PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0006
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2025
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation
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2025
Michael Frahm
Der Artikel verbindet Konzepte aus dem Projektmanagement mit Ansätzen aus der Nachhaltigkeit und dem System Thinking für eine wirksamere Analyse und Gestaltung von Projektorganisationen und ein besseres Verständnis von Komplexität. Hierzu werden 14 Designprinzipien anhand von Beispielen vorgestellt, welche anschließend direkt angewendet werden können und somit den Werkzeugkasten des Projektmanagers um eine wertvolle Methodik erweitern.
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30 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation Michael Frahm Für eilige Leser | Der Artikel verbindet Konzepte aus dem Projektmanagement mit Ansätzen aus der Nachhaltigkeit und dem System Thinking für eine wirksamere Analyse und Gestaltung von Projektorganisationen und ein besseres Verständnis von Komplexität. Hierzu werden 14 Designprinzipien anhand von Beispielen vorgestellt, welche anschließend direkt angewendet werden können und somit den Werkzeugkasten des Projektmanagers um eine wertvolle Methodik erweitern. Schlagwörter | System Thinking, Komplexität, Designprinzipien, Nachhaltigkeit 1. Einleitung Projekte werden nicht zuletzt aufgrund von technologischen Neuerungen oder zunehmenden Regelungen immer komplexer. Mit den klassischen streng hierarchischen Organisations- und Abwicklungsmodellen kann diese Komplexität nur unzureichend bewältigt werden und das Risiko von Termin- und Kostenüberschreitungen steigt. Konventionelle Projektorganisationen beruhen zumeist auf einem linear-mechanistischen Verständnis und berücksichtigen die in komplexen Systemen auftretende Dynamik und Varietät aufgrund von unvorhergesehenen Störgrößen nur bedingt [1]. Aus diesem Grund werden in verschiedenen Branchen verschiedene Ansätze der Komplexitätsbewältigung wie zum Beispiel klassisches Management, Projektmanagement, Lean Management oder Agiles Management angewendet [2]. Nachstehend werden basierend auf dem System Thinking nachhaltige Designprinzipien wiedergegeben, welche universell für Organisationen angewendet werden können. System Thinking integriert methodische Vielfalt zur Problemlösung und betont Vernetzung, Selbstorganisation, Emergenz und Nachhaltigkeit. Es betrachtet die Dynamik und Ganzheitlichkeit komplexer Systeme zur umfassenden Analyse und effektiven Lösung von Problemen. Die hier vorgestellten Designprinzipien sind dabei nicht an ein Organisationsmodell oder eine Branche gebunden und können der Empirie aus Beobachtung und demnach der Heuristik zugeordnet werden. Diese Prinzipien fördern die Nachhaltigkeit, denn ein wirksamer Umgang mit Komplexität zeichnet sich durch ein ganzheitliches und langfristig ausgerichtetes Denken und Handeln aus. Nachhaltigkeit wird in diesem Zusammenhang insbesondere als ein Netz aus Verbindungen verstanden, welches Systeme und Umwelten miteinander verbindet. Durch die Anwendung von Designprinzipien wird ein anderes Systemverständnis im Umgang mit Komplexität gefördert, wobei grundsätzlich ein Gleichgewichtszustand zwischen System und Umwelt angestrebt wird, in welchem Ressourcen optimal, d. h. mit hoher Effizienz und verschwendungsarm genutzt werden. Dies wiederum führt zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Der Kontext lässt sich nachfolgenden Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen zuordnen: • SDG 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum: Durch effektives Management komplexer Prozesse und Systeme können Organisationen effizienter arbeiten, Innovationen fördern und dadurch nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeitsbedingungen schaffen. • SDG 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur: Organisationen