Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0028
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Kommunale Daseinsvorsorge zeitgemäß begründen
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Jens Libbe
Die Bevölkerung wird mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser versorgt und die Abwasserbehandlung sichert die Stadthygiene. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch diese Systeme in Hinblick auf Umbauerfordernisse kritisch hinterfragt würden. Benötigt wird ein Verständigungsprozess darüber, wie die kommunale Daseinsvorsorge zeitgemäß zu interpretieren ist und welche Bedeutung die Wasserinfrastrukturen für energie- und ressourceneffiziente sowie klimaangepasste Städte besitzen.
tc120022
22 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Kommunale Daseinsvorsorge zeitgemäß begründen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gilt als Kernbestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge Abwasserentsorgung, Daseinsvorsorge, Transformation, Wasserinfrastruktur, Wasserversorgung Jens Libbe Die Bevölkerung wird mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser versorgt und die Abwasserbehandlung sichert die Stadthygiene. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch diese Systeme in Hinblick auf Umbauerfordernisse kritisch hinterfragt würden. Benötigt wird ein Verständigungsprozess darüber, wie die kommunale Daseinsvorsorge zeitgemäß zu interpretieren ist und welche Bedeutung die Wasserinfrastrukturen für energie- und ressourceneffiziente sowie klimaangepasste Städte besitzen. Bild 1: Das Versprechen allumfassender Daseinsvorsorge erscheint gerade im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung voll erfüllt. © pixabay 23 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Die Siedlungswasserwirtschaft in Deutschland hat mehrere Aufgaben zu erfüllen. Es gilt, den Bürgerinnen und Bürgern eine qualitativ einwandfreie und zugleich quantitativ ausreichende Versorgung mit Trinkwasser sicherzustellen. Das anfallende Abwasser ist so zu behandeln, dass es entweder weiter genutzt oder schadlos an die Umwelt abgegeben werden kann. Zudem sind die Siedlungen vor Überschwemmungen zu schützen und die vorhandenen Ressourcen in ihrer Qualität und, soweit als möglich, Quantität zu erhalten. Die Leistungen der Siedlungswasserwirtschaft werden heute in hoher Qualität angeboten. Dies wiederum findet seine Entsprechung in der großen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger als Kunden und ihrem Vertrauen in die (kommunalen) Unternehmen [1]. Das Versprechen allumfassender Daseinsvorsorge erscheint gerade im Bereich der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung voll erfüllt. Alle Bürgerinnen und Bürger profitieren von einer dauerhaft zugänglichen, preiswürdigen und auch demokratisch kontrollierten Dienstleistung. Historische Entwicklung Die technischen Einrichtungen der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, wie wir sie heute kennen, sind im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Sie stellten damals einen enormen Qualitätssprung gegenüber vorhandenen Anlagen in Form von Hausbrunnen oder Abzugsgräben dar. Wichtige Impulse erwuchsen aus dem Entstehen einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge sowie aus den Erkenntnissen über die Prävention von Krankheiten. Im Zuge der von England kommenden so genannten Hygienebewegung wurde der Versorgung mit unschädlichem Trinkwasser sowie der Beseitigung von Unrat und Abwässern in den Städten große Bedeutung zugemessen [2]. 