PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2024-0004
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten
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Martin Barth
Margit Sarstedt
In diesem Artikel werden die Interdependenzen zwischen den Ausprägungen der Projektcharakteristika und dem Einsatzpotenzial Künstlicher Intelligenz (KI) untersucht. Dafür werden auf Basis der wesentlichen Projektkriterien und anhand der beiden Dimensionen der sozialen Komplexität einerseits und der Unbestimmtheit von Aufgabenstellung und Lösungsweg andererseits erste Aspekte der Limitierung des KI-Einsatzpotenzials abgeleitet. Zusätzlich erfolgt eine Verortung der drei grundsätzlichen Projektmanagement-Methodengruppen innerhalb der zweidimensionalen Darstellung. Im Einklang mit diesen Erkenntnissen wird ein konsistentes Gesamtbild – ausgehend von der Projektcharakteristik, über das durch dieses limitierte KI-Einsatzpotenzial, bis hin zu der zielführenden Projektmanagement-Methodik – geformt. Abschließend leiten die Autoren grundlegende Empfehlungen für den KI-Einsatz in differenten Projektumgebungen ab und zeigen weiterhin die daraus resultierende perspektivische Rolle eines Projektmanagers auf.
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15 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0004 Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten Martin Barth, Margit Sarstedt Für eilige Leser | In diesem Artikel werden die Interdependenzen zwischen den Ausprägungen der Projektcharakteristika und dem Einsatzpotenzial Künstlicher Intelligenz (KI) untersucht. Dafür werden auf Basis der wesentlichen Projektkriterien und anhand der beiden Dimensionen der sozialen Komplexität einerseits und der Unbestimmtheit von Aufgabenstellung und Lösungsweg andererseits erste Aspekte der Limitierung des KI-Einsatzpotenzials abgeleitet. Zusätzlich erfolgt eine Verortung der drei grundsätzlichen Projektmanagement-Methodengruppen innerhalb der zweidimensionalen Darstellung. Im Einklang mit diesen Erkenntnissen wird ein konsistentes Gesamtbild-- ausgehend von der Projektcharakteristik, über das durch dieses limitierte KI-Einsatzpotenzial, bis hin zu der zielführenden Projektmanagement-Methodik-- geformt. Abschließend leiten die Autoren grundlegende Empfehlungen für den KI-Einsatz in differenten Projektumgebungen ab und zeigen weiterhin die daraus resultierende perspektivische Rolle eines Projektmanagers auf. Schlagwörter | Projektcharakteristik, KI-Einsatzpotenzial, Methodengruppen des Projektmanagements, Projektarten, Projektmanagementkompetenzen, Projektmanager, Künstliche Intelligenz 1. Spannungsfeld zwischen Projekten und KI Ein Projekt ist ein durch bestimmte Kriterien abgrenzbares, neues und einmaliges Vorhaben. Anwendungen der KI dagegen greifen immer auf bekanntes und dokumentiertes Wissen zurück. Dieser Widerspruch wirft für den möglichen Einsatz von KI-Algorithmen im Projektumfeld grundlegende Fragen bzgl. Umfang und Tiefe des KI-Lösungspotenzials auf. Bevor nun der Einsatz von KI diskutiert werden kann, ist der Begriff selbst näher zu beleuchten. Neben der traditionellen Einteilung in die schwache KI und die starke KI [2], die sich durch die Nutzung von Algorithmen-- für bestimmte Anforderungen einerseits, und die vom menschlichen Verstand nicht zu unterscheidenden Reaktionsvorgänge andererseits-- unterscheiden, kann eine Kategorisierung vor allem entlang der verwendeten Wissensbasis (wissensbasiert, datenbasiert, generativ) [1] vorgenommen werden. Eine rein wissensbasierte KI greift auf eine von Experten