PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Den Konsens vor der Krise schaffen!
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Oliver Steeger
Pandemie, steigende Energiekosten, gerissene Lieferketten, drückender Fachkräftemangel: Immer häufiger gehen Unternehmen durch Krisen. Mit speziellen Resilienz-Projekten könnten sich viele Unternehmen besser auf solche Krisen vorbereiten. Die Idee: Unternehmen analysieren Risiken, wappnen sich mit Maßnahmen gegen mögliche Bedrohungen und erarbeiten Notfallpläne für den Fall des Falles. Indes, bei solchen Projekten handelt es sich in aller Regel um Changeprojekte. Im Ernstfall müssen die Mitarbeiter unverzüglich und entschlossen handeln. Changemanagement-Fachmann Winfried Berner erklärt im Interview, weshalb unternehmensweite Konsensprozesse wichtig sind, welche Rolle das Top-Management spielt – und welchen Preis man für Resilienz in Kauf nehmen muss.
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8 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0029 Weshalb Resilienz-Projekte oft auch Changeprojekte sind Den Konsens vor der Krise schaffen! Oliver Steeger Pandemie, steigende Energiekosten, gerissene Lieferketten, drückender Fachkräftemangel: Immer häufiger gehen Unternehmen durch Krisen. Mit speziellen Resilienz-Projekten könnten sich viele Unternehmen besser auf solche Krisen vorbereiten. Die Idee: Unternehmen analysieren Risiken, wappnen sich mit Maßnahmen gegen mögliche Bedrohungen und erarbeiten Notfallpläne für den Fall des Falles. Indes, bei solchen Projekten handelt sich in aller Regel um Changeprojekte. Im Ernstfall müssen die Mitarbeiter unverzüglich und entschlossen handeln. Changemanagement-Fachmann Winfried Berner erklärt im Interview, weshalb unternehmensweite Konsensprozesse wichtig sind, welche Rolle das Top- Management spielt-- und welchen Preis man für Resilienz in Kauf nehmen muss. Viele Unternehmen wurden durch die Krisen der letzten Jahre auf dem falschen Fuß erwischt. So wenig wahrscheinlich solche Ereignisse gewesen sind-- manche Unternehmen sind, so beklagen Fachleute, kaum vorbereitet. Es mangelt an Resilienz gegenüber Krisen. Herr Berner, ist es überhaupt möglich, ein Projekt aufzusetzen, das die Resilienz eines Unternehmens oder einer Organisation stärkt? Winfried Berner: Man kann durch ein Projekt die Resilienz von Unternehmen stärken. Doch dies setzt voraus, dass das Unternehmen noch agieren kann- - also noch die Zeit und Kraft hat, sich auf mögliche Krisen vorzubereiten. Wenn es bereits lichterloh brennt, ist es zu spät für Brandschutzmaßnahmen-- so etwa in Teilen der Landwirtschaft. Viele landwirtschaftliche Betriebe machen seit Jahren Verluste und kämpfen ums Überleben. Für viele von ihnen dürfte es zu spät sein für die Vorbereitung auf Krisen. Die Stärkung der Resilienz muss man angehen, wenn man noch proaktiv handeln kann und ausreichend Luft zum Atmen hat. Angenommen, ein Unternehmen hat noch Luft zum Atmen-- wie kann die Resilienz dieser Organisation dann genau aussehen? Unter Resilienz versteht man üblicherweise, dass eine Person oder ein System in der Lage ist, auch erheblich Rückschläge wegzustecken-- ohne dabei völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Das ist das Ziel. Wer resilient werden will, muss zunächst wissen, wo seine verletzlichen Stellen liegen und welche Art von Krisen ihm gefährlich werden können. Was genau muss er wegstecken können? Klingt nach klassischem Risikomanagement-… Nennen wir es „Risikomanagement Plus“. Auf den ersten Blick scheint Resilienz eine Eigenschaft zu