PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement
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Norman Heydenreich
In seiner Regierungserklärung am 9. Dezember 2021 konnte der Bremer Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte ein beeindruckendes Zwischenergebnis zur Bremer Impfkampagne verkünden: „Unsere Impfquote liegt mittlerweile deutlich höher – nämlich bei mehr als 93 Prozent bei den Über-60-Jährigen und etwa 90 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen.“ Damit hatte die erfolgreiche Impfkampagne im kleinsten Bundesland eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Bekämpfung der Pandemie geschafft und wie schon in den Monaten zuvor die höchste Impfquote aller Bundesländer erreicht. Wie war es Bremen gelungen, die Impfkampagne so erfolgreich umzusetzen?
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14 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Norman Heydenreich im Gespräch mit Dr. Lutz Liffers Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement In seiner Regierungserklärung am 9. Dezember 2021 konnte der Bremer Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte ein beeindruckendes Zwischenergebnis zur Bremer Impfkampagne verkünden: „Unsere Impfquote liegt mittlerweile deutlich höher-- nämlich bei mehr als 93 Prozent bei den Über-60-Jährigen und etwa 90 Prozent bei den 12bis 59-Jährigen.“ Damit hatte die erfolgreiche Impfkampagne im kleinsten Bundesland eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Bekämpfung der Pandemie geschafft und wie schon in den Monaten zuvor die höchste Impfquote aller Bundesländer erreicht. Wie war es Bremen gelungen, die Impfkampagne so erfolgreich umzusetzen? Auf der Grundlage der von der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern im November 2020 beschlossenen nationalen Impfstrategie beschloss der Krisenstab in Bremen die Organisation der Bremer Impfkampagne in einer eigenständigen Projektstruktur. Zu deren Nutzen hat sich die Bremer Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard geäußert: „Dank einer grandiosen Steuerung unseres gesamten Projekts durch die Projektleitung und das gesamte Team konnten wir mit allen Unwägbarkeiten umgehen. Gab es neue Rahmenbedingungen, haben wir innerhalb weniger Stunden darauf reagiert. Auch dadurch konnten wir den Bremerinnen und Bremern zu jeder Zeit vermitteln, dass wir alle an einem Strang ziehen, um gemeinsam für Bremen ein Ziel zu erreichen: das Ende dieser Pandemie.“ Zur Projektleitung wurde für die schwierige Startphase von November 2019 bis Juli 2020 der Leiter des V-BÜROs für Projekt- und Veränderungsmanagement Dr. Lutz Liffers abgeordnet. Das V-BÜRO ist eine Einrichtung des Finanzressorts (Finanzministerium) und soll durch die Professionalisierung des Projektmanagements vor allem die Modernisierung und Weiterentwicklung der öffentlichen Verwaltung vorantreiben. Es ist beim Finanzressort angesiedelt, weil dieses als Zentralressort Querschnittsaufgaben für alle Bremer Fachressorts im Bereich Digitalisierung, Personal- und Organisationsentwicklung hat. Die sieben Projektmanagerinnen und -manager des V-BÜROs leiten nicht nur strategisch wichtige Verwaltungsprojekte, sondern entwickeln eine umfassende Unterstützungsstruktur für Projekte in der gesamten Verwaltung und waren beteiligt bei verschiedenen Projekten der Krisenbewältigung (z. B. beim Aufbau eines Cointainmentmanagements zur Nachverfolgung von Infektionsketten). Das Land Bremen engagiert sich nicht nur intern für die Professionalisierung von Projektarbeit in der Öffentlichen Verwaltung. Dr. Anke Saebetzki, Abteilungsleiterin für Personal- und Organisationsentwicklung im Bremer Finanzressort und Initiatorin des V-BÜRO, will sich auch bundesweit für eine stärkere Nutzung von Projektmanagement als Führungs- und Gestaltungsinstrument in der Öffentlichen Verwaltung einsetzen. Als Vertreterin Bremens ist sie auch Gründungsmitglied im Beirat des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“, denn „die Zukunftsfähigkeit der Verwaltung“ meint Anke Saebetzki „liegt in ihrer Fähigkeit, Veränderungen zu gestalten“. Mit Lutz Liffers sprach Norman Heydenreich, Mitinitiator und Beiratsmitglied des Aktionsprogramms „Mit Projekten Deutschlands Zukunft gestalten“, für die PROJEKTMANAGE- MENT AKTUELL. Bremen hat durch eine wirksame Impfkampagne eine überdurchschnittlich gute Impfquote erreicht. Sie wurden als erfahrener Projektmanager aus der öffentlichen Verwaltung als Leiter des Impfprojekts abgeordnet. Welche Ausgangslage haben Sie vorgefunden? Bereits im Frühjahr 2020 hatte der Bremer Senat wie alle Bundesländer einen Krisenstab eingerichtet, der fortan die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie steuerte. Ein Containment-Management zur Nachverfolgung von Infek- Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 tionswegen wurde aufgebaut, aber auch die Beschaffung von Masken und anderen medizinischen Gütern oder der Aufbau von Testzentren wurden im ressortübergreifenden Krisenstab koordiniert. Seine wichtigste Funktion war, auf der Basis der unterschiedlichen Zuständigkeiten der Fachressorts (Ministerien) im Bundesland Bremen die Abstimmungsprozesse zu koordinieren und ein kohärentes und zielgerichtetes Handeln der Verwaltung zur Krisenbekämpfung sicher zu stellen. Im Herbst 2020 zeichnete sich international eine Wende in der Pandemiebekämpfung ab: Mehrere Impfstoffe konnten in kürzester Zeit entwickelt werden und standen kurz vor der Zulassung. Die Bundesregierung beschloss gemeinsam mit den Ländern im November 2020 eine nationale Impfstrategie, die drei Phasen vorsah: In der ersten und zweiten Phase würde noch sehr wenig Impfstoff zur Verfügung stehen. Damit sollten zunächst die gefährdetsten Gruppen geimpft werden. Diese Impfungen sollten ausschließlich durch die Bundesländer zentral organisiert werden. Erst in der dritten Phase sollten die Impfungen dezentral in der ganzen Breite der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte erfolgen. In dieser Situation beschloss der Krisenstab in Bremen die Organisation der Bremer Impfkampagne nicht im Rahmen der bereits bestehenden Stabsstruktur durchzuführen, sondern etablierte dazu eine eigenständige Projektstruktur. Als ich zu diesem Zeitpunkt die Projektmanagementleitung in Bremen übernahm, hatten wir knapp vier Wochen Zeit, ein Impfzentrum aufzubauen. Aber es gab noch keinen Plan, keine Vorbilder, kein Projektteam und die konkreten Rahmenbedingungen waren unklar. Wie kommen die Menschen an ihren Impftermin? In welcher Reihenfolge wird konkret geimpft? Über welchen Weg kann man welche Personengruppen am besten erreichen? Dazu kam die besondere Beschaffenheit des Impfstoffs von BionTech / Pfizer: Er wurde bei minus 70 Grad gelagert, war extrem stoß- und schüttelanfällig und musste aufgetaut wie ein rohes Ei behandelt werden. Wie sollten wir damit beispielsweise in die Altenheime und Pflegeeinrichtungen kommen? Warum wurde in Bremen die Impfkampagne als Projekt organisiert? Die Regelstruktur- - Gesundheitsressort, Gesundheitsamt- - war durch die Krise zu diesem Zeitpunkt schon extrem strapaziert. Es bedurfte also irgendeiner Form der Entlastung. Einfach mehr Personal für die Linienstruktur wäre nicht hilfreich gewesen. Deshalb entschied man sich für eine Projektstruktur. Für die Projektsteuerung konnte der Krisenstab auf Fachleute aus dem V-BÜRO zurückgreifen, ausgebildete Projektmanager mit Verwaltungserfahrung. Ein Projektteam mit zeitweise bis zu 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steuerte ab dem 28. Dezember die Impfzentren auf dem Messegelände und die zwölf mobilen Impfteams mit insgesamt mehreren Hundert Mitarbeitern. Unser Projektteam war ebenfalls in der Messehalle, also direkt am Impfgeschehen, angesiedelt. Anfänglich gab es gegenüber dem Projekt Impfen eine zwiespältige Haltung: Einerseits war allen klar, dass die Regelstruktur aufgrund der Überlastung nicht in der Lage gewesen wäre, jetzt auch noch ein Impfzentrum aufzubauen. Andererseits