explizit vordefinierte und begrenzte Datenbasis zu, die Entscheidungen eines menschlichen Experten auf Basis dieser vorherigen Eingabe unterstützen oder gar nachbilden kann. Die Algorithmen bestehen aus programmierten Entscheidungsabläufen und haben Zugriff auf Definitionen, logische Zusammenhänge, Kausalitäten etc., die Entscheidungen des Systems bleiben jedoch jederzeit nachvollziehbar. Dagegen steht einer datenbasierten KI als Datenbasis grundlegend das gesamte, derzeit elektronisch vorhandene Wissen des Internets zur Verfügung. Dabei ist es das Ziel, in diesen Datenmengen durch automatische Analyse von Bildern, Texten, Sprache oder anderen Daten, und ohne vorherige Eingrenzungen des Entscheidungsspektrums, Strukturen und Zusammenhänge zu identifizieren (Mustererkennung). Durch die Verwendung von trainierten neuronalen Netzen entstehen auf Seiten der KI somit Reaktionen, die für den Außenstehenden nicht mehr transparent sind. Generative KI schließlich bezieht sich auf einen selbstgenerierenden-- nahezu schöpferischen- - Algorithmus, der zum Beispiel im Internet vorhandene Artikel, Bilder oder anderweitige Informationen scannt, dass daraus extrahierte Einzelwissen mittels einer ihr einprogrammierten Logik miteinander verknüpft, und daraus schließlich eigene Analysen und Synthesen in Text-, Bild- oder sonstiger Form präsentiert. Die Ausgabeformen der KI sind dabei an die menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten angepasst. In den weiteren Betrachtungen in diesem Artikel wird KI in einem generischen, alle diese Level umfassenden Sinn ver- Wissen | Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten 16 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0004 wendet. Auf eine für die Beurteilung konkreter Fälle notwendige differenziertere Betrachtung wird hier bewusst verzichtet. 2. Das Wesen von Projekten als Herausforderung des KI-Einsatzes Die Herausforderung von Projekten liegt in deren Management (Planung, Durchführung, Steuerung, Kontrolle), wofür sich im Lauf der Zeit zunehmend neue Konzepte und Werkzeuge [3] herausgebildet haben. Durch die Anpassung dieser Konzepte auf die jeweilige Charakteristik der verschiedenartigen Projekte, sowie durch das Entstehen ganzer Projektmanagementorganisationen kam es zu einer Diversifizierung der verwendeten Normen und Standards. Das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) [4], das amerikanische Project Management Institute (PMI) [5], das britische Office of Government Commerce (OGC) [6] und die europäische International Project Management Association (IPMA®) [7] stellen in ihren jeweiligen Projektdefinitionen alle die Einmaligkeit, die Zielvorgabe und die Begrenzung von Zeit und Ressourcen als Kernkriterien eines Projektes fest. Während DIN, IPMA® und OGC darüber hinaus noch das Vorliegen einer projektspezifischen Organisation als Kriterium definieren, hebt die Projektdefinition der IPMA® auf den interdisziplinären Charakter von Projekten ab und stellt in ihrer ICB 4.0 [7] Kompetenzanforderungen an Projektmanager und Teammitglieder zusammen. Dabei werden die sozialen Interaktionen im Kompetenzbereich der „persönlichen und sozialen Kompetenzen“ abgedeckt. Selbstreflexion und Selbstmanagement, persönliche Integrität und Verlässlichkeit, persönliche Kommunikation, Beziehungen und Engagement, Führung, Teamarbeit, Konflikte und Krisen, Vielseitigkeit, Verhandlungen und generelle Ergebnisorientierung schätzt die IPMA® als notwendige „People-Skills“ eines Projektmanagers ein, ohne die ein Projekt kaum zielführend zum Abschluss zu bringen