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Transforming cities
tc
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0016
2016
11

Nach dem Auto Multimodalität?

2016
Sören Groth
Multimodalität ist das neue Zauberwort zur Lösung verkehrsbedingter Probleme. Die Vision: Bürgerinnen und Bürger wählen via Smartphone flexibel und situationsspezifisch das geeignete Verkehrsmittel in einem auf Nutzen statt Besitzen basierten Verkehrssystem. Jedoch läuft der unhinterfragte Multimodalitäts-Enthusiasmus Gefahr, das Entstehen neuer Probleme zu übersehen. Der Beitrag skizziert drei große Problemfelder einer Entzauberung.
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61 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität Im Zuge der 1950er Jahre hat sich in weiten Teilen Europas das Auto als dominantes Verkehrssystem behauptet. Es nahm eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung einer auf Massenproduktion und Massenkonsumption ausgerichteten Gesellschaft ein und stand stereotypisch für den sozialen Aufstieg breiter Bevölkerungsgruppen. Die vorherigen Verkehrsinfrastrukturen wurden durch ubiquitäre, dezentralisierende Straßennetze in Funktion von Transit- und Abstellräumen für Autos ersetzt. Als Rennreiselimousine [1] ermöglichte das Auto auch der breiten Mittelschicht schnell und selbstbestimmt den Widerstand des Raumes zu durchbrechen und die heute bekannten ortspolygamen Lebensstile auszubilden. Der öffentliche Verkehr wurde zum Massenverkehrsmittel degradiert und auch das Fahrrad wurde als lahmer Drahtesel im wortwörtlichen Sinne an den (Straßen-) Rand gedrängt. Lag der Pkw-Bestand zu Beginn der Massenmotorisierung im Jahr 1960 bei rund 4,5 Mio., so konnte er sich seither nahezu verzehnfachen [2]. Hinsichtlich seines fossilen Antriebes wurde die Dominanz des Autos im Laufe der Jahrzehnte vermehrt aus zwei Perspektiven problematisiert: Erstens im fossilen Input, wonach Öl eine endliche, in menschlichen Zeitskalen nicht erneuerbare Ressource darstelle, das zeitliche Maximum der globalen Rohöl-Förderrate bereits erreicht sei (Peak-Oil) und damit das Auto als technologische Grundlage zur Ausübung alltäglicher Aktivitäten und Wertschöpfungsprozesse vor einem zeitlichen Horizont der Endlichkeit stünde. Zweitens im fossilen Output, wonach Auswirkungen von Treibhausgasen, Feinstaub und Lärm oder die anhaltende Flächeninanspruchnahme das globale Klima und die nahräum- Nach dem Auto Multimodalität? Problematisierung eines neuen Paradigmas Multimodalität, Sharing-Systeme , Informations- und Kommunikationstechnologien IKT, Digital Divide, Elektromobilität, soziale und räumliche Polarisierung Sören Groth Multimodalität ist das neue Zauberwort zur Lösung verkehrsbedingter Probleme. Die Vision: Bürgerinnen und Bürger wählen via Smartphone flexibel und situationsspezifisch das geeignete Verkehrsmittel in einem auf Nutzen statt Besitzen basierten Verkehrssystem. Jedoch läuft der unhinterfragte Multimodalitäts-Enthusiasmus Gefahr, das Entstehen neuer Probleme zu übersehen. Der Beitrag skizziert drei große Problemfelder einer Entzauberung. liche Umwelt sowie Gesundheit und Lebensqualität der Menschen beeinträchtige. Mit großem Enthusiasmus stieß die Mobilitätsforschung nun in den vergangenen Jahren auf eine Vielfalt von Indizien, die auf eine Erosion der automobilen Dominanz hindeuten. So wirken etwa die Dynamiken bei neuen Mobilitätsdienstleistungen [3], der Cycle-Boom in Großstädten [4], eine messbar wachsende Verkehrsmittelflexibilität [5] oder die Ent-Emotionalisierung des Privat-Pkw im Dunstkreis junger Städterinnen und Städter [6] wie ein Konzert von Veränderungen zusammen. Diesem folgt die Hypothese eines Übergangs von der automobilen hin zur multimodalen Gesellschaft. Dabei versteht man unter Multimodalität die Variation verschiedener Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege [7]. Sie wird