PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
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UVK Verlag Tübingen
10.24053/PM-2025-0064
pm364/pm364.pdf0922
2025
364
GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.Auf der Suche nach mehr Impact
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Nicole Gerberhttps://orcid.org/0000-0003-2427-6901
Nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Umsetzung von Projekten in Gesundheitsorganisationen stehen in der Schweiz vor großen Herausforderungen. Erfahrungen der Mitglieder der spm Fachgruppe „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ geben Einblick in die aktuelle Situation und Hintergründe. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen können aber auch positive Beispiele genannt und mutige neue Ansätze aufgezeigt werden.
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25 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 Auf der Suche nach mehr Impact Nicole Gerber Für eilige Leser | Nicht nur das Gesundheitswesen, sondern auch die Umsetzung von Projekten in Gesundheitsorganisationen stehen in der Schweiz vor großen Herausforderungen. Erfahrungen der Mitglieder der spm Fachgruppe „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ geben Einblick in die aktuelle Situation und Hintergründe. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen können aber auch positive Beispiele genannt und mutige neue Ansätze aufgezeigt werden. Schlagwörter | Schweizer Gesundheitsorganisationen, Komplexität, Arbeitskultur, Dynamisierung, kollegialer Austausch, SAFe im Spital 1. Viele übergeordnete Herausforderungen in Schweizer Gesundheitsorganisationen Auch das Schweizer Gesundheitswesen steht aktuell vor einer Vielzahl von Herausforderungen. Die eigentlich nach wie vor erfreuliche Zunahme der Lebenserwartung führt zu einer erhöhten Multimorbidität und somit zu einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, insbesondere in der Langzeitpflege. Gleichzeitig kommt zu wenig neues Fachpersonal nach und bestehendes Personal verlässt teilweise unzufrieden und überfordert die Branche. Somit steht der steigende Unterstützungsbedarf einem weiter zunehmenden Fachkräftemangel gegenüber. Diese Tatsache wird dadurch verschärft, dass steigende Kosten aufgrund der herrschenden Finanzierungsmodelle mit langsamen Budgetprozessen teilweise nicht adäquat vergütet werden, was zusätzlich zu finanziellem Druck führt. In der Schweiz kommt der ausgeprägte Föderalismus in Bezug auf Entscheidungsstrukturen, Finanzierungen und regulatorischen Umsetzungen hinzu, welcher zentrale und somit synergetische Lösungsansätze erschwert, verzögert oder manchmal sogar verhindert. Aktuelles Beispiel ist das Trauerspiel bei der immer noch kaum umgesetzten Einführung des Elektronischen Patientendossiers und den dadurch großen Ressourcenverschleißen an den Organisationsschnittstellen. Auch fehlt entsprechend der Druck, gemeinsame Standards zu entwickeln und zu nutzen. Dies erschwert einerseits die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Dienstleistungen. Andererseits werden innovative Ansätze dadurch stark verzögert bis verunmöglicht. Dabei zeigt sich seit einiger Zeit ein sehr großer Investitionsbedarf, nicht nur bei der Erneuerung und Anpassung der Immobilien und Infrastrukturen, sondern auch um den Anforderungen der raschen digitalen und technologischen Entwicklung gerecht zu werden, inklusive der nötigen Schulungen für das verbleibende Personal. Bestehende heterogene ICT-Systemlandschaften mit mangelnder Interoperabilität stellen eine weitere Herausforderung dar. All diese genannten Aspekte führen bereits heute vielerorts zu Qualitätseinbußen, welche sich mit zunehmendem Fachkräftemangel noch verschärfen werden, wenn hier nicht geeignete Maßnahmen ergriffen werden. 