können durch das wirksame Management von Komplexität innovative Lösungen entwickeln und implementieren, die zur nachhaltigen Industrialisierung und widerstandsfähigen / ultrastabilen Infrastrukturen beitragen. • SDG 12: Verantwortungsvoller Konsum und Produktion: Unternehmen können ihre Produktionsprozesse optimieren, Abfall reduzieren und Ressourcen effizienter nutzen, Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 31 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 indem sie komplexe Lieferketten und Produktionsnetzwerke effektiv verwalten. • SDG 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele: Durch die Handhabung von Komplexität in interorganisationalen Partnerschaften können Unternehmen und andere Akteure wirksamer zusammenarbeiten, um gemeinsame Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Ziel dieses Artikels ist ein erweitertes Verständnis von Analyse und Gestaltung von Projektorganisationen. 2. Verständnis von Komplexität Die Sichtweise auf die Komplexität ist im System Thinking geprägt von „Ashbys Law of Requisite Variety“, welches besagt: „Only variety can absorb variety“ [3]. Ashbys Law gibt dabei das Gleichgewichtstheorem zwischen System und Umwelt wieder, welches sich im dynamischen Gleichgewicht befinden soll. Varietät fließt zwischen System und Umwelt und im System im Sinne einer mathematischen Gleichung der Informationsverarbeitung. Die Varietät ist dabei Ausdruck der Handlungsvielfalt, welche ein System benötigt, um in seiner Umwelt zu funktionieren [4]. Ist ausreichend Varietät vorhanden, ist ein System in seiner Umwelt stabil, überwiegt die Systemvarietät, liegt Ultrastabilität vor, ist dies nicht der Fall, führt dies zur Instabilität [2]. Als Beispiel kann eine Schachpartie herangezogen werden. Zu Beginn des Spiels ist die Varietät beider Spieler gleich, erhält ein Spieler im Verlauf eine zweite Dame, so hat er gegenüber dem anderen Spieler eine höhere Varietät. Um den Varietätsfluss in Organisationen wirksam zu gestalten, sind Designprinzipien potenziell nützlich, wobei Ashbys Law selbst ein Designprinzip ist. 3. Handlungsfelder in Projektorganisationen Nachstehend werden wichtige Handlungsfelder zur Gestaltung von Projektorganisationen beschrieben [5]. Die Handlungsfelder sind über das ADA Heuristic Model den Management Systemen operatives Management, strategisches Management und normatives Management zugeordnet [6]. Diese Handlungsfelder können über den Lebenszyklus anhand des ADA Heuristic Models fortgeschrieben werden. Im darauffolgenden Abschnitt werden unter den Handlungsfeldern die Designprinzipien subsumiert. Abbildung 1: Ashbys Law Abbildung 2: ADA Heuristic Model Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 32 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 3.1 Entscheidungsfindung Hier sind Entscheidungen in Projektorganisationen verankert und wie schnell diese getroffen werden können. Im Weiteren ist hier der Bereich negativer Effekte durch kognitive Verzerrungen aus menschlichem Verhalten wie z. B. Optimism Bias, Hirschmanns Hiding Hand, Escalating Commitment, Strategic Misrepresentation verortet. 3.2 Strategische Ausrichtung In diesem Handlungsfeld findet die oberste normative und strategische Ausrichtung statt, wo Themen wie Sicherheit, Transparenz, Kooperation und Gleichrichtung der Interessen platziert sind. Die richtige Weichenstellung eines Projektes von Beginn an und ein durchgängiger adaptiver Kurs sind erfolgsentscheidend. 3.3 Organisatorische Verwaltung Die organisatorischen Rahmenbedingungen spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn es um den Erfolg von Projekten geht. Daher finden sich in diesem Handlungsfeld Themen der organisatorischen Verwaltung, welche Aufbau, Prozess und Steuerungsorganisation im Kontext Lebenszyklus umfassen. 