ist. [8] Der Projektleiter benötigt und benutzt umfangreiche kognitive, menschliche, sensorische und emotionalen Fähigkeiten, um auf jegliche Situation angepasste Lösungen zu kreieren. Auch hierfür werden zwar KI-Anwendung bspw. über die Verwendung von neuronalen Netzen trainiert, allerdings sind die Aufgaben, welche dieses sehr hohe Maß an menschlichen Fähigkeiten erfordert, im Projektmanagement äußerst vielfältig. Der sozialen Interaktion sowie dem Grad der sozialen Komplexität scheint demnach bzgl. Bewertung und Umfang des KI-Einsatzpotenzials eine wesentliche Bedeutung zuzukommen, welche nachfolgend genauer betrachtet werden soll. 3. KI-Lösungspotenzial in Abhängigkeit der Projektcharakteristik In Anerkennung der Tatsache, dass es nahezu so viele Projektkonstellationen (Situation, Zusammensetzung, Rahmenbedingungen-…) gibt, wie es Projekte gibt, basieren wir unsere Argumentation nun auf eine der gebräuchlichsten Einteilungen, die von Kuster vorgetragene Vier-Felder-Matrix [9]. Auf den beiden Achsen der Darstellung sind die Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg in horizontaler Richtung sowie die soziale Komplexität in vertikaler Richtung aufgetragen. Dabei entstehen vier Bereiche, die Kuster mit den Begriffen Standardprojekte (diese können standardisiert abgewickelt werden), Akzeptanzprojekte (klare Aufgabe, deren Endresultat jedoch Überzeugungskraft gegenüber den Stakeholdern benötigt), Potenzialprojekte (Aufgaben mit offenen Fragestellungen, jedoch nur einem kleinen Kreis an Mitwirkenden und Interessensträgern), sowie Pionierprojekte (risikoreiche Vorhaben mit hohem Neuigkeitsgehalt und vielen Betroffenen) belegt. Die Frage ist also, in welcher der in der Vier-Felder-Matrix dargestellten Projektarten welche Art von KI in welchem Umfang zielführend eingesetzt werden kann. Dies soll anhand der etwas pointierten Darstellung in Abbildung 1 diskutiert werden. Betrachten wir zunächst ein typisches Standardprojekt, in dem grundlegend alle Anforderungen klar sind und auch auf der Ebene der sozialen Interaktion keinerlei Herausforderungen existieren. Ein dieser Beschreibung angenähertes Projekt könnte eine Ersatzbeschaffung einer defekten Anlage sein, die es zu ersetzen gilt, für die eine klare Spezifikation vorliegt und die ohne personelle Komplikationen ausgetauscht werden kann. Wir bewegen uns hier- - wie eigentlich immer in dem Gebiet der Standardprojekte- - an der Grenzlinie zwischen einem Projekt (neue Anlage) und dem Tagesgeschäft (Ersatzbeschaffung). Eine KI-Lösung könnte all dieses, basierend auf ihrem Algorithmus, planen und dann entweder selbst durchführen (Bestellung) oder direkt in Auftrag geben (Technikereinsatz). Die KI kann insofern hier einen menschlichen Projektleiter im Extremfall vollumfänglich ersetzen, da die sozialen Fähigkeiten und sensorischen Möglichkeiten hierbei nicht benötigt werden. Man könnte sagen, KI wirkt als „agierende Einheit“. Bei steigender sozialer Komplexität ist oft ein geschickter Umgang mit menschlichen Widerständen und Emotionen erforderlich, um eine Akzeptanz des Projektergebnisses herbeizuführen. Als Beispiel solcher Akzeptanzprojekte sei hier eine unternehmensinterne Umstrukturierung betrachtet. Berücksichtigt man nun die oben diskutierten Limitierungen der KI sowohl im sensorischen Wahrnehmen als auch im empathischen Erfassen sozialer Situationen, so erscheint die KI als nicht ausreichend, es benötigt vielmehr das menschliche Element, um Belegschaft und Kunden gegenüber mit Fingerspitzengefühl zu agieren. KI kann insofern nicht mehr als „agierende