1842 wurde in New York erstmals ein System von Aquädukten, Röhren und Speichern zur Versorgung von öffentlichen Brunnen, Haushalten und der Feuerwehr eingeweiht. In Deutschland waren es nicht zuletzt große Brandkatastrophen (z.B. Hamburg 1842), die die Notwendigkeit einer zentralen Wasserversorgung offenbarten. Bald begann in zahlreichen europäischen Großstädten der Bau von Wasserversorgungssystemen (Hamburg 1848, Paris 1853, London 1852, Berlin 1853, Dresden 1875). Mit der zunehmenden Verbreitung einer leitungsgebundenen Wasserversorgung wurde auch die Notwendigkeit einer Abwasserentsorgung offensichtlich, da die Ableitung der steigenden Abwassermengen über Rinnsteine, Gräben oder unbefestigte Straßen zu Unannehmlichkeiten und auch zu hygienischen Problemen führte. In Mitteleuropa setzte sich die Idee einer Schwemmkanalisation in Form eines Mischsystems, in dem gleichermaßen häusliche Abwässer, Fabrikabwässer und Regenwasser transportiert werden, im Laufe der Jahre durch (Hamburg 1843, Paris 1850, London 1857, Berlin 1877 und Dresden 1890). Allerdings bedeutete dies noch nicht, dass damit das Abwasser auch geklärt wurde. Entweder wurde es direkt in die Flüsse eingeleitet oder im Umfeld der Städte (etwa in Berlin) auf sogenannten Rieselfeldern versickert. Die wachsenden Belastungen der Flüsse führten dazu, dass flussabwärts gelegene Anrainer zunehmend Probleme hatten, den Flüssen Wasser in ausreichender Güte zu entnehmen. Infolge dieser Entwicklung setzten sich erste, zunächst noch sehr einfache Kläranlagen durch. Als 1892 aufgrund von verschmutztem Trinkwasser in Hamburg eine Choleraepidemie mit zahlreichen Toten ausbrach, lieferte das den Beweis, dass es einer Aufbereitung des Flusswassers bedarf, bevor dieses als Trinkwasser genutzt werden kann. Insbesondere das Abwasser aus der Industrie und aus Kokereien, etwa im Ruhrgebiet, warf weiterhin Probleme auf, und erst 1960 wurde das Wasserhaushaltsgesetz verabschiedet, in dessen Folge Abwasserbehandlungsanlagen der Siedlungswasserwirtschaft sukzessive ausgebaut wurden und Abwasser nicht nur einer mechanischen, sondern auch einer biologischen und chemischen Bild 2: Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden die technischen Einrichtungen der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, wie wir sie heute kennen. © pixabay 24 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Behandlung unterzogen wurde. So wurde eine „End of the Pipe“-Technologie realisiert, die jederzeit erweiterbar war und den Endpunkt des „Durchflussreaktors“ [3] Stadt bildete. Aktuelle Herausforderungen Mit der Installierung netzgebundener lokaler und regionaler Wasserversorgungsnetze ebenso wie mit der Etablierung der Schwemmkanalisation und der Abwasserreinigung in Abwasserbehandlungsanlagen wurden Systeme mit hoher Pfadabhängigkeit kreiert. Der Ausbau der Netze und Anlagen ist nach Jahrzehnten der kontinuierlichen Erweiterung weitgehend abgeschlossen. Sowohl auf der Trinkwasserseite als auch beim Abwasser liegen die Anschlussgrade an die öffentlichen Netze bei etwa 99 % der Bevölkerung. Leistungsunterbrechungen finden kaum statt. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch diese Systeme in Hinblick auf Umbauerfordernisse kritisch diskutiert würden. Handlungsbedarfe zeigen sich in verschiedener Hinsicht. Der Klimawandel führt in Deutschland dazu, dass es zukünftig vermehrt milde, feuchte Winter gefolgt von trockenen Sommermonaten, unterbrochen von häufigeren Extremwetterlagen mit Regen, Hagel und Starkwinden, aber auch extremen Hitzetagen geben wird. Dabei nehmen die regionalen Unterschiede dieser Ausprägungen zu. In wasserärmeren Regionen (etwa Teile Frankens) zeichnen sich bereits heute Phänomene der Wasserknappheit ab. Wenngleich bisher nur zeitlich begrenzt, ist nicht auszuschließen, dass diese den Ausbau von teuren Fernversorgungssystemen befördern könnten. Gravierender sind überlastete Kanäle in Folge von Starkregen mit innerstädtischen Überflutungen und gewässerschädigenden Mischwasserüberläufen. Die Lösungen dieser Herausforderungen liegen in einem sehr komplexen Bereich. Erforderlich sind Verbesserungen bei der Überwachung des Trinkwassers, um kurzfristige Schwankungen schneller zu erfassen. Versorgungsstrategien müssen potentiellen Auswirkungen des Klimas auf die Verfügbarkeit und Qualität von Wasserressourcen stärker als zuvor Rechnung tragen. Neben der Nutzung oder Schaffung von Retentionsräumen und der Optimierung der Kanalnetzsteuerung geht es darum, die Kanalnetze stärker zu entlasten. Es gilt, die Abwassersysteme so umzubauen, dass Niederschläge von versiegelten Flächen rasch abfließen können, ohne die Kanäle zu überlasten. Dies bedeutet eine möglichst umfassende Entflechtung von Schmutz- und Regenwasser und ein Regenwassermanagement mit entsprechenden Versickerungsmöglichkeiten. Der Wassergebrauch in Deutschland ist in den letzten Jahren erheblich gesunken. Regionale Rückgänge von 50 Prozent sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Ursächlich hierfür sind u.a. abnehmende Bevölkerungszahlen und sinkende gewerbliche Wasserbedarfe, aber auch effizientes Wasserrecycling im industriellen und gewerblichen Sektor. Dies führt mancherorts zu Unterauslastungen der siedlungswasserwirtschaftlichen Anlagen und Netze. Wo Überkapazitäten auftreten, sind sie mit betriebstechnischen Problemen verbunden. Die Anpassung der Kapazitäten ist dann der einzig erfolgversprechende Weg, um auch künftig Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die Wasserqualität bei weiter bezahlbaren Preisen zu sichern. Die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz gewinnt immer mehr an Bedeutung. Der spezifische Prokopf-Energiebedarf für Trinkwasserbereitstellung liegt bei rund 29 Kilowattstunden je Einwohner und Jahr, der durchschnittliche, spezifischer Stromverbrauch für Abwasserreinigung in einer ähnlichen Größenordnung bei 34 Kilowattstunden pro Einwohner und Jahr. Dies entspricht zusammen genommen einem prozentualen Anteil von 6,3 % des privaten Stromverbrauchs. Vor diesem Hintergrund ist auch die Siedlungswasserwirtschaft gefordert, ihren Beitrag zur Energiewende zu leisten. Abwasser enthält viel Energie. Diese „zurückzuholen“, kann ein Baustein einer klima- und ressourcenschonenden Stadttechnik sein. Hier geht es gleichermaßen um eine Steigerung der Energieeffizienz von Abwasseranlagen und um die Nutzung biogener Wasserinhaltsstoffe. Insbesondere Kläranlagen weisen ein hohes Energieeinsparpotenzial auf. Energie wird je nach Verfahrenstechnik in unterschiedlich großen Anteilen für Wärme und elektrische Energie Bild 3: Es gilt, die Abwassersysteme so umzubauen, dass Niederschläge von versiegelten Flächen rasch abfließen können, ohne die Kanäle zu überlasten. © pixabay 25 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement benötigt. Den Energieverbrauch bei der Abwasserentsorgung zu reduzieren, kann also den CO 2 -Ausstoß wirksam verringern. Kläranlagen sind jedoch nicht nur bedeutsame Energieverbraucher, sie können auch Energie liefern. Faulgase aus der Schlammbehandlung und durch Mitvergärung organischer Abfällen lassen sich für die Stromproduktion in Blockheizkraftwerken nutzen. Bei der Klärschlammverbrennung wird durch den Einsatz von Dampfturbinen Strom