zentral mit der monomodalen Nutzung des Autos für alle Wege kontrastiert. Zunächst galt Multimodalität vor allem im deutschsprachigen Forschungskontext als nachhaltige Alternative zum Auto [8]. Spätestens aber mit der einflussreichen Studie von Claudia Nobis, „Multimodality - Facets and Causes of Sustainable Mobility Behaviour“ [9] aus dem Jahr 2007, wurden auch international Mobilitätsforschende für den nachhaltigen Ansatz sensibilisiert [10, 11, 12]. Die Vielfalt aktueller Szenarien einer multimodalen Zukunft lässt sich wie folgt collagieren: Bürgerinnen und Bürger wählen souverän und situationsspezifisch via Smartphone stets das geeignetste Verkehrsmittel für ihre Wege aus. Die höchste Evolutionsstufe des Carsharings in Form eines stationsungebundenen Free-floating-Angebotes um car2go oder DriveNow sowie technisch aufgerüstete großformatige Fahrradverleihsysteme der 4. Generation 62 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität free-floating Carsharing (z.B. car2go, DrvieNow) Fahrradverleih (z.B. StadtRAD Hamburg) Appbasierte Taxizentralen (z.B. MyTaxi) Mobilitätsplattform (z.B. Qixxit, moovel) Dynamic Ridesharing (z.B. flinc) Klassischer ÖPNV (z.B. Hamburger Hochbahn im HVV) Appb Mobilitätsplattform (z.B. Qixxit, moovel) um Call a Bike oder Nextbike sind zu einem unmittelbaren Bestandteil eines vernetzten Mobilitätsverbundes avanciert. Räumliche, informatorische und preisliche Vernetzungen aller Verkehrsmittel gewährleisten daher eine ubiquitäre Multioptionalität beim Menschen (Bild 1). Das Auto fungiert in diesem auf „Nutzen-statt-Besitzen-Konzepten“ basierten Verkehrssystem nur noch als sporadische Option; es kann flexibel „one way“ genutzt werden. Seine Elektrifizierung gewährleistet den postfossilen Charakter dieses multimodalen Verkehrssystems. Fossile Verkehrsinfrastrukturen in Form von Abstellplätzen werden durch neue urbane Nutzungen ersetzt. Multimodalität ist also das neue Zauberwort zur Lösung verkehrsbedingter Probleme. Eine kritische Auseinandersetzung bleibt weitestgehend aus. Im Nachfolgenden soll daher das neue Paradigma beispielhaft unter der Berücksichtigung  der Verteilung und Nutzung des Smartphones innerhalb der Gesellschaft,  der räumlichen Verortung neuester Mobilitätsangebote, sowie  der postfossilen Etikettierung durch Elektromobilität problematisiert werden. Smarte Mobilitätsangebote für smarte Menschen Die souveräne und situationsspezifische Auswahl zwischen den Möglichkeiten eines flexiblen Carsharings, dem Leihfahrrad und den klassischen öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich bislang nicht ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) denken (App- und onlinebasierte Ortung verfügbarer Fahrzeuge, Ausleih- und Rückgabestationen oder Abfahrzeiten, Ausleihvorgänge etc.). Doch ist ihre Nutzung einem jungen, finanz- und bildungselitären Rezipientenkreis vorbehalten: Das einfache und eingängige Bild vom „Nutzen statt Besitzen“ wandelt sich mit Blick auf einen Digital Divide schnell zum Trugschluss. So geht das Konzept des „Digital Divides“ davon aus, dass der Zugang und die Nutzung moderner IuK ökonomisch und kognitiv voraussetzungsreich sind und folglich in einer Spaltung der Gesellschaft in Nutzende und Nicht- Nutzende münden [13]. Damit unterliegt aber auch die Nutzung des oben skizzierten multimodalen Verkehrssystems einem sozial selektiven Trend. Dieser Sachverhalt lässt sich wie folgt umreißen: Erstens ist die Finanzierung hoher Kosten für Smartphone-Verträge und den notwendigen Features zur Nutzung innovativer Mobilitätsangebote (mobiles Internet mit ausreichendem Datenvolumen, Speicherplatz für die Smartphone-Applikationen etc.) materiell abhängig von individuellen Einkommensverhältnissen. Zweitens erfordert der Umgang mit den notwendigen Mobilitätsappliaktionen entsprechendes Know-How, das sich jedoch zunächst in der gut ausgebildeten IKT-sozialisierten