2. Was Schweizer Gesundheitsorganisationen in Bezug auf Projekte zu schaffen macht In der spm Fachgruppe „Projektmanagement im Gesundheitswesen“ treffen sich vor allem Personen, welche im Projektkontext von Spitälern oder Heimen arbeiten oder welche Projekte zusammen mit Gesundheitsorganisationen durchführen respektive sie als Externe begleiten. Hier kommt also das Wissen, wie es um Projekte und das Projektmanagement im Schweizer Gesundheitswesen steht, aus erster Hand zusammen. Wenn man mit anderen Branchen vergleicht, wird bei Erfahrungsaustauschen immer wieder eindeutig klar: In den meisten Gesundheitsorganisationen fehlt nicht nur das Verständnis für die Logik und Ziele von Projekten, sondern überhaupt die Erkenntnis, sich verändern zu müssen. Dabei werden natürlich trotzdem Projekte in Auftrag gegeben und durchgeführt. Allerdings werden Projekte nicht übergeordnet professionell in Portfolios priorisiert und aufeinander abgestimmt und auch nicht im Sinne eines nachhaltigen Change Managements begleitet. Zudem fehlt den Personen, denen die Projektleitung zugesprochen wird, häufig fundiertes PM-Wissen. Auch werden oft nicht Wissen | Auf der Suche nach mehr Impact 26 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 spezifische Rollen und Projektressourcen definiert, sodass es zu unklaren Zuständigkeiten und fehlender Kapazität kommt. Auch mangelt es oft an passender PM-Software oder Datengrundlagen, um aus vergangenen Projekten und gemachten Projekterfahrungen zu lernen. Insgesamt muss also festgestellt werden, dass in Schweizer Gesundheitsorganisationen ein tiefer bis sehr tiefer PM-Reifegrad vorherrscht. In den folgenden Kapiteln werden, basierend auf den Erfahrungen der Fachgruppenmitglieder, einige mögliche Begründungen dafür zusammengefasst. 2.1 Komplexität und Wesen des Kerngeschäfts-- Projekte sind oft Nebensache Insbesondere in Akutspitälern, aber auch in Langzeitinstitutionen, liegt der Hauptfokus auf den medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen. Diese Kerntätigkeiten sind menschenzentriert, komplex, stark durchstrukturiert und es muss oft mit Ungeplantem umgegangen werden. Dabei muss die Leistungserstellung in Schichten rund um die Uhr gewährleistet werden. Wenn hier keine spezifische Projektkultur herrscht, welche die Rahmenbedingungen mitberücksichtigt, werden dadurch regelmäßige Projektabstimmungsmeetings und eine projektbezogene Kommunikation erschwert bis verunmöglicht. Auch sind Stellvertretungen insbesondere in kleineren Institutionen teilweise schwierig zu gewährleisten. Gesundheitsorganisationen wurden lange ausschließlich von medizinisch geprägten Personen geführt und entsprechend wurde betriebsökonomisches und nicht-medizinisches Fachwissen untergeordnet und erst spät und unabhängig von medizinischen Kontexten zugezogen. Zudem herrschte lange und häufig immer noch ein ausgeprägt hierarchisches und zudem innerhalb der jeweiligen Disziplin verbleibendes Denken und Handeln vor. Dieser Umstand prägt die Strukturen, Rollen- und Verantwortlichkeitsverständnisse und somit das Arbeiten in Gesundheitsorganisationen. Zunehmend sind heute auch Branchenfremde und auch nicht-medizinische Fachleute in den Führungsgremien von Gesundheitsorganisationen vertreten. Trotzdem fehlt meistens nach wie vor der Wille zum Wandel, ebenso ein gemeinsames Verständnis für projektorientiertes Arbeiten und der Mut, neue Ansätze auszuprobieren und weiterzuentwickeln. So werden oft Projekte unabhängig voneinander in Auftrag gegeben und Aufgaben ohne spezifische Projektzeitressourcen an Personen verteilt. Das bedeutet, dass Projektinhalte zusätzlich zum bereits komplexen und ausgefüllten Tagesgeschäft erarbeitet werden müssen- - oder dann eben liegenbleiben und Projekte somit versanden. 