eJournals Italienisch 45/90

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.24053/Ital-2023-0035
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2024
4590 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Baldassar Castiglione: Der Hofmann. Deutsche Übersetzung von Il Cortegiano durch Johann Engelbert Noyse 1593. Herausgegeben von Federica Masiero. Berlin: Weidler Buchverlag (Bibliothek seltener Texte Band 16), 364 Seiten, € 60,00

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1 „Die erste Übersetzung [München 1565 (342)] verdanken wir Lorenz Kratzer“ (343). Die Herausgeberin korrigiert bzw. konkretisiert somit die Aussage von Beyer, der davon spricht, dass „[d]as Buch vom Hofmann […] bereits 1560 erstmals in die deutsche Sprache übersetzt“ wurde (Andreas Beyer (1996): „Vorwort“. In: Castiglione, Baldassar: Der Hofmann. Lebensart in der Renaissance. Aus dem Italienischen von Albert Wesselski. Mit einem Vorwort von Andreas Beyer. Berlin: Wagenbach. 5-9, hier 9). Baldassar Castiglione: Der Hofmann. Deutsche Übersetzung von Il Cortegiano durch Johann Engelbert Noyse 1593. Herausgegeben von Federica Masiero. Berlin: Weidler Buchverlag (Bibliothek seltener Texte Band 16), 364 Seiten, €-60,00 Kerstin Roth Mit ihrer Edition des Hofmanns in der deutschen Übersetzung von Johann Engelbert Noyse bietet Federica Masiero ein Lese- und Arbeitsbuch, das insbe‐ sondere durch akribische Genauigkeit in der Darstellung überzeugt. Baldassar Castigliones (1478-1529) Il libro del Cortegiano, ein bedeutender Text der höfischen Dialogliteratur, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, so auch mehrfach ins Deutsche (342). Ausgangspunkt für die hier vorliegende Ausgabe ist der „kritisch revidiert[e] Text der zweiten Übertragung von Il libro del Cortegiano (Venedig 1528) in die deutsche Sprache“ (vierte Umschlagseite). 1 Der zu besprechende Text umfasst in der Editionsfassung zunächst einen Abdruck des ursprünglichen Drucks mit der Jahresangabe 1593 sowie eine Transkription des ausführlichen Titels zur Linken der Druckabbildung. Es folgt das Vorwort von Engelbert Noyse, weiterhin die vier Bücher des Hofmanns sowie ein Nachwort der Herausgeberin. Ein wenig verwirrend erscheint das von der Herausgeberin erstellte Inhaltsverzeichnis, in dem das erste, das ander, das dritt und das viert Buch Vom Hofmann genannt werden, denn wie durch den Kolumnentitel der Edition und den Inhalt deutlich wird, handelt es sich DOI 10.24053/ Ital-2023-0035 2 Vgl. <https: / / mdz-nbn-resolving.de/ details: bsb00039858> (letzter Zugriff: 02.02.2024). 3 Vgl. Schmidt, Herbert (2020): „Fremde, ausländische, verlateinte, korrumpierte latei‐ nische Wörter. Bezeichnungen für Fremdwörter im 16. Jahrhundert“. In: Bopp, Domi‐ nika/ Ptashnyk, Stefaniya/ Roth, Kerstin u. a. (Hrsg.): Wörter - Zeichen der Veränderung. Berlin/ Boston: De Gruyter, 93-123, hier 109. beim dritt Buch vom Hofmann eigentlich um das Buch Von der Hof Frawen - dies ist auch im durch das Münchner Digitalisierungszentrum bereitgestellten Digitalisat zu lesen. 