eJournals Transforming cities 1/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0025
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2016
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Urbane Evolution in einer alpinen Stadtlandschaft

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2016
Heinz Dörr
Gerhard Fritz
Regina Hatheier-Stampfl
Yvonne Toifl
Die nordwestliche Stadtlandschaft der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck bietet eine einmalige Annäherung von alpiner Bergumrahmung und hochurbaner Siedlungsentwicklung, noch dazu im Umfeld des internationalen Flughafens. Diese Voraussetzungen stellten von Anbeginn der dortigen Stadtentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Nachfolge der landwirtschaftlichen Nutzungen die Raumplanung vor vielfältige Herausforderungen für einen gedeihlichen Transformationsprozess. Genug Gründe, um im Rahmen der strategischen Stadtentwicklungsplanung die Ausformungen der urbanen Anreicherungen in ihren Effekten und ihrem Handlungsbedarf mit zeitgemäßen Mitteln zu erfassen.
tc120012
12 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Siedlungsstruktureller Entwicklungsstand Die Urbanisierung des Nordwestens von einem Agrarland zur Versorgung der Stadt nach dem Muster der Thünen´schen Ringe wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingeleitet durch die siedlungsgenossenschaftliche Erschließung „nasser“ Wiesen am unteren Lohbach. Charakteristisch sind das gartenstädtische Wegenetz und die schmalen, tiefen Parzellen bebaut mit dem einfachen Standardhaus dieser Zeit, die Zubauten erlauben, aber für die zunehmende Motorisierung nicht konzipiert wurden (Bilder 11-12). So behilft man sich heute mit Mischverkehrslösungen. In künftigen Mobilitätslösungen könnten emissionsfreie, automatisiert fahrende Kleinfahrzeuge bis zur nächsten Schienenbahn eingesetzt werden. Die Ausbaudynamik ist offensichtlich. Auf vielen Einzelhausparzellen sind durch Aus-, Um- oder Ersatzbauten Mehrfamilienhäuser oder kleine Wohnanlagen entstanden, die der gesellschaftlichen Vielfalt förderlich sind, weil darunter leistbares Wohnen ermöglicht wird. (Bild 13: grün, gelb, rot, violett Urbane Evolution in einer alpinen Stadtlandschaft Beiträge zur Analyse der Transformation am Beispiel Innsbruck-Nordwest - Teil 2 Landschaftswerte, Naturgefahren, Siedlungsmuster, Zentralitäten, Anknüpfungen, Mobilitätsmilieus Heinz Dörr, Gerhard Fritz, Regina Hatheier-Stampfl, Yvonne Toifl Die nordwestliche Stadtlandschaft der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck bietet eine einmalige Annäherung von alpiner Bergumrahmung und hochurbaner Siedlungsentwicklung, noch dazu im Umfeld des internationalen Flughafens. Diese Voraussetzungen stellten von Anbeginn der dortigen Stadtentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Nachfolge der landwirtschaftlichen Nutzungen die Raumplanung vor vielfältige Herausforderungen für einen gedeihlichen Transformationsprozess. Genug Gründe, um im Rahmen der strategischen Stadtentwicklungsplanung die Ausformungen der urbanen Anreicherungen in ihren Effekten und ihrem Handlungsbedarf mit zeitgemäßen Mitteln zu erfassen. Bilder 11-12: Pionieraufschließung am Lohbachweg zeitgemäß transformiert und nachverdichtet. © Y. Toifl 13 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum für Ein-, Zwei-, Mehrfamilienhaus und Mehrparteien-Wohnanlage). Mit der Ansiedlung der technisch-natur wissenschaftlichen Fakultäten der Universität wurde eine Anreicherung mit höchsten zentralörtlichen Funktionen vorgenommen, zu denen auch das Landesberufsschulzentrum und mehrere Studentenheime zählen, die der städtebaulichen Erweiterung zum autogenen Stadtteil mit Großwohnanlagen ab den 1970er bis zu den 2000er Jahren voranlief. Die disziplinierte Höhensilhouette des Bebauungsplanes bringt Ruhe in das wilde natürliche Relief (Bilder 14-15). Mobilitätsorganisation und -milieus Während die Transformation in den Einzelhausgebieten einer vermehrten