eJournals Transforming cities 1/1

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0006
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2016
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Was macht Städte smart?

21
2016
Christine Ziegler
Nichts bleibt, wie es war. Viele Faktoren – etwa die zunehmende Urbanisierung, eine älter werdende Gesellschaft, Herausforderungen durch den Klimawandel und nicht zuletzt neue Spielregeln einer globalisierten Welt – verändern unsere gewohnten Lebenswelten. Wie aber wird dieser Wandel auf gewachsene Stadtstrukturen wirken, welche Anpassungsstrategien sollen gewählt werden. Besteht die Lösung darin, Städte „smart“ zu machen – also verschiedene Funktionen wie Ver- und Entsorgung, Mobilität und Gebäudemanagement, Gesundheitsversorgung und Verwaltung mit digitalen Technologien auszustatten und in Kommunikationssystemen zu vernetzen? Über diese Themen sprach Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) im Interview mit Christine Ziegler
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16 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INTERVIEW Smart Cities Der Begriff „Smart Cities“ scheint für ein Patentrezept zu stehen, mit dem sich Städte zukunftstauglich machen lassen. Was genau ist damit gemeint? Tatsächlich steht derzeit die Digitalisierung im Vordergrund der Diskussion um „Smart Cities“. Eine allgemein gültige Definition gibt es auch noch nicht. Umfassende Definitionsansätze sehen sie als ein Ganzes aus mehreren Elementen: smart economy, smart governance, smart mobility, smart environment, smart people, smart living. Macht der Einsatz digitaler Technologien Städte tatsächlich „intelligenter“ ? Digitalisierung ist eines aus einer Reihe von Elementen, um Städte zukunftsfähig zu gestalten. Wesentlicher bei der Stadtentwicklung sind aber die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Bei deren Umsetzung kann Digitalisierung helfen, zum Beispiel durch Effizienzgewinne. Doch in manchen Bereichen zeigt sich die Ambivalenz der digitalen Welt. So kann beispielsweise der Online-Handel durchaus bei entsprechender Weiterentwicklung dazu beitragen, Probleme in der Nahversorgung etwa für ältere Mitbürger oder in ländlichen Gebieten, wo es überhaupt keine Läden mehr gibt, zu mindern durch neue Versorgungsstrukturen über das Internet. Aber die Kehrseite der Medaille ist, dass der stationäre Einzelhandel, der schon längere Zeit unter dem Strukturwandel leidet, nun auch noch Konkurrenz aus dem Internet erhält und so in seiner Funktion als Nahversorger weiter geschwächt wird. Dabei sind die Läden um die Ecke von zentraler Bedeutung für eine belebte, vitale, multifunktionale Stadt. Insofern muss man bei all diesen Entwicklungen immer die Vor- und die Nachteile betrachten. Der öffentliche Sektor ist aufgefordert, durch entsprechende Rahmenbedingungen sicherzustellen, dass das Allgemeinwohl gewahrt bleibt. Aus Gründen des Ressourcenschutzes und effizienterer Energienutzung ist es sicher sinnvoll - vielleicht sogar notwendig - digitale Technik einzusetzen. Wird dabei die Anfälligkeit von Datensicherheit unterschätzt? Es besteht die Gefahr, dass durch die zunehmende Erfassung von Daten aller Lebenssituationen der Bürger immer transparenter wird. Smart Homes bieten zwar viele Ansätze möglicher Effizienzgewinne durch Energieeinsparung, doch in der Konsequenz werden die Nutzerdaten immer detaillierter erhoben, gespeichert und ausgewertet. Handys lassen sich orten, Bewegungsprofile erstellen, Freizeitaktivitäten analysieren - im Grunde genommen kann der gesamte Tagesablauf über solche Datenflüsse abgebildet werden. Was macht Städte smart? Nichts bleibt, wie es war. Viele Faktoren - etwa die zunehmende Urbanisierung, eine älter werdende Gesellschaft, Herausforderungen durch den Klimawandel und nicht zuletzt neue Spielregeln einer globalisierten Welt - verändern unsere gewohnten Lebenswelten. Wie aber wird dieser Wandel auf gewachsene Stadtstrukturen wirken, welche Anpassungsstrategien sollen gewählt werden. Besteht die Lösung darin, Städte „smart“ zu machen - also verschiedene Funktionen wie Ver- und Entsorgung, Mobilität und Gebäudemanagement, Gesundheitsversorgung und Verwaltung mit digitalen Technologien auszustatten und in Kommunikationssystemen zu vernetzen? Über diese Themen sprach Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) im Interview mit Christine Ziegler. Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu). © Difu 17 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INTERVIEW Smart Cities Im Zuge dieser Entwicklung wird es wohl immer schwerer, sich der großflächigen Erfassung persönlicher Daten zu entziehen…? Im Prinzip ist das so. Auch hier sehe ich die öffentliche Hand in der Verantwortung, einen Missbrauch zu verhindern. Wo bleiben die Menschen, die keine allzu hohe Affinität zu Kommunikationstechnologien haben? Hier gibt es mindestens zwei Gruppen: Einmal die Gruppe, die ihre digitale Kommunikation auf das Unumgängliche reduziert, um das eigene Privatleben zu schützen. Und dann eine Bevölkerungsgruppe, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage ist, die neuen Technologien zu nutzen. Fällt diese zweite Gruppe damit komplett aus dem Spiel? Die Gefahr besteht. Auch hier muss die Öffentliche Hand gewährleisten, dass diese Bevölkerungsgruppe die Möglichkeit hat, sowohl am täglichen Leben in einer stärker digitalisierten Welt teilzunehmen als auch ihre Belange in die politische Diskussion einzubringen. Formen der Bürgerbeteiligung im Internet gewinnen zunehmend an Bedeutung, werden aber von sozial schwächeren Schichten tendenziell weniger wahrgenommen. Die Berücksichtigung sozialer Belange ist von zentraler Bedeutung für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Sind es also die sozialen Konzepte und Impulse, die Städte wirklich smart machen? Wenn man „smart“ im umfassenden Sinn versteht, sind sie zumindest unverzichtbare Elemente. Dort, wo sich Bürger einbringen, um auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss zu nehmen, entstehen viele neue spannende Projekte: im Bereich des Wohnungsmarktes neue Formen von Bauherrengemeinschaften, kleine Genossenschaften, Car-Sharing oder das Projekt „Leerstandsmelder“, aber auch Fahrgemeinschaften, Flüchtlings-Apps und vieles andere mehr - Aktivitäten, die übrigens zunehmend mittels digitaler Medien organisiert werden. Nachdem vor einigen Jahren viele alte plüschmöblierte Cafés in den Innenstädten zugemacht hatten, gibt es heute wieder eine vielfältige Café-Kultur... ...allerdings teilweise erst nach einer Zwischenphase mit Bankfilialen an diesen Stellen. Diese werden nun ihrerseits im Zuge der Digitalisierung reduziert. Eine vielfältige attraktive Gastronomie gehört zum urbanen Leben und leistet einen Beitrag zur Belebung der Erdgeschosszonen, die, unter anderem durch die Strukturveränderungen im Einzelhandel, von Leerstand und damit Verödung bedroht sind. Sie sind aber ein wichtiges städtisches Element, das unserer Aufmerksamkeit bedarf. Als Gelenk zwischen privatem Raum - dem Haus - und öffentlichem Raum - der Straße - erfüllen sie eine wichtige Funktion auch im Hinblick auf die soziale Kontrolle des öffentlichen Raumes. Wir müssen uns bemühen, diese Zonen weiter funktionsfähig zu halten. Schaut man sich die Auswirkungen der Urbanisierung weltweit an, leben wir hierzulande eigentlich auf der Insel der Glückseligen... ...ja, zumindest leiden wir auf vergleichsweise hohem Niveau. Das ist ein Ergebnis der in Europa über Jahrtausende gewachsenen Erkenntnis, dass man Städte planen und Stadtentwicklung steuern muss. Ideen zur Idealstadt gibt es seit der Antike. Bereits die Griechen haben Städte nach bestimmten Prinzipien geplant. Die im Zusammenhang mit der industriellen Revolution entstandenen Probleme in den Städten haben noch einmal die Bedeutung einer Steuerung der Entwicklung durch die Öffentliche Hand verdeutlicht. Das gilt sowohl für die bauliche Entwicklung als auch die Gewährleistung stabiler sozialer Verhältnisse. Auch im Hinblick auf Klimawandel und Klimaanpassung ist eine planvolle Entwicklung unverzichtbar. Nur sie wird die nachhaltige Stadtentwicklung gewährleisten. Welches sind aus Ihrer Sicht die notwendigen Instrumente, um zu einer wirklich nachhaltigen Stadtentwicklung - gerade auch im Sinne der Bürger - zu kommen? Der Instrumentenkasten ist groß, es würde zu weit führen, ins Detail zu gehen. Es gibt auch keine Patentrezepte, jede Stadt ist besonders. Wichtig sind integrierte Konzepte als Handlungsgrundlage, bei deren Erstellung die Belange von Ökologie, Ökonomie und die sozialen Belange sowie der Erhalt des kulturellen Erbes miteinander sorgfältig abgewogen werden - ganz in der Tradition europäischer Städte. Sind solche Prozesse angesichts der drängenden Probleme nicht zu langwierig? Nein, solche Prozesse kann man zügig durchführen. Das schließt auch nicht aus, in bestimmten Situationen wie z.B. aktuell im Hinblick auf die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden kurzfristig zu handeln. Aber ungeachtet dessen kann es auch manchmal durchaus sinnvoll sein, noch einmal inne zu halten, intensiv nachzudenken und sich die lateinische Weisheit vor Augen zu führen: „Was du auch tust, tu es klug und bedenke das Ende“.