2 Auf den linken Seiten des Digitalisats steht Das dritt Buch, auf den rechten Von der Hof Frawen. Federica Masiero hat sich der Herausforderung gestellt, diesen umfänglichen Text akribisch und detailgenau abzubilden. Dies erfreut umso mehr, als durch die diplomatische Transkription auch sprachhistorische Details mit Hilfe dieses Werks analysiert werden können. Noyse variiert beispielsweise in der Schrei‐ bung des Adjektivs fromm (53), genauso findet sich auch fromb (185). Alle Eingriffe durch die Herausgeberin werden im Anhang des Bandes ein‐ zeln aufgeführt (346-352). Bereits im deutschsprachigen Ausgangstext werden Namen (z. B. Pigmalion (183)), Bezeichnungen wie Gratia, Disposition oder Affectation (alle 53) oder auch andere Fremdwörter, wie hier aus dem Französi‐ schen entlehntes Accomodiert (185) in der Darstellung durch unterschiedliche Drucktypen hervorgehoben. Die abweichende Drucktype verweist darauf, was im jeweiligen Kontext als Fremdwort aufgefasst wurde. Bei einem deutsch‐ sprachigen Ausgangstext in Fraktur wird im Regelfall zur Hervorhebung eine Schreibung in Antiqua genutzt. Diese Darstellungsform entspricht den Druck-Gepflogenheiten im 16. Jahrhundert, auch wenn dies nicht in allen Fällen immer konsequent durchgeführt wird. 3 Indem sich die Herausgeberin für die Verwendung von Kapitälchen entschieden hat, heben sich diese Namen und Bezeichnungen noch deutlicher vom Haupttext ab als im Digitalisat. Anhand eines Auszugs aus dem Text werden im Folgenden die Charakteris‐ tika der Edition ein wenig erläutert: […] Vnd es kündte sich zutragen/ daß sich einer/ vonn einer offentlichen vnd gar zu klaren Torheit <N 6r =96> enthielte/ als da waͤre wie jr sagt: wann einer gienge den Mo‐ reßkendantz auff dem Platz zudantzen/ vnnd sich danach nit enthalten kündte/ sich selbst one not/ vnd wann es schon nit zur sach dient/ zuloben: ein verdrießliche vnschamhafftigkeit zugebrauchen: bißweiln ein wort zusagen/ vermainend die Leut dadurch zulachen bewoͤgen […] (80) Doppelkonsonanten wie bei vonn oder vnnd werden beibehalten, Synkopen wie bei bißweiln oder Apokopen wie bei sach oder Leut auch exakt übertragen. Weiterhin wird nit im Gegensatz zum Neuhochdeutschen nicht, genauso wie DOI 10.24053/ Ital-2023-0035 214 Kerstin Roth 4 Die Form gienge erinnert ans Mittelhochdeutsche. Sie entspricht unter anderem der 3. Pers. Sg. im Konj. Prät. des Wurzelverbs gên, was dem hier vorliegenden syntaktischen Kontext entsprechen würde. Die Form ist im Plural auch heute noch als Dialektbeleg aufzufinden, so z.-B. bei Bayerns Dialekte Online (<https: / / bdo.badw.de/ suche? beleg=Die%20gebruoder%20zesamen%20giengen&option s[exact]=1&options[case]=1&options[highlight]=0>; letzter Zugriff: 02.04.2024). 5 Ein älterer Dialektbeleg zu (ein)dantzen findet sich auch bei Bayerns Dia‐ lekte Online (<https: / / bdo.badw.de/ suche? beleg=einDantzen&options[exact]=1&op‐ tions[case]=1&options[highlight]=0>; letzter Zugriff: 02.04.2024). zahlreiche Schreibungen mit ai, z. B. vermainend, nicht angepasst. Hochgestellte Vokale werden genauso abgebildet wie im Original, gleiches gilt für die Virgeln. Diese Darstellungsweise ermöglicht es, direkt mit der Edition zu arbeiten (ohne den sonst oft notwendigen Rückgriff auf das Digitalisat), um beispielsweise sprachwissenschaftlich-sprachhistorische Fragestellungen hinsichtlich der Gra‐ phemik direkt zu konkretisieren. Auch Fragen, die regionalsprachliche Veror‐ tungen betreffen, können mit der vorgelegten Edition beantwortet werden, denn sowohl die Bewahrung des Vokals a in Wörtern wie vermainend als auch die bereits genannten Syn- und Apokopen verweisen auf einen Sprachgebrauch des Deutschen, der eher dem heutigen Süddeutschland zuzuordnen ist. Auffällig sind auch Formen wie gienge  4 oder zudantzen  5 , in welchem das d anstelle