sein, eine bestimmte Form von Stärke, die man aufbaut. In Wirklichkeit ist Resilienz komplex und mit inneren Widersprüchen behaftet. Ein Beispiel: Die Evolution hat uns mit der Fähigkeit ausgestattet, eine Speckschicht aufzubauen, um uns gegen das Verhungern zu wappnen. Dummerweise ist eine solche Speckschicht nicht gerade das, was resilient gegen Herz- und Kreislauferkrankungen macht. Das heißt-- wir haben es bei Resilienz mit einer gewissen Ambiguität zu tun? Es gibt keine eindeutigen Rezepte und Antworten, wie man Resilienz aufbaut? Nein. Man kann nicht bei einer Beratungsfirma Resilienz kaufen- - und dann meinen, man sei ab sofort wetterfest gegen alles, was einem zustoßen kann. Man wird beim Aufbau von Resilienz feststellen, dass einige Ziele widersprüchlich und konkurrierend sind. Es gibt beispielsweise einen unauflöslichen Zielkonflikt zwischen maximaler Effizienz und Resilienz. Zum Beispiel ein Passagierflugzeug: Unter Effizienzgesichtspunkten ist es völlig unsinnig, die Systeme in einem Flugzeug Reportage | Den Konsens vor der Krise schaffen! 9 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0029 zu verdoppeln. Doch wenn einen Kilometer über dem Erdboden etwa der Höhenmesser ausfällt, ist ausgesprochen wertvoll, ein „redundantes“ System an Bord zu haben. Ob privat oder im Unternehmen-- für Resilienz muss man mit Effizienzeinbußen bezahlen. Was bedeutet dies konkret für Unternehmen? Resilienz gibt es nicht zum Nulltarif. Unternehmen stehen vor der Abwägung, welche Effizienznachteile sie für die Stärkung der Resilienz akzeptieren. Ein Beispiel: Mit Blick auf die Lieferketten baut ein Unternehmen größere Lagerbestände auf. Das ist nicht gerade das, was Lageroptimierer empfehlen. Lean-Management-Experten bekommen bei solchen Plänen vermutlich Schnappatmung! Trotzdem können höhere Lagerbestände im gewissen Umfang ein richtiger Schritt sein, um die Krisenanfälligkeit zu reduzieren. Bei solchen Entscheidungen wird man mit der antiken Weisheit weiterkommen, Extreme zu vermeiden. Single-Sourcing ist auch so ein Extrem. Es ist eine Wette darauf, dass nichts schiefgehen wird-- der bewusste Verzicht auf Resilienz. Aufbau von Resilienz in Unternehmen setzt eines voraus: Das Unternehmen muss die relevanten Risiken richtig einschätzen. Das entscheidende Wort ist „relevant“. Einige Unternehmen beschäftigen sich zwar mit Risiken. Doch es handelt sich um die naheliegenden, bekannten Risiken, die typisch sind für ihre Branche. Weshalb befassen sie sich selten mit den wirklichen „Gamechangern“, wie die Pandemie einer war? Menschen machen generell einen großen Bogen um Dinge, mit denen sie sich nicht auskennen- - oder die zu beunruhigend sind. Der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat den sogenannten Availability Bias beschrieben. Werden wir mit einer Frage konfrontiert, die wir nicht verstehen, so beantworten wir stattdessen eine andere Frage, die so ähnlich klingt und auf die wir eine Antwort wissen. Ein häufiger Fehler ist auch: Unternehmen betrachten die Effekte zweiter, dritter und vierter Ordnung nicht immer genau genug. Effekte zweiter, dritter und vierter Ordnung-- was ist damit gemeint? Man dringt nicht tief genug in die Risiken ein. Man folgt den Kausalketten nicht weit genug. Klassisches Beispiel: Angenommen, Sie stellen in Ihrem Unternehmen Maschinenteile her. Sie haben Ihren Betrieb im Griff, und auch mögliche Krisen meinen Sie durchdacht zu haben- - und zwar bis zu Ebene Ihrer Kunden. Sie sagen beispielsweise: Ja, es könnte sein, dass die Kosten für unsere Vorprodukte steigen, aber wir