2.2 Organisations- und Arbeitskultur Alle Branchen und Organisationen haben eine spezielle Kultur. In Gesundheitsorganisationen-- so berichten die Fachgruppenmitglieder immer wieder- - beeinflusst der oben beschriebene Umstand die Arbeitskultur stark. Die Menschenzentrierung, welche für das Kerngeschäft essenziell ist, führt aktuell noch häufig zu Ängsten und Skepsis gegenüber neuen Technologien, digitalen Lösungen und Automatisierungen. Die hohe Komplexität des Tagesgeschäfts und die gängigen hierarchischen Entscheidungswege führen dazu, dass Veränderungen eher vermieden werden. Da Projekte in den allermeisten Fällen Veränderungen mit sich bringen, trifft man immer wieder auf Widerstände oder erfährt gar Projektsabotage-- insbesondere, wenn der Sinn des Wandels nicht klar ist. Man ist generell noch wenig gewohnt, zusätzlich zum Tagesgeschäft ganzheitlich und über die Hierarchien hinweg vertrauensvoll zusammenzuarbeiten oder gar selbst Projekte mit Themen wie Prozessvereinfachungen oder die Behebung von Fehlanreizen zu initialisieren. 2.3 Knappe Ressourcenverfügbarkeiten auf allen Ebenen Der angesprochene und weithin bekannte Fachkräftemangel betrifft alle Berufsgruppen. Ebenso haben viele Spitäler und Heime mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. Dies führt zu der verzwickten Lage, dass die verbleibenden Fachkräfte immer mehr Arbeiten übernehmen müssen, was zu großer Belastung oder gar Überlastung führt. Um dem zu begegnen, bräuchte es mangels anderer Fachpersonen technologische und digitale Ansätze. Um diese einzuführen, bedingt es einerseits finanzielle Ressourcen, aber eben auch Zeit der bestehenden Mitarbeitenden, um die technologischen und digitalen Lösungen passend zu entwickeln, auszuarbeiten und einzuführen. Aufgrund der mangelnden Zeit- und Finanzressourcen aber eben auch Die spm Fachgruppe zu Gast im Kantonsspital Aarau mit dem Fokusthema KSA Neubau ‘Dreiklang’ Wissen | Auf der Suche nach mehr Impact 27 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 36. Jahrgang · 04/ 2025 DOI 10.24053/ PM-2025-0064 mangels passender Projektumsetzungsmethodiken können solche Vorhaben oft nicht in Angriff genommen werden. Oder aber sie verzögern sich oder müssen komplett auf Eis gelegt werden, insbesondere wenn durch hohe Fluktuation viel internes Wissen immer wieder abfließt. Ein klassischer Teufelskreis-… 3. Gute PM-Practice und Mut für neue Ansätze Zusammenfassend lässt sich also sagen: In Gesundheitsorganisationen haben Projekte, projektorientiertes Arbeiten und Leute, die sich mit Projektmanagement befassen, aktuell einen schweren Stand und es scheint nicht einfach, bei der erdrückenden Ausgangslage positiv zu bleiben. Gerade als Fachgruppe haben wir uns aber zum Ziel gesetzt, das Thema organisationsübergreifend anzugehen, uns gegenseitig zu unterstützen und zu stärken und auch neue Ansätze aufzuzeigen und auszuprobieren. In den folgenden Unterkapiteln- - und später auch in den Folgeartikeln- - einige Gedanken und Beispiele dazu. 3.1 Stärkung von Projektversierten in Gesundheitsorganisationen und Sensibilisierung auf C-Level Die spm Fachgruppe „PM im Gesundheitswesen“ will einen Rahmen bieten für Personen, welche mit projektorientierten Vorhaben in Gesundheitsorganisationen zu tun haben, sich mit anderen gleichgesinnten resp. -betroffenen Personen kollegial austauschen zu können. Es steht allen offen, sich bilateral Peerfeedback zu geben oder sich in Gruppen untereinander zu spezifischen Themen oder Fragestellungen zusammenzuschließen. Zudem werden auch Good-Practice-Ansätze oder Erfahrungen mit PM-Methoden aufgezeigt und diskutiert. Zwei Mal jährlich besuchen wir eine der Mitglieder-Organisationen vor Ort. Das jeweilige Fachgruppenmitglied organisiert das Treffen samt aktuellem, internem Thema und einer kleinen Besichtigung. Punktuell werden auch studentische Arbeiten zu einem Thema vergeben, es wird auf externe Veranstaltungen aufmerksam gemacht oder auf Publikationen verwiesen. Das Bespielen dieses Settings ist uns bisher- - wie auch die Praxisbeispiele im Anschluss an diesen Artikel zeigen- - recht gut gelungen. Trotzdem muss festgestellt werden, dass die Zeit auch bei Projektinvolvierten immer knapp ist und daher manchmal der Wunsch und Wille zur Partizipation höher ist als die schlussendlich effektive Beteiligung. Wo