PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0045
0714
2025
363
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Projekt-Governance in agilen Settings
0714
2025
Dorothee Feldmüller
Andreas Nachbagauer
Gerhard Ortner
Fritz Stallinger
In diesem Beitrag berichten wir von einer Studie, die wir im Frühjahr 2024 in der D-A-CH Region durchgeführt haben. Wie wird in der Praxis mit dem Trend zu agilen Vorgehensweisen bei der Governance umgegangen? Unsere Ergebnisse zeigen, dass Agilität – vor allem in der Governance – bei den von uns befragten Organisationen noch nicht sehr verbreitet ist. Einzelprojekte sind prinzipiell agiler aufgesetzt als die Governance-Ebenen. Je projektnäher Entscheidungen gefällt werden, desto agiler ist das Vorgehen, während die Integration agiler Prinzipien in höheren Management- und Governance-Ebenen langsamer verläuft.
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47 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 Ergebnisse einer Befragung zur Praxis Projekt-Governance in agilen Settings Dorothee Feldmüller, Andreas Nachbagauer, Gerhard Ortner, Fritz Stallinger Für eilige Leser | In diesem Beitrag berichten wir von einer Studie, die wir im Frühjahr 2024 in der D-A-CH Region durchgeführt haben. Wie wird in der Praxis mit dem Trend zu agilen Vorgehensweisen bei der Governance umgegangen? Unsere Ergebnisse zeigen, dass Agilität-- vor allem in der Governance-- bei den von uns befragten Organisationen noch nicht sehr verbreitet ist. Einzelprojekte sind prinzipiell agiler aufgesetzt als die Governance-Ebenen. Je projektnäher Entscheidungen gefällt werden, desto agiler ist das Vorgehen, während die Integration agiler Prinzipien in höheren Management- und Governance-Ebenen langsamer verläuft. Schlagwörter | Projekt(-Portfolio)-Governance, Projekt-/ Portfoliomanagement, Agilität, Agile Transformation, Lenkungsausschuss Motivation Projekt-Governance ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für Projektarbeit. Die seit Jahren zu beobachtende Transformation zu agilen oder hybriden Ansätzen erfordert auch ein angepasstes Vorgehen in der Governance. Zu Theorie und Praxis der Projekt-Governance in agilen Settings wurde bis jetzt noch nicht viel Forschungsarbeit geleistet. Vor einiger Zeit haben wir Handlungsempfehlungen zur daran angepassten Gestaltung der Projekt-Governance beschrieben [1]. Jetzt interessiert uns die gelebte Praxis, darum haben wir im Frühjahr 2024 zur Teilnahme an einer Studie aufgerufen: Wie wird in der Praxis mit dem Trend zu agilen Vorgehensweisen bei der Governance umgegangen? Hintergrund der Studie Für unsere Studie haben wir drei Steuerungsebenen unterschieden, um zu überprüfen, inwieweit unterschiedliche Governance-Ansätze für die Projektarbeit zu beobachten sind: 1. Management des Einzelprojektes: Wird eher plangesteuert oder eher agil gearbeitet? Ist der Projektinhalt mit einem immateriellen Produkt wie z. B. Software-Entwicklung befasst oder mit einem materiellen Produkt? Ebenso haben wir nach der Bedeutung von Regulierungen und weiteren Kernaspekten von einzelnen Projekten gefragt. Strenggenommen ist das Einzelprojekt-Management keine primäre Governance-Aufgabe, sondern Projektmanagement-Aufgabe, muss aber in der Governance jedes Projektes von den Führungskräften mitverantwortet werden. 