haben Preissetzungsmacht, das heißt, wir können die gestiegenen Kosten an unsere Kunden weitergeben. Klingt beruhigend. Doch kann Ihr Kunde die gestiegenen Kosten wiederum an seine Kunden weitergeben? Vielleicht geht das Risiko von dem Kunden Ihres Kunden aus. Bezahlt dieser Endkunde nicht mehr die Rechnungen Ihres Kunden-… …-so wird mein Kunde nicht mehr mich bezahlen können. Daran kann man gut erkennen, wie wichtig es ist, die Effekte zweiter, dritter oder vierter Ordnung zu betrachten. Dann kann es sinnvoll sein, nicht nur die Risiken für das Businessto-Business-Geschäft zu analysieren. Man sollte beispielsweise auch das Verbraucherklima auf dem Radarschirm haben. Da können Themen wie Demografie, Einkommensverteilung oder Alterseinkünfte eine Rolle spielen. Solchen Kausalketten zu folgen kann beängstigend sein-… Natürlich kann es beängstigend und vor allem fürchterlich komplex werden, wenn man tiefer in diese Ketten einsteigt. Ratsam ist es trotzdem, denn die wenigsten Risiken gehen davon weg, dass man sich weigert, sie zur Kenntnis zu nehmen. Je mehr man über solche Risiken „unter der Wasseroberfläche“ nachdenkt, desto mehr schwirrt einem der Kopf. Ist diese Angst ein Grund dafür, dass sich wenige Unternehmen überhaupt mit Risiken und potenziellen Krisen auseinandersetzen? Fehlt es an Mut? Neben der überwältigenden Komplexität des Themas ist die Bedrohlichkeit sicher ein Hauptgrund, der viele dazu veranlasst, lieber wegzusehen. Doch Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst. Mut bedeutet, sich der Angst zu stellen. Etwa in einem Projekt zur Stärkung der Resilienz. Bisher haben nur wenige Unternehmen solche Resilienz-Projekte durchgeführt. Üblicherweise stehen am Ende solcher Projekte Analysen, Pläne und Prozesse für den Krisenfall, kombiniert mit einem konkreten Maßnahmenkatalog. Dagegen sagen Sie: Dokumente allein reichen nicht. Echte Resilienz im Unternehmen ersteht erst durch ein Changeprojekt. Wie darf ich dies verstehen? Langsam, bitte. Ein rein inhaltliches Projekt kann man durchführen. Häufig sind solche Analysen und Planungen zur Risikovorsorge sogar gesetzlich gefordert, etwa aus haftungsrechtlichen oder aktienrechtlichen Gründen. Es gibt gute Gründe, weshalb sich Unternehmen rein inhaltlich mit Risiken und Vorsorgemaßnahmen befassen müssen. Aber? Diese rein auf Inhalte ausgerichtete Vorgehensweise hat einen Nachteil. Man hat am Ende nur das Dokument. Über dieses Dokument hinaus hat im sozialen System des Unternehmens noch keine Auseinandersetzung mit möglichen Bedrohungen und der Vorbereitung auf sie stattgefunden. Resilient ist ein Unternehmen nicht, wenn es nur Notfallpläne im Tresor hat. Weshalb ist diese inhaltliche Auseinandersetzung in der gesamten Organisation wichtig? In der Krise muss die Organisation schnell ins Handeln kommen und diese Pläne umsetzen. Deshalb ist es wichtig, dass über diese Pläne ein möglichst breiter Konsens herrscht. Wenn man in der Krise erst mit dem Betriebsrat verhandeln, im oberen Management Zustimmung organisieren und die Reportage | Den Konsens vor der Krise schaffen! 