Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2023-0031
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2024
4590
Fesenmeier Föcking Krefeld OttDie Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen
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2024
Alina Lohkemper
Der idiomatische Bereich einer Sprache ist für Fremdsprachenlernende oft schwer zu erfassen. Während sich viele ein- und zweisprachige Wörterbücher mit Sprichwörtern beschäftigen, wird den Konversationsroutinen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl diese auf kommunikative Handlungen mit rituellem Charakter innerhalb einer Gesellschaft hinweisen (vgl. Coulmas 1981, 16). In diesem Aufsatz werden daher einige Routinen in ihrer Übersetzung aus dem Italienischen ins Deutsche in ausgewählten Wörterbüchern und Lehrbüchern untersucht, um zu prüfen, ob sie auf allen relevanten sprachlichen Ebenen kongruent sind. Dabei werden insbesondere die Unterschiede zwischen Form und Funktion hervorgehoben.
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Zur Praxis des Italienischunterrichts Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen Eine Wörterbuch- und Lehrwerksanalyse ausgewählter Routineformeln aus der Perspektive Fremdsprachenlernender des Italienischen Alina Lohkemper L’area idiomatica di una lingua è spesso difficile da cogliere per chi sta apprendendo una lingua straniera. Se molti dizionari monolingui e bilingui trattano i proverbi, poca attenzione è dedicata alle routine conversazionali, sebbene queste siano indice di azione comunicative di carattere rituale all’interno di una società (cfr. Coulmas 1981, 16). In questo saggio, quindi, esamineremo alcune routine nella loro traduzione dall’italiano al tedesco in dizionari e libri di testo selezionati, per verificare se sono congruenti a tutti i livelli linguistici rilevanti. In particolare, verranno sottolineate le differenze tra forma e funzione. Der idiomatische Bereich einer Sprache ist für Fremdsprachenlernende oft schwer zu erfassen. Während sich viele ein- und zweisprachige Wör‐ terbücher mit Sprichwörtern beschäftigen, wird den Konversationsrou‐ tinen wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl diese auf kommunika‐ tive Handlungen mit rituellem Charakter innerhalb einer Gesellschaft hinweisen (vgl. Coulmas 1981, 16). In diesem Aufsatz werden daher einige Routinen in ihrer Übersetzung aus dem Italienischen ins Deutsche in ausgewählten Wörterbüchern und Lehrbüchern untersucht, um zu prüfen, ob sie auf allen relevanten sprachlichen Ebenen kongruent sind. Dabei werden insbesondere die Unterschiede zwischen Form und Funktion hervorgehoben. DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 1 Für das Italienische können beispielsweise folgende einschlägige Wörterbücher ange‐ führt werden: Turrini/ Alberti (1995) und Castoldi/ Salvi (2004). Beispiele für bilinguale Sammlungen von Sprichwörtern wären hingegen Möller (2011) und Krieg (2018). 1 Einleitung Der idiomatische Bereich einer Sprache ist für Fremdsprachenlernende oft schwer zu erfassen. Vokabeltraining reicht nicht aus, um die Nuancen ritua‐ lisierter Ausdrücke in Gänze zu verstehen. Während sich viele mono- und bilinguale Wörterbücher mit Sprichwörtern auseinandersetzen, 1 wird den all‐ täglich gebrauchten Routineformeln wenig Beachtung geschenkt, obwohl diese ein Indiz für kommunikative Handlungen mit rituellem Charakter innerhalb einer Gesellschaft sind (vgl. Coulmas 1981, 16). Im vorliegenden Aufsatz werden daher die drei Routinen Come stai/ va? , Figurati! und Permesso? in ihrer Über‐ tragung vom Italienischen ins Deutsche in ausgewählten Wörterbüchern und Lehrwerken betrachtet, um zu prüfen, auf welchen sprachlichen Ebenen Kon‐ gruenzen vorliegen. Dabei werden vor allem die Unterschiede zwischen Form und Funktion herausgestellt. Zuerst wird die Stellung von Routineformeln in der Phraseologie beschrieben, bevor sowohl aus linguistischer als auch fremdsprachendidaktischer Perspek‐ tive auf das Problem des Übertragens von Routineformeln in andere Kulturen eingegangen wird. Es folgt eine Analyse der drei ausgewählten Routinen aus der Perspektive der Fremdsprachenlernenden des Italienischen mit der Erstsprache Deutsch, deren Grundlage drei zweisprachige deutsch-italienische Wörterbü‐ cher, drei Italienisch-Lehrwerke sowie drei einsprachige italienische Wörter‐ bücher bilden. Gleichzeitig werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Ausführungen zu den Routineformeln in den unterschiedlichen Nachschlagewerken diskutiert und neue Möglichkeiten der Darstellung von Routinen in Wörter- und Schulbüchern entwickelt, durch die Rückschlüsse auf die jeweilige Kultur ermöglicht werden und aufgezeigt wird, ob, wie und wann eine Routine verwendet werden sollte. 2 Routineformeln als Phraseologismen Routineformeln zählen zu den kommunikativen Phrasemen. Nach Burger wird in der Phraseologieforschung zwischen drei hauptsächlichen Zeichenfunkti‐ onen von Phrasemen unterschieden: referentiell, strukturell und kommunikativ. Während sich das referentielle Phrasem auf Objekte, Vorgänge oder Sachver‐ DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 170 Alina Lohkemper 2 Ein Beispiel wäre ʻSchwarzes Brettʼ. 3 Ein Beispiel wäre das präpositionale ʻim Hinblick aufʼ. 4 Auf die weitere Klassifikation der referentiellen und strukturellen Phraseme kann an dieser Stelle nicht en détail eingegangen werden. 5 Burger (2015, 14-26) unterscheidet zwischen der psycholinguistischen, strukturellen und pragmatischen Festigkeit. 6 Wobei auch hier der Übergang zu Festen Phrasen fließend ist (vgl. Burger 2015, 41-45). 7 Coulmas (1981, 119/ 120) unterteilt die Routineformeln in fünf Kategorien. Diese feingliedrigere Klassifizierung erschwert die Zuordnung der Formeln, da jede mehreren Kategorien zugleich angehören kann. Bevorzugt wird daher die Einteilung von Burger, obgleich dieser mehrere Funktionen einer Kategorie zuordnet und diese noch relativ unspezifisch sind. halte der fiktiven oder realen Welt bezieht, 2 hat ein strukturelles Phrasem 3 die Funktion, auf syntaktischer Ebene Relationen herzustellen. 