2. Bei der Governance einzelner Projekte geht es um die Steuerungsarbeit, die typischerweise in Lenkungsausschüssen von Projekten geleistet wird, oft auch Steering Committee genannt. Wir sprechen im Folgenden von einem Governance-Gremium. Unabhängig vom Einzelprojekt-Management kann hier eher plangesteuert oder eher agil gearbeitet werden. 3. Unter Projektportfolio-Governance verstehen wir eine unternehmensweite Steuerung und Koordination aller Projekte, in der Regel durch dafür eingerichtete Gremien und Prozesse. Im Unterschied zu den anderen beiden Ebenen ist diese „höchste“ Ebene der Governance permanent, während die beiden anderen Ebenen nur für die Dauer eines Projektes bestehen. Auch für die Projektportfolio-Governance haben wir die Frage gestellt, ob eher plangesteuert oder eher agil gearbeitet wird, sowie weitere Kernaspekte der Projektportfolio-Governance untersucht. In einer ersten Literaturübersicht fassen Lappi et al. [2] 2017 bestehende Projekt-Governance-Praktiken in agilen Projekten im Kontext von Informationssystemen und der Softwareent- Wissen | Projekt-Governance in agilen Settings 48 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 wicklung in einem sechsdimensionalen Rahmen zusammen. Darauf aufbauend identifizieren Taborda & Mohammed [3] vier Jahre später in ihrer Übersichtsarbeit sieben Dimensionen, in denen sich planbasierte und agile Governance unterscheiden (vgl. Abbildung 1). Der Artikel zeigt, dass die Einführung agiler Prinzipien auf höheren Governance-Ebenen bisher nur bedingt erfolgreich ist, da diese eher auf schnelle Anpassung und informelle Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Planbasierte Governance- Ansätze basieren auf festen Vorgaben und strikten Prozessen, während agile Prinzipien von Unsicherheit und Veränderungen ausgehen und auf Vertrauen und Autonomie der Teams setzen. Viele Unternehmen sehen die Transformation hin zu einer agilen Organisation heute als Chance, um sich besser auf den globalen Wettbewerb einzustellen. Viele davon machen aber auch die Erfahrung, dass eine solche Veränderung in der Praxis oft auf den verschiedenen Ebenen der eigenen Organisation in unterschiedlicher Geschwindigkeit abläuft und an den Schnittstellen dabei immer wieder Reibungsverluste auftreten. Beschreibung der Studie und der Studienteilnehmenden Die zentrale Themenstellung unserer Studie ist die Projekt- Governance im Zeitalter der agilen Transformation: Wie wird diese in der Praxis wirklich gelebt? Wie weit co-existieren plangesteuerte und agile Ansätze in Organisationen- - auch auf unterschiedlichen Governance-Ebenen? Mit Blick auf die vier Dimensionen Strategische Ausrichtung, Führungsstil, Managementebene sowie kaufmännische und Compliance-Aspekte von Taborda & Mohammed [3] stellten wir uns die Fragen: Ist die Governance der Projekte, in denen agil gearbeitet wird, auch agil ausgeprägt? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen Einzelprojekt-Management, Governance einzelner Projekte und der Governance eines Portfolios? Dazu führten wir eine Online-Umfrage mit Unterstützung von GPM, pma und spm im ersten Halbjahr 2024 durch. Auch „nicht-agile“ Praktikerinnen und Praktiker waren zur Teilnahme aufgerufen. Es gab zwölf Fragen zum Einzelprojektmanagement, fünf zur Einzelprojekt-Governance, sieben zur Portfolio-Governance, sowie sieben zum Unternehmen und drei Fragen zur Person, wobei nicht alle Dimensionen nach Taborda & Mohammed auf allen drei Ebenen abgefragt wurden. Die Antwortskalen umfassten regelmäßig sechs Antwortmöglichkeiten von einem Extrem („vollständig“, „rein“ etc.) über die Antwortoptionen „mehrheitlich“ und „eher“ hin zum anderen Extrem. Für den Vergleich von Gruppen wurde der t-Test (sig: p<0,05) verwendet. Insgesamt wurden 77 Fragebögen vollständig und weitere 92 teilweise beantwortet. 