10 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 02/ 2022 DOI 10.24053/ PM-2022-0029 Belegschaft überzeugen muss, kostet das brutal viel Zeit. Bis man dann ins Handeln kommt, vergeht da leicht ein viertel oder halbes Jahr. In dieser Zeit schwimmen dem Unternehmen die Felle weg. Das heißt-- einige Unternehmen erliegen der Illusion, dass ihre Notfallpläne im Krisenfall nur aus der Schublade geholt werden müssen und das Unternehmen diese schnell umsetzt. Selbst für einzelne Menschen ist dies nicht einfach. Denken Sie an einen länger dauernden flächendeckenden Stromausfall. Jeder hat Ideen, was man für diesen Notfall braucht, etwa Wasser, Kerzen, Taschenlampen oder Essen, das man nicht erhitzen muss. Die meisten von uns ahnen, dass sie auf solch einen Fall schlecht vorbereitet wären und vielleicht ein paar Vorräte anlegen sollten. Aber die meisten tun es trotzdem nicht. Wenn der Blackout kommt, ist es zu spät für Vorkehrungen. Darüber hinaus: Leben Sie im Haushalt mit einer vierköpfigen Familie zusammen, werden Sie sich schnell einig werden, was wann wie zu tun ist. Halten Sie einmal ein Unternehmen mit 5.000 Mitarbeitern dagegen! In solchen Organisationen ist der Konsensbildungsprozess deutlich aufwändiger und schwieriger. Vielleicht sind größere Gruppen dabei, die die Risiken zwar verstehen, doch nicht für relevant in ihrem Bereich halten. Sie sehen nicht ein, in ihrem Bereich Einsparungen oder Änderungen zu unterstützen. Braucht man diesen Konsens? Krisen schweißen die Beteiligten bekanntlich zusammen. …-oder sie führen zum Zerfall des Teams, weil jeder nur noch die eigene Haut zu retten sucht. Unter dem starken Druck einer Krise zu verhandeln, ist in mancher Hinsicht einfacher. In einiger Hinsicht ist es schwieriger. Wie gesagt, die Verhandlungen kosten wertvolle Zeit. Ich halte es für sinnvoller, dass man sich vor der Krise darüber verständigt, wie man in einer Krise handelt. Vor der Krise kann man relativ ruhig und gelassen einen Konsens bilden. Der Begriff Konsensbildung ist schon mehrfach gefallen in unserem Gespräch. Lassen Sie mich bitte nachfragen: Über was genau wird der Konsens erzielt? Welche Art von Konsensbildung sollte ein Resilienz-Projekt als Ergebnis haben? Im Grunde geht es um eine Serie einfacher Wenn-Dann-Aussagen. Das ideale Ergebnis wäre ein möglichst breiter Konsens etwa zu folgenden Fragen: Was sind Frühwarnsignale für eine Krise, und was tun wir, wenn sie eintreten? Welche konkreten Trigger und Auslöser, wie etwa ein Absatzrückgang oder eine Kostensteigerung um über 10 Prozent betrachten wir als Krise? Wenn solche Trigger oder Auslöser auf das Unternehmen einwirken- - was tun wir dann ganz konkret? Falls sich die Krise weiter verschärft, was ist dann unser Plan? Solch ein Konsens kann bis zu einer Betriebsvereinbarung gehen. Wie vorhin gesagt: In der Krise braucht man ohnehin ein gewisses Einverständnis über die Vorgehensweise. Es ist eine sinnvolle Aufgabe eines Resilienz-Projekts, die Notfallpläne mit weitmöglichstem Konsens der Organisation zu entwickeln. Angenommen, ein Unternehmen will solch ein Resilienz-Projekt starten. Das Top-Management wendet sich an Sie und erbittet Ihren Rat. Was empfehlen Sie? Welche Fehler sollte das Unternehmen nicht machen? Ein Stolperstein liegt direkt am Anfang eines solchen Projekts. Bekommt das Projekt einen rein sachbezogenen Auftrag, wird es sich in erster Linie für die Bewältigung des Sachprozesses einsetzen. Wer Analyse und Pläne beauftragt, wird Analysen und Pläne bekommen-… Ja, genau. Vieles hängt davon ab, wie der Auftrag formuliert ist. Meine Empfehlung ist: Bei Projekten zur Resilienz sollte der Konsens der Kernauftrag sein. Der Auftrag könnte lauten, einen organisationsweiten Konsens über einen Stufenplan zur Krisenabwehr herbeizuführen. Das Projekt hat das Hauptziel, solch einen Konsensprozess aufzubauen und zu initiieren. Es wird nicht nur ein Dokument abliefern können. Damit sind wir bei einem zweiten Punkt: Steht der Konsensbildungsprozess im Zentrum, so wird man entsprechend die Projektleitung auswählen. Also