4 Kommunikative Phraseme zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie „bestimmte Aufgaben bei der Herstellung, Definition, dem Vollzug und der Beendigung kommunika‐ tiver Handlungen“ (Burger 2015, 31/ 32) übernehmen. Sie sind zumeist hochst‐ andardisiert und voraussagbar (vgl. Coulmas 1981, 13/ 14). Ein erstes Beispiel für diese Gruppe ist das kommunikative Phrasem ʻGuten Morgenʼ (vgl. ebd.). Jedes kommunikative Phrasem kann zwar als Routineformel bezeichnet werden, umgekehrt sind jedoch nur gewisse Routineformeln kommunikative Phraseme. Von den beiden für die Phraseologie im weiteren Sinne notwendigen Kriterien, Festigkeit 5 und Polylexikalität, erfüllen einige Routinen nämlich nur eine: Das Kriterium der Festigkeit scheint gerade bei Routinen durch ihren zumeist täglichen Gebrauch eindeutig gegeben (vgl. ebd., 14-17). Das Kriterium der Polylexikalität wiederum, das nur dann erfüllt wird, wenn ein Phrasem aus „mindestens zwei orthographisch getrennte[n] Wörter[n] [besteht und] der Satz […] die obere Grenze phraseologischer Wortverbindungen [bildet]“ (ebd., 15), trifft nicht auf alle Routinen zu, 6 wie z. B. das alleinstehende Wort ʻdankeʼ zeigt (vgl. ebd., 45). Somit stellen Routineformeln im Vergleich zu kommunikativen Phrasemen einen weiter gefassten Terminus dar. Burger (2015, 45/ 46) unterscheidet zwei Typen 7 von Routineformeln: 1. Gruß-, Glückwunsch- und andere Arten von ʻFormelnʼ 2. gesprächsspezifische Formeln bzw. Gesprächsformeln Die Formeln des ersten Typs werden auch als ʻRoutineformeln im engeren Sinneʼ gefasst. Diese haben eine situativ bestimmbare Funktion und „ein gewisses Maß an struktureller Festigkeit“ (ebd., 46); eine Grußformel, wie ʻhalloʼ, steht am Anfang eines Gesprächs und leitet eine Kommunikationssituation ein. Daneben gibt es auch Routinen, die sich ausschließlich auf spezifische Situationen DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 171 8 Zur Vertiefung schriftlicher Textroutinen siehe Feilke (1996; 2012). 9 Vgl. hierzu auch Donalies (2009); Coulmas (1981); Lüger (1993); Sosa (2006); Filatkina (2010). 10 Palm (1997, 33) nennt Routineformeln daher auch Sprechaktformeln. 11 Coulmas (1981, 14/ 15) begründet die Eliminierung der semantischen Dimension mit Wittgenstein, der den Gebrauch als Bedeutung ansieht. 12 Kontaktfunktion, Stärkung der Verhaltenssicherheit, Schibboleth-Funktion, Konventi‐ onalitätsfunktion. 13 Gesprächssteuerung, Evaluation, Metakommunikation, Entlastungsfunktion. beziehen und nur von bestimmten Personen geäußert werden, wie z. B. ʻDie Verhandlung ist hiermit geschlossenʼ. In vielen Fällen ist die Festigkeit der Routineformeln im engeren Sinne eine statischere als bei anderen Phrasemen. Trotz ihrer Häufigkeit in der mündlichen Kommunikation findet man diese auch im Schriftlichen 8 vor, wie z. B. ʻMit freundlichen Grüßenʼ am Ende von Briefen (vgl. ebd., 45/ 46). Der zweite Typ der Routineformeln weist einen hohen Grad an Variabilität und lexikalischem Freiraum auf (Bsp.: ʻdas will ich ganz deutlich sagenʼ) (vgl. ebd., 46/ 47). Die Festigkeit der Formeln äußert sich lediglich dadurch, „dass sie den Sprechern als abrufbare Einheiten zur Bewältigung wiederkehrender kommunikativer Aufgaben, insbesondere in exponierten bzw. kritischen Phasen der Kommunikation zur Verfügung stehen“ (ebd., 46). Vor allem metakommu‐ nikative Formeln, durch die das Wortfindungsproblem explizit angesprochen wird (wie z.B.ʻWie heißt das? ʼ), geben dem Sprechenden die nötige Zeit, eine treffende Formulierung zu finden (vgl. ebd., 47/ 48). Meist treten die Formeln im mündlichen Gebrauch auf, wie ʻwie schon gesagt wurdeʼ. Im Bereich der Gesprächssteuerung, der Textgliederung und der Beziehung zwischen den Gesprächspartner*innen können den Formeln verschiedene Funktionen zuge‐ schrieben werden, mit denen „immer wiederkehrende kommunikative Hand‐ lungen, die man als ʻkommunikative Routinenʼ bezeichnen kann“ (ebd., 45), 9 bewältigt werden. Für gewöhnlich stellt sich dabei eine Funktion als dominant heraus (Bsp.: ‘oder nicht? ’ = Übergabe der Sprecherrolle) (vgl. ebd., 47; Stein 1995, 239-243). Da Routineformeln sehr stark kontextgebunden sind, lassen sie sich innerhalb der Pragmatik besonders gut untersuchen. Die pragmatische Betrachtung 10 von Routinen gewinnt dadurch an Relevanz, dass diese ihre ursprüngliche Wortbe‐ deutung verloren, aber auch keine andere hinzugewonnen haben (De-Semanti‐ sierung). Somit ist es oft nur die kommunikative Funktion oder illokutionäre Kraft, aus der sich die Bedeutung einer Routine erschließt (vgl. Burger 2015, 45-48; Coulmas 11 1981, 72). Coulmas (1981, 94-108) teilt die verschiedenen kommunikativen Funktionen in soziale 12 und diskursive 13 ein, wobei viele DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 172 Alina Lohkemper 14 Auf weitere und kleinschrittigere Einteilungen der Funktionen von Routineformeln, wie sie z.-B. Lüger (2007, 450-452) vornimmt, wird hier nicht eingegangen. 15 Abgesehen von regionalen, dialektalen und fremdsprachlichen Differenzen. 16 An dieser Stelle sei auf Jakobsons (1959, 233) Ausführungen zur interlingual translation verwiesen. dieser Funktionen gemeinsam auftreten können, aber unterschiedliche Aspekte beleuchten. 14 Obwohl einige Routineformeln einen Rest an semantischem Po‐ tential aufweisen (ʻGuten Morgenʼ), stimmt dieses oft nicht mit dem üblichen Sprachgebrauch überein, wie an der Routine ʻGuten xʼ verdeutlicht werden kann, in die die Tageszeiten ʻMittagʼ und ʻNachmittagʼ nicht eingesetzt werden. Somit divergiert die eigentliche von der durch die Routine evozierte Tageseinteilung (vgl. Burger 2015, 48). 15 3 Zum Problem des Übertragens von Routineformeln in andere Kulturen Ein Problem stellt nun die Übersetzbarkeit einer Routineformel von einer Ausgangsin eine Zielsprache dar. 16 Daher erfolgt zunächst eine Annäherung an den polyvalenten Übersetzungsbegriff. Che cosa vuole dire tradurre? La prima e consolante risposta vorrebbe essere: dire la stessa cosa in un’altra lingua. Se non fosse che, in primo luogo, noi abbiamo molti problemi a stabilire che cosa significhi ‘dire la stessa cosa’ […]. In secondo luogo perché, davanti a un testo da tradurre, non sappiamo quale sia la cosa. Infine, in certi casi, è persino dubbio che cosa voglia dire dire. (Eco [2003] 2010, 9) Mit diesen Worten beginnt Ecos Buch Dire quasi la stessa cosa. Esperienze di traduzione, der den Versuch, eine adäquate Definition für das gesamte Konzept der Übersetzung zu finden, problematisiert. Indem er bereits zu Beginn darstellt, dass eine Definition des Übersetzungsbegriffs zunächst simpel erscheint, aber die Umsetzung im Prozess des