38 % stammen aus Deutschland, 48 % aus Österreich und 12 % aus der Schweiz. 3 % gaben einen Standort außerhalb der D-A-CH Region an. Die Teilnehmenden der nicht repräsentativen Befragung haben im Durchschnitt 21 Jahre Erfahrungen mit Projekt-, Programm- oder Portfoliomanagement. Sie arbeiten dabei vorwiegend in der Projektleitung (48 %), in PMOs (14 %) oder als Programmmanagende (9 %). Nur ein kleiner Anteil ist als Portfoliomanagende (5 %), in einem Lenkungsgremium (4 %), als Auftraggeber (3 %) oder einfaches Projektmitglied (3 %) tätig. 14 % gaben eine sonstige Tätigkeit an. Die Anzahl der Projekte in den Organisationen streut stark: Es sind sowohl Unternehmen mit weniger als 20 gleichzeitigen Projekten vertreten als auch solche mit über 500 Projekten. Dabei überwiegen Projekte mit interner Auftraggeberschaft (75 %) die Projekte mit externen Auftraggebern (25 %) deutlich. Die betrachteten Projekte dauerten im Schnitt 23 Monate. Die Unternehmen, aus denen die Projekte stammen, sind vor allem groß und sehr groß: 43 % haben über 2000, weitere 13 % zwischen 1000-2000 Beschäftigte, 26 % geben einen Jahresumsatz über 1 Mrd. € an, weitere 12 % setzen zwischen 500 Mio. und 1. Mrd. € um. 27 % der Antwortenden sind im Bereich Information und Kommunikation tätig, 19 % bei Finanz- und Versicherungsdienstleistern, 16 % im produzierenden Gewerbe, 13 % in der öffentlichen Verwaltung, 5 % bei Gesundheit und Soziales und 4 % in der Energie-, Wasser- und Abfallwirtschaft. 91 % der teilnehmenden Unternehmen bestehen bereits seit über 20 Jahren. 64 % der befragten Organisationen verfügen über eine unternehmensweite Koordination aller Projekte im Rahmen eigener Prozesse oder Gremien zum Management des Projektportfolios, weitere rund 18 % koordinieren ihr Projektportfolio im Rahmen der allgemeinen Unternehmensführung. Ebenfalls 18 % geben an, über keine unternehmensweite Steuerung zu verfügen. Eine unternehmensweite Koordination findet sich dabei eher beim produzierenden Gewerbe und in der Finanz- Abbildung 1: Dimensionen planbasierter und agiler Governance nach Taborda & Mohammed Wissen | Projekt-Governance in agilen Settings 49 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 und Versicherungsbranche, im Bereich Information und Kommunikation ist dies dagegen weniger verbreitet. Ergebnisse zu den Steuerungsebenen In einem ersten Schritt haben wir uns die Verbreitung agiler oder planbasierter Praktiken auf jeder der drei Ebenen angesehen und in einem zweiten Schritt diese Verteilungen verglichen. Betrachtet man einzelne Dimensionen der Agilität, so zeigen sich auf den drei Ebenen unterschiedliche Ausprägungen (vgl. Abbildung 2). Einzelprojekt-Management Den Erwartungen von Taborda & Mohammed [3] zu Technologie und Industrie entsprechend werden Projekte mit immateriellen Ergebnissen eher agil ausgeführt, dies spiegelt sich auch in den Auswertungen zur Branche des Unternehmens (v. a. Information und Kommunikation, Finanzen und Versicherungen) wider. Die Zusammenarbeit in Projekten wird in Hinblick auf Vertrauen und Beziehungen agil gestaltet, dabei besteht auch eine Autonomie beim Führungsstil und der Projektkultur, insbesondere bei selbständigen Unternehmen. Bei Lösungswegen