PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Interkulturelles Projektmanagement im Fokus: Erfolgsfaktoren für die Arbeit in internationalen Teams
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Kai Buchholzer
Märkte verschmelzen, die internationale Zusammenarbeit nimmt stetig zu: Die Globalisierung bricht immer mehr Grenzen in den Köpfen der Menschen auf. Dennoch bestehen weiterhin interkulturelle Unterschiede, die bei Großprojekten für alle Beteiligten oftmals herausfordernd sind. Deshalb kommt dem interkulturellen Projektmanagement eine wichtige Rolle zu, um Prestigeprojekte mit gesellschaftlicher Tragweite – wie die Expo 2020 – gemeinsam erfolgreich auf die Beine zu stellen.
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52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 Interkulturelles Projektmanagement im Fokus: Erfolgsfaktoren für die Arbeit in internationalen Teams Kai Buchholzer, Senior-Projektmanager bei THOST Projektmanagement Für eilige Leser | Märkte verschmelzen, die internationale Zusammenarbeit nimmt stetig zu: Die Globalisierung bricht immer mehr Grenzen in den Köpfen der Menschen auf. Dennoch bestehen weiterhin interkulturelle Unterschiede, die bei Großprojekten für alle Beteiligten oftmals herausfordernd sind. Deshalb kommt dem interkulturellen Projektmanagement eine wichtige Rolle zu, um Prestigeprojekte mit gesellschaftlicher Trageweite-- wie die Expo 2020-- gemeinsam erfolgreich auf die Beine zu stellen. Schlagwörter | Expo 2020, deutscher Pavillon, interkulturelles Projektmanagement, international, Weltausstellung Kulturelle Unterschiede betreffen nicht nur Traditionen und Kommunikation, sondern auch organisatorisches Denken und Handeln sowie Arbeitsweisen. Durch die verstärkte internationale Kollaboration entstehen hieraus völlig neue Herausforderungen für das Projektmanagement- - vor allem, wenn eine Pandemie das Großprojekt zusätzlich beeinflusst. Die Expo 2020 in Dubai stellt hierbei ein Paradebeispiel dar-- sowohl für die internationale Zusammenarbeit als auch für die zunehmende Globalisierung. Die Weltausstellung läuft unter dem Motto: Connecting Minds, Creating the Future. Sie steht symbolisch für Völkerverständigung und ein „Wir-Gefühl“, wenn es darum geht, globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu meistern. Innovationen sollen präsentiert, Ideen geteilt und internationale Zusammenarbeit gefördert werden. Neben den 190 Ländern, die sich auf der Weltausstellung vorstellen, kamen allein beim Bau des deutschen Pavillons mehr als 500 Arbeitskräfte aus 15 Nationen zusammen-- 45 Subunternehmen beteiligten sich an dem Prestigeprojekt. Nach insgesamt 24 Monaten intensiver Arbeit und ca. 350 Meetings konnte der „Campus Germany“ termingerecht fertiggestellt und übergeben werden. Der Weg dorthin war allerdings nicht immer leicht. Herausforderungen internationaler Zusammenarbeit Alle Beteiligten mussten eine Vielzahl an Herausforderungen meistern, um das Projekt erfolgreich zum Abschluss zu bringen: Zum einen Barrieren in der interkulturellen Zusammenarbeit, zum anderen die klassischen Hürden, die bei Großprojekten allgegenwärtig sind. Selbst innerhalb einer Branche gibt es Gräben, die gemeinsam überwunden werden müssen. So sind beispielsweise die Arbeits- und Herangehensweisen an Aufgaben teils völlig unterschiedlich und nur durch ein intensives Micro-Management sowie die Bereitschaft zu einer „Hands-onthe-job“-Mentalität zu überwinden. Hierbei dürfen sich Projektmanagerinnen und Projektmanager nicht scheuen, selbst tätig zu werden und Arbeitsschritte vorzumachen. Während im Managementbereich die Kommunikation aufgrund umfassender Englischkenntnisse leichtfällt, sind Gastarbeiter der Weltsprache oft nicht mächtig. An diesem Punkt gehen interkulturelle wie projektspezifische Herausforderungen Hand in Hand. Auch unterschiedliche Angewohnheiten im Kommunikationsverhalten können zu Missverständnissen führen: Viele der Gastarbeiter kommen aus Indien. Auf dem Subkontinent bedeutet das Kopfnicken, beziehungsweise -schütteln zwar auch „Ja“ respektive „Nein“-- allerdings nicht mit demselben Nachdruck wie in Deutschland, weshalb es eher mit einem „Ja, vielleicht“ gleichzusetzen ist. Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 53 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 Aufgrund der vielen Gastarbeiter kommt auf Projektverantwortliche eine weitere Herausforderung zu: Die Teams sind nicht eingespielt und haben somit keine gängigen Konventionen, die sich normalerweise bei längerer Zusammenarbeit ergeben. Deshalb müssen vorab Regeln und Normen aufgestellt und verinnerlicht werden, auf welche sich alle Projektbeteiligten jederzeit beziehen. So können Arbeitsabläufe flüssiger gestaltet und Abstimmungen vereinfacht werden, da sich mit der Zeit Mechanismen etablieren und nicht jeder Arbeitsschritt neu kommuniziert werden muss. Einziger Nachteil: Die Kompetenzen, die vor Ort vermittelt werden, haben über das Projektende hinaus keinen Effekt, da die Arbeiter anschließend wieder in ihre Heimatländer reisen und nicht erneut in dieser Konstellation zusammenarbeiten. Der Aufbau von festen Strukturen und eine nachhaltige Wissensvermittlung bleiben so auf der Strecke. Bei künftigen Projekten in Dubai und der Umgebung fangen die Projektmanagerinnen und -manager sowie andere Beteiligte oft wieder bei null an. Prestigeprojekt Weltausstellung Neben der Internationalität des Projekts bringen Bauvorhaben auf Weltausstellungen weitere Besonderheiten mit sich: Während in Deutschland die temporären Strukturen auf Ausstellungen normal sind, kennen die Behörden in Dubai derlei nicht. Deshalb mussten die Pavillons allesamt feste Strukturen aufweisen: Die Gebäude-- abgesehen von der Klimaanlage-- wurden folglich für einen langfristigen Betrieb konzipiert und könnten nun problemlos die nächsten 20 Jahre genutzt werden. Auch in der Bauphase gibt es erhebliche Unterschiede: Während den Bauherren in Deutschland Baustrom über das reguläre Stromnetz zur Verfügung gestellt wird, läuft die Versorgung in Dubai bis zur Abnahme der elektrischen Anlagen über Notstromgeneratoren. Das bringt Gefahren für die Terminplanung und die Kostenkontrolle mit sich, denn Notstromgeneratoren sind teuer, wartungsintensiv und instabil. Ausfälle und ein damit einhergehender Tausch des Geräts kosten Zeit- - und somit Geld. Erst nach intensiven Verhandlungen mit den lokalen Behörden und den Verantwortlichen der Expo wurden die Richtlinien angepasst. So konnten die Bauherren schon zu einem früheren Zeitpunkt Baustrom zurückgreifen. Voraussetzung: Die Verteiler und Leitungen im Gebäude mussten fertiggestellt und behördlich abgenommen sein. Auch beim Vorgang der Gebäudeabnahme bestehen bedeutende Unterschiede. In Dubai erfolgt die Abnahme durch die drei zuständigen Behörden (Feuerwehr- - DCD, Strom / Wasser / Abfluss- - DEWA, Sicherheitssysteme mit der Polizei- - SIRA) erst dann, wenn das Gebäude aus baulicher Sicht fertiggestellt und „besenrein“ ist. Vorher ist es nicht möglich das „Building Completion Certificate“ (BCC) zu erlangen. Das BCC ist ebenfalls Bestandteil des Vertrages mit dem BMWi und elementar für dessen Erfüllung. Darüber hinaus regelt der Vertrag mit dem BMWi die deutschen Vorgaben für die Technische Gebäudeausrüstung (TA), die ebenso den lokalen Ansprüchen genügen muss. Außerdem legen die Veranstalter der Expo großen Wert auf Sicherheit. Das betrifft nicht nur die allgemeine Betriebssicherheit auf dem Gelände, sondern explizit auch auf den Baustellen. Maschinen wie Bagger oder Krane werden strengen Kontrollen unterzogen. Geräte, die nicht den Sicherheitsrichtlinien entsprachen, durften folglich nicht auf das Expo- Areal gebracht werden. Vor allem bei Subunternehmen, die oftmals ausgemusterte Maschinen aufkaufen und weiter nutzen, stellte dies aufgrund der engen Terminschiene eine große Herausforderung dar. Hatte eine Maschine nicht die Zulassung bekommen, musste eine neue- - im schlimmsten Fall aus Übersee- - nach Dubai gebracht werden. Nicht nur die Baugeräte und alle Fahrzeuge wurden streng kontrolliert, auch jegliches Personal wurde genau überprüft und musste teils lange auf