Übersetzens prekär ist, kann geschlussfolgert werden, dass es im semiotischen Sinne oftmals keine Eins-zu-eins-Übersetzung geben kann. Trotz aller Skepsis werden seit jeher Übersetzungen angefertigt und sind auch fester Bestandteil des Italienischunterrichts. Um die Spannweite des Übersetzungsbegriffs darzulegen, werden nachfol‐ gend die zwei Extrema der Übersetzungsdefinitionen vorgestellt, die als Konti‐ nuum gedacht werden können und dadurch eine neutrale Annäherung an den Übersetzungsbegriff erlauben. Die erste Definition bezieht sich dabei auf die lexikalische Äquivalenz, die bei einem Übersetzungsvorgang zwischen zwei DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 173 Sprachen hergestellt werden soll. Eine derartige Definition liefert Oettinger (1960, 104): Translating may be defined as the process of transforming signs or representations into other signs or representations. If the originals have some significance, we gene‐ rally require that their images also have the same significance, or, more realistically, nearly the same significance. Mit diesem Plädoyer für eine Wort-für-Wort-Übersetzung im Sinne der Substi‐ tutionsdoktrin weist Oettinger gleichzeitig auf die Tücken dieser Definition hin. Eine differierende Definition des Übersetzungsbegriff kann auf der rechten Seite des Kontinuums positioniert werden und bezieht sich auf die Überset‐ zung von einer Kultur in eine andere: „Äquivalenz bezeichne eine Relation zwischen einem Ziel- und einem Ausgangstext, die in der jeweiligen Kultur auf ranggleicher Ebene die gleiche kommunikative Funktion erfüllen (können)“ (Reiss/ Vermeer 1984, 139-140). Der hier verfolgte Ansatz bezieht sich nicht auf den Substitutionalismus, sondern basiert auf einer endlosen Hermeneutik (vgl. Schneiders 2007, 16): Substitutionsdoktrin-----------------------------Hermeneutik Eine allumfassende Darstellung des Übersetzungsbegriffs ist als theoretisches Konstrukt hilfreich, dient aber nur im geringen Maße bei der praxisnahen Umsetzung. Mithilfe der Definition Schneiders’ (2007, 225) kann aus fachwis‐ senschaftlicher Perspektive eine Übersetzung im pragmatischen Sinne erfasst werden. Schneiders versucht in einem Dreischritt, Merkmale der Substitutions‐ doktrin und der Hermeneutik in einem von ihm benannten prototypischen Vorgang zu vereinen. Eine Übersetzung sei demnach durch folgende drei Merkmale gekennzeichnet: 1. den Sprachenaustausch 2. das Beibehalten der Aussage 3. die Herstellung vergleichbarer Stücke zum Zweck der Vergleichbarkeit Die Grenzen einer derartigen Übersetzung, so Schneiders, lassen sich dadurch bestimmen, dass eines der Merkmale nicht zutrifft. Das dreigliedrige Modell birgt allerdings einige Tücken: ein Sprachenaustausch muss beispielsweise bei Fremdwörtern nicht stattfinden, wie an dem von Goethe geprägten Begriff ʻWeltliteraturʼ ersichtlich wird; die Entscheidung, ob eine Aussage beibehalten wurde oder nicht, ist zum einen ein subjektives Kriterium, zum anderen kann mit der Zeit eine Bedeutungsveränderung eintreten (auch: Skoposverschieden‐ heit) (vgl. ebd., 225); vor allem der dritte Punkt ist variabel und spielt auf die DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 174 Alina Lohkemper 17 Snell-Hornby (2009, 42) spricht hier in Anlehnung an den linguistic turn von einem cultural turn. 18 Die sozio-ökologische Ebene zielt darauf ab, dass in beiden Gesellschaften die Routine überhaupt mit verbalen Mitteln realisiert wird (vgl. Coulmas 1981, 136). 19 Die Gebrauchsnorm bezieht auch die Frequenz, Präferenz und Natürlichkeit eines Ausdrucks in einer Sprachgemeinschaft mit ein (vgl. Coulmas 1981, 136). 20 Coulmas (1981, 15/ 134/ 135) spricht hier von funktional äquivalenten Entsprechungen. Diskrepanz zwischen einer wörtlichen und einer sinngemäßen Übersetzung an. Zudem sind die Begriffe ʻPrototypʼ und ʻGrenzenʼ, die Schneiders verwendet, wertend und deuten auf eine bessere bzw. schlechtere Übersetzung hin. Nichts‐ destotrotz erfasst Schneiders im Kern, welche Merkmale eine pragmatische Übersetzung aufweisen sollte. Die Übersetzung von Routineformeln wird nach Coulmas (1981, 137) durch drei Merkmale erschwert: 1. ihre Idiomatizität 2. ihre Situationsgebundenheit 3. ihre Bezogenheit auf Verhaltenskonventionen Übersetzungstheoretisch kann die Übertragung von Routinen von einer Aus‐ gangsin eine Zielsprache unter Berücksichtigung dieser drei Merkmale nur gelingen, wenn zum einen die zu erfüllenden Kriterien einer guten Übersetzung nach Schneiders sowie zum anderen die von der Hermeneutik bestimmte, der sinngemäßen Übersetzung zugewandte Seite des Kontinuums eine größere Bedeutung beigemessen wird: Die Unmöglichkeit einer letztgültigen Übersetzung bedeutet deren Endlosigkeit. […] Damit kann die Übersetzung als eine Möglichkeit betrachtet werden, wie man sich zum einen die eigene Lebenswelt verstehend aneignen kann, wie man zum anderen aber auch die fremde Kultur immer wieder neu zu verstehen versuchen kann. (Schildt 2010, 99) Wie Sapir (vgl. 1972, 194) schon feststellte, hat jede Kultur eigene Weltan‐ schauungen und wie Torop (vgl. 2000, 597/ 598) es formulierte, sollen Wörter nicht von einer Sprache in eine andere, sondern von einer Kultur in eine andere übersetzt werden. 17 Es geht um ein Verständnis der zu übersetzenden Bestandteile, um in einer anderen natürlichen Sprache etwas zu erzeugen, das auf semantischer, struktureller, stilistischer, sozio-ökologischer 18 Ebene und auf Ebene der Gebrauchsnorm 19 bei dem Zielleser die gleiche Wirkung auslöst wie bei dem Ausgangsleser (vgl. Coulmas 1981, 136; Eco 2006, 18). Somit steht die Wirkungsäquivalenz 20 im Gegensatz zur Bedeutungsgleichheit und rein DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 175 21 Aufgrund der Wirkungsäquivalenz sind Routineformeln hier weder sourcenoch target-oriented (vgl. Eco 2006, 200). 22 An dieser Stelle sei ein Beispiel aus dem Italienischen angeführt: Telefongespräche beginnen dort mit dem Ausruf Pronto! , der von demjenigen artikuliert wird, der das Gespräch entgegennimmt. In einem solchen Kontext könnte Pronto! mit ʻHallo! ʼ übersetzt werden (vgl. Pons 2001-2024 s.v. pronto). Ein regulärer L3-Lernender wird das Wort pronto allerdings aus verschiedenartigen Kontexten und vor allem in seinem adjektivischen Gebrauch kennen, in dem es ʻbereitʼ, ʻfertigʼ, und ʻschnellʼ bedeutet (vgl. ebd.). Somit divergiert der Gebrauch des Wortes pronto, wenn es im Zusammenhang mit Telefongesprächen verwendet wird, und hat nichts mehr mit dessen ursprünglicher Bedeutung gemein. 