gab es viele offene Fragen: Wer sollte denn jetzt was tun? Wer hatte welche Aufgabe? Wer hatte für was die Verantwortung? Wir haben übers Wochenende eine Projektstruktur entworfen und neben die vorhandene Linienstruktur gesetzt. Kein Wunder, dass es zunächst kein gemeinsames Bild gab, wie sich das Projekt in die Krisenstruktur einfügte. Anfangs traten wir allen auf die Füße, weil wir die Abläufe, Entscheidungswege, Verantwortungen neu organisieren mussten. Aber bald hatten die Kollegen aus der Linie die Vorteile der projekthaften Herangehensweise erkannt und dem Projektteam großes Vertrauen entgegengebracht. Die Überlastung des Systems war aber nur ein Grund für die Entscheidung, die Impfkampagne als Projekt zu organisieren. Darüber hinaus war klar, dass die Impfkampagne die Verwaltung vor eine besondere Herausforderung stellt: Im Projekt Impfen hatten wir es mit ständigen Veränderungen Bild 1: Bremer Impfzentrum, Foto: Jan Heitmann Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 der Rahmenbedingungen zu tun. Die gesamte Impfkampagne war von fast täglichen Überraschungen gekennzeichnet: Impfstoffe kamen später als erwartet oder angekündigte Mengen wurden nicht geliefert, die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und Beschlüsse von Bund und Ländern erforderten innerhalb von Stunden völlig neue Planungen, durch eine aufgeheizte öffentliche Debatte wurden wirksame Impfstoffe diskreditiert, Querdenker demonstrierten vor dem Impfzentrum-… Die traditionellen Verwaltungsstrukturen sind für solche komplexen, disruptiven und unbeständigen Rahmenbedingungen nicht gemacht. Verwaltung soll vor allem Beständigkeit und Verlässlichkeit organisieren, ihre Struktur ist auf Sicherheit, Planung und Berechenbarkeit ausgelegt. Im Projekt Impfen standen aber andere Anforderungen im Vordergrund: Wir mussten ständig risikobehaftete Entscheidungen treffen, das Überraschende erwarten und in den Planungen antizipieren und innovative Lösungen in kürzester Zeit entwickeln, erproben, verwerfen oder weiterentwickeln. War es denn möglich, unter diesen Umständen das Projekt solide zu planen? Für eine klassische Projektplanungsphase war gar keine Zeit. Wir mussten sofort mit dem Aufbau beginnen, gleichzeitig ein Projektteam zur Steuerung zusammenstellen, die verstreuten Informationen zum Impfen zusammentragen und bewerten und die wenigen schon angelaufenen Aktivitäten koordinieren und bündeln, Verträge mit den Hilfsorganisationen schließen, IT beschaffen, Software beauftragen, für die es noch gar keine erprobten Vorbilder gab, Sicherheitskonzepte entwickeln und schließlich musste die relativ abstrakte Impfstrategie des Bundes für Bremen konkret ausbuchstabiert werden. Im Grunde hat das Projekt typische Merkmale eines agilen Projektes: Das Ziel- - oder agil gesagt: die user story - - war klar: „Alle Bürger erhalten so schnell wie möglich ein Angebot über eine Covid-Schutzimpfung“- … aber der Weg dorthin musste in iterativen Schritten entwickelt werden mit der Besonderheit, dass mit dem Impfen sofort begonnen werden musste. Durch welche Herangehensweise konnte das Projektteam diese besonderen Herausforderungen hoher Komplexität, Ungewissheit und Volatilität meistern? Der Mindset, also die Denkweise, Orientierung, Haltung, mit der wir das Projekt gesteuert haben, war entscheidend für das Projekt: • Unbedingter Fokus auf den Nutzen für die Bürger und Bürgerinnen, • Orientierung auf eine Kultur der Kooperation zwischen den Ressorts, Ämtern und nicht-staatlichen Partnern statt Anweisungskultur, • Lern- und Anpassungsfähigkeit statt Planungstreue, • Lösungsorientierung. Wir haben deshalb gerade zu Beginn intensiv an diesem Mindset gearbeitet, statt Organigramme und Powerpoints zu malen. Ein Mindset entsteht nicht durch das Schreiben von Grundsatzpapieren, sondern durch entsprechende Arbeitsstrukturen: Bei ständiger Flexibilität definierten wir klare Rollen, Aufgaben, Verantwortungen statt unbeweglicher Geschäftsverteilungspläne, schlanke und effektive