PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0052
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GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Der Griff zum Formular erweitert den Horizont
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Jens Köhler
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72 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 03/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0052 Jens Köhler Priesberg betritt das Büro von Ehrlich. „Ich habe einige Kollegen, mit denen ich überhaupt nicht zusammenarbeiten kann. Wenn ich sie sehe, würde ich am liebsten weglaufen.“ Ehrlich rollt mit seinem Bürostuhl rückwärts nach hinten, dreht seinen Stuhl um neunzig Grad und greift mit einer eingeübten Handbewegung in ein hinter ihm liegendes Fach. Flink holt er ein Formular heraus. ‚Meldeschein für Beherbergungsstätten‘ steht in der Kopfzeile. Priesberg antwortet irritiert: „Soll ich jetzt diese Kollegen mit mir in einem Hotel einquartieren? Eines dieser Wohlfühlseminare? “ Er beginnt, sich in Rage zu reden. Ehrlich grinst. „Wieder mal reingefallen. Das Formular ist Mittel zum Zweck. Wichtig war meine Handbewegung. Komm‘, probiere es gleich mal aus.“ Priesberg reißt seinen Mund auf und erinnert Ehrlich irgendwie an den Schrei von Munch. Er setzt sich auf den Stuhl von Ehrlich und ahmt die Bewegung nach. Dabei rollt er zögerlich nach hinten und schafft es im zweiten Anlauf, nach einem Formular zu greifen. ‚Passierschein A 38‘ steht darauf. Seine Gesichtsmuskulatur beginnt sich zu entspannen. „Wie fühlt sich die Handbewegung an? “ fragt Ehrlich, der sich an der Verwirrtheit seines Kollegen sichtlich erfreut. „Irgendwie entspannend. Durch die Monotonie der Bewegung ist mein Kopf leer“, antwortet Priesberg. „Ich habe dich am Anfang also der Situation ausgesetzt, die du empfindest, wenn einer deiner ‚Spezls‘ was von dir will, richtig? “, versucht Ehrlich den Gemütszustand seines Kollegen zu erfassen. „So kann man es ausdrücken“, entgegnet Priesberg. „Szenenwechsel. Stell‘ dir vor, du gehst auf das Amt, weil du beispielsweise einen neuen Personalausweis oder was auch immer benötigst. Der Mensch hinter der Schranke ist per Gesetz verpflichtet, jeden zu bedienen, egal um wen es sich handelt. Zumindest beim ersten Schritt, den Griff zum Formular“, doziert Ehrlich und fragt weiter: „Wie nimmst du gewöhnlich die Arbeitsatmosphäre auf dem Amt wahr? “ „Sofern ich das beurteilen kann, ruhig und unspektakulär. Kalendersprüche hängen an den Wänden oder ein Radio säuselt leise vor sich hin. Und ja, der Griff zum Formular ist tatsächlich der erste Schritt. Und diese Bewegung soll ich im Geiste durchführen, nehme ich an“, erwidert Priesberg. „Ja. Es hat zwei Aspekte: Du siehst in deinem Gegenüber, auch wenn es sich nicht um deinen besten Freund handelt, jemanden, der ein Anliegen hat und zu Recht gehört werden will. Und zweitens hast du eine Chance, ruhiger zu werden, so wie du es eben selbst erlebt hast“, erläutert Ehrlich. „Und nach dem Griff? Dann ist die Welt heile“, versucht Priesberg zu provozieren. „Das kommt jetzt auf dich an“, erläutert Ehrlich und fährt fort: „Ist doch schon lustig, dass wir eine Amtsstube simulieren. Passt so gar nicht zu uns.“ Er wartet auf die Reaktion seines Kollegen. „Stimmt“, Priesberg muss lachen. Ehrlich hakt ein: „Und genau da sind wir beim Punkt: Wenn du über die Handbewegung lachen kannst, dann übertrage das doch auf dein Gegenüber.“ „Also sollte ich in solchen Situationen immer laut lachen? Die halten mich doch dann bald für bekloppt. Damit hätte ich meine Situation nur verschlechtert“, äußert sich Priesberg nachdenklich. „Natürlich nicht laut lachen. Aber in dich hinein reicht schon. Dein Gegenüber spürt, dass du entspannt bist. Das Zauberwort heißt hier: ‚Nicht in Resonanz gehen‘“, beruhigt Ehrlich seinen Kollegen. „Also übertrage oder verstärke ich bei Resonanz meine Abneigung auf mein Gegenüber? Der nimmt es dann auf und reagiert ebenso mit Abweisung. Und schon haben wir beide das Gefühl, dass wir nicht miteinander können.“ Priesberg denkt weiter laut: „Und jetzt kommt die Amtsstube, die Arbeit. Das Formular muss ausgefüllt werden, Stempel sausen auf das Papier, die obligatorische Bearbeitungsgebühr wird gezahlt und eine Sache ist erledigt. In diesem Mindset komme ich mit meinen ungeliebten Kollegen wirklich in den Arbeitsmodus.“ Nun schaut Ehrlich irritiert. Priesberg fragt: „Stimmt was nicht, habe ich jetzt wieder etwas nicht verstanden? “ Er holt schnell ein neues Formular aus dem Schrank und hört Ehrlich in der Ruhe einer Amtsperson zu. „Du denkst schon daran, dass wir uns auf dem Wege zur Digitalisierung befinden? Ich meine nur deine Begeisterung für Stempel ….“ Ehrlich prustet schließlich los: „Ich wollte schauen, ob du den Griff zum Formular wirklich beherrschst.“ ‚Ausgeherlaubnis‘ steht auf dem Formular. „Bitte hier stempeln, damit ich aus deinem Büro darf“, lacht Priesberg. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Comeback Images Kolumne Der Griff zum Formular erweitert den Horizont Jens Köhler Dr. Jens Köhler, BASF SE, fokussiert sich auf die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. eMail: Jens.Koehler@basf.com Die Kolumne „Ehrlich und Priesberg“ möchte mit unterhaltsamen Dialogen rund um das Thema „Mensch - Kommunikation, Verhalten, Entscheidungen“ Denkanstöße für den PM-Alltag geben.