eines t beibehalten wurde. Auch der Druckort der Übersetzung, Dillingen an der Donau, beim Drucker Johann Mayer (343) fügt sich passend in diese Argumentation. Die gewählte Varietät des Deutschen zeugt von und zielt auf ein Publikum, dass mehrheitlich dem oberdeutschen Sprachraum zuzuordnen ist. Der Übersetzer Johann Engelbert Noyse von Campenhouten (so der vollstän‐ dige Name) ist zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Übersetzung von Beruf wohl Hofsekretär (343). Die Herausgeberin der Edition verweist explizit auf die Beschäftigung von Noyses sowie auf den Beruf des ersten Übersetzers ins Deutsche, Lorenz Kratzer - er war zum Übersetzungszeitpunkt Mautzöllner -, da auf Grund der Berufe davon ausgegangen werden kann, dass beide „Versionen nicht aus einem akademischen, sondern aus einem städtischen Kreis“ stammten (343). Leider erfährt die interessierte Leserschaft nicht mehr über die beiden Übersetzer, sondern wird auf die Vorworte zu den beiden Übersetzungen sowie ältere Forschungsliteratur verwiesen (343). Es ist verständlich, wenn auch bedauerlich, dass sich die Herausgeberin gegen einen direkten Kommentar mit Erläuterungen in Fuß- oder Endnoten entschieden hat. So bleibt ungeschulten Leserinnen und Lesern möglicherweise unklar, worum es sich beispielsweise bei Moreßkendantz (80) handelt. Zwar wird aus dem Kontext der im Text geschilderten Diskussion deutlich, dass es sich um einen Tanz handeln muss, da das Verb dantzen im Wortumfeld aufgeführt wird DOI 10.24053/ Ital-2023-0035 Baldassar Castiglione: Der Hofmann 215 6 Vgl. Gschwandtner, Charlotte (2017): Moresca. Vielfalt und Konstanten einer Tanzpraxis zwischen 15. und frühem 17.-Jahrhundert. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag. und dem Moreßkendantz (auch aus syntaktischen Gründen) zugeordnet werden muss. Dennoch hätte eine kurze Fußnote mit einem direkten Verweis auf diese Tanzpraxis der Frühen Neuzeit hier weiterhelfen können. 6 Dies sei lediglich als ein Beispiel genannt, wo und wie erläuternde Kommentare die Edition noch etwas freundlicher für die Leserschaft hätten gestalten können. Auch das mit gut vier Seiten doch sehr knappe Nachwort hätte durchaus etwas länger ausfallen dürfen. Selbstverständlich existiert bereits eine Viel‐ zahl an Forschungsliteratur, deren vollständige bibliographische Erfassung im Rahmen einer Edition nicht erwartet werden kann, wie die Herausgeberin selbst in der ersten Fußnote des Nachworts expliziert (341). Dennoch wären einige wenige einführende und kontextualisierende Worte zum Inhalt des Textes für die Rezipientinnen und Rezipienten sicherlich von Interesse gewesen. Zusammenfassend sei das Folgende festgehalten: Die Benutzung der hier vorgelegten Edition setzt Vorwissen von Seiten der Leserschaft voraus. Kontext‐ wissen muss über andere Quellen erschlossen werden. Um ein etwas breiteres Publikum über den akademischen Kontext hinaus zu erschließen, wären erläu‐ ternde Fußnoten sicherlich eine gute Option, aber auch nochmals deutlich mehr Arbeit gewesen. Der Anspruch der Herausgeberin, einen akribisch genauen Text publizieren zu lassen, mag zu dieser verständlichen Entscheidung geführt haben. Als Lese- und Arbeitsbuch insbesondere für den Unterricht des Frühneuhoch‐ deutschen und auch im Bereich der Komparatistik, hier dann im Vergleich mit dem italienischen Original, erscheint die Edition sehr geeignet. DOI 10.24053/ Ital-2023-0035 216 Kerstin Roth