Einheit“ eingesetzt werden, es kann dem menschlichen Projektmanager jedoch in einem sehr umfangreichen Sinne als ein „komplexes Werkzeug“ dienen (komplexe Planmodellierung, ablauforganisatorische Simulation etc.), welches er in seiner Rolle als „Handwerksmeister des Projektmanagements“ [3] in Ergänzung zu seinem übrigen Handwerkszeug einsetzen kann. Für Potenzialprojekte ist die soziale Komplexität wiederum recht gering, jedoch sind die Projektziele und die zu beschreitenden Lösungswege zu Beginn des Projektes nur recht vage definiert. Als Beispiel können einfache Marketingprojekte oder die Entwicklung eines neuen Werkstoffs durch ein Expertenteam gelten. Die verschiedenen Ansätze und Lösungswege sind zu durchdenken und auszutesten. Eine KI kann hier systematisch vorgehen und durch Recherche von existierenden Daten eine auf der Vergangenheit basierende Lösung anbieten. Ein „Erspüren“ der Zukunft (das sogenannte Bauchgefühl) und die erfinderische Sicht in die Zukunft (den sogenannten „educated guess“) kann eine KI zum heutigen Zeitpunkt jedoch nur sehr bedingt bis gar nicht einbringen. Wissen | Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten 17 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0004 Bei der Frage, ob KI dies in der Zukunft wird leisten können, stößt man unweigerlich an den Grenzbereich von Technik und Glauben, und man landet in der philosophischen Fragestellung, was die Maschine zur Maschine und den Menschen zum Menschen macht. Auch wenn die Autoren die Beschäftigung mit diesem Grenzbereich der Wissenschaften für spannend und wichtig halten, muss für diese Frage auf den zukünftigen gesellschaftlichen Dialog verwiesen werden. Festzuhalten ist, dass auch bei Potenzialprojekten KI als „komplexes Werkzeug“ einsetzbar ist. Kommen wir zu dem verbleibenden Feld der Pionierprojekte. Hier treten die Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg in Kombination mit einer hohen sozialen Komplexität auf. Bei der Suche nach einem Beispiel hierfür könnte ein technisch noch unreifes Vorhaben mit gleichzeitig hohem Finanzbedarf aus öffentlichen Mitteln dienen-- gedacht sei beispielsweise an das Projekt eines menschlichen Fluges zum Mars. Hier tritt der Bedarf an menschlichem Erfindergeist einerseits und zwischenmenschlichem Fingerspitzengefühl andererseits in Kombination auf. KI kann für einige der anfallenden Aufgaben selektiv als unterstützendes Hilfsmittel eingesetzt werden, die sachliche und soziale Komplexität müssen nach Einschätzung der Autoren jedoch primär von einem menschlichen Projektmanager umfangreich und inspiriert durchdacht werden. Nun gibt es in dem Betrachtungsfeld aber nicht nur vier diskrete Projektarten. Es handelt sich vielmehr um ein kontinuierliches Feld, welches durch die zwei Dimensionen (Soziale Komplexität und Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg) aufgespannt wird und somit die Verortung der jeweiligen Projekte mit derer individuellen Charakteristik erlaubt. Die drei Graustufen in der Darstellung (Abb. 1) zeigen das KI-Einsatzpotenzial in Abhängigkeit dieser Projektcharakteristik. Die Skala reicht nun über das Feld verteilt von „KI nimmt eine agierende Rolle bzgl. der Lösung von Managementaufgaben ein“, über „KI wird als komplexes Werkzeug in Managementaufgaben eingesetzt“ bis hin zu „KI wird als unterstützendes Hilfsmittel in einzelnen Managementaufgaben eingesetzt“ und kann dabei natürlich auch Zwischenstufen annehmen. Zusammenfassend: In den helleren, ursprungnahen Bereichen kann KI sehr umfänglich- - bis hin zu dem Punkt der Übernahme der eigenständigen