Automobilität in die Hände gespielt hat, gewährleisten die Baublöcke mit Geschoßwohnanlagen, wiewohl mit ausreichend Garagenplätzen ausgestattet, dem öffentlichen Verkehr den Zuspruch an Fahrgästen, die eine Kapazitätserweiterung rechtfertigen. Die in Bau befindliche Straßen-/ Regionalbahn als ÖV-Rückgrat rückt die Bedingungen der komfortablen Zugänglichkeit in den Mittelpunkt. Aufgrund der Topographie einerseits und der unterschiedlichen Wegerechte privater, genossenschaftlicher und öffentlicher Betreiber andererseits ergibt sich ein äußerst buntes Bild der funktionalen Verkehrsflächenorganisation sowie der Benutzbarkeit (Bild 16). Es wird ersichtlich, dass die fußläufige ungefährdete Erreichbarkeit (braune, grüne und blaue Wege), insbesondere zu den zentralen Diensten im Stadtteil, einen dominanten Stellenwert bekommen hat. In den Sammelstraßen werden aktuell die Straßenbahnschienen bis in das Herz der Wohnquartiere verlegt. Freiraum und öffentlicher Raum im Siedlungsgebiet Der wohnnahe Freiraum, seien es proprietäre (also beschränkt oder gar nicht zugängliche) oder öffentliche Flächen, verdient in Gebieten dynamischer Stadtentwicklung eine besondere Betrachtung in seiner sozialen Nebenfunktion als identitätsstiftendes und gemeinschaftsbildendes Element im Siedlungsgefüge. Gerade in einer topographisch beengten Stadtanlage, die nach innen verdichtet und nach außen erweitert wird, braucht es neben gestalteten öffentlichen Grünanlagen auch informelle Erholungsräume, wie es hier extensive Offenlandschaften, das Innufer und die Schutzwälder darstellen. Die Physis der Bodennutzung sagt oft noch wenig über die Benutzbarkeit, z.B. von extensiven Offenflächen, und diese noch nicht alles über die tatsächliche Benutzung bzw. Aneignung durch die Bewohnerschaft aus. Erst aus einer solchen Beobachtung ergibt sich eine treffende Kategorisierung der Realnutzung; diese bedeutet also mehr als bloßes „Land Cover“. Eine solche Blickweise auf einen Planungsraum erlaubt, eine (dritte) Werteskalierung jenseits der land- und forstwirtschaftlichen Bodenwerte und Verwertbarkeit einerseits, der planungsrechtlichen Beschränkungen (wie u.a. Gefahrenzonen und Hinweisbereiche) aber auch jenseits der Naturschutz-Würdigkeit andererseits vorzunehmen. Da eine solche humanökologische Skalierung schwerer fassbar ist, wird sie manchmal im Planungsprozess städtebaulich unterschätzt. Augenfällig ist der Bedeutungswandel der Freiraumfunktionen im proprietären Nutzungsbereich von Einzelbauplätzen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Baugrund immer intensiver in Wert gesetzt und die bauliche Ausnutzung maximiert wird, Bild 13: Ausschnitt Wohngebäudetypologie am Lohbachweg: Transformation von der homogenen zur vielfältigen Einzelhaussiedlung. Quelle: Bestandsaufnahme 2013 im Auftrag der Stadt Innsbruck / PRISMA (Bearbeitung arp: Y. Toifl) 14 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum wobei immer mehr in extremen Hanglagen gebaut worden ist. Im Zuge dessen wird dann rund um die bzw. über den aufwändig schaffbaren Auto-Stellplätzen ein singulärer Wohnbau hochgezogen. Somit verliert der verbleibende Freiraum weitgehend seine Nutzbarkeit als wohnzugeordnete private Grünfläche und wird zur Hausbetriebsfläche. Dieser Aspekt ist auch bei Nachverdichtungen im Talbodenbereich zu bedenken. Autochthon entwickelte Flächensystematik Die vor Ort aufgenommenen Nutzungsgegebenheiten wurden in Hinblick auf einen ordnungso d e r g e s t a l t u n g s p o l i t i s c h e n Handlungsbedarf bzw. auf standortpolitisch mögliche Handlungsoptionen für den hoheitlichen Planungsträger interpretiert. Die inhaltliche Ausdifferenzierung der Nutzungskategorien baut auf den vorgefundenen Realnutzungen auf und ist additiv mit zunehmender Flächendeckung um neue Kategorien horizontal erweitert bzw. vertikal vertieft worden (Bild 17). Damit nicht nur ein Atlas mit einer Vielzahl von Themenblättern entsteht, ist dabei die funktionelle Wechselwirkung zwischen den