3.4 Risiko und Unsicherheit In diesem Handlungsfeld sind Themen wie faire Risiko-Verteilung, Risikominimierung durch Einsatz erprobter Technologie, aber auch das Phänomen des „Black Swans“ platziert. Im Kontext des Projektverlaufes ist zu berücksichtigen, dass insbesondere in frühen Projektphasen mit Risiken besser umgegangen und darauf Einfluss genommen werden kann. 3.5 Stakeholder-Management In diesem Handlungsfeld ist das sehr wichtige Stakeholder- Management festgehalten. Erfahrungsgemäß spielt dies insbesondere vor Produktion oder einer baulichen Umsetzung eine entscheidende Rolle, insbesondere um abstrakte komplizierte Sachverhalte zu transportieren. Ist man mit einem Projekt in Produktion, kann man oft mit der Umsetzung begeistern. 3.6 Planung Hier ist das Handlungsfeld der Planung und Vorbereitung angesiedelt. Insbesondere bei Großprojekten dauert diese sehr lange. Erfolgsevident ist hier die sehr hohe Planungstiefe in frühen Planungsphasen, aber auch das wirksame Management von Änderungen und Schnittstellen. Die Planung hat ihren Schwerpunkt vor der Produktion bzw. Umsetzung, spielt aber über den gesamten Projektverlauf eine erfolgsentscheidende Rolle. 3.7 Produktion Ist die Projektvorbereitung im Sinne der vorgenannten Handlungsfelder erfolgreich verlaufen, dann ist diese Phase die stabilste in Projektorganisationen, wenn es um die Bewältigung der Komplexität geht. Wenn nicht, dann kann diese Phase im Lebenszyklus einer Organisation sehr chaotisch und instabil sein. 4. Designprinzipien Nachstehend sind vierzehn ausgewählte Designprinzipen den oben beschriebenen Handlungsfeldern zugeordnet. 4.1 Designprinzipien zur Entscheidungsfindung Das Prinzip der verstärkenden Rückkopplung: Bei der Entscheidungsfindung können Verhaltensmuster wie das Escalating Commitment zu sich selbst verstärkenden Rückkopplungen führen. In einer positiven Rückkopplungsschleife führt daher „mehr zu mehr“ und dies kann einen Eskalationszyklus oder exponentielle Ergebnisse in Gang setzen. Der Begriff „positiv“ impliziert nicht, dass der Kreislauf gut ist, „positiv“ bezieht sich auf die Wirkung der Beziehung in Bezug darauf, dass sich eine Variable erhöht / verstärkt. Positive Rückkopplungen können zu Wachstum oder entgegengerichtet zur Instabilität führen, man sollte sie daher nicht sich selbst überlassen. Im konkreten Fall des Escalating Commitments kann mit Debiasing entgegengewirkt werden. Dabei handelt es sich um Maßnahmen zur Reduktion negativer Effekte durch kognitive Verzerrungen aus menschlichem Verhalten (z. B. unabhängige Experten, Vergleichsprojekte oder Reference Class Forecasting). Der Gegenmechanismus entspricht dann dem Prinzip der ausgleichenden Rückkopplung [7]. Das Prinzip der Redundanz des potientiellen Befehls: Dieses Prinzip ist inspiriert von neuronalen Netzwerken auf Warren McCulloch zurückzuführen. Es besagt: „power resides where information resides“. Das bedeutet, Macht und Verantwortung, Entscheidungen zu treffen, sollte nicht rein hierarchisch in der Organisation platziert sein, sondern dort, wo situativ die „meiste“ und „beste“ Information vorhanden ist, die Entscheidung zu treffen. Als ein Beispiel hierfür kann das Passagierfliegen herangezogen werden, nicht der Flughafenchef steuert das Flugzeug, sondern letztlich der Pilot im Cockpit [8]. 4.2 Designprinzipien zur Strategischen Ausrichtung Das Prinzip der Agilität: Das Prinzip der Agilität beschreibt die Frage, wie schnell sich eine Projektorganisation verändern kann, um mit der Veränderung seiner Umwelt Schritt zu halten. Das Maß, die Geschwindigkeit und die Ressourcen, sich anzupassen, ist dabei Ausdruck der Agilität. Veränderungsraten von Projektorganisationen und deren Umwelten unterscheiden sich. Es ist unwahrscheinlich, dass diese sich gleichzeitig in einer gleichen Geschwindigkeit verändern. Selbst die Veränderungsraten einzelner Abteilungen sind unterschiedlich. Projektorganisationen und deren Umwelten sollten aber zusammenpassen. Insofern ist auf die Änderungsrate der Projektorganisation