23 An dieser Stelle sei angemerkt, dass eine derartige Konvention erlernt werden muss, da die Unkenntnis dieses Gebrauchs zu anfänglichen Irritationen führen und das von Goffman (1967, 10-20) beschriebene Image in dieser Sprachgemeinschaft beschädigen könnte. Vermutlich würde ein unwissender L3-Lernender bei einem Telefongespräch ihm geläufigere Ausdrücke wie Ciao! (ʻHallo! ʼ) oder seinen Namen verwenden. sprachlichen Reversibilität als telos der Übersetzungstheorie im Vordergrund (vgl. ebd., 94; Ingenito 2012, 90). 21 Zudem kommt es darauf an, zugunsten welchen Aspekts (sprachlich oder kommunikativ) die Übersetzung vorgenommen wird (vgl. Eco 2006, 22). Da die Basis der hier betrachteten Routineformeln im engeren Sinn die mündliche Kommunikation ist, spielt der kommunikative sowie pragmatische Aspekt im Vergleich zur sprachlichen Betrachtung eine übergeordnete Rolle. Ein*e Übersetzer*in von Routinen sollte daher mehr als das bloße Vokabular beider Sprachen beherrschen, zumal die direkte Übersetzung eines Wortes nicht mit dessen Bedeutung verwechselt werden darf (vgl. Eco 2006, 99). Der/ die Übersetzer*in fungiert als Mittler zwischen zwei Kulturen und sollte die womög‐ lich verschiedenartigen Situationen, in denen bestimmte Routinen verwendet werden, kennen. Auch Lüger (2007, 445) weist auf dieses Problem hin und führt den Begriff der „kulturspezifischen Interaktionsnormen“ ein, die einem Sprechenden beider Sprachen bekannt sein sollten. Malinowskis (1923, 313) Position ist noch rigo‐ roser, wenn er behauptet, eine Routine erfüllte „a function to which the meaning of its words is almost completely irrelevant.“ Der pragmatische Gebrauch der Routinen erscheint der Bedeutung gegenüber prioritär. 22 Lüger (2007, 456) beschreibt diese Art der Anwendung mit dem Begriff ʻPolyfunktionalitätʼ. 23 Die linguistisch geprägten Übersetzungswissenschaften bilden sich auch in der Fremdsprachendidaktik ab. So hat das Feld der Übersetzung im weitesten Sinne durch dessen Nennung im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (2001) sowie dessen sofortiger Übernahme in die deutschen Curricula der modernen Fremdsprachen in Form des Konzepts der Sprachmittlung Eingang DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 176 Alina Lohkemper 24 Ob es hier eigene Standards für die zumeist dritten Fremdsprachen bräuchte, wird immer wieder zur Debatte gestellt (vgl. Marxl/ Müller et al. 2024, 94). in den Italienischunterricht erhalten (vgl. GER 2001, 89-91; Rössler / Schädlich 2019, 5; Kolb 2016, 73-77). Eine Vielzahl der bereits genannten theoretischen Bezugspunkte (sinnge‐ mäße Übertragung, Kulturmittlung, Mündlichkeit und interaktional-pragmati‐ sche Relevanz) finden sich auch in der fremdsprachendidaktischen Diskussion wieder. Unter ‘Sprachmittlung’ wird „die adressaten-, sinn- und situationsge‐ rechte Übermittlung von Inhalten geschriebener und gesprochener Sprache von einer Sprache in die andere“ (Rössler 2008, 58) verstanden. Im Kernlehrplan des Landes NRW ist Sprachmittlung Teil der funktional kommunikativen Kompetenz und wird bereits im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen als interaktive kommunikative Kompetenz hervorgehoben (vgl. MSB 2014, 18; GER 2001, 17). Ob Sprachmittlung als eine Fertigkeit oder eine eigene sowie überzuordnende Kompetenz zu verstehen sei, haben bereits Hallet (2008) und Kolb (2016) zur Diskussion gestellt und Sprachmittlung in ihren Beiträgen als komplexe Kompetenz modelliert. In den neuen Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/ Fran‐ zösisch) 24 (2023) wird Sprachmittlung um den Begriff der Mediation erweitert, was die Fremdsprachendidaktik u.a. vor ein terminologisches sowie ein wei‐ teres Problem der Modellierung stellt, wie aus dem Beitrag von Marxl/ Müller et al. (2024: 96/ 97) hervorgeht, die Mediation als ein vielen Kompetenzen übergeordnetes Prinzip verstehen. In ihrem Beitrag monieren die Fremdspra‐ chendidaktikerinnen, dass in den neuen Bildungsstandards und mit Einführung des Mediations-Begriffs eine Chance vertan wurde, diesen nicht nur auf die sprachliche, sondern v. a. auch auf die kulturelle Dimension zu beziehen (vgl. ebd., 96/ 99). So wird die Relevanz interkulturell kommunikativen Wissens zum Zweck optimaler Mittlung in den letzten Jahren auch in der Fremdsprachendi‐ daktik immer wieder betont (vgl. König / Müller 2019), weswegen die vier Wis‐ senschaftlerinnen konstatieren, dass „Sprachmittlung […] ohne Kulturmittlung [nicht ginge]“ (Marxl/ Müller et al. 2024, 100). Marxl, Müller et al. (2024, 100/ 101) sprechen sich zudem für eine Stärkung mündlicher Mittlung in informellen Situationen aus, die bereits in jüngeren Jahrgängen Teil des Unterrichtsgesche‐ hens sein müsste, was eine Stärkung des neo-kommunikativen Paradigmas zufolge hätte. Auch wird in den neuen Bildungsstandards der Fokus darauf gelegt, Lernende als sprachlich handelnde soziale Akteur*innen auszubilden, wodurch die Pragmatik hervorgehoben wird (vgl. KMK 2023, 6). DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 177 25 Da hier von Lernenden mit Deutsch als Erstsprache ausgegangen wird, deren L2 ver‐ mutlich Englisch ist, wird angenommen, dass diese Italienisch als dritte Fremdsprache erlernen. Das hier verwendete L3 bezieht sich auf das Erlernen von Fremdsprachen und darf nicht mit dem Modell des Zweitspracherwerbs (Bilingualismus) verwechselt werden. Wenn wir diese Prämissen nun in die Diskussion der Übertragung von Routineformeln von einer Kultur in eine andere mit einbeziehen wollen, so lässt sich diese der neuen Konzeption des Sprachmittlungs-Begriffs zufolge weniger als Sprachmittlung, sondern vielmehr als Teil der als „integrative Meta‐ kompetenz“ (Marxl/ Müller et al. 2024, 97) zu fassenden Mediation zuordnen, die neben der sprachlichen auch die kulturelle und pragmatische Ebene einbeziehen müsste (selbst wenn dies aus den offiziellen Dokumenten nicht hervorgeht). Demnach kann hier eher von einer (mediatorischen) Übertragung von Routi‐ neformeln im engeren Sinne gesprochen werden, da die Ausgangs- und die Zielkultur eine maßgebliche Rolle spielen, der situative Kontext nie außer Acht gelassen werden kann, es vorrangig darum geht, eine Wirkungsäquivalenz bei der Übertragung zu erzeugen, die Situation richtig zu interpretieren und auf bestehende sprachgebräuchliche Konventionen zurückgreifen zu können. Wie dargestellt bieten sowohl die fachwissenschaftliche als auch die fachdidaktische Diskussion genügend Bezugspunkte, um Routineformeln als ein Phänomen zu begreifen, das einer Übersetzung im klassischen Sinne entgegensteht und sprachliche, kulturelle sowie pragmatische Aspekte in sich vereint. Deren Abbild in Nachschlagewerken für Fremdsprachenlernende des Italienischen zu erforschen, erscheint daher höchst relevant. 