erzeugt. Die Überschusswärme aus den gewählten Prozessen der Abwasserreinigung und Schlammbehandlung eignet sich zum Beispiel für die Beheizung und Klimatisierung umliegender Gebäude. Im Abwasser enthaltene thermische Energie ist dort nutzbar, wo diese über entsprechende Wärmetauscher für die Wärmeversorgung genutzt werden kann. Die Rückgewinnung von Wärmeenergie aus Abwasser im Kanalnetz oder im Haus ist insofern interessant, als durch die verbesserte Wärmedämmung von Gebäuden in Zukunft kaum noch nennenswerte Heizwärmeverluste auftreten dürften und das einzig bedeutsame „Wärmeleck“ von Gebäuden das Abwasserrohr sein wird. Die Möglichkeiten der Abwasserwärmerückgewinnung hängen dabei stark von örtlichen Gegebenheiten ab. Im Abwasser sind zudem eine Reihe wichtiger Ressourcen enthalten, so etwa die Nährstoffe Phosphat, Nitrat und Kalium. Ihre Rückgewinnung in pflanzenverfügbarer Form kann einen wichtigen Beitrag zur Schließung von Stoffkreisläufen, insbesondere in der Landwirtschaft leisten. Phosphat und Kalium gelten in globaler Perspektive als Mangelressource und auch Nitrat könnte aufgrund seiner energieintensiven Herstellung bei steigenden Energiepreisen ein knappes Gut werden. Die Abwasserbehandlung sollte daher nicht allein dem Gewässerschutz unterworfen sein, sondern zur Verwertung von Nährstoffen beitragen. Organische Nano- und Mikroverunreinigungen sowie resistente Keime werden zunehmend in Grund- und insbesondere in Oberflächengewässern gemessen. Ihre Herkunftsbereiche sind mannigfaltig. u.a. Haushalte (Arzneimittel, Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel), Landwirtschaft (Biozide und Pestizide, Veterinärpharmaka), Gesundheitseinrichtungen, Produktionsstätten, Flamm- und Korrosionsschutz aus dem Baubereich, Straßenabwässer. Neben den diffusen Einträgen von Mikroschadstoffen (Landwirtschaft) gelangt ein Großteil dieser Stoffe über punktuelle Einträge aus der Kanalisation in die Oberflächengewässer. Ebenfalls zu nennen sind Einträge aus defekten Kanälen aus dem privaten wie öffentlichen Bereich ins Grundwasser. Investitionsbedarfe und Finanzierung Investitionsbedarfe und Finanzierung kommunaler Infrastrukturen sind ein politischer Dauerbrenner. Dies gilt nicht zuletzt für die Systeme der Wasserver- und Abwasserentsorgung. Die vorhandenen Investitionen in Netze und Anlage sind nach Ansicht vieler Experten nicht auskömmlich, um den Wertbestand zu erhalten. Wenngleich die Angaben je nach Quelle variieren, wird doch regelmäßig der drohende Substanzverlust thematisiert. Einem jährlichen Erneuerungsbedarf von 8,75 Mrd. Euro bei 80 Jahren Nutzungsdauer standen 2014 beispielsweise reale Investitionen von 4,8 Mrd. Euro gegenüber. Zugleich ist eine immer wieder aufflammende Debatte um Wasserpreise und Missbrauchsverfahren gegenüber einzelnen Versorgern zu konstatieren. Die Wasserbranche wiederum verweist mit Stolz darauf, dass die Abwassergebühren seit Jahren unter der Investitionsrate liegen. Die Gründe unzureichender Investitionstätigkeit sind unterschiedlich. Zu diesen zählen die knappe Finanzlage in vielen öffentlichen Kassen, das Politikversagen wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger mit finanziellen Beiträgen für die Daseinsvorsorge zu belasten, eine fehlende Priorisierung von Sanierungsmaßnahmen oder auch ein nicht zielgerichteter Einsatz von Finanzmitteln und damit mangelhaftes Management. Neuartige Systemlösungen Investitionsbedarfsschätzungen orientieren sich regelmäßig am notwendigen Werterhalt der vorhandenen Netze und Anlagen. Zugleich wird aber auch grundsätzlicherer Transformationsbedarf