und der Abteilungen im Verhältnis zur Änderungsrate deren Umwelt zu achten und entsprechend zu handeln [9]. Adams 3. Gesetz: Dieses Gesetz besagt, dass ein System, das aus einer Reihe von Komponenten besteht, die so ausgewählt werden, dass sie jeweils die am wenigsten riskante Option darstellen, einem höheren Gesamtrisiko ausgesetzt ist. Beispiel: Honigbienen führen einen Schwänzeltanz auf, um den anderen Bienen im Bienenstock die genaue Richtung mitzuteilen, in der sie eine gute Pollenquelle finden können, sodass das Befolgen Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 33 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 der Anweisungen natürlich die Option mit dem geringsten Risiko für jede einzelne Biene darstellt. Jeder einzelne „Zufallsflug“ birgt ein höheres Risiko, aber wenn alle Bienen dieselbe Quelle aufsuchen würden, wäre das Bienenvolk als Ganzes einem hohen Risiko ausgesetzt, da es an Alternativen fehlt, sobald die Quelle erschöpft ist. Flüge mit höherem Risiko für die einzelne Biene verringern das Risiko für den Bienenstock, und umgekehrt erhöht eine Minimierung des Risikos für jeden einzelnen Flug das Gesamtrisiko [9]. 4.3 Designprinzipien zur organisatorischen Verwaltung Das Prinzip der Lebensfähigkeit: Stafford Beer's Prinzip der Lebensfähigkeit besagt, dass „the viability of a system is a function of the balance maintained along two dimensions: 1) the autonomy of sub-systems versus integration of the system as a whole and 2) stability versus adaptation“ [9]. Das Spannungsfeld dieser beiden Dimensionen aus Autonomie der Einzelteile einer Projektorganisation hin zur Ausrichtung als Ganzes und der Stabilität eines Systems versus der Anpassungsfähigkeit auf Anforderungen aus der Umwelt gilt es zu beachten. Lebensfähigkeit ist hierbei nicht im biologischen Sinne eines Metabolismus zu verstehen, sondern im organisatorischen Sinne, dass eine Projektorganisation alle Funktionen hat, um in einer sich verändernden Umwelt existieren zu können. Ein Management-Modell, welches dieses Spannungsverhältnis durch eine intelligente Steuerungsorganisation hinreichend abbildet, ist das Viable System Model [8]. Das ordnungs-osmose-Prinzip: Das Ordnungs-Osmose-Prinzip gibt die organisatorische Diffusion von Systemelementen von weniger geordneten Zuständen hin zu geordneten wieder. Das bedeutet, dass Elemente eines Systems über poröse Grenzen von weniger organisierten Systemen zu stärker organisierten Systemen wandern [9]. Beispiel hierfür ist eine Abteilung mit schlechtem Führungsstil des Vorgesetzten (z. B. Mikrocontrolling, cholerisch, unfair, Intransparenz etc.), diese verliert kompetente und selbständige Mitarbeiter an Konkurrenten mit besseren Randbedingungen. Es gilt: Systeme und Menschen tendieren zur Ordnung [10]. 4.4 Designprinzipien zu Risiko und Unsicherheit Prinzip der Dunkelheit: Das Prinzip der Dunkelheit besagt, dass kein System vollständig erfasst werden kann. Systeme sind dynamisch und verändern sich, während man sie beobachtet. Dies muss akzeptiert werden- - mit der verbleibenden Unsicherheit muss umgegangen werden [9]. Ein Beispiel hierfür sind die schwarzen Schwäne, diese befinden sich gehäuft im Fat Tail von Projekten und treten insbesondere bei längeren Projektlaufzeiten in Erscheinung und können Projektorganisationen im Bereich von Risiken sehr hart treffen [7]. Daher empfiehlt es sich, in Projektorganisationen entsprechende Prozesse und Institutionen zu etablieren, welche sich mit diesem Aspekt des Risikos und der Unsicherheit beschäftigen. Black-Box-Prinzip: Gemäß dem Black-Box-Prinzip ist es nicht notwendig, das Innenleben der Black-Box zu verstehen, um zu verstehen, wie diese funktioniert. Entscheidend ist das Verhalten und nicht primär das Innenleben des Systems (z. B. Abteilung, Umwelt, Stakeholder etc.). Komplexität wird bewusst ausgeblendet- - der Fokus liegt auf der Input-Output-Beziehung bzw. auf dem Verhalten. Ein Beispiel hierfür ist: Man muss nicht im Detail verstehen, wie ein Auto (Motor, Getriebe etc.) technisch funktioniert, damit es fährt, aber man muss wissen, wie es reagiert, wenn man es lenkt [10]. 