im Projekt und der Arbeitsweise halten sich selbstorganisierte und situative Vorgehensweise in etwa die Waage mit plangesteuerten und vorausbestimmten. Besonders auffällig ist, dass der Projektnutzen fast durchgängig als vorausbestimmt bewertet wird. Governance einzelner Projekte Auf der Projekt-Governance-Ebene sind der Führungsstil und die Kultur durch das Management bestimmt- - das ja häufig mit dieser Ebene zumindest teilweise zusammenfällt. Interessanterweise steigt die Autonomie des Führungsstiles mit der Unternehmensgröße, hier kommt es zu einer verstärkten Trennung zwischen dem (Top-)Management und der Projekt- Governance. Sehr deutlich sind die Unterschiede der Ebenen bei Kultur und Führungsstil: Während diese auf den Governance-Ebenen durch das Management bestimmt werden, sind sie auf Projektebene autonomer. Trotz planbasiertem Gesamtbild auf der Projekt-Governance-Ebene fällt die häufige Regelung der Zusammenarbeit über Vertrauen und Beziehungen auf- - dies läuft dem sonst eher top-down getriebenen und planorientierten Verhältnissen auf dieser Ebene entgegen und spricht für eine Autonomie nach innen. Dennoch ist die Zusammenarbeit in der Projekt-Governance deutlich mehr durch Richtlinien und Verträge gesteuert als in Projekten, vor allem, wenn Projekte in einem Konzernumfeld abgewickelt werden. Der Literatur zufolge stehen selbstorganisierte Kultur und Führungsstil ebenso wie eine Zusammenarbeit über Vertrauen für Agilität, die Projekte sind daher agiler als die Steuerungsebene darüber. Umgekehrt ist dies allerdings beim Projektnutzen: Dieser ist im Projekt langfristiger im Voraus bestimmt als auf Projekt-Governance-Ebene und widerspricht daher der Annahme in der Literatur. Hier kommt es verstärkt, wenngleich weiter auf niedrigem Niveau, zu kurzfristigen und iterativen Vorgehensweisen auf der Governance-Ebene. Die Agilität nimmt allerdings für größere Unternehmen und Konzernteile ab. Projektportfolio Governance Die Projektportfolio-Ebene weist Ähnlichkeiten mit der Projekt- Governance-Ebene bei der Arbeitsweise sowie Führungsstil und Kultur auf. Im Vergleich zeigt sich also, dass die Arbeitsweise im Projekt eher selbstorganisiert und damit agiler ist, während sie auf der Projekt-Governance und der Projektportfolio-Governance-Ebene eher plangesteuert ist, wobei es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Governance- Ebenen gibt. Auffällig ist, dass für die Mehrheit der Projekte die Lenkung tatsächlich auf Projektebene geschieht. Zudem zeigt sich: Wenn es eine Projekt-Governance-Ebene im Unternehmen gibt- - das gilt nicht für alle befragten Organisationen- - dann dominiert dennoch eine Lenkung der Projekte auf Projekt-Ebene, die Portfolio-Ebene spielt dabei weniger eine Rolle. Beides würde für eine agile Vorgehensweise sprechen. Abbildung 2: Vergleich der Steuerungsebenen Wissen | Projekt-Governance in agilen Settings 50 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 Anderseits wird die Mehrheit der Projekte top-down priorisiert und ausgewählt. Dabei werden etwa gleich viele Projekte aus dem Tagesgeschäft heraus ausgewählt und priorisiert wie aus der Strategie abgeleitet. Die Projektportfolio-Ebene ist also vor allem für Auswahl und Priorisierung zuständig, die Abwicklung selbst wird aber dann an die Projekte übergeben. Die Unterscheidung zwischen agil und planbasiert verläuft damit nicht alleine entlang der Ebenen, sondern auch entlang der Projektphasen: Die