das Potenzial noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist, ist beim Ziel, das Verständnis für projektorientierte Ansätze und die Sensibilisierung für das Thema auf C-Level, bei Verbänden und in der Politik zu fördern. Auch vertrauensfördernde, interdisziplinäre Austauschformate wären sinnvoll. Alles in der Fachgruppenarbeit erfolgt allerdings ehrenamtlich-freiwillig, die Kapazitäten für zeitaufwändige und intensiv zu betreuende Einsätze ist daher stark limitiert. Mittlerweile ist es gelungen, einige Partnerschaften einzugehen, sodass über deren Kanäle und Wirkungsfelder mehr Resonanz erzeugt werden kann. 3.2 Neue Ansätze entwickeln und ausprobieren Zudem muss ehrlicherweise festgestellt werden: Ganz offensichtlich scheinen in Gesundheitsorganisationen mit den beschriebenen Rahmenbedingungen bestehende Projektmanagementansätze nur bedingt zu greifen. Weiter kommt nun hinzu, dass sich digitale, technologische und medizinische Entwicklungszyklen (z. B. KI, Telemedizin) wie auch gesundheitspolitische Entwicklungen (z. B. Ambulantisierung, Hospital@Home) weiter beschleunigen und somit die Gesundheitsorganisationen zu rascheren Anpassungen zwingen. Betrachtet man diese Dynamiken zusammen mit der Komplexität des Tagesgeschäfts, wird schnell klar, dass planbasiertes PM nicht angezeigt ist. Für rein agile Settings allerdings ist die PM-Reife wie beschrieben zu niedrig und das Tagesgeschäft nicht genug taktbar. Hybride, gesundheitsorganisationenadäquate Ansätze werden benötigt. Einen solchen Ansatz hat das Universitätsspital Basel entwickelt und führt nun mutig-- wie einer der Schlüsselwerte der Organisation definiert ist- - SAFe ein. In einem entsprechend durchgeführten Pilotprojekt konnte dank der Umverteilung von Arbeiten basierend auf Kompetenzen und Kapazitäten, der Umsetzung von Prozess- und Pfadoptimierungen und dem Einsatz von digitalen Mitteln eine wesentliche Entlastung der Ärzteschaft und somit eine Reduzierung von Überstunden erreicht werden. Gestärkt aus diesen positiven Erfahrungen wurde SAFe als Chance erkannt. Es wurde entschieden, erstens die Priorisierung von Vorhaben durch PI-Planning vorzunehmen, zweitens für das komplexer werdende Portfolio Lean Portfolio Management-Prinzipien anzuwenden, drittens neu einzuteilen in Epics, Features, Stories sowie Enabler und viertens Agile Release Trains sich eigenständig mit eigenem Budget organisieren zu lassen. Das erste PI-Planning erfolgte im Juni. Es ist also noch zu früh, um über den SAFe-Ansatz im Gesundheitskontext zu urteilen. Es wird sich erst zeigen müssen, ob die vorgesehenen gemischten Teams in der Praxis bestehen, ob das inkrementelle Arbeiten trotz der regulatorischen Anforderungen durchgezogen werden kann und ob die agilen Ansätze gegen die Hierarchien und Fachdisziplinen-Silos ankommen. Auf jeden Fall gebührt dem mutigen Vorgehen der Verantwortlichen bereits jetzt großer Respekt. Wenn hierdurch eine Good oder gar Best Practice Story entstünde, könnte dies vielversprechende Impulse für die ganze Branche auslösen! Und wenn wir dadurch „Projektmanagement“ neu definieren müssen, dann sollte uns dies zugunsten von mehr Wirkung recht sein. 4. Ausblick Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gibt es also Anlass zu Hoffnung, dass projektorientiertes Arbeiten nicht nur in Gesundheitsorganisationen „ankommen“ wird, sondern dass vielleicht sogar eigene branchenspezifische Ansätze zu mehr Impact verhelfen werden. Wir bleiben dran! Eingangsabbildung: Agile Methoden ausprobieren im Rahmen von Learning by doing agil Dr. Nicole Gerber Dr. Nicole Gerber unterrichtet Projektmanagement an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und leitet F&E-Projekte in Gesundheitsorganisationen. Sie koordiniert die spm Fachgruppen PM im Gesundheitswesen und PM in der Hochschullehre. E-Mail: nicole.gerber@spm.ch Internet: https: / / spm.ch/ fachgruppen/ projektmanagement-im-gesundheitswesen/ ORCID: 0000-0003-2427 - 6901