4.5 Designprinzipien zum Stakeholdermanagement Das Prinzip der strukturellen Kopplung: Das Prinzip der strukturellen Kopplung ist von seiner Grundidee auf Humberto Maturana und Francisco Varela zurückzuführen. Das Prinzip beschreibt den Evolutionsprozess der strukturellen Dynamik der Beziehung zwischen einem System und seiner Umwelt. Das System verändert seine Umwelt und die Umwelt verändert das System. Wenn sich System und Umwelt in dieselbe Richtung entwickeln, sind diese strukturell gekoppelt. Es sind hierbei die Veränderungsraten von System und Umwelt, also zum Beispiel Projektorganisation und Sta- Abbildung 3: Bienenstock-- Rückkehr und Erkundung, Unsplash, Eric Ward 2017 Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 34 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 keholder, zu betrachten. Divergieren die Veränderungsraten auseinander, verliert sich die Kopplung. Ein Beispiel hierzu ist die Öffentlichkeitsarbeit von Projekten, gelingt diese gut, kann sich das Projekt besser mit seiner Umwelt koppeln [7]. Das System-Resonanz-Prinzip: Bei diesem Prinzip geht es um das Ausmaß, in dem zwei oder mehr Systeme (zum Beispiel Abteilungen miteinander oder mit ihrer Umwelt oder Organisationen) miteinander kommunizieren und in Beziehung treten. Dies hängt davon ab, ob sie Ähnlichkeiten aufweisen, entweder strukturell oder in Bezug auf ihre Dynamik. Jeder kennt das auf einer persönlichen Ebene, wenn von „Gemeinsamkeiten“ oder „Wellenlänge“ gesprochen wird. Dies führt zu zwei Erkenntnissen: 1.) Die Qualität und Effektivität der Kommunikation hängen vom System-Resonanz-Prinzip, also von der Resonanz miteinander ab. 2.). Wo die Resonanz stark ist, ist ein potenziell gutes Milieu für Selbstorganisation [9]. 4.6 Designprinzipien zur Planung Das Wurzel-Strukturierungs-Prinzip: Das Wurzel-Strukturierungs-Prinzip besagt, dass der optimale Strukturierungsgrad eines Systems zur Verringerung seiner Instabilitätstendenz bei sonst gleichen Faktoren die Quadratwurzel aus der Anzahl der Elemente ist. Als Beispiel können 100 Mitarbeiter herangezogen werden: Bildet man die Quadratwurzel aus 100- = 10, würde das zu einer Bildung von 10 Teams führen. Das Prinzip ist ein einfacher Gegenentwurf zu exponentiellem Wachstum und kann entsprechend skaliert genutzt werden [9]. Das Prinzip des instabilen Netzwerkes: Das Prinzip des instabilen Netzwerkes beschreibt die Pathologie, dass Systeme mit zu vielen aktiven, voneinander abhängigen Teilen dazu neigen, instabil zu sein [9]. Als Beispiel hierfür kann ein Prüfprozess einer technischen Planung bei Projekten mit z. B. 20 Testinstanzen herangezogen werden. Hierbei entstehen lange Rückkopplungswege, verzögerte Reaktionen und zu viele Entscheidungsebenen, was zu einem trägen Systemverhalten und zu Instabilität führt. Kurze Rückkopplungswege mit 4-6 Instanzen sind empfehlenswert [11]. 4.7 Designprinzipien zur Produktion Das Relaxationszeitprinzip: Systemstabilität ist nur möglich, wenn die Relaxationszeit des Systems kürzer ist als die mittlere Zeit zwischen den Störungen [9]. Beispiel 1: Ein Mitarbeiter, ein Team, eine Abteilung oder eine Organisation ist so organisiert, dass eine Aufgabe nicht „der Reihe nach“ erledigt werden kann. Entsprechend müssen die Produktionsplanung verbessert und Engpässe vermieden werden. Beispiel 2: Bei wiederkehrenden organisatorischen Veränderungen wird die stabile Leistung gestört-- werden zu oft Veränderungen vorgenommen, wird die Stabilität nie erreicht [10]. Das Prinzip der Selbstorganisation: Selbstorganisation wird häufig mit Selbstverwaltung verwechselt. Selbstorganisation entsteht durch interne und externe Dynamik und Anpassung, während Selbstverwaltung formale Strukturen und festgelegte Verantwortlichkeiten innerhalb eines definierten Rahmens nutzt. Selbstorganisation passiert ständig „im positiven Sinne“ für Projektorganisationen, wenn gute Randbedingungen und eine passende Resonanz dafür vorhanden sind. Selbstorganisation lässt sich wie folgt differenzieren: 1.) Es entstehen neue übergeordnete Strukturen aus Systemen aus zuvor disparaten Teilen. 