die Zutrittserlaubnis warten. Eine weitere Belastung für den durch die Corona-Pandemie ohnehin schon durcheinandergewürfelten Terminplan: Engpässe bei Materiallieferungen und steigende Rohstoffpreise-- besonders betroffen waren hier die Industriemetalle. Die Lage wurde durch das havarierte Frachtschiff „Ever Given“ im Suez-Kanal noch verschärft. Eine besondere Situation für alle Projektbeteiligten, die dadurch improvisieren und umdenken mussten. Zahlreiche Meetings waren notwendig, um die ständig wechselnden Umstände immer wieder neu zu Außenansicht des deutschen Pavillons während der Bauphase © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 54 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 bewerten. So entstand ein echter Papierkrieg: Jedes Meeting musste gewissenhaft protokolliert und an alle Projektbeteiligten sowie den Generalunternehmer versendet werden. Die Vielzahl an Herausforderungen verlangten den Projektverantwortlichen sowie den Arbeitskräften einiges ab- - und sorgten sogar für die Wiederbelebung einer in den Hintergrund geratenen Managementmethode. Erfolgreiches Projektmanagement im Ausland In einem modernen Projektumfeld wird das Micro-Management heutzutage kaum noch genutzt, da eine ständige Kontrolle und intensive Beobachtung jedes Arbeitsschrittes demotivierte Mitarbeitende zur Folge haben können. Allerdings machten die widrigen Umstände die Renaissance des Micro- Managements nötig. Schwierigkeiten bei der Kommunikation und fehlende einheitliche Sprachsowie Fachkenntnisse machten es unabdingbar, jeden Prozessschritt sorgfältig zu prüfen. Darüber hinaus war die lehrende Funktion der Projektmanagerinnen und -manager entscheidend für den Projekterfolg: Kompetenzen und konventionelle Arbeitsweisen wurden an die Workforce vermittelt. Auch die Materialbeschaffung (Procurement) musste aufgrund der externen Umstände (Corona-Pandemie, Havarie im Suez-Kanal) engmaschig und dauerhaft überwacht werden. Die Planungen des Procurements wurden auf der Grundlage des Final Designs vorgenommen und gingen anschließend an den Konsulenten, der die Einkaufslisten kontrollierte und freigab, sofern sie den Spezifikationen entsprachen. Wenn Projektmanagerinnen und -manager wie hier die Tätigkeiten eines Generalunternehmers übernehmen, müssen sie vor allem betriebswirtschaftliches Know-how mitbringen: Kenntnisse in den Bereichen Finanzen, Vertragsrecht und Controlling sind elementar, um Prozesse strukturiert und erfolgreich voranzutreiben- - speziell in Krisensituationen. Außerdem liegt ein besonderer Fokus auf der detaillierten Ausführungsplanung, insbesondere in einem Umfeld, das von einer effektiven und zielgerichteten Kommunikation lebt. Eine möglichst Außenansicht des deutschen Pavillons während der Bauphase aus der Nähe © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Rund 200 geladene Gäste feiern auf der Baustelle das Richtfest des deutschen Pavillons © Deutscher Pavillon EXPO 2020 / Björn Lauen Wissen | Interkulturelles Projektmanagement im Fokus 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 01/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0015 exakte Ausführungsplanung hilft dabei, Missverständnisse auf der Baustelle zu verhindern, einen reibungslosen Bauprozess zu gewährleisten-- und bestmöglich für die behördlichen Abnahmen gerüstet zu sein: Die lokalen Behörden haben äußerst strenge Anforderungen und legen größten Wert auf Sicherheit. Das betrifft sowohl die allgemeine Betriebssicherheit als auch den Schutz der Besucher sowie Mitarbeitenden. In Dubai sind drei Behörden für die Gebäudeabnahmen zuständig: Das E-Werk DEWA kontrolliert, ob Verteilerkästen und Stromleitungen sicher sind, die Polizei-SIRA begutachtet die Zutritts-, Alarm- und Videoüberwachung, die aus Datenschutzgründen (nach deutschem Recht) nur außerhalb des Gebäudes angebracht werden durfte, und die Feuerwehr DCD ist für den Check der Brandschutzanlagen zuständig. Erst wenn alle drei Behörden grünes Licht geben, gilt ein Gebäude als fertiggestellt und betriebsbereit. Aufgrund der strengen Vorgaben seitens der