Governance in der Projekt-Vorphase auf Portfolio-Ebene ist planbasierter als die spätere Abwicklung auf der Ebene des Projektes. Im produzierenden Gewerbe sowie bei Finanzen und Versicherungen ist das Portfoliogremium eher durch das Management bestimmt, in den Branchen Information und Kommunikation sowie im Öffentlichen Dienst eher selbstorganisiert. Während allerdings mehr Umsatz zu größerer Autonomie der Arbeitsweise auf Projekt-Governance-Ebene führt, nimmt der Einfluss des Managements auf den Führungsstil und die Kultur im Portfoliogremium zu. Größe führt damit zu einer stärkeren Entfremdung dieser beiden Ebenen. Agile Ansätze auf Unternehmens- oder Bereichsebene- - skalierte agile Ansätze, die im Großen institutionalisiert sind-- gewinnen zunehmend an Bedeutung. Auch bei unseren Teilnehmenden spielen skalierte Ansätze bereits eine Rolle, sind aber noch eine Minderheit: Nur 23 % setzen diese auf der Portfolio-Ebene ein, 58 % verneinten die Frage, der Rest gab keine Antwort. Agile Projekte gleich agile Governance? Eine der Ausgangsfragen unserer Untersuchung lautete: Wird in Unternehmen, die in ihren Projekten vorwiegend agil arbeiten, auch auf den Ebenen der Governance einzelner Projekte sowie der Projektportfolio-Governance agiler gesteuert als bei Unternehmen, die in Projekten planbasiert vorgehen? Dazu wurde zunächst aus den Fragen, die die Agilität auf Einzelebene messen, eine Skala gebildet und diese entlang des mittleren Wertes (Median) in zwei gleich große Gruppen geteilt. Sodann wurden die Mittelwerte dieser Gruppen für die Fragen in den beiden anderen Steuerungsebenen verglichen und auf signifikante Abweichungen überprüft (vgl. Abbildung 3). In Unternehmen, in denen auf der Ebene der Einzelprojekte agil gearbeitet wird, sind der Führungsstil und die Kultur im Governance-Gremium eher selbstorganisiert, die Zusammenarbeit wird vorwiegend über Vertrauen und Beziehungen geregelt. Geringe Unterschiede zwischen planbasiert und agil zeigen sich jedoch bei der Frage, ob die Arbeitsweise plangesteuert oder selbstorganisiert ist. Kein signifikanter Unterschied besteht bei der Kurz- oder Langfristigkeit der Nutzenfestlegung. Je „näher“ also die Steuerung dem Projekt ist, desto eher entsprechen die Vorgehensweisen der Projekt-Governance jenem im Projekt, während bei der Nutzenfestlegung verstärkt Vorgaben aus der Portfolio-Ebene greifen. Für die Governance des Projektportfolios dagegen gibt es in keinem der befragten Bereiche einen Zusammenhang mit dem Agilitätsgrad der Projekte. Diese scheint daher tatsächlich vom Alltagsgeschehen im Projekt abgekoppelt zu sein. Ein differenziertes Bild zeigt sich, wenn die beiden übergeordneten Governance-Ebenen, also Projekt- und Projektportfolio-Governance, miteinander verglichen werden (vgl. Abbildung 3). Dabei wurde in einem analogen Verfahren zu oben zwischen agilen und planbasierten Governance-Gremien für typische Projekte unterschieden: Hier zeigen sich bei allen relevanten Fragen deutliche und signifikante Zusammenhänge zwischen den Governance-Ebenen: Agilität im Projekt-Governance-Gremium spiegelt so agiles Vorgehen im Portfolio wider. Besonders deutlich ist die Ähnlichkeit bei Führungsstil und Kultur sowie bei der Festlegung der Arbeitsweise. Diese Befunde bestätigen die schon weiter oben getroffene Einschätzung: Die oberen Ebenen sind von der tatsächlichen Ausführungsebene im Hinblick auf planbasierte oder agile Elemente einerseits deutlich