2.) Innerhalb eines bestehenden Systems zerfallen Teilsysteme und fügen sich (oder nicht) anderweitig wieder zusammen und bilden neue Teilsysteme. Selbstorganisation erfordert Führung, die Flexibilität, Kreativität und neue Strukturen fördert [9]. 5. Zusammenfassung Effektives Komplexitätsmanagement fördert Innovation, nachhaltiges Wachstum, effiziente Produktion und starke Partnerschaften, was zu menschenwürdiger Arbeit (SDG 8), nachhaltiger Industrialisierung (SDG 9), verantwortungsvollem Konsum (SDG 12) und globaler Zusammenarbeit (SDG 17) führt. Alle vorgestellten Designprinzipien fördern diese Nachhaltigkeitsziele und sind daher potenziell wirksam. Die vierzehn Designprinzipien sind nachstehend zusammengefasst mit Definition und Handlungsanweisung auf Basis des ADA Heuristics Models wiedergegeben und können so direkt angewendet werden. 1. Das Prinzip der verstärkenden Rückkopplung: Definition: verstärkende Rückkopplungen Handlung: ausgleichende Rückkoppelung 2. Das Prinzip der Redundanz des potentiellen Befehls: Definition: Die Macht liegt dort, wo die Information liegt Handlung: Entscheidungskompetenz mit Informationsqualität koppeln Abbildung 4: Wurzel-Strukturierungs-Prinzip [9] Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 35 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 3. Das Prinzip der Lebensfähigkeit: Definition: 2 Dimensionen, 1.) Autonomie vs Kohäsion 2.) Stabilität vs Anpassung Handlung: Projektorganisation hat alle Funktionen, um in einer sich verändernden Umwelt existieren zu können. Empfehlung: Viable System Model 4. Das ordnungs-osmose-Prinzip: Definition: Systeme und Menschen tendieren zur Ordnung Handlung: Ordnung, Struktur, gute Rahmenbedingungen, Transparenz 5. Das Prinzip der Agiltiät: Definition: Veränderungsrate Projektorganisation zu Veränderungsrate Umwelt Handlung: Das Maß, die Geschwindigkeit und die Ressourcen, sich anzupassen, ist Ausdruck der Agilität. Eine Projektorganisation muss die Kapazitäten haben, um als Organisation agil zu sein. 6. Adams 3. Gesetz: Definition: Ein System, dessen Einzelteile jeweils die am wenigsten riskante Option wählt, ist einem höheren Gesamtrisiko ausgesetzt. Handlung: In der strategischen Risikoabwägung ist ein ausgewogenes Maß an risikoreichen und risikoarmen Vorgehensweisen zu wählen. 7. Das Prinzip der Dunkelheit: Definition: Kein System kann vollständig erfasst werden. Systeme sind dynamisch und verändern sich, während man sie beobachtet. Handlung: Akzeptanz, Kommunikation und Umgang mit Risiken und Unsicherheit. 8. Das Black-Box-Prinzip: Definition: Es ist nicht notwendig, das Innenleben der Black-Box zu verstehen, um zu verstehen, wie sie funktioniert. Handlung: Komplexität wird bewusst ausgeblendet- - der Fokus liegt auf der Input-Output-Beziehung und auf dem Verhalten. Abbildung 5: ADA Heuristic Model mit Designprinzipien 9. Das Prinzip der strukturellen Kopplung: Definition: Das Prinzip beschreibt den Evolutionsprozess der strukturellen Dynamik der Beziehung zwischen einem System und seiner Umwelt. Handlung: Einflussnahme, damit die strukturelle Kopplung stattfinden kann. 10. Das System-Resonanz-Prinzip: Definition: Ausmaß, in dem zwei oder mehr Systeme miteinander kommunizieren und in Beziehung treten. Eine gute Resonanz hängt von Ähnlichkeiten ab. Handlung: Eine gute Resonanz ist ein gutes Milieu für Selbstorganisation. 11. Das Wurzel-Strukturierungs-Prinzip: Definition: Der optimale Strukturierungsgrad eines Systems zur Verringerung seiner Instabilitätstendenz ist die Quadratwurzel aus der Anzahl der Elemente. Handlung: Strukturierung aufgrund des Prinzips. 