Generation sogenannter Millenials verorten lässt. Die Soziologin Katharina Manderscheid zeichnet als Kontrast zum d Smartphone-Enthusiasmus ein ernüchterndes Bild: „Es scheint, als ob sich EntwicklerInnen und VerkehrsplanerInnen vor allem an jungen, gebildeten und an den Umgang mit digitalen Technologien Bild 1: Situationsspezifische und flexible Mobilität in einem vernetzten multimodalen Verkehrssystem am Beispiel eines Straßenquerschnitts in Hamburg/ Mundsburg (orientiert an Ludwig [14]) © Sören Groth 63 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität gewöhnten Personen orientieren und deren Kompetenzen zur erwartbaren Normalität erheben. Entsprechend stehen nicht nur ältere Menschen häufig hilflos vor Fahrkartenautomaten und haben nur eine vage Vorstellung davon, welche weiteren Mobilitätspotenziale mittels luK-Geräten zugänglich wären“ [15]. In der Konsequenz lässt sich der „Digital Divide“ auch als „Multimodal Divide“ lesen, der mit Blick auf den potentiellen IuK-basierten Zugang zu smarten Mobilitätsangeboten eine soziale Spaltung der Gesellschaft spiegelt. Die einkommens- und bildungselitären Nutzerprofile beim flexiblen Carsharing [16] kommen dieser These entgegen. Räumliche Polarisierung smarter Mobilitätsangebote Smarte Mobilitätsangebote sind räumlich nicht gleichmäßig verteilt. Gerne wird im Sinne einer klassischen Stadt-Land-Dichotomie hinsichtlich des Aufkommens smarter Mobilitätsangebote auf einen städtischen Trend verwiesen. Allerdings zeigt sich diesbezüglich auch im Städtevergleich eine klaffende Differenz: Die deutschen Marktführer des flexiblen Carsharings, car2go und DriveNow, bieten ihre Services lediglich in den Städten Berlin, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf an, car2go darüber hinaus noch in Stuttgart und Frankfurt (Stand 12/ 2015). Beim deutschen Marktführer von Fahrradverleihsystemen, der DB Rent GmbH, verhält es sich ähnlich: Zwar deckt dieser mit dem Call a Bike-System zunächst 52 deutsche Städte ab, allerdings sind - beinahe analog zu der Verortung der oben genannten Free-floater - ausschließlich die Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Kassel, Darmstadt, Marburg, Wiesbaden, Lüneburg und Kiel mit einem stadtweiten System ausgestattet (Stand: 12/ 2015). In den restlichen 44 Städten erfolgen Ausleihe und Rückgabe ausschließlich an den städtischen ICE-Bahnhöfen und spielen daher mit Blick auf den städtischen Mobilitätsalltag eine untergeordnete Rolle (Bild 2). Ein zweiter räumlich selektiver Trend lässt sich intraregional mit der Verortung der Services in den verdichteten Quartieren der Innenstadtbereiche feststellen. Die Automobilindustrie erschließt in diesen Teilräumen neue profitträchtige Geschäftsfelder, in denen der Besitz des Privat-Pkws ohnehin erodiert. Sicherlich leistet das attraktive Freefloating-Format einen Teilbeitrag zu dieser Erosion. Allerdings handelt es sich bei den verdichteten Innenstadtbereichen aber auch um jene Teilräume, in denen alternative Verkehrsmittel traditionell stark sind. Die verkehrspolitisch relevanten Standorte im suburbanen Kontext - erstens disperse auf das Auto zugeschnittene Wohnquartiere aus Ein- und Zweifamilienhausbebauungen und/ oder zweitens die sozial stigmatisierten, peripheren Großwohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren mit einem höheren Anteil sogenannter mobilitätsarmer Bevölkerung - bleiben unangeschlossen. Die räumliche Polarisierung des flexiblen Carsharing lässt sich zunächst über die klassischen Marktmechanismen erklären. Profite werden mit einer steigenden Summe von Leihvorgängen erwirtschaftet, die sich in den verdichteten Ballungsräumen prosperierender Städtetypen > 500.000 Einwohner einstellen [3]. Die Expansion der Free-floater wird sich kurzbis mittelfristig eher auf die großen europäischen Metropolen beschränken, weil weitere deutsche Städte dem Anforderungsprofil der