4 Routineformeln in Wörterbüchern und Lehrwerken 4.1 Untersuchungsdesign Da es besonders L3-Lernenden 25 des Italienischen mit Deutsch als Erstsprache schwerfallen dürfte, die situationsadäquate Verwendung von Routineformeln zu erlernen, dieser aber für die fremdsprachliche Kommunikation sowie für den Kontakt zu italienischen Erstsprachler*innen essentiell ist, soll an dieser Stelle deren Perspektive eingenommen werden. Da Routineformeln situations‐ gebunden sind, werden zwei Szenarien in den Blick genommen: Zum einen könnten sich Lernende auf einem Schüleraustausch in Italien befinden und dort auf die Routinen gestoßen sein; zum anderen könnten Lernende im Rahmen einer mündlich-informellen Sprachmittlungsaufgabe im italienischen Anfangsunterricht nach den Routinen suchen. Zu diesen Zwecken greifen die DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 178 Alina Lohkemper 26 Pons und Langenscheidt wurden in Deutschland gegründet, während Larousse ein französischer Verlag ist. Alle drei Online-Wörterbücher sind z.T. unter anderem Namen auch in Italien bekannt. Zum Aufbau von deutsch-italienischen Wörterbüchern siehe auch Marello/ Rovere (1999). 27 Die drei Lehrwerke lagen in gedruckter Form vor. 28 Während De Mauro und Battaglia in gedruckter Form vorlagen, wurde Treccani als Online-Version konsultiert. 29 Ein Vollständigkeitsanspruch kann auf Grundlage der Datenbasis nicht erhoben werden, doch lässt sich das Problem exemplarisch erläutern und nachvollziehen. Lernenden auf die ihnen bekannten Nachschlagewerke bzw. das Schulbuch zurück. Bei den drei hier beispielhaft gewählten Routineformeln handelt es sich um: 1. It. Come stai? / va? 2. It. Figurati! 3. It. Permesso? Das Korpus besteht aus drei zweisprachigen Online-Wörterbüchern von Pons, Langenscheidt und Larousse 26 sowie drei üblichen Italienisch-Lehrwerken (In Piazza - Ausgabe A, Ci siamo und Ecco) 27 . Die Informationen in den für Schüler*innen üblichen Nachschlagewerken werden mit denen dreier einspra‐ chiger italienischer Wörterbücher (De Mauro, Battaglia und Treccani) 28 vergli‐ chen. Bei der Wörterbuchrecherche wurde, wie es auch bei idiomatischen Wendungen üblich ist, unter dem ersten auftretenden Substantiv bzw. unter dem ersten semantisch signifikanten Wort gesucht. Bei der Lehrwerksrecherche wird zusätzlich nach der Routineformel als festem Phrasem geschaut. Ein Vergleich der Lemmata soll aufzeigen, inwieweit es L3-Lernenden über‐ haupt ermöglicht wird, mithilfe der üblichen und ihnen vertrauten Nachschla‐ gewerke die kulturspezifischen Verwendungsweisen der Routineformeln zu erfassen und inwieweit die drei hier exemplarisch untersuchten Routinen sprachlich mit ihren deutschen Entsprechungen übereinstimmen. Zudem sollen die Grenzen der Darstellungsweisen von Routinen in Wörterbüchern und Italienisch-Lehrwerken aufgezeigt und Möglichkeiten entwickelt werden, um Routineformeln fortan besser zu kategorisieren. 29 4.2 Korpusanalyse zu den drei exemplarischen Routineformeln 4.2.1 Come stai? / va? Anhand der Angaben, die zu den Routineformeln Come stai? und Come va? in den drei zweisprachigen Online-Wörterbüchern (Pons, Langenscheidt und DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 179 30 Die Suche in den Online-Wörterbüchern von Pons und Langenscheidt erfolgt sofort in beide Sprachrichtungen, während dies bei Larousse nicht möglich ist. Darüber hinaus können in dem Wörterbuch von Larousse keine Lemmata gesucht werden, die über ein Wort hinausgehen. 31 An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass es sich beim Italienischen um eine Pro-Dropbzw. eine Nullsubjektsprache handelt. Larousse) gemacht werden, lassen sich einige Rückschlüsse auf die Verwendung beider Routineformeln im deutsch-italienischen Vergleich ziehen: - Pons 30 Langenscheidt Larousse Come stai? Wie geht’s? Wie geht’s dir? Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Wie geht es dir? Wie geht’s? Come va? Wie steht’s? Wie geht’s? / Wie geht’s? Wie läuft’s? Tabelle 1: Übersetzungsvarianten der Routinen Come stai? und Come va? in den drei Online-Wörterbüchern von Pons, Langenscheidt und Larousse In den drei Wörterbüchern wird die Routineformel Come stai? mit ʻWie geht es dir? ʼ oder einer der Varianten übersetzt, bei der aufgrund einer Aphärese das [e] getilgt wurde (ʻWie geht’s? ʼ / ʻWie geht’s dir? ʼ). Hierbei handelt es sich nahezu um eine wörtliche Übersetzung: Lediglich das Verb stare bedeutet ʻstehenʼ und die ʻpersönlichereʼ zweite Person Singular wird im Deutschen mit der ʻunpersönlicherenʼ dritten Person Singular wiedergegeben. Auch die Routineformel Come va? wird, mit Ausnahme des Langen‐ scheidt-Verlags, in den Online-Wörterbüchern aufgegriffen. Übersetzt wird diese Phrase mit ʻWie steht’s? ʼ (Pons) oder mit ʻWie geht’s? ʼ (Pons/ Larousse). Die Routineformel Come va? wird in zwei der drei zweisprachigen Online-Wörter‐ büchern wörtlich übersetzt. 