nicht etwa einen brillanten Analytiker und Strategen zum Projektleiter machen, sondern jemanden, der sich auf Konsensprozesse versteht? Jemand mit Erfahrung in der Orchestrierung von sozialen Prozessen- - das wäre die richtige Person für die Projektleitung. Das heißt nicht, dass man keine Analytiker braucht. Analytiker haben sogar eine Schlüsselrolle, denn der Plan soll ja nicht nur von breiter Zustimmung getragen sein, er muss zugleich auch wasserdicht und realitätstauglich sein. Aber Analytiker werden nicht Projektleiter. Verstanden! Zurück zu dem Vorstand, der Sie um Rat fragt. Was würden Sie ihm darüber hinaus empfehlen? Ein Punkt scheint mir besonders wichtig: Als Vorstand oder Geschäftsführer muss man ein Resilienz-Projekt wirklich führen. Unter Führung verstehe ich, dass der Vorstand während des Projekts permanent präsent ist- - und nicht nur „grünes Licht“ für dieses Projekt gibt und Zwischenpräsentationen durchwinkt. Auch, wenn er die Aufgaben delegiert-- er zeigt damit, dass es sein Thema und sein Prozess ist. Dies widerspricht der Auffassung, dass sich Top-Manager aus der Umsetzung von Projekten heraushalten sollten. Sonst endet dieses „Engagement“ in Hineinregieren und Mikromanagement. Dies hängt vom Thema ab. An einem Resilienz-Projekt wird sich die Unternehmensspitze auch inhaltlich beteiligen müssen. Am Anfang sind inhaltliche Weichen zu stellen, zum Beispiel: Welche Risikobereiche soll sich das Projektteam genau ansehen? Die Frage könnte sein: Welche drei Ereignisse hätten einen so starken Einfluss auf das Unternehmen, dass es sich davon nur schwer erholen könnte? Da sollte die Geschäftsführung Input liefern. Der Projektleiter sollte an diesem Denkprozess teilnehmen. Doch die inhaltliche Ausrichtung muss im Vorstand entschieden werden. Reportage | Den Konsens vor der Krise schaffen! Ich dachte, dies sei Aufgabe des Projektteams? Nein, es handelt sich um strategische Entscheidungen. Der Vorstand kann das Projektteam dann beauftragen, die im Vorstand gefundenen Themen und die Priorisierung kritisch zu hinterfragen. Ich würde dem Vorstand sogar empfehlen, auf einer kritischen Prüfung zu bestehen. Der Projektleiter darf nicht mit dem Ergebnis zurückzukommen, dass im Vorstand alles hervorragend vorbereitet wurde. Damit hätte er seinen Auftrag missverstanden. Solche Projekte leben von Auseinandersetzung und die Reibung durch verschiedene Gesichtspunkte. Damit eine solche „Reibung“ durch verschiedene Perspektiven entsteht-- welche Mitarbeiter sollte der Projektleiter ins Team holen? Im Team sollten Menschen sein, die von Natur aus über den Tag hinausdenken, aber auch gestandene Praktiker, die die Realitäten des Tagesgeschäfts kennen und verinnerlicht haben. Es gibt in Unternehmen Mitarbeiter, die wie Arbeitspferde einen guten Job machen und das Unternehmen voranbringen-- aber doch nur einen Zeithorizont von einem halben Jahr haben. Solche Leute-- so wichtig sie sind-- kommen für Resilienz-Projekte selten in Fragen. Also Menschen, die nicht im Mainstream mitschwimmen? Ja. Angenommen, es geht um Energie, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Dann könnte man Menschen ins Team nehmen, die sich auch nach Feierabend zu diesem Thema engagieren. Vielleicht sogar in Naturschutzorganisationen mitarbeiten. Eventuell sogar junge Aktivisten beteiligen, deren Zukunft vom Klimaschutz abhängt. Deren Sichtweise kann für die nötige „Frischluft“ sorgen. Aber ich hätte auch gerne die alten Haudegen aus der Fertigung dabei, die diese Wunschvorstellungen mit den betrieblichen Realitäten konfrontieren. Dann