lokalen Behörden ist es wichtig, dass der Inbetriebnahmeprozess schon in der Planungsphase beginnt und das gesamte Bauvorhaben über alle Phasen hinweg begleitet. Ziel ist es hierbei, die spätere Inbetriebnahme möglichst reibungslos zu gestalten und die Technische Gebäudeausrüstung effizient und genau aufeinander abgestimmt zum Laufen zu bringen-- nur dann kann eine behördliche Freigabe des Gebäudes erfolgen. Erfahrung als Schlüssel zum Erfolg Doch woher wissen die Verantwortlichen im Projektmanagement, wann sie welches Tool einsetzen oder welche Maßnahme sie ergreifen müssen? Die Antwort lautet hier zuallererst: Erfahrung. Darüber hinaus sind Marktkenntnisse von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, mit den Verantwortlichen über eine Änderung der Richtlinien zu verhandeln oder selbst eingemottete Managementmethoden wie das Micro-Management zu reaktiveren. Auch der Umgang mit der Workforce, den lokalen Behörden oder Subunternehmen ist für Neulinge ohne Erfahrung kaum zu stemmen und mündet selten im Erfolg. Die THOST-Experten haben schon einige Projekte im Mittleren Osten erfolgreich abgeschlossen und konnten so auf umfangreiche Markkenntnisse zurückgreifen, die maßgeblich zum Projekterfolg beigetragen haben. Kai Buchholzer ist seit 2019 Senior-Projektmanager bei THOST Projektmanagement und war auf der Expo 2020 in Dubai maßgeblich an der erfolgreichen Fertigstellung des deutschen, des österreichischen und des chinesischen Pavillons beteiligt. Während seiner 20-jährigen beruflichen Laufbahn betreute der studierte Industrial Manager schon diverse Projekte aus den Segmenten Kultur, Immobilien, Mobilität, Anlagenbau und Energie. Innenansicht des deutschen Pavillons © German Pavilion Expo 2020 Dubai / Bjoern Lauen Trotz des Erfahrungsschatzes stellen langfristige Großprojekte im Ausland auch immer wieder eine persönliche Herausforderung dar: Projektmanagerinnen und -manager müssen sich darauf einstellen, lange von ihrer Familie und dem vertrauten Umfeld getrennt zu sein- - teilweise können Zeitverschiebungen die Kommunikation mit der Heimat zusätzlich erschweren. Darüber hinaus sind Sechs- oder Sieben- Tage-Wochen keine Seltenheit und verlangen den Beteiligten einiges ab. Vor allem bei besonderen Projekten wie einer Weltausstellung stehen Verantwortliche und Arbeitskräfte unter dauerhaftem Zeitdruck. Nichtsdestotrotz haben derartige Vorhaben auch Sonnenseiten: In einem internationalen Umfeld zu arbeiten, ist immer wieder etwas Besonderes. Der Kontakt mit Menschen anderer Herkunft und Kultur fördert nicht nur die fachliche, sondern auch die persönliche Weiterbildung. Gerade bei der Expo: Die enge Zusammenarbeit mit den Kreativen, die für die Fassade und Ausstellung innerhalb des „Campus Germany“ zuständig waren, lieferte immer wieder neue Einblicke und Erkenntnisse, die nicht alltäglich sind. Aber auch die Marktkenntnisse konnten während des langen Aufenthaltes nochmals geschärft werden: Dubai ist ein Land, das sich im Aufbruch befindet. Somit sind Veränderungen innerhalb der Nation und der Strukturen keine Seltenheit. Mit dem Wandel muss auch das Projektmanagement Schritt halten, da sich die lokalen Gegebenheiten schnell ändern und gegenwärtige Marktkenntnisse morgen schon veraltet sein können. Klar ist auch, dass besonders das internationale und interkulturelle Projektmanagement künftig von noch größerer Bedeutung sein wird. Die Nachfrage nach internationaler Expertise wird weiter ansteigen- - vor allem im wachsenden und zunehmend fortschrittlichen Mittleren Osten, der gleichzeitig das Tor zu Afrika darstellt. Auch auf dem zweitgrößten Kontinent steigt die Nachfrage nach internationalem Projektmanagement, und hierfür sollten sich Verantwortliche bestmöglich rüsten und zukunftsfähig aufstellen- - denn die Zukunft bleibt spannend. Das Prestigeprojekt zur Expo 2020 hat gezeigt, dass internationale Großprojekte mit entsprechender Marktkenntnis, interkulturellen Kompetenzen und einer Hands-on-Mentalität erfolgreich bewältigt werden können. Eingangsabbildung: © German Pavilion Expo 2020 / Björn Lauen