Projektsteuerung eingesetzt werden. In dem mittleren Bereich verliert die KI jegliche steuernde Funktion, verbleibt aber ein wertvolles Werkzeug im Projektgeschehen, dass der Projektmanager als Ressource oder Tool je nach Art des Projektes und situativ angepasst zum Einsatz bringen kann. Innerhalb der schwächsten Stufe des KI-Einsatzpotenzials agieren die Anwendungen nur noch als Hilfsmittel für stark abgrenzbare Einzelaufgaben (Texterstellung, Übersetzungen, Warnhinweise im Projektablauf etc.). Folglich wird der Projektmanager in Zukunft zu entscheiden haben, für welche Aufgaben er KI wann und mit welchen Grenzen einsetzt, was Auswirkungen auf die Anforderungen an die Skills des Projektmanagers der Zukunft haben wird. Dieser muss nun nicht mehr nur sein Team führen sowie Management und weitere Stakeholder zufriedenstelle, sondern muss auch Möglichkeiten und Limitationen der KI kennen. Im Sinne der Zuordnung von Projektmanagementmethoden und Vorgehensmodellen zu den diskutierten Bereichen der KI-Einsatzmöglichkeiten verbleibt noch die Frage, welche Korrelation zwischen den bisherigen Erkenntnissen und den Methodenfeldern der klassischen, agilen und hybriden Methodenfamilien besteht. Dies soll nachfolgend diskutiert werden. Abbildung 1: Intensität des Einsatzes von KI für verschiedene Arten von Projekten in der Vier- Felder-Matrix von Kuster (Eigene Darstellung in Anlehnung an [9]) Wissen | Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten 18 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0004 4. Die Projektmanagementmethodik als Indikator für das Einsatzpotenzial von KI Auf Basis der Stacey-Matrix [10] und dem Cynefin-Framework [11, 12] wurden die zielführenden Projektmanagement-Methoden für unterschiedliche Projektcharakteristiken bereits verortet. Nachfolgend wird im Einklang mit diesen Überlegungen der Anwendungsraum für die drei Methodengruppen (klassisch, hybrid, agil) in Abhängigkeit der Parameter der sozialen Komplexität und der Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg skizziert. Aus der Überlagerung beider Gedankengänge (die Einsatzpotenziale der KI einerseits sowie die Methodengruppen andererseits) ergibt sich folglich eine gleichzeitige Aussage zu dem Umfang des KI-Einsatzpotenzials und der zielführenden Projektmanagementmethodik eines Projektes. In Abbildung 2 sind die Lösungsräume der grundsätzlichen Methodengruppen dargestellt. Sind Aufgabe und Lösungsweg zur Erreichung eines Projektziels (eher) klar (bspw. bei Vorliegen eines Lastenhefts), so empfiehlt sich der Einsatz von klassischen Methoden. Nimmt jedoch die soziale Komplexität ein sehr ausgeprägtes Maß an, sodass hierarchische Berichtswege oder andere divisionale Kommunikationsvorgehen der Komplexität der Kommunikationsnotwendigkeiten nicht mehr gerecht werden, so sollte die klassische Methodik durch parallele oder integrierte agile Elemente ergänzt werden. In diesem Abschnitt des Diagramms (sehr hohe soziale Komplexität, (eher) klare Aufgabe) empfiehlt sich demnach eine hybride Vorgehensweise mit eher klassisch dominierender Basismethodik [13]. Ist ein Projekt durch eine eher unbestimmte Aufgabe und einen offenen Lösungsweg charakterisiert und ist die soziale Komplexität überschaubar, so empfiehlt sich der Einsatz einer agilen Methodik. Agile Methoden sind allerdings nur bis zu einem bestimmten Grad an sozialer Komplexität in der Lage zielführende Vorgehensweisen zu definieren und innerhalb dieser Wertschöpfung zu generieren. Steigt die soziale Komplexität über dieses Niveau, so empfiehlt sich die Implementierung