angemeldet. Sogenannte neuartige Systemlösungen zeichnen sich dadurch aus, dass Wasser bzw. Abwasser nicht mehr einheitlich behandelt werden, sondern verschiedene Teilströme unterschieden Bild 4: Der Klimawandel sorgt in Deutschland künftig für milde, feuchte Winter gefolgt von trockenen Sommermonaten mit häufigen Extremwetterlagen. © pixabay 26 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement werden. Abwasser wird dabei zur Ressource, stofflich oder energetisch. Dies umgesetzt entstünde ein differenziertes System, in dem parallel unterschiedliche Wasserqualitäten zur Versorgung bereitgestellt (Trinkwasser, Betriebswasser, Regenwasser) bzw. unterschiedliche Abwasserströme getrennt erfasst, abgeleitet und behandelt werden. Eine solche Differenzierung von Teilströmen wird als Ansatz gesehen, um in den Städten und Gemeinden vielfältigen Herausforderungen, wie demographische Veränderungen, Klimawandel, Energiewende und Ressourcenknappheit zu begegnen und das Wasserversorgungs- und Abwasserbehandlungssystem nachhaltiger zu gestalten. Integrierte Konzepte für Wasser, Abwasser und Energie sowie neuartige Sanitärsysteme werden derzeit im Rahmen verschiedener Modellvorhaben erprobt [4] und Räume für eine solche Transformation werden identifiziert [5]. Bei einer stärkeren Verbreitung solcher Lösungen würden die vorhandenen zentralen Abwasserentsorgungssysteme durch dezentralere Anlagen ergänzt. Im Ergebnis würde sich die Nutzung der natürlichen Wasserressourcen reduzieren, das Niederschlagswasser in die Nutzung einbezogen sein und die Energie- und Wertstoffpotenziale des Abwassers würden genutzt. Wieweit damit letztlich auch die Belastung der natürlichen Ressourcen Gewässer, Boden und Luft reduziert würde, bedarf weiterer Forschung. Derzeit jedenfalls ist eine solch umfassende Transformation allenfalls für ausgewählte Teilräume realistisch. Eine solche Transformation wäre weit mehr als der Erhalt und die Optimierung der Infrastruktur. Sie würde nicht nur Ersatzsondern zunächst einmal auch Erweiterungs- und Neubedarf mit sich bringen. Der Aufbau eines „Zweiten Netzes“ wird daher von Kritikern mit Blick auf damit verbundene Kostenverläufe in Abrede gestellt. Doch auch der teilräumliche Einsatz dieser Lösungen bedarf einer kommunal- und regionalwirtschaftlichen Betrachtung. Anders formuliert: im Sinne einer sparsamen Ressourcenbewirtschaftung sollte der Einsatz neuer Systemlösungen aus ökonomischer Perspektive gut begründet sein. Notwendigkeit kommunaler Leitbilder zur Zukunft von Wasserinfrastruktur und Daseinsvorsorge Das zentrale Merkmal von Leistungen der sogenannten Daseinsvorsorge ist es, dass ihre Bereitstellung in erster Linie dazu dient, die Bevölkerung und die Wirtschaft mit essentiellen beziehungsweise existenziellen Gütern und Dienstleistungen durch das Gemeinwesen zu versorgen. Grundlegend dabei sind der gleichberechtigte Zugang zu diesen Leistungen, akzeptable Preise, die Kontinuität und Universalität der Dienstleistung sowie die politische Steuerung und Kontrolle bzw. der Verbraucherschutz. Verfassungsrechtlich lässt sich die Daseinsvorsorge in dem als Staatsziel ausgestalteten Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes verorten. Ihre Konkretisierung erfährt sie in den Gemeindeordnungen der Bundesländer. Wie die Entwicklung der Wasserinfrastrukturen zeigt, hängt die Art und Weise der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge stark von technisch-historischen Gegebenheiten und daraus erwachsenen Pfadabhängigkeiten ab. Daseinsvorsorge ist dabei aber nichts Statisches, sondern bedarf stets aufs Neue ihrer Begründung. Dies