31 Prinzipiell können beide Routinen dazu verwendet werden, Personen nach ihrem Gesundheitszustand und ihren Lebensumständen zu fragen, nur lassen die Angaben in den Wörterbüchern einen minimalen Rückschluss auf die doch latent unterschiedliche primäre Verwendungsweise beider Routinen zu. In allen drei Online-Wörterbüchern wird darauf hingewiesen, dass sich die Routineformel Come stai? auf die Gesundheit eines Menschen bezieht. Dies wird auch an der Ergänzung ʻWie fühlst du dich? ʼ deutlich, die bei Pons zusätzlich zur eigentlichen Routine angeführt wird. Einzig im Wörterbuch von Larousse wird die Phrase mit Lebensumständen in Verbindung gebracht. DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 180 Alina Lohkemper 32 ʻWie läuft’s? ʼ ist, wie bereits erwähnt, eine Alternative. Allerdings kann man diese Routine nur in sehr informellen Kontexten verwenden. Diese Bedeutungsfacette scheint eher von der Routine Come va? abgedeckt zu werden. Laut dem Wörterbuch von Larousse wird diese Phrase ausschließlich dazu verwendet, jemanden danach zu fragen, ob ihm seine Lebenssituation behagt, weswegen in diesem Wörterbuch auch die Übersetzung ‘Wie läuft’s? ’ gebraucht wird. Die primäre Verwendungsweise beider Routineformeln kann anhand zweier Beispielsätze des Pons-Verlags verdeutlicht werden: Come va il tuo lavoro / Come sta tuo marito? So kann sich die Routine Come sta xy? nur auf einen menschlichen Referenten, Come va xy? nur auf Gegenstände oder Sachverhalte beziehen. Bezüglich der Darstellung der Routineformeln Come stai? / Come va? in den drei ausgewählten Italienisch-Lehrwerken kann festgehalten werden, dass diese - kongruent zu der Darstellung in den zweisprachigen Wörterbüchern - (annä‐ hernd) wörtlich ins Deutsche übersetzt werden. Allerdings ist die Routineformel Come va? lediglich Bestandteil des Vokabelverzeichnisses der Ecco-Lehrwerks‐ reihe. Bei der Übertragung der Routineformel Come va? in das Deutsche ʻWie geht’s (denn so)? ʼ, weisen nur der Zusatz ʻdenn soʼ sowie die Aphärese darauf hin, dass Come va? in informelleren, primär mündlichen Kontexten gebraucht wird (leichte diaphasische sowie diamesische Differenz zu Come stai? ). Auf den aus den Wörterbüchern hervorgehenden primären Verwendungsbereich sowie unterschiedlichen Referentenbezug der beiden Routinen wird in keinem Lehrwerk eingegangen. Lediglich in der Ecco-Reihe findet sich ein expliziter Verweis auf die jeweils andere Routine und auch nur dort findet dank des Einbezugs der pragmatischen Ebene eine explizite Kontextualisierung statt. In allen drei einsprachigen Wörterbüchern (Treccani, De Mauro, Battaglia) finden sich konkrete Hinweise darauf, dass mit der Routineformel Come stai? der gesundheitliche Zustand des Gegenübers erfragt werden soll. Einzig im Wörterbuch von De Mauro wird darauf verwiesen, dass die Phrase auf die finanzielle Situation eines Menschen rekurrieren kann. Das kommunikative Phrasem Come va? bezieht sich hingegen neben der Gesundheit vor allem auf den Verlauf des Lebens und die Arbeit und ist somit semantisch weiter gefasst als Come stai? . Der unterschiedliche Referentenbezug wird hier expliziert. Für beide Routineformeln kann konstatiert werden, dass diese im Übergang vom italienischen in den deutschen Sprachgebrauch eher wörtlich übersetzt und mit dem deutschen Äquivalent ʻWie geht’s? ʼ wiedergegeben werden. 32 Dieses deckt sowohl die Frage nach dem Gesundheitszustand als auch die Frage nach der derzeitigen Lebenssituation ab. Streng genommen scheinen es aufgrund des DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 181 divergierenden Referentenbezugs genau diese beiden Anwendungsbereiche zu sein, anhand derer sich die beiden italienischen Routineformeln unterscheiden. Aus sprachökonomischer Sicht ist allerdings der äquivalente Gebrauch von Come stai? und Come va? vor allem als Floskel, die ein Gespräch einleitet, nicht überraschend, zumal im Italienischen wie im Deutschen diese Routineformel zumeist auf ein einfaches ʻGut! ʼ (Bene! ) hinausläuft und keinen detaillierten Bericht zum Gesundheitszustand bzw. Lebensumstand fordert. Ein expliziter Hinweis auf die jeweils andere Routineformel findet sich in keinem Wörterbuch und lediglich in einem Lehrwerk. Weitestgehend kann eine Übereinstimmung zwischen der italienischen Routine und ihrer deutschen Entsprechung auf lexikalischer, morphosyntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene konstatiert werden. 4.2.2 Figurati! Die Routineformel Figurati! wird in den drei konsultierten Online-Wörterbü‐ chern mit ʻNichts zu danken! ʼ, ʻKeine Ursache! ʼ und ʻGern geschehen! ʼ übersetzt: Pons - Langenscheidt Larousse Nichts zu danken! Keine Ursache! Gern geschehen! Stell dir vor! Denk nur! - Wo denkst du hin! Stell dir einmal vor! Nichts zu danken! Ach wo! (Natürlich nicht! ) Nichts zu danken! (Bitte! ) Keine Ursache (Bitte! ) Tabelle 2: Übersetzungsvarianten der Routine Figurati! in den drei Online-Wörterbü‐ chern von Pons, Langenscheidt und Larousse Der Pons-Verlag weist darauf hin, dass die Formel ausschließlich bei Personen verwendet werden darf, die man duzt. Daher werden auch die Formeln Figuri‐ amoci! (Plural) und Si figuri! (Höflichkeitsform) als Varianten angeführt. Als weitere Übersetzungsmöglichkeiten werden ʻStell dir (einmal) vor! ʼ und ʻDenk nur! ʼ bei Pons und Langenscheidt genannt, die auch durch die erweiterte Variante der Routineformel Figurati un po’! ausgedrückt werden können. Zudem werden ʻWo denkst du hin! ʼ und ʻAch wo! ʼ als Übersetzungen angegeben. Die Routineformel ist auf das reflexive Verb figurarsi (sich vorstellen, sich denken) zurückzuführen. Demnach sind ʻStell dir (einmal) vor! ʼ und ʻDenk nur! ʼ wörtliche Übersetzungen. Da es weitere Übersetzungsoptionen gibt, ist davon auszugehen, dass Figu‐ rati! in mehreren Kontexten verwendet werden kann. Neben der wörtlichen DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 182 Alina Lohkemper Bedeutung, bei der man sein Erstaunen zum Ausdruck bringt, sind ʻNichts zu danken! ʼ, ʻKeine Ursache! ʼ und ʻGern geschehen! ʼ Antworten, die das Komple‐ ment eines Dankes sind. Damit ersetzt die Routineformel bei diesen Überset‐ zungsvarianten ein einfaches ʻBitteʼ. Während ʻNichts zu danken! ʼ und ʻKeine Ursache! ʼ den Grund für einen Dank leugnen, honorieren ʻGern geschehen! ʼ und ʻBitte! ʼ diesen eher (vgl. Coulmas 1981, 147/ 148). ʻKeine Ursacheʼ kann zudem komplementäre Reaktivformel in Entschuldigungs-Kontexten sein (vgl. Coulmas 1981, 110). Darauf verweisen auch die Angaben des Langenscheidt-Ver‐ lags come risposta (ʻals Antwortʼ) und des Larousse-Verlags Prego (ʻBitteʼ). Die Routineformeln ʻKeine Ursache! ʼ und ʻGern geschehen! ʼ sind zudem die einzigen der hier untersuchten, die im Wörterbuch Idiomatik Deutsch-Italienisch zu finden sind, in dem deutsche idiomatische Ausdrücke ins Italienische übertragen werden. Hier werden beide Ausdrücke synonym verwendet, als formell ausge‐ wiesen und ein Zusammenhang zu dem Wort ʻBitteʼ hergestellt. Übertragen werden die Formeln im Italienischen allerdings mit Non c’è di che! , Di niente! und Nulla! (Fenati / Rovere et al. 2011, 311/ 1083). Auch ʻWo denkst du hin! ʼ und ʻAch wo! ʼ sind keine wörtlichen Übersetzungen und können im Gespräch eher ein ʻNein! ʼ oder ein ʻSelbstverständlich! ʼ ersetzen. Figurati! wird demnach