ist Reibung garantiert. Aus Ihrer Sicht-- welche Erfolgsfaktoren gibt es für Resilienz-Projekte? Auf was sollte man achten, um solch ein Projekt zu einem guten Abschluss zu bringen? Offen gesagt, ich hadere mit Ihrem Begriff Abschluss. Ich denke, dass es sich bei Stärkung von Resilienz um eine dauerhafte Aufgabe handelt. Die Zukunft geht ja weiter. Verwenden wir den Begriff Abschluss für solch ein Projekt, so sollten wir zumindest „vorläufig“ davorschreiben. Sprechen wir also über den vorläufigen Abschluss-… Ein Spannungsbogen im Projekt ist hilfreich. Zu Anfang des Projekts kann es helfen, wirklich etwas umzusetzen. Häufig ergeben sich aus der Analyse Ansatzpunkte, bei denen man sich automatisch fragt: Warum sollten wir mit deren Umsetzung eigentlich bis zu einer Krise warten? Beispielsweise ein System für effizienteres Energiemanagement, das steigende Energiepreise bewältigen hilft? Das ist ein gutes Beispiel: Photovoltaik auf alle Dächer, Wärmepumpen, energetische Optimierung von Prozessen, aber auch Videokonferenzen statt Routinetreffen und Anreize zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau von Lagerbeständen für kritische Komponenten, über den wir vorhin gesprochen haben. Man darf damit nicht warten, bis die Lieferketten ins Stocken geraten. Ein weiterer Punkt ist: Zum vorläufigen Ende des Projekts legt das Team eine Liste von Trends vor, die man sich in vielleicht zwei Jahren nochmals anschaut. Also eine Art „Auftrag“ an das nachfolgende Projekt. So wird über den vorläufigen Abschluss hinausgedacht. Project Office ist Enterprise-Software für beeindruckende Projekte wie den Gotthard- Basistunnel. Agiles Teamwork und hohe Prozesssicherheit verbinden sich dabei zu konsequent hybridem Projektmanagement. Mit agilen Elementen wie Task Boards, Issues und Activities machen Sie Ihre Teams schneller und produktiver. Bewährte Elemente wie die Planung der Ecktermine liefern zuverlässige Leitplanken. 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Sie müssen zum Ausgleich und in eine Balance gebracht werden, beispielsweise durch eine Diskussion der Frage: Wie sicher können wir sein, dass Single-Sourcing oder ein weltweites Just-in-Time auch in unruhigen Zeiten klappt? Daran sollten Mitarbeiter mitwirken, etwa in moderierten Großgruppen-Diskussionen. Selbstverständlich können nicht wirklich alle in der Organisation daran teilnehmen. Viele Mitarbeiter sind direkt mit Wertschöpfung beschäftigt. Nicht jeder kann seinen Arbeitsplatz verlassen und sich einen halben Tag lang an Diskussionen beteiligen. Was bedeutet es dann genau, einen breiten Konsens zu erzielen? Was ist mit „breit“ gemeint? Vor der Pandemie haben wir einen solchen Prozess mit 180 von 4.500 Mitarbeitern begonnen-… Das sind grob überschlagen vier Prozent aller Mitarbeiter-… In diesem Fall war die Zahl hinreichend repräsentativ, um alle Bereiche und Hierarchieebenen zu beteiligen, Erkenntnisfortschritt zu ermöglichen und so dem Ergebnis Gültigkeit zu geben. In vielen Bereichen des Unternehmens haben Mitarbeiter jemanden aus ihren Reihen ausgewählt, der ein Händchen für solche sozialen Prozesse hat; sie wurden gewissermaßen als Repräsentanten entsandt. Wir haben festgestellt: Die allermeisten Mitarbeiter sehen sich durch diesen Repräsentanten ausreichend beteiligt. Auf diese Weise bestehen gute Chancen, die Organisation zu bewegen. Jede gute Therapie hat, wie man aus der Medizin weiß, ihre Risiken und Nebenwirkungen. Wo liegen die Risiken und Nebenwirkungen bei Resilienz- Projekten? Ein Risiko ist das, was Sie von Antibiotika her