klassischer Elemente in die weiterhin führende agile Basismethodik. [13] Zwischen agiler und klassischer Methodik eher ausgewogene hybride Vorgehensweisen empfehlen sich im Lösungsraum zwischen den klassischen und agilen Methodengruppen bei mittlerer Klarheit des Lösungsweges und geringer bis hoher sozialer Komplexität. Nachfolgend sollen nun Implikationen dieser grundsätzlichen methodischen Aktionsräume in Relation zu den KI-Einsatzpotenzialen erläutert werden. Klar ersichtlich ist, dass das KI-Einsatzpotenzial bei klassisch gemanagten Projekten am höchsten ist (was in Anbetracht der oben schon aufgezeigten unmittelbaren Nachbarschaft zu den nicht-projektbasierten operativen Prozessen verständlich ist). Für Projekte, in denen agile Methoden angewandt werden, bietet KI als komplexes Werkzeug deutliche Effizienzpotenziale, der KI-Funktionsweise kommt innerhalb agiler Methoden deren iterativer Charakter entgegen. Aufgrund der Heterogenität der hybriden Varianten am wenigsten abgrenzbar ist das KI-Einsatzpotenzial für Projekte, die mittels hybrider Grundmethodik gesteuert werden. Dieses liegt jedoch kaum im Bereich der agierenden KI. Im Fall des hybriden Vorgehens sind detaillierte Aussage ebenfalls ableitbar, erfordern allerdings eine genauere, vorausgehende Analyse. Dabei kommt es darauf an, wo das individuelle Projekt tatsächlich im Lösungsraum der hybriden Grundmethodik zu verorten ist. Diese Darstellung ermöglicht somit die Etablierung eines generischen Grundverständnisses bzgl. der Zusammenhänge Abbildung 2: Dreiklang von Projektcharakteristik, KI-Einsatzpotenzial und Methodengruppen des Projektmanagements (Eigene Darstellung) Wissen | Die Projektcharakteristik determiniert das Potenzial der KI-Einsatzmöglichkeiten 19 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 35. Jahrgang · 01/ 2024 DOI 10.24053/ PM-2024-0004 zwischen Projektcharakteristik, KI-Einsatzpotenzial und den grundlegenden Methodengruppen des Projektmanagements. 5. Ambidextrie des KI-Einsatzes in Projekten In diesem Artikel haben die Autoren den Einsatz von KI unter Berücksichtigung der verschiedenen Projektcharakteristika sowohl theoretisch als auch praktisch beleuchtet. Es wurde gezeigt, über welches evolutionär ausgeprägte emotionale und empathische Gerüst der Mensch verfügt und im Projektkontext auch verfügen muss. Ausgehend von der Erkenntnis, dass es KI erstens an physischer und emotionaler Sensorik, sowie zweitens an intuitivem Gespür in komplexen Umfeldern mangelt, konnte gezeigt werden, dass der Einsatz von KI in Projekten davon abhängt, inwieweit dieserart Sensorik im konkreten Projekt benötigt wird. Ausgehend von den Dimensionen der sozialen Komplexität und der Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg wurde hergeleitet, dass sich in diesem Feld Bereiche ergeben, in denen KI jeweils als „agierende Einheit“, als „komplexes Werkzeug“ oder als „unterstützendes Hilfsmittel“ zum Einsatz kommen kann. Die Grenzen zwischen diesen Bereichen sind nicht scharf, vielmehr kann von fließenden Übergängen ausgegangen werden. Es obliegt dem Management und dem Projektmanagement, hier situativ die richtige Wahl für den Einsatz von KI zu treffen. Je standardisierter ein Projekt ist, desto umfangreicher kann KI auch steuernd eingesetzt werden. Je komplexer die sozialen Zusammenhänge und je unklarer Ziele und Wege sind, umso mehr ist der Mensch gefragt. Weiterhin konnte aufgezeigt werden, dass auch die Einsatzgebiete der drei grundsätzlichen Methodengruppen des Projektmanagements von der Projektcharakteristik abgeleitet werden können. Demnach ist das KI-Einsatzpotenzial bei Vorliegen einer Projektcharakteristik, welche den Einsatz (eher) klassischer Projektmanagementmethoden vorsieht grundsätzlich höher einzuschätzen, als dies bei Vorliegen einer Projektcharakteristik mit empfehlenswertem Einsatz von agiler oder teilweise auch hybrider Methodik der Fall ist. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Projektleiter zukünftig nicht nur Takt- und Inspirationsgeber gegenüber seinem Team, sondern auch gegenüber der KI sein wird. Letztere muss er in seinen Projekten sinnvoll, individuell und passgenau nutzen. Der Projektleiter bleibt also- - ausgenommen von einfachen Standardprojekten-- letztendlich der Steuerer seines Projektes. Literatur [1] Ebert, C.; Louridas, P. (2023). Generative AI for Software Practitioners. IEEE Software, Software, IEEE, IEEE Softw, 40(4), 30-38. https: / / doi-org.pxz.iubh.de: 8443 / 10.1109 / MS.2023.3265877. [2] Liu, B. (2021). “Weak AI” is Likely to Never Become ’Strong AI’, So What is its Greatest Value for us? . [3] Barth, M.; Sarstedt, M. (2022). Der Projektmanager als Handwerksmeister. Projektmanagement Aktuell 33 (2), 62-65. [4] Deutsches Institut für Normung e. V. (2020). DIN 69 901-5. Projektmanagement. Projektmanagementsysteme. Teil 5: Begriffe. Beuth. Prof. Dr. Martin Barth Herr Barth ist Professor für Projektmanagement im Fachgebiet Wirtschaft und Management an der IU Internationale Hochschule. In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt er sich mit den Dynamiken, Konzepten und Nutzenpotenzialen des modernen Projektmanagements. Weiterhin untersucht er auf dem Gebiet der M&A-Forschung spezifische vertikale, indirekte Post-Merger-Integrationsprozesse. Kontaktanschrift: https: / / www.iu.de / hochschule / lehrende / barth-martin/ eMail: martin.barth@iu.org Prof. Dr. Margit Sarstedt Frau Sarstedt ist Professorin für Technologie- und Projektmanagement im Fachgebiet Wirtschaft und Management an der IU Internationale Hochschule. Basierend auf ihrer mehr als zwanzigjährigen Berufserfahrung in der produzierenden Industrie liegen ihre Forschungsinteressen im Einsatz verschiedener Projektmanagementmethoden in operativen und organisatorischen und Veränderungssituationen. Internet: www.iu.de / hochschule/ lehrende/ sarstedt-margit/ eMail: margit.sarstedt@iu.org [5] Project Management Institute. (2021). A guide to the project management body of knowledge (PMBOK® Guide) (7. Aufl.). Project Management Institute. [6] Axelos Ltd. (2017). Managing successful projects with PRINCE2 (2017 Ed.). TSO (The Stationary Office). [7] International Project Management Association & GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (2017). Individual Competence Baseline für Projektmanagement. Version 4.0 / Deutsche Fassung. [8] Schütz, M. (2022). Projektmanagement eine Einführung aus sozial- und organisationswissenschaftlicher Sicht. Springer Gabler. [9] Kuster, J. (2022). Handbuch Projektmanagement: Agil- - Klassisch-- Hybrid. Springer. [10] Stacey, R. D., Griffin, D. & Shaw, P. (Hrsg.). (2000). Complexity and emergence in organizations. Complexity and management: Fad or radical challenge to systems thinking? Routledge. [11] Snowden, D. J./ Boone, M. E. (2007). A leader’s framework for decision making. Harvard Business Review, 85. Jg., Heft 11, 68-77. [12] Rubin, K. S. (2014). Essential Scrum: Umfassendes Scrum-Wissen aus der Praxis. Mitp. [13] Barth, M.; Reidick, J.; Sarstedt, M. (2023). DAS Projektmanagementkontinuum. Projektmanagement Aktuell 34 (3), 56-61. Eingangsabbildung: © iStock.com / NicoElNino