abgekoppelt, andererseits sind sie planbasierter aufgestellt als die Projekte selbst- - das gilt vor allem für das Projektportfolio. Die Vorgehensweisen auf den beiden Governance-Ebenen gleichen einander eher, wobei Abbildung 3: Vergleich planbasierte vs. agile Projekte Wissen | Projekt-Governance in agilen Settings 51 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 strategisch orientierte Steuerungsmaßnahmen planbasierter abgewickelt werden als projektnahe Entscheidungen. Umgang mit Anforderungsänderungen Bei häufigen Anforderungsänderungen sollte- - so lauten verbreitete Empfehlungen- - eher ein agiles Vorgehen gewählt werden. In unserer Studie zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Anforderungsänderungen sind häufig (74 % „häufig“ gegenüber 26 % „selten“). Dabei ist der Grad der Agilität von der Häufigkeit der Neuerungen unabhängig: Auch die überwiegende Mehrheit der Projekte mit plangesteuertem Vorgehen muss oft mit Anforderungsänderungen umgehen, selbst wenn diese eigentlich nicht vorgesehen sind. Das Projekt-Governance-Gremium für ein typisches Projekt sollte um die Problematik von Anforderungsänderungen wissen, initiiert diese allerdings regelmäßig selbst: 58 % der Befragten gaben an, dass Neuerungen häufig von der Projekt- Steuerung ausgehen. Auch hier wieder sind Anforderungsänderungen unabhängig von der Agilität auf Projekt-Ebene. Ob allerdings die Herausforderung häufiger Anforderungsänderungen überraschend und daher ohne Einfluss auf die Wahl des Vorgehens oder bekannt und daher bewusst gesteuert gewesen ist, dazu können wir keine Aussage treffen. Zusammenfassung und Ausblick Agile Vorgehensweisen, so zumindest der erste medial vermittelte Eindruck, sind im Vormarsch und dominieren die Diskussion im Projektmanagement. Überraschend ist demgegenüber die doch eher geringe Verbreitung von Agilität bei den von uns befragten Organisationen. Dabei sind Einzelprojekte prinzipiell agiler aufgesetzt als die beiden Governance-Ebenen, und je projektnäher Entscheidungen gefällt werden, desto agiler ist das Geschehen. Unsere Interpretation ist, dass die agile Transformation in der ganzen Organisation und auf allen Ebenen noch Zeit benötigt, sowie dass es möglicherweise an praktischen Instrumenten für agile Governance fehlt wie etwa: • selbstorganisierende Zusammensetzung des Governance- Gremiums, • dem Daily im Projekt entsprechende kurze Steh-Meetings des Governance-Gremiums, • Visualisierungsunterstützung durch Kanban-Boards o. ä., • in Sprint-/ Release-Review integrierte Sitzungen, d. h. „zum Team gehend“, • veränderte Reporting-Gepflogenheiten-- weg von umfangreichen schriftlichen Ausarbeitungen hin zu kompakten (vielleicht KI gestützten) Dashboard-Lösungen, • wertorientierte Priorisierung. Einige der von Taborda & Mohammed [3] identifizierten Kernaspekte konnten von uns in der Praxis bestätigt werden: Immaterielle Produkte werden eher mit agilen Vorgehensweisen erarbeitet, Führungsstil und Kultur sowie die Regelung der Zusammenarbeit entsprechen in ihrer Ausprägung der gewählten plangesteuerten bzw. agilen Vorgehensweise. Die Ergebnisse können auch als Momentaufnahme eines Transformationsprozesses von Organisationen hin zu agileren Unternehmensformen interpretiert werden, wo auf den unteren Ebenen (in den Projekten) agile Methoden und Prinzipien zuerst implementiert wurden, die Durchdringung anderer Ebenen mit diesen Grundsätzen und Werten aber viel langsamer von