Gestaltungsaufgaben, wie von Baudynamik und Freiraumentwicklung, Wohnformen und Mobilität oder die bauliche Repräsentation und der öffentliche Raum, Gegenstand einer verschränkten Bearbeitung gewesen, um die Siedlungstypologie in Hinblick auf die Entwicklungsoptionen zu erfassen. Prospektive Gebietstypologie als Synthese-Ergebnisse Die Erstellung der GIS-gestützten Bestandsaufnahme speziell für diesen Stadtteil war ein zweifacher Syntheseprozess. Zum Ersten hat die Realnutzungs- Bilder 14-15: Urbane Schwerpunktsetzungen mit der Peerhofsiedlung am Bergfuß (1980er Jahre) und an der Technikerstraße (1990er Jahre). © H. Dörr Bild 16: Ausschnitt Mobilitätsorganisation: Funktionale Verkehrsflächenkartierung für Hötting West. Quelle: Bestandsaufnahme 2013 im Auftrag der Stadt Innsbruck / PRISMA (Bearbeitung arp: A. Romstorfer) 15 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum AUTOR I NNEN Dr. Dipl.-Ing. Heinz Dörr Ingenieurkonsulent für Raumplanung und Raumordnung arp-planning.consulting.research Kontakt: heinz.doerr@arp.co.at Mag. Gerhard Fritz Amtsführender Stadtrat für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Integration der Landeshauptstadt Innsbruck Kontakt: gerhard.fritz@magibk.at Mag. Regina Hatheier-Stampfl Universität Salzburg Interfakultärer Fachbereich Geoinformatik - Z_GIS Kontakt: regina.hatheier-stampfl@sbg.ac.at Yvonne Toifl Raumplanerin arp-planning.consulting.research Kontakt: yvonne.toifl@arp.co.at kartierung der Qualifizierung des momentanen Standes der urbanen Transformation gedient und zum Zweiten wurden darauf verschiedene prospektive Optionen, die die einzelnen, als typisch identifizierten Siedlungsteile anbieten, herausgearbeitet, noch ohne diese mit den übergeordneten Entwicklungszielen der Stadt abzugleichen (Bild 18). Das beinhaltet natürlich auch restringierende oder abzuwägende Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung. So stellten sich verschiedene Typen von Siedlungsteilen heraus, wie solchen, deren Wachstumsentwicklung aus heutiger Sicht als abgeschlossen gelten kann mit dem Schwerpunkt auf Ersatz- und Erneuerungsdynamiken, des Weiteren Gebiete, in denen bauliche Verdichtungen und zentralörtliche Anreicherungen im Vordergrund stehen könnten und schließlich Gebiete, an die ins angrenzende Freiland Siedlungserweiterungen in Verbindung mit einer hochwertigen ÖV- Infrastruktur sinnvoll anknüpfen könnten. Nach Abschluss dieser Bestandsaufnahme wurden im Jahr 2014 die potenziellen kurz-, mittel- und langfristigen Möglichkeiten für Siedlungserweiterungen im Rahmen eines nachfolgenden Auftrages (Potenzialanalyse „Entwicklungsmöglichkeiten Hötting-West - Kranebitten - Harterhofplateau“, Kuëss Riepl Riepl Architekten / Rosinak & Partner Ziviltechniker GmbH / DND Landschaftsplanung ZT KG) gesamthaft untersucht und mit den langfristigen strategischen Entwicklungsvorstellungen der Stadt abgeglichen. Als erste Umsetzungsetappe hat sich dabei eine dichte urbane Weiterentwicklung am Talboden im Umfeld der geplanten Straßen-/ Regionalbahn und auf dem angrenzenden Bild 17: Ausschnitt der Realnutzungskartierung als Momentaufnahme der Siedlungstransformation Quelle: Bestandsaufnahme 2013 im Auftrag der Stadt Innsbruck / PRISMA (Bearbeitung arp: R. Hatheier-Stampfl, R. Kals) Bild 18: Ausschnitt Urbanistische Synthesekarte Quelle: Bestandsaufnahme 2013 im Auftrag der Stadt Innsbruck / PRISMA (Bearbeitung arp: H. Dörr) Harterhofplateau herausgestellt. Die weitere Konkretisierung der Planungen (Städtebau, Verkehrsplanung, Grün- und Freiraumplanung, Umwelt) für dieses Teilgebiet erfolgte 2015 in einem dritten Auftrag („Innsbruck Hötting West - Entwicklungsraum 1“) an dasselbe, um einen Kulturbautechniker erweiterte ExpertInnenteam. Im Frühjahr 2016 soll eine entsprechende städtebauliche Masterplanung beschlussreif gemacht werden. Damit soll die konkrete Grundlage für eine gedeihliche, urban qualitätsvolle Entwicklung vorliegen. Erster Teil des Artikels in Transforming Cities · Ausgabe 1/ 2016