Anbieter nur bedingt gerecht werden. Diese These lässt sich beispielhaft an der Expansion des Anbieters DriveNow nachvollziehen, der zuletzt Märkte in Stockholm (10/ 2015), Kopenhagen (09/ 2015) und London (12/ 2014) mit seinem Service erschlossen hat. In einer zweiten Erklärungslinie stellt sich die zögerliche Vergabe von Konzessionen und geringer Kontingente für flexibles Carsharing durch Städte als hinderlich dar. So besteht hier mitunter die Sorge, flexibles Carsharing würde mehr Autofahrten zulasten von ÖPNV und Fahrrad produzieren [17]. Die Free-floater reagieren in der Folge mit kleinen Geschäftsbereichen, um eine entsprechende Angebotsdichte ihrer Services zu gewährleisten und zugleich rentabel zu sein. Die weitere Expansion stadtweiter großformatiger Fahrradverleihsysteme wird es allenfalls mit der Bereitstellung von Subventionen oder der Entwicklung spezifischer Geschäftsmodelle geben. Im Bild 2: Smarte Mobilitätsangebote gibt es nicht in jeder Stadt. © pixabay 64 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität reinen Verleih sind die Services weitestgehend defizitär. So sind die erfolgreichen deutschen Fahrradverleihsysteme mit flächendeckendem Angebot und hohen Nutzungszahlen wie das StadtRAD Hamburg auf Subventionen angewiesen. Allerdings führen kommunale Finanzierungsengpässe und die Skepsis hinsichtlich der Durchschlagkraft der Angebote zu einem zurückhaltenden Engagement der Städte. Halten sich Städte zurück, führt dies häufig zu einer eingeschränkten Qualität des Verleihsystems: So funktionieren Fahrräder etwa gut als Werbetafeln (nextbike) oder es entstehen Exklusivpartnerschaften mit einer bevorzugten Zielgruppe (Call a Bike Frankfurt). Der Anspruch, ein ubiquitäres Angebot für Alle zu schaffen, geht dabei jedoch verloren. E-Mobility als nicht-nachhaltige Alternative zu fossilen Antrieben Elektromobilität gilt, wie eingangs skizziert, als elementarer Baustein eines multimodalen Verkehrssystems. Über den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung [18] wird die Elektrifizierung der Antriebe gefördert, um auf diese Weise eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu bewirken und vom Auto verursachte Schadstoff- und Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Allerdings scheinen sich die fossilen Input- Output-Problematiken im Gewand der Alternative Elektromobilität zu wiederholen. Ein zentrales Problem stellt zunächst die Verschiebung der Ressourcenproblematik von Öl auf Metalle der Seltenen Erden dar [19]. So werden bei der Herstellung der Batterien, Elektromotoren und Generatoren Seltene Erden wie Neodym, Praseodym oder Dysprosium in hohen Prozentanteilen verwendet. Sie stellen für die hohe mechanische Energieleistung der Elektroautos eine bislang unabdingbare Voraussetzung dar. Allerdings sind sie ebenso wie Öl ungleichmäßig über den Globus verteilt, und es zeichnet sich bei vielen dieser bereits heute eine Rohstoffknappheit ab. Des weiteren konterkariert ein Shift von Sprit auf Strom klimaneutrale Effekte, wenn eine Verlagerung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern auf den Strommarkt stattfindet [20]. Stammt die Sekundärenergie zum Antrieb der Elektroautos etwa aus Steinkohlekraftwerken, sind die Treibhausgasemissionen insgesamt sogar höher als beim fossilen Verbrennungsmotor. Vor diesem Hintergrund wird auch die Renaissance von Kohlekraftwerken in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich einer postfossilen Mobilität stark kritisiert [21]. Nicht zuletzt entstehen lokale Schadstoff- und Lärmemissionen nicht allein durch die Verbrennungsmotoren, sondern ebenso durch Staubaufwirbelung von Straßenoberflächen sowie beim Brems- und Reifenabrieb [22]. Vor diesem Hintergrund scheint Elektromobilität allenfalls als Steigbügelhalter sinnvoll, um einen Übergang von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft zu forcieren und auf diese