Kommunikationsstrukturen statt endloser Sitzungen, strategische Transparenz statt einsamer Beschlüsse der Leitung, rollierende Planung und schließlich Steuerung und Controlling, die allen die notwendige Handlungssicherheit gaben. Steuerung und Controlling werden in Verwaltungsstrukturen oft als repressive Instrumente erlebt und erzeugen häufig Widerstand. In einer Projektstruktur dienen sie dazu, Schwierigkeiten zu überwinden und Lösungen zu schaffen. Das ist am Ende für alle ein befriedigender Weg. Projektmanagement haben Sie als Technik genutzt, um eine solche Aufgabe unter größtem Zeitdruck zu bewältigen. Gab es auch weitere Erfolgsfaktoren für das überdurchschnittliche Ergebnis? Viele Faktoren spielen eine Rolle. Das riesige Engagement vieler Partnerorganisationen und Personen. Sicher auch der Umstand, dass Bremen als Stadtstaat über kurze Wege verfügt und sich die Akteure kennen. Als wir beispielsweise im Mai erstmals probeweise mit einem temporären Impfzentrum in einen Stadtteil mit besonders hohen Inzidenzen gingen, haben wir eng mit den lokalen Kitas, Schulen, Kultur- und Gesundheitseinrichtungen und Ärzten zusammengearbeitet. Diese Einrichtungen genießen das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen und so konnten wir vor allem die Menschen erreichen, die der Staat nicht gut erreichen kann. Das war ein Schlüssel für den Impferfolg, weil wir sehr früh viele Personen in prekären Lebenslagen, Alleinerziehende, Menschen ohne deutsche Sprachkenntnisse, Verunsicherte am Rande der Gesellschaft impfen konnten. In Gröpelingen sagte mir ein bulgarischer Arbeiter im Mai-- also fünf Monate nach Beginn der Impfkampagne: Oh ich wusste gar nicht, dass man sich gegen Covid-19 impfen lassen kann. Er war über die Kita-Leitung seiner Tochter auf unsere Kampagne aufmerksam gemacht worden. Wir machen uns als öffentliche Verwaltung häufig zu wenig Gedanken, wie wir mit den Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren sollten, damit wir auch alle erreichen. Mehrsprachige Anschreiben alleine sind noch kein Garant für gute Kommunikation. Bei all diesen Aktivitäten vor Ort, auch bei unseren Impfkampagnen für Wohnungslose oder Sexarbeiterinnen, waren lokale Institutionen der Schlüssel für den Erfolg. In einem Flächenland hätte man hier größere Schwierigkeiten mit lokalen Akteuren eine solche Aktion mit vielen Risiken zu erproben. Kommunen sind da viel näher dran. Auch haben wir viel dafür getan, dass die Bürger und Bürgerinnen der Impfkampagne vertrauen. Wer von uns eine Impfeinladung bekam, musste nicht in endlosen Warteschleifen hängen, sondern bekam sofort einen Termin. Bürgerorientierung war in den Impfzentren oberstes Gebot: Die Menschen sollten sich sicher, gut beraten und wohl fühlen. Die Kollegen in den Impfhallen, die engagierten Hilfsorganisationen, die vielen Helfer aus der Hotellerie und dem Veranstaltungsgewerbe haben maßgeblich dazu beigetragen, dass innerhalb Bremens die Impfzentren bald einen überaus guten Ruf genossen. Das Callcenter, in unserem Auftrag betrieben von einem renommierten Veranstaltungsunternehmer, genoss geradezu einen legendären guten Ruf für seine Serviceorientierung. Heute sind viele Bremer stolz auf „unsere Impfkampagne“. Auch das erhöhte die Impfbereitschaft. Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Ressourcenmanagement Multiprojektcontrolling Projektportfolio Angebote und Rechnungen Scrum, Kanban, PRINCE2 ® , IPMA projektron.de Projektmanagement-Software Projektron BCS Anzeige Ein wichtiger Erfolgsfaktor war aber auch die Unterstützung der Hausleitung, die engmaschige Abstimmung zu jeder Tages- und Nachtzeit und deren Vertrauen in das Projektteam. Als Projektauftraggeberin haben Senatorin und Staatsrätin (und die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsressort) diese Rolle aktiv gespielt: Politisch und administrativ dem Projekt zum Erfolg zu verhelfen. Welche Rolle haben dabei die persönliche Ausbildung, Kompetenz und Erfahrung als Projektmanager gespielt? Die