12. Das Prinzip des instabilen Netzwerkes: Definition: Pathologie, dass Systeme mit zu vielen aktiven, voneinander abhängigen Teilen dazu neigen, instabil zu sein. Handlung: Wenig Instanzen mit kurzer und schneller Rückkopplung. 13. Das Relaxationszeitprinzip: Definition: Systemstabilität ist nur möglich, wenn die Relaxationszeit des Systems kürzer ist als die mittlere Zeit zwischen den Störungen. Handlung: Störungen reduzieren. 14. Das Prinzip der Selbstorganisation: Definition: Selbstorganisation entsteht durch interne und externe Dynamik und Anpassung. Handlung: Selbstorganisation erfordert Führung, die Flexibilität, Kreativität und neue Strukturen fördert. Mit diesem Artikel wurde eine Einführung in die Designprinzipien auf Basis von System Thinking zur nachhaltigen Gestaltung von Projektorganisationen gegeben. Die Designprinzipien sind nicht zwingend mit den Handlungsfeldern verbunden. Der Autor verfolgt nicht die Philosophie, dass sich Ansätze gegenseitig ersetzen oder ausspielen sollen (vergleiche z. B. die Wissen | Designprinzipien für nachhaltige Projektorganisation 36 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 01/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0006 Wasserfall / Agil-Diskussion). Viel wichtiger ist der spezifische Einsatz der geeigneten Methode im Projektmanagement. Die hier aufgezeigten Designprinzipien erweitern daher das Verständnis und den Werkzeugkasten des Projektmanagers, wenn es um die nachhaltige Gestaltung und die Analyse von Projektorganisationen und das Verständnis von Komplexität geht. Für eine Vertiefung der Designprinzipien empfiehlt sich insbesondere der Systems Grammar [9] von Hoverstadt oder dessen deutsche Übersetzung [12]. Literatur [1] Frahm, M., Pfiffner, M. (2023). Decrypting the DNA of Megaprojects-- A Model-based Management Approach using the Viable System Model (VSM). PM World Journal, Vol. XII, Issue II, February [2] Frahm, M., Roll C. (2022). Designing Intelligent Construction Projects. Wiley ISBN-10: 111 969 082X [3] Ashby. W. R. (1956). Introduction to Cybernetics. Chapman & Hall. ISBN 9 781 614 277 651 [4] Frahm, M. (2011). Beschreibung von komplexen Projektstrukturen. PM Aktuell, Fachzeitschrift der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement [5] Frahm, M. (2021). Erfolgsfaktoren in Großprojekten. PM aktuell, Fachzeitschrift der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement [6] Frahm, M. (2023). Vortrag- - Erfolgsmuster in Großprojekten. Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, GPM, Regionalgruppe Chemnitz [7] Frahm, M., Rahebi, H. (2021). Management von Groß- und Megaprojekten. Springer ISBN: 978-3-658-30983-1 [8] Pfiffner, M. (2020). Die dritte Dimension des Organisierens. In Springer eBooks. https: / / doi.org / 10.1007 / 978- 3-658-29247-8 [9] Hoverstadt, P. (2022). The Grammar of Systems: From Order to Chaos & Back, SCiO Puplication, ISBN-13: 979-8 414 307 754 [10] Frahm, M. (2024). The VSM Guide, Version 1.2., retrieved from www.thevsmtest.org [11] Frahm, M. (2015). Kybernetisches Bauprojektmanagement: Gestaltung lebensfähiger Baustrukturen auf Grundlage des Viable System Models. BOD, Dez. 2015 [12] Hoverstadt, P. (2022). 33 Systemgesetze und -prinzipien: Auszug aus dem Buch The Grammar of Systems, SCiO Puplication, ASIN: B0BNGL6WW5 Eingangsabbildung: © iStock.com / alphaspirit Michael Frahm Michael Frahm, Ausbildung in Stuttgart, Kaiserslautern, Saarbrücken in Bauingenieurwesen und Wirtschaftsrecht. Im Jahr 2010 Gewinner des Young Projektmanagement Awards der GPM. Zertifizierung zum Advanced System Thinking Practitioner der SCiO. Verfasser von Bauprojektmanagement-Büchern mit System-Perspektive. Zahlreiche Artikel und Vorträge zu Ingenieurwesen und Management. Seit 2005 als Projektleiter in Infrastruktur- und Bau-Großprojekten tätig.