Weise die Autonutzung zu reduzieren (Bild 3). Der Zusammenhang zwischen Multimodalität und Elektromobilität im Kontext einer postfossilen Ära liegt aber nicht auf der Hand. Konventionelle fossile und elektrische Antriebe scheinen frei austauschbar. Schluss: Problematisierung des „Unproblematischen“ Multimodalität hat sich in den vergangenen Jahren zum Dogma eines nachhaltigen und dem Auto alternativen Verkehrssystems entwickelt. Das eingangs umrissene Konzert von Veränderungen - Breitendurchsetzung des Smartphones, Aufkommen innovativer Mobilitätsangebote, Cycle Boom, wachsende Verkehrsmittelflexibilität, schleichende Ent-Emotionalisierung des Privatautos bei jungen Erwachsenen, politisch motivierte Förderung von Elektromobilität, usw. - wird zur zentralen Triebfeder einer Transformation von der (fossilen) automobilen zur (postfossilen) multimodalen Gesellschaft stilisiert. Jedoch läuft der unhinterfragte Multimodalitäts- Enthusiasmus Gefahr, die Produktion neuer Probleme zu übersehen. Die hier beispielhaft umrissene räumliche Polarisierung sogenannter smarter Mobilitätsangebote, ein Digital Divide oder Aspekte der Nicht-Nachhaltigkeit der staatlich hochgeförderten elektrischen Antriebe geben jedoch zentralen Anlass einer Problematisierung des vermeintlich Unproblematischen. Bild 3: Elektromobilität als Motor für eine multimodale Mobilität? © pixabay 65 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität Nicht zuletzt führt die Glorifizierung von Multimodalität zur Unterdrückung anderer Optionen. So wird beispielsweise ein Denken in Lebenszyklen städtischer Infrastrukturen kaum besprochen: Die Kategorie der „Straße als Transit- und Abstellraum für Autos“ etwa wird auch in multimodalen Verkehrssystemen wie selbstverständlich von Stadt- und Verkehrsplanung sowie im Mobilitätsalltag der Menschen reproduziert. Dabei folgt auch sie keinem Naturgesetz und könnte vielerorts anderen nachgefragten Flächennutzungen weichen. Der renommierte Geograph Gerhard Hard problematisierte diesen Sachd verhalt 1979 als „herrschende Zeitgeist-Fraktion“: „Der Zeitgeist, ein etwas undurchsichtiger Ausdruck für die herrschenden Ideen, [ … ] sorgt für den ontologischen Konsens - und zwar so, dass die Verhältnisse, wie sie gerade sind, schließlich so aussehen, als seien sie die Seinsstruktur“ [23]. Mit Blick auf die prominente Auseinandersetzung mit Multimodalität als Alternative zum Auto bedeutet dies einfach ausgedrückt: Es gibt nur eine einzige Zukunftsoption. Oder: Dem Auto folgt Multimodalität! LITERATUR [1] Knie, A.: Die Interpretation des Autos als Rennreiselimousine: Genese, Bedeutungsprägung, Fixierungen und verkehrspolitische Konsequenzen. In: Dienel, H.-L. und H. Trischler (Hrsg.): Geschichte der Zukunft des Verkehrs. Verkehrskonzepte von der frühen Neuzeit des Verkehrs bis ins 21. Jahrhundert. Frankfurt a.M., S. 243-259. [2] Kraftfahrt-Bundesamt (2015): Bestand in den Jahren 1960 bis 2015 nach Fahrzeugklassen. http: / / w w w.k ba .de / D E / St atis tik / Fahr zeuge / B e s t and/ FahrzeugklassenAufbauarten/ b_fzkl_zeitreihe.html (Zugriff am 01.12.2015). [3] Sommer, C.; Mucha, E. (2014): Integrierte multimodale Mobilitätsdienstleistungen. In: Proff, H. (Hrsg.): Radikale Innovationen in der Mobilität. Wiesbaden, S. 499-514. [4] Lanzendorf, M.; Busch-Geertsema, A. (2014): The cycling boom in large German cities - Empirical evidence for successful cycling campaigns. In: Transport Policy 36, S. 26-33. [5] Kuhnimhof, T.; Buehler, R.; Wirtz, M.; Kalinowska, D. (2012): Travel trends among young adults in Germany: increasing multimodality and declining car use for men. In: Journal of Transport Geography 24, S. 443-450. [6] Bratzel, S. (2014): Die junge Generation und das Automobil - Neue Kundenanforderungen an das Auto der Zukunft? In: Ebel, B.; Hofer, M.B. (Hrsg.): Automotive Management. 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