fachliche Kompetenz und Erfahrung als Projektmanager spielten eine sehr große Rolle. Das war aber nicht nur ich, der Projekterfahrung mitbrachte. Der Leiter des Krisenstabs war ebenfalls ein äußerst erfahrener Projektmanager. Das Projektteam haben wir zu einem großen Teil aus jungen Projekt- und Veranstaltungsmanagerinnen der Bremer Messegesellschaft zusammengestellt, Kollegen aus meinem V-Team haben mit ihrer Erfahrung maßgeblich mitgewirkt. So waren im Kernteam des Projekts alle methodischen, technischen und sozialen Kompetenzen des Projektmanagements vorhanden. Erfahrung bedeutet ja auch, dass man nicht versucht, ein solches Projekt nach dem Lehrbuch umzusetzen. Es braucht eine ständige Überprüfung, welche PM- Techniken wann Sinn ergeben. Auch in den anderen Fachressorts gab es projekterfahrene Partner, mit denen wir schnell agieren konnten. Als wir beispielsweise mit der Impfung der Lehrkräfte starteten, waren das zwei, drei Telefonate mit den zuständigen Kolleginnen im Fachressort, um die schnellste und effektivste Vorgehensweise abzusprechen und dann konnten wir es sofort umsetzen. In der Krise hat sich erneut gezeigt, dass professionelles Projektmanagement in besonderem Maße hilft, schwierige Aufgaben zu steuern. Es sind ja immer die gleichen Aspekte, um die es geht: Überblick verschaffen, priorisieren, Rollen klären, die Stakeholder einbeziehen, auf gemeinsame Ziele orientieren, Konflikte bearbeiten, die Risiken im Blick haben, kommunizieren, lösungsorientiert steuern. In der Krise hat sich gezeigt, dass genau dies der klassischen Verwaltung unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen häufig schwerfällt. Welche Rolle hat für den Impferfolg die organisationale Kompetenz der Bremer Verwaltung gespielt, insbesondere durch den Aufbau von Wissen, Standards, Governance-Strukturen und ein PM-Office? Mit dem V-BÜRO FÜR PROJEKT- UND VERÄNDERUNGSMA- NAGEMENT hat der Senator für Finanzen eine wichtige Struktur aufgebaut, um Projektmanagement in der Verwaltung zu professionalisieren. Das hat Bremen in der Coronakrise enorm geholfen, weil man auf etablierte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen konnte und über Projektmanager mit Verwaltungserfahrung verfügte. In Bremen bauen wir zurzeit noch weitergehende PM- Strukturen auf: • Ein zentraler berufsbegleitender Lehrgang für Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung steht allen Fachressorts zur Verfügung, • wir betreiben ein Netzwerk der Projektverantwortlichen • und haben einen Standard für das Projektmanagement in der öffentlichen bremischen Verwaltung definiert, • wir stellen zentral Techniken und Werkzeuge für das PM zur Verfügung, • und beraten Kollegen, deren Projekte noch in der Initialisierung stecken oder deren Projekte in eine Krise geraten sind. Insbesondere das Beratungssystem wollen wir in diesem Jahr systematisieren und ausbauen. Es geht darum, die Fachressorts und Ämter gezielt und praxisorientiert dabei zu unterstützen, ihre Projekte professionell umzusetzen. Das hilft nicht nur bei zukünftigen Krisen, sondern ist auch deshalb unbedingt notwendig, weil die Bremer Verwaltung sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess befindet, Stichwort Digitalisierung. Reportage | Erfolg der Bremer Impfkampagne mit Projektmanagement 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0004 Welche Rolle spielte dabei eine projektförderliche Kultur der Zusammenarbeit? Ich habe ja vorhin schon berichtet, wie wichtig uns im Projekt Impfen der Mindset war, den wir mit einer guten Arbeitsstruktur befördern können. Aus meiner Perspektive stecken in einer projektorientierten Arbeitsstruktur und der entsprechenden Organisationskultur essenzielle Entwicklungsmöglichkeiten für die Verwaltung insgesamt. Solange Verwaltung allein aus den fachlichen Zuständigkeiten heraus ihre Aufgaben wahrnimmt, ist die Kooperation zwischen den Ämtern und Fachressorts erschwert. Durch Projektstrukturen können wir dieses Ressortdenken überwinden. Wir hatten im Impfprojekt die Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit anderen Ressorts, mit Ämtern und mit den vielen nicht-staatlichen Partnern sehr vertrauensvoll zu organisieren. Vor allem die Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Partnern fällt Verwaltung nicht immer leicht. Es ist ja nicht getan mit einem Dienstleistungsvertrag. Gerade im Projekt Impfen waren die Hilfsorganisationen unentbehrliche Partner, mit denen wir transparent und auf Augenhöhe kommunizierten. Auch mit den weiteren Akteuren wie Krankenkassen, Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung und Kinderärztlicher Vereinigung entwickelten wir vertrauensvolle und kooperative Strukturen der Zusammenarbeit, auch wenn hier zeitweise unterschiedliche Interessen aufeinandertrafen. Aber genau für solche auch konflikthaften Konstellationen sind die PM-Techniken geschaffen. Was lief nicht so gut, was würden Sie beim nächsten vergleichbaren Projekt anders machen? Ich persönlich habe in der ersten Phase des Projektes zu wenig Zeit gehabt, Teamentwicklung und Teamkommunikation in dem Maße zu betreiben, wie es notwendig gewesen wäre. Das ist auch typisch für Projekte: Die Sachaufgaben fordern so viel Aufmerksamkeit und Ressourcen, dass man die Teamentwicklung schleifen lässt. Das rächt sich, vor allem, wenn man den Kollegen und Kolleginnen so viel abverlangt wie in der Corona-Krise. Um ein Projektteam unter solch enormen Belastungen motiviert und arbeitsfähig zu halten, sollten Teamentwicklung und Teamkommunikation von Anfang an eine große Aufmerksamkeit durch die Projektleitung erhalten. Ich habe dann eine Kollegin und einen Kollegen aus dem V-Büro in die Projektleitung geholt, sodass wir zu dritt Konflikte im Team, Perspektiven der Mitarbeitenden und Neueinstellungen besser angehen konnten. Durch unsere gemeinsame Arbeitserfahrung im V-BÜRO konnten wir uns als Leitungsteam quasi blind vertrauen-- auch daran sieht man, wie produktiv ein gemeinsam getragener Mindset ist. Dr. Lutz Liffers Dr. Lutz Liffers, Soziologe und Projektmanager, arbeitete viele Jahre im Kultur- und Bildungsbereich u. a. für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, Arbeitnehmerkammer Bremen, Kultur Vor Ort e. V. und in verschiedenen kommunalen Einrichtungen. Seit vier Jahren ist er für den Senator für Finanzen in Bremen in der Organisationsentwicklung tätig und leitet das V-Büro für Projekt- und Veränderungsmanagement der Freien Hansestadt Bremen. Überhaupt: Das Thema Kommunikation-- zwischen Projekt und Linie und zwischen Projekt und Bürgern-- erfordert enorme Kraftanstrengung und kam auch bei uns anfänglich zu kurz. Uns gelang es erst nach einigen Wochen, eine einigermaßen verlässliche Kommunikationsstruktur aufzubauen, mit der die Bürger aktuell informiert werden konnten in einem Feld mit täglichen Veränderungen. Welche generellen Empfehlungen könnten Sie aufgrund der Erfahrungen mit diesem Projekt für die anstehenden Impfprojekte anderer Länder geben? Ich kann nur sagen, was wir aus dem Projekt Impfen schlussfolgern: Unser Eindruck ist, dass Krisenpläne allein nicht durch die Krise helfen, sondern die Verwaltung insgesamt viel krisenresilienter werden muss. Als wir das Projekt im Sommer mit dem Abschluss der ersten Impfphase übergeben hatten, stellte sich für uns die Frage: Was bleibt? Konnten wir mir den Projektstrukturen auch die Regelstrukturen verändern? Das bleibt für uns eine wichtige Frage für die Weiterentwicklung unserer Arbeit. Wie kann es gelingen, dass wir nicht nur Projekte gut managen, sondern dadurch Verwaltung insgesamt verändern und weiterentwickeln? Wie das genau aussehen sollte, versuchen wir zurzeit durch eine umfangreiche Auswertung der Krisenerfahrung zu präzisieren. Aber eine Erfahrung können wir jetzt schon festhalten: Projektmanagement ist für die Öffentliche Verwaltung nicht nur in der Krise eine unschätzbare Ressource, um Veränderungen und schwierige Aufgaben gut zu meistern. Eingangsabbildung: © Dr. Lutz Liffers: Impf-Truck vor Ort beim Bürger