in drei verschiedenen Kontexten gebraucht: um Erstaunen zum Ausdruck zu bringen, um sich zu bedanken oder und um seine Zustimmung oder Ablehnung zu artikulieren. Die Routineformel ist kein Bestandteil der Vokabelverzeichnisse der hier in den Blick genommenen Italienisch-Lehrwerke. Lediglich im Lehrwerk Ci siamo findet sich das reflexive Verb figurarsi. Ein Bezug zu der in Italien sehr oft verwendeten Routineformel wird allerdings nicht hergestellt. Aus den einsprachigen Wörterbüchern geht hervor, dass die Routineformel zur Bejahung oder Verneinung verwendet wird. Die anderen beiden Bedeu‐ tungsoptionen werden hingegen nicht genannt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, wie die Routine zumeist gebraucht wird. Für die Routineformel Figurati! lässt sich konstatieren, dass diese je nach Kontext auf drei unterschiedliche Arten ins Deutsche übertragen werden muss. Sowohl die wörtliche Übersetzung, die mit ʻStell dir vor! ʼ Erstaunen ausdrücken kann, als auch die Übertragung in Form eines bestimmenden ʻNein! ʼ oder ʻJa! ʼ sowie die Option, Figurati! anstelle eines ʻBitte! ʼ zu verwenden, stellen wirkungs‐ äquivalente Routinen in der deutschen Sprache dar. Die Routineformel tritt in mehreren Kontexten auf, in denen sie je eine andere Bedeutung trägt oder hat. Jede der drei Bedeutungen weist einen unterschiedlichen Kongruenz-Umfang im deutsch-italienischen Vergleich auf: So entspricht die italienische Routine dem deutschen Äquivalent ʻStell dir vor! ʼ auf lexikalischer, morphosyntaktischer, DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 183 33 Di niente! wäre eine nur in diesem Kontext synonym verwendete Routineformel. semantischer und pragmatischer Ebene, während die beiden weiteren Übertra‐ gungsoptionen (‘Nein! ’, ‘Ja! ’ und ‘Keine Ursache! ’, ‘Gern geschehen! ’) nur noch auf pragmatischer Ebene mit dem italienischen Äquivalent übereinstimmen und damit ihren Grad an Idiomatizität gesteigert haben. Dies bestätigt zumindest der Eintrag der deutschen Routinen im Wörterbuch Idiomatik Deutsch-Italienisch. Für die anderen beiden Bedeutungsoptionen von Figurati! gibt es jeweils eine deutsche Entsprechung. Die Aufteilung wäre demnach wie folgt: 1. Dt. Stell dir vor! = It. Figurati! ; Übereinstimmung auf lexikalischer, morpho‐ syntaktischer, semantischer und pragmatischer Ebene 2. Dt. Ja! / Nein! = It. Figurati! ; Übereinstimmung auf pragmatischer Ebene 3. Dt. Keine Ursache! / Gern geschehen! = It. Figurati! ; Übereinstimmung auf pragmatischer Ebene 33 4.2.3 Permesso? Neben der eigentlich hier untersuchten elliptischen Routineformel Permesso? konnten die vollständige Phrase È permesso? sowie die Variante Con permesso? in den Online-Wörterbüchern gefunden werden: - Pons Langenscheidt Larousse Permesso? / Darf ich? Gestatten Sie? Con permesso? Sie gestatten? Sie gestatten? / È permesso? / Gestatten Sie? Gestatten Sie? Tabelle 3: Übersetzungsvarianten der Routinen Permesso? , Con permesso? und È permesso? in den drei Online-Wörterbüchern von Pons, Langenscheidt und Larousse Dabei wurde Permesso? mit ʻDarf ich? ʻ, ʻGestatten Sie? ʼ, È permesso? mit ʻGe‐ statten Sie? ʼ und Con permesso? mit ʻSie gestatten? ʼ übersetzt. Keine dieser Übersetzungen stellt eine wörtliche dar: permesso ist das Partizip Perfekt des Verbs permettere. Eine wörtliche Übersetzung wäre demnach ʻErlaubt? ʼ. Die vollständige Routineformel È permesso? kann wörtlich mit ʻIst es erlaubt? ʼ übersetzt werden. Das permesso in der dritten Variante der Routineformel (Con permesso? ) ist hingegen ein Substantiv. Wörtlich übersetzt hieße diese Formel ʻMit Erlaubnis? ʼ. Eine Übersetzung durch ʻGestatten Sie? ʼ oder ʻSie gestatten? ʼ spielt zum einen darauf an, dass es sich bei dieser Formel um eine Höflichkeits‐ formel handelt, und deutet zum anderen auf den Gebrauch der Routineformeln DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 184 Alina Lohkemper 34 ‚Fremd‘ bedeutet hier, dass es sich nicht um die eigenen vier Wände handelt. 35 Während die pragmatische Ebene in den meisten Lehrwerken wegfällt, stechen v. a. in den beiden anderen Lehrwerken Vokabellernstrategien (Antonyme, Mehrsprachigkeit) hervor, um das Verb permettere zu lernen. hin. Dieser kann auf Grundlage eines Beispielsatzes im Langenscheidt-Wörter‐ buch genauer bestimmt werden. Der Satz Permesso? - Avanti! (ʻDarf ich? - Herein! ʼ) verweist darauf, dass die Routineformel verwendet wird, bevor jemand etwas betritt. Im Wörterbuch von Larousse wird der Gebrauch aufgrund dieses Beispielsatzes noch expliziter herausgestellt: C’è qualcuno? È permesso? (ʻIst jemand da? Darf ich eintreten? ʼ). Hier wird die Routineformel È permesso? mit ʻDarf ich eintreten? ʼ übersetzt. Dies unterstreicht, dass es ausschließlich darum geht, ein Wirkungsäquivalent in der Zielsprache zu finden. Zudem ist der in den Beispielsätzen direkte Verweis auf das Betreten bspw. einer Wohnung ein Indiz dafür, dass es eine derartige Routine in der deutschen Sprache in diesem Kontext nicht gibt. In Italien wird die Routine verwendet, bevor man ein fremdes 34 Haus betritt. Man holt sich mit der Routineformel die Erlaubnis für das Betreten des Gebäudes ein, obwohl oftmals auf keine Reaktion gewartet wird, was auf das Floskelhafte der Routine hindeutet. Diese Routineformel wird nur im Lehrwerk Ci siamo genannt. Die beiden anderen Lehrwerke weisen lediglich auf das Verb sowie das Substantiv, nicht aber auf das kommunikative Phrasem hin. In Ci siamo wird die Routineformel ausschließlich in ihrer elliptischen Variante geführt und - wie in den zweispra‐ chigen Wörterbüchern -, wirkungsäquivalent mit ʻDarf ich? ʼ und ʻGestatten Sie? ʼ übersetzt, wodurch eine pragmatische Eindeutigkeit der Routineformel in ihrer Übertragung suggeriert wird. Einen Hinweis darauf, dass die Kontextuali‐ sierung der Routineformeln mit all ihren Facetten für Lernende des Italienischen mit Deutsch als Erstsprache nicht zu erfassen ist, stellt ein Zusatz in Klammern dar, in dem explizit auf die Verwendung, wie sie unten unter (1) dargestellt wird, hingewiesen wird. Die anderen unten dargestellten Kontexte (2)-(6) werden nicht expliziert. 