfüllter Traum“ titelte der Spiegel und sprach von „Monstershow“. In der Beurteilung des Erlebens sind sich viele Zeitgenossen jedoch einig, dass die positiven Eindrücke der Italien-Buchmesse 1988 die kritischen Punkte überwiegen. Der neue Auftritt Italiens als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse 2024 findet unter sehr veränderten politischen Verhältnissen in Italien, in Europa und weltweit statt. Auch die literarische Landschaft in Italien ist vielfältiger ge‐ worden. Man darf darauf vertrauen: Die anwesenden Autorinnen und Autoren werden wie seinerzeit auf den Podien innerhalb und außerhalb der Messe in einen lebendigen Dialog mit dem Publikum treten, so wie es Paolo Giordano Anfang August in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung formuliert hat: „Ich wünsche mir eine Vernetzung von uns Schriftstellern und Intellektuellen auf europäischer Ebene. Alle schauen wieder zu sehr nur auf sich selbst. Wir sollten gemeinsam über Europa und die Herausforderungen in unseren Ländern nachdenken“ (4.8.2024). DOI 10.24053/ Ital-2023-0019 4 Caroline Lüderssen