PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Sind Gerüchte unwiderlegbar?
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Jens Köhler
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75 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 33. Jahrgang · 05/ 2022 10.24053/ PM-2022-0109 Jens Köhler Priesberg trifft Ehrlich nach einem sehr abstrakten Film über die Grundlagen der Digitalisierung. „Ich habe eben erfahren, dass es in der Mathematik Aussagen gibt, die wahr, aber nicht beweisbar sind. Das ist ja wie der schweigsame Täter, der vor Gericht steht, aber mangels Indizien freigesprochen werden muss“, spricht ein sichtlich bewegter Priesberg. Ehrlich winkt ab und ergänzt: „Es handelt sich um den Satz von Gödel und er gilt für jedes Axiomensystem. Axiome sind übrigens widerspruchsfreie Glaubenssätze.“ Priesberg schluckt: „Wenn ich an Menschen und Organisationen denke, beide werden doch auch von Glaubenssätzen beeinflusst-…“ Ehrlich unterbricht ihn: „Nicht beeinflusst, sondern gesteuert.“ Priesberg übernimmt wieder: „Sei es drum, in mir kommt gerade die Frage hoch, ob es in Organisationen auch Aussagen gibt, die wahr, aber unbeweisbar sind. Und vor allem: Was können diese Aussagen bewirken? “ Ehrlich ist ganz erstaunt: „Du sprichst ja wie ein Mathematiker. Ich möchte hier lieber praktisch sein: Diese Aussagen gibt es-- und man nennt sie Gerüchte.“ Er unterlegt das letzte Wort mit einer geheimnisvollen Geste und flüstert dabei. „Gerüchte, Gerüchte-…“ Priesberg überlegt noch, als ihm Ehrlich wieder ins Wort fällt: „‚Der Kollege x oder die Kollegin y mag keine agilen Methoden.‘ Oder: ‚Das Nachbarteam wird unser Projektergebnis blockieren. Immer! Und überall! ‘ Das sind nur harmlose Muster üblicher Gerüchte. Du kennst sicher noch viel mehr. Aber viel wichtiger: Was ist allen Gerüchten gemeinsam? “ Priesberg muss nicht lange überlegen: „Sie klingen wahr, aber lassen sich innerhalb einer Organisation, wie einem Team, schwer widerlegen.“ Ehrlich übernimmt: „Bravo, Kollege. Und da Organisationen aus Kommunikation bestehen, können Gerüchte zu ihrem Zusammenhalt beitragen und sogar zu Glaubenssätzen werden-- willkommen in der Blase.“ Priesberg überlegt: „Mir fällt da gerade die Geschichte von Watzlawick mit dem Hammer ein. Jemand versteift sich in dem Gedanken, sein Nachbar lehne ihn ab und möchte ihm daher keinen Hammer ausleihen. Als letzte Konsequenz beschimpft er den ahnungslosen Nachbarn-- und zwar ohne jeden Anlass.“ Ehrlich stimmt zu: „Ja, so können sich Gerüchte materialisieren: Zwei Projektteams arbeiten an unterschiedlichen Lösungsansätzen und blockieren sich gegenseitig, da jedes Team glaubt, seine Lösung sei die einzig Wahre. Das Ergebnis: Zeitverlust, zusätzliche Kosten und frustrierte Mitarbeiter. Das ist die Materialisierung von Gerüchten in Organisationen.“ Priesberg ist wenig optimistisch: „Gibt es einen Ausweg? Wenn der Satz von Gödel auch für Organisationen gilt, dann lässt sich wohl wenig ändern.“ Ehrlich lästert: „Der Film muss dich schwer beeindruckt haben. Du schwebst ja geradezu in den höchsten Sphären der Logik. Die Antwort ist aber ganz einfach: Immer schön im Gespräch bleiben und gelegentlich auch mal auf die Fakten schauen.“ Priesberg schüttelt sich ein wenig und wirkt, als ob er gerade aufgewacht ist: „Du meinst, gemeinsame Erfahrungen zwischen Projektteams fördern, über konkrete Themen sprechen, methodischen Austausch erlauben, Experten hören. Das ist doch gar nichts Neues. Warum den Umweg über die Glaubenssätze? “ Ehrlich spricht geheimnisvoll: „Glaubenssätze können sich verändern. Und das wollen wir erreichen. Je mehr wir uns austauschen und im Gespräch bleiben, desto geerdeter sind sie. Und geerdete, faktenreiche Glaubenssätze sind die beste Medizin gegen Gerüchte.“ Priesberg spricht leise weiter: „Die Gerüchte verschwinden dann einfach so? “ Ehrlich wiederholt seinen Kollegen: „Einfach so“, und fährt fort: „Wenn man frühzeitig in den Austausch geht, kommen sie sogar nicht auf. Denn die gemeinsamen Erfahrungen schaffen ein „Wir-Gefühl.“ Priesberg ist jetzt wieder ganz bei sich: „Ohne diesen mathematischen Überbau hätte ich den übergreifenden Projektaustausch als nettes soziales Ereignis abgetan. Aber jetzt habe ich sogar eine handfeste Begründung für die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen.“ Ehrlich schaut seinen Kollegen sehr ernst an und wiederholt die geheimnisvolle Geste von vorhin: „Eine Sache macht mir aber noch große Sorgen.“ Priesberg verdreht die Augen: „Was denn? “ Ehrlich antwortet: „Deine abstrakte Sprache.“ Er formt die Hände zu einem Trichter und hält sie an seinen Mund: „Erde an Priesberg: Wir brauchen Sie hier. Bitte landen Sie unverzüglich! “ Priesberg hat es verstanden und lacht: „Diesen Ausflug in die Logik werde ich so schnell nicht vergessen. Aber jetzt lieber in die Kantine. Lieber Knödel statt Gödel.“ Eingangsabbildung: © iStock.com / Comeback Images Sind Gerüchte unwiderlegbar? Kolumne Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Anschrift: BASF SE, RGQ / IM, 67 056 Ludwigshafen, eMail: Jens.Koehler@basf.com