35 In den einsprachigen Wörterbüchern werden die Angaben aus den zweispra‐ chigen bestätigt. Besonderer Fokus wird auch hier auf der Verwendung der Rou‐ tineformel beim Eintreten gelegt. Zudem wird in vier von fünf Wörterbüchern das Vorbeigehen an Personen genannt. Auch wird das kommunikative Phrasem gebraucht, um sich die Erlaubnis zum Rauchen, Weggehen oder Nehmen eines Gegenstandes einzuholen. Das Wörterbuch von Battaglia weist explizit darauf hin, dass mit der Routine Gesten unterstrichen werden sollen. Die Routine begleitet im Italienischen somit den Akt des Betretens und lässt diesen explizit akustisch wahrnehmbar werden. Obwohl in den verschiedenen DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 185 36 Dies merkt Coulmas (1981, 82) vor allem für die Verwendung von ʻDarf ich? ʼ an. 37 Hier kann nach Giacoma (2012, 83) von einer equivalenza zero (Null-Äquivalenz [Übersetzung der Verf.]) gesprochen werden. 38 Obwohl davon ausgegangen wird, dass es im Deutschen keine Entsprechung im eigentlichen Sinne gibt, wird mit der gleichen semantischen Ebene darauf verwiesen, dass Lernende mit Deutsch als Erstsprache die Bedeutung der Routineformel allein durch die Kenntnis der Vokabeln permettere / il permesso nachvollziehen können. Viel eher ist es die pragmatische Ebene, die unverstanden bleibt. Wörterbüchern deutsche Entsprechungen gefunden werden konnten (ʻDarf ich? ʼ, ʻSie gestatten? ʼ, ʻGestatten Sie? ʼ), ist anzuzweifeln, dass diese in demselben Kontext genutzt werden. Eine situativ übereinstimmende Routineformel exis‐ tiert im deutschen Sprachraum nicht, da man vor dem Betreten bspw. eines Hauses weder die im Deutschen archaisch wirkende Formel ʻSie gestatten? ʼ noch die Variante ʻDarf ich? ʼ verwendet. Sinngemäß handelt es sich beim kommuni‐ kativen Phrasem ʻSie gestatten? ʼ natürlich um eine deutsche Entsprechung; ohne pragmatischen Kontext ist diese allerdings schwer bzw. nicht zu verstehen. 36 Der prioritäre Kontext der italienischen Routine hingegen ist den Sprechenden dieser Gemeinschaft geläufig. Einen ähnlichen Gebrauch in beiden Sprachen findet man allerdings in den anderen genannten Anwendungsbereichen der Routineformel vor: Wenn man an einer Person vorbeigehen möchte, rauchen, weggehen oder etwas nehmen will, wird die Routine auch im deutschen Sprachraum verwendet. Allerdings scheint auch hier das kommunikative Phrasem ʻSie gestatten? ʼ im Vergleich zu ʻEntschuldigung? Darf ich? ʼ das Nachsehen zu haben. Diese Entwicklung kann auch im Italienischen beobachtet werden, wo die Routine Permesso? allmählich durch ein Posso? (ʻKann ich? ʼ) in den zuletzt genannten Kontexten ersetzt wird. Dennoch bleibt die sprachliche Untermalung des Betretens eines Raumes ein ausschließlich in der italienischen Kultur verankertes Phänomen. Demnach ist Permesso? im Vergleich zu Figurati! zwar auch mehreren Kontexten zuzuordnen, allerdings hat Permesso? dabei immer dieselbe Bedeutung: 1. Dt. keine Entsprechung 37 = It. Permesso? (Betreten eines Raumes etc.); Übereinstimmung auf semantischer Ebene 38 2. Dt. Entschuldigung? / Darf ich? = It. Permesso? (Vorbeigehen an einem Menschen); Übereinstimmung auf semantischer und pragmatischer Ebene 3. Dt. Gestatten Sie? / Darf ich? = It. Permesso? (Rauchen); Übereinstimmung auf semantischer und pragmatischer Ebene 4. Dt. Gestatten Sie? / Darf ich? = It. Permesso? (Wegnehmen eines Gegen‐ standes); Übereinstimmung auf semantischer und pragmatischer Ebene DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 186 Alina Lohkemper 39 Für den spanisch-deutschen Vergleich hat Sosa Mayor (2006) dies schon getan. 5. Dt. Darf ich? = It. Permesso? (Weggehen); Übereinstimmung auf semanti‐ scher und pragmatischer Ebene 6. Dt. Darf ich? = It. Permesso? (generell um Erlaubnis bitten); Übereinstim‐ mung auf semantischer und pragmatischer Ebene 5 Conclusio und Ausblick Die detaillierte Analyse der drei exemplarisch gewählten Routineformeln be‐ züglich ihrer Form und Funktion hat gezeigt, wie sehr sich kulturelle Vielfalt bereits in vermeintlichen Floskeln alltäglicher Kommunikation niederschlägt und wie wichtig es ist, dieses Verschmelzen der sprachlichen, kulturellen sowie pragmatischen Ebene Fremdsprachenlernenden bereits zu Beginn beizubringen: Di esempio in esempio, pian pianino, possiamo giungere così al vero e proprio tradurre, cioè da lingua a lingua, che dunque non sarà riprodurre formalmente il linguaggio altrui, ma trasporlo da una forma culturale ad un’altra, giacché ogni lingua considerata storicamente, ci appare come il prodotto elaborato della tradizione di una particolare forma di cultura. (Terracini in Marx 2006, 9) Routineformeln helfen demnach, Sprachen vollständig zu erfassen und Aus‐ drücke situationsgebunden zu verstehen und anzuwenden. Daher ist es vor allem die von Malinowski (1949, 315) beschriebene phatische (kontaktknüp‐ fende) Funktion, die die Routineformeln erfüllen und die diese gerade für Leute, die mehr über diese lernen wollen, besonders wichtig werden lässt. Aufgrund der Analyse konnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Übertragung einer Routineformel auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen aufgezeigt werden. Die Beschreibung der Daten aus den Wörterbüchern und Lehrwerken hat gezeigt, wie variabel Routineformeln dargestellt und in ihrer Exklusivität hervorgehoben werden. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass spezielle zweisprachige Wörterbücher allein für Routineformeln 39 sowie mehr explizite Verweise auf Routineformeln in den Vokabelverzeichnissen von Italienisch-Lehrwerken sinnvolle Projekte für die Zukunft darstellen. Des Weiteren hat die Analyse gezeigt, wie wichtig eine ausdifferenzierte Darstellung der Routinen in Wörterbüchern und Italienisch-Lehrwerken ist, um eine situa‐ tionsbezogen korrekte Anwendung schon beim Vokabeltraining zu erlernen. Somit würde die hier exemplarisch vorgenommene Darstellung der Routinen nicht nur deren Erlernen erleichtern, indem sofort deutlich würde, auf welcher Ebene diese mit der Routine in der Ausgangssprache kongruiert, es wäre auch DOI 10.24053/ Ital-2023-0031 Die Übertragung von Routineformeln in andere Kulturen 187 eine neue Unterteilungsmöglichkeit für Routineformeln gegeben, die sogar in Schwierigkeitsgrade gegliedert werden könnte. Denn auf je mehr sprachlichen Ebenen die Routinen übereinstimmen, desto einfacher wird es vermutlich sein, sie zu erlernen. Vor allem kulturelle sowie pragmatische Aspekte werden bei der Darstel‐ lung der Routineformeln in Wörterbüchern und Italienisch-Lehrwerken oft unberücksichtigt gelassen. 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