statten geht. Daraus ergeben sich dann an den Schnittstellen die Reibungsflächen, die man immer wieder in Unternehmen beobachten kann, wenn stärker planbasiertes Vorgehen auf den Managementebenen auf agile Teams bei der Projektumsetzung stößt. Vielleicht fehlen aber auch gerade für große Unternehmen, die notwendigerweise über mehrere Hierarchieebenen hinweg gesteuert werden müssen, neue Management- und Organisationskonzepte, die ein agileres top-down Steuern begünstigen. Scaled Agile Frameworks sind hier ein Ansatzpunkt, sie eignen sich aber nicht für alle Organisationen und Settings. Die Ergebnisse entsprechen an vielen Stellen unseren eigenen praktischen Erfahrungen. Neben der in dieser Arbeit genannten Literatur, ist die Fachgruppe „PM goes Boardroom“, zu der außer zwei der Autoren auch Praktiker aus großen Unternehmen gehören, eine wesentliche empirische Quelle. Wir danken allen Mitgliedern der Fachgruppe für den bereichernden Austausch und besonders Christian Rudischer für die Mitarbeit bei der empirischen Erhebung. Abbildung 4: Vergleich planbasierte vs. agile Projekt-Governance Wissen | Projekt-Governance in agilen Settings 52 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0045 Literatur [1] Feldmüller, D.; Ortner, G.: Projekt-Governance von klassisch bis agil. In: projektMANAGEMENT aktuell 02 / 2024, Nürnberg 2024, S. 39-44. [2] Lappi, T., Karvonen, T., Lwakatare, L. E., Aaltonen, K., & Kuvaja, P. (2018). Toward an Improved Understanding of Agile Project Governance: A Systematic Literature Review. Project Management Journal, 49(6), 39-63. https: / / doi. org/ 10.1177/ 8756972818803482 [3] Taborda, L. J.; Mohammed, M.: Exploring Agile Project Governance. Anzam Conference, Perth 2021. Eingangsabbildung: © iStock.com/ AndreyPopov Fritz Stallinger Fritz Stallinger ist Fachbereichsleiter für Multiprojekt- und Integriertes Management im Masterstudiengang PM und Organisation an der FH des BFI Wien. Er lehrt und forscht an der Schnittstelle von Projekt-, Prozess- und Qualitätsmanagement in projektorientierten Unternehmen und Projektmanagementkompetenzen in der Digitalen Transformation. Anschrift: FH des BFI Wien, Wohlmutstr. 22, A-1020 Wien E-Mail: fritz.stallinger@fh-vie.ac.at Prof. (FH) Andreas Nachbagauer Prof. (FH) Andreas Nachbagauer ist Fachbereichsleiter für Management und wissenschaftliche Methoden sowie stv. Leiter der Projektmanagement-Studiengänge an der FH des BFI Wien. Anschrift: FH des BFI Wien, Wohlmutstr. 22, A-1020 Wien E-Mail: andreas.nachbagauer@fh-vie.ac.at ORCID: https: / / orcid.org/ 0000-0002-1978-9983 Prof. (FH) Dr. Gerhard Ortner Prof. (FH) Dr. Gerhard Ortner ist Fachbereichsleiter für Projektmanagement in den Masterstudiengängen PM & Organisation sowie PM & Data Analytics an der FH des BFI Wien. U.a. arbeitet er derzeit auch im ISO Technical Committee 258 an der Weiterentwicklung internationaler PM-Normen mit. Anschrift: FH des BFI Wien, Wohlmutstr. 22, A-1020 Wien E-Mail: gerhard.ortner@fh-vie.ac.at Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Feldmüller Prof. Dr. rer. nat. Dorothee Feldmüller ist Professorin für Wirtschaftsinformatik am Campus Velbert / Heiligenhaus der Hochschule Bochum. Zuvor war sie lange Jahre tätig als IT-Projektleiterin und Beraterin. Seit 2004 ist sie aktiv bei der GPM. Anschrift: Hochschule Bochum Campus Velbert / Heiligenhaus, Kettwiger Str. 20, 42 579 Heiligenhaus, Tel. +49 2056 5848 - 16 721 E-Mail: d.feldmueller@gpm-ipma.de