kennen. Man darf Antibiotika nicht während der Therapie absetzen. Genauso ist es bei Changeprojekten. Es ist desaströs, wenn alle zusammen einen Konsens erarbeitet haben- - der dann von einem neuen Vorstand für irrelevant erklärt wird. Nach solch einem Schock braucht man Konsensbildungsprozesse für viele Jahre nicht mehr anzusprechen. Der Boden ist für lange Zeit verbrannt. Ganz praktisch gesagt: Wer solch ein Projekt durchführt, sollte für eine Weile die Kontinuität in der Geschäftsführung sicherstellen. Wie sieht es mit der emotionalen Seite aus? Vorhin haben wir festgehalten, dass die tiefe Analyse von Risiken auch Angst auslöst. Natürlich spielt das eine Rolle! Wer mit Mitarbeitern offen über Risiken und Krisenvorkehrungen diskutiert, kann bei ihnen solche Emotionen auslösen. Mitarbeiter erfahren möglicherweise von Risiken, die sie selbst betreffen. Und die ihnen vorher nicht bewusst waren. Da kann Angst um die eigene Zukunft aufkeimen. Wichtig ist aber: Angst verschwindet nicht dadurch, dass man vor ihr davonläuft, sondern dadurch, dass man ihr entgegengeht. Manche Top-Manager sagen, sie wollen keine schlafenden Hunde wecken-- und deshalb die Mitarbeiter nicht in solche Prozesse einbeziehen. Die vermeintlich schlafenden Hunde sind doch häufig längst wach. Menschen sind nicht blind für Risiken. Sie kennen die Probleme, oder zumindest erahnen sie sie. Manche lesen sogar Zeitung und verfolgen die Nachrichten. Ich bin der Überzeugung, dass Unternehmen mit mündigen Mitarbeitern generell besser aufgestellt sind-- nicht nur während der Krise. Wer eine positive Zukunftsentwicklung wünscht, wird von Menschen profitieren, die mitdenken und eine gewisse Mitverantwortung für das Ganze übernehmen. Die Konsensprozesse lösen hilfreiche Denk- und Lernprozesse in der Organisation aus. Sie führen dazu, dass Mitarbeiter Verantwortung übernehmen. Wie drückt sich das Mitdenken und die Übernahme von Verantwortung praktisch aus? Beispielsweise Vertriebsmitarbeiter haben ihr Ohr sehr dicht am Markt. Sie zählen oft zu den ersten, die Warnsignale für Krisen wahrnehmen. Sie sind wie Sensoren. In vielen Unternehmen dauert es unendlich lange, bis solche Signale wirklich in der Unternehmensspitze ankommen. Viele Mitarbeiter haben es aufgegeben, überhaupt Signale zu senden. Tun sie es doch, dann bleiben die Signale häufig in der Befehlskette nach oben hängen. Ein Resilienz-Projekt kann die Durchgängigkeit für Signale verbessern. Natürlich hat man dann im Top-Management einen höheren Rauschpegel. Doch die Signale erhöhen die Chancen, dass man kritische Entwicklungen früh wahrnehmen kann. Allein dies ist ein guter Beitrag zur Resilienz. Eingangsabbildung: © iStock.com/ vm Winfried Berner Winfried Berner erlebte 1987 seine Feuertaufe als Changemanager. Damals war er Consultant bei der Boston Consulting Group; er hatte die weltweite Vertriebsorganisation eines Maschinenbaukonzerns für einen Neuanfang mit einer ungeliebten Produktgruppe zu gewinnen. Es folgten eine Fusion, ein Turnaround und eine Mischung aus Reengineering und Kulturveränderung. Winfried Berner machte sich 1995 selbstständig mit seinem Unternehmen „Die Umsetzungsberatung“. Seine Webseite www.umsetzungsberatung.de gilt als wichtige deutschsprachige Wissensbasis für Changemanagement und seine Grundlagen. Winfried Berner ist Autor von Standardwerken wie „Change! “ und „Culture Change“. Im Februar 2022 ist sein Buch „Reorganisation und Restrukturierung: Strukturen weiterentwickeln, ohne die Unternehmenskultur zu ruinieren“ im Verlag Schäffer-Poeschel erschienen. Fotostudio Bosl