betrifft im Fall der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung weniger das „Ob? “, sondern primär das „Wie? “. Wasserinfrastrukturen waren historisch durchaus prägend für die Entwicklung der Städte in Deutschland. Gleichwohl sind sie in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses geraten. Die relativ problemlosen Möglichkeiten des Ausbaus der Systeme im Einklang mit der siedlungsstrukturellen und wirtschaftlichen Entwicklung gaben wenig Anlass, vorhandene Strukturen zu hinterfragen. Technologische Alternativen in Verbindung mit klima- und energiepolitischen oder auch demografischen Herausforderungen lassen es heute jedoch angezeigt erscheinen, wieder genauer hinzuschauen, welche Beiträge eine zeitgemäße Wasserinfrastruktur für Wirtschaft und Gesellschaft jenseits rein angebotsorientierter Leistungsbereitstellung leisten kann. Bild 5: Daseinsvorsorge heißt, Bevölkerung und Wirtschaft mit essentiellen beziehungsweise existenziellen Gütern und Dienstleistungen durch das Gemeinwesen zu versorgen. © pixabay 27 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement An Infrastrukturen werden heute nicht mehr allein Ansprüche einer umfassenden Daseinsvorsorge gerichtet. Vielmehr sollen Infrastrukturen vermehrt dazu beitragen, auf Konsummuster einzuwirken und zu einer sparsamen Verwendung von Energie- und Ressourcen beizutragen. Mehr noch: in Anbetracht des wohl nicht mehr aufzuhaltenden Klimawandels bedarf es der vermehrten systemischen Integration nicht nur von Energie- und Wasserinfrastrukturen, sondern ebenso der Kopplung von grauer technischer mit grüner (z.B. Grünanlagen, Gründächer) und blauer (Wasserkörper, Gewässer), um Starkniederschläge oder Hitzeperioden zu mindern. Insofern erscheint es lohnenswert, in den Kommunen Dialogprozesse zur Verständigung über die zukunftsfähige Ausgestaltung der Wasserinfrastrukturen anzustoßen. Dieses ist dann weniger eine ingenieurtechnische als vielmehr eine stadt- und raumentwicklungspolitische Aufgabe. Im Zentrum sollten grundlegende Leitlinien der künftigen Wasserinfrastrukturentwicklung und der Integration von Stadt- und Infrastrukturplanung stehen. Die skizzierten Optionen neuartiger Systemlösungen können in diesem Zusammenhang in städtischen Teilräumen erprobt werden. LITERATUR [1] ATT (Arbeitsgemeinschaft Trinkwassertalsperren e. V.), BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.), DBVW (Deutscher Bund der verbandlichen Wasserwirtschaft e. V.), DVGW (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e. V. - Technisch-wissenschaftlicher Verein), DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.), VKU (Verband kommunaler Unternehmen e. V.) (Hrsg.) (2015): Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft. Bonn. (abrufbar unter: https: / / w w w.bdew.de/ internet.nsf/ res/ 1EF08743 E7477878C1257E1200438C17/ $file/ Branchenbild_ Wasserwirtschaft_2015.pdf). [2] Schott, D.: Wege zur vernetzten Stadt - technische Infrastruktur in der Stadt aus historischer Perspektive, in: Informationen zur Raumentwicklung (IzR), H. 5: Zukunft städtischer Infrastruktur, 2006, S. 249-257. [3] Kluge, T., Schramm, E.: Geschichtlicher Exkurs zur Genese der bestehenden Systeme, in: Kluge, T., Libbe, J. (Hrsg.) (2006): Transformation netzgebundener Infrastruktur: Strategien für Kommunen am Beispiel Wasser, Berlin (Difu-Beiträge zur Stadtforschung, Bd. 45), 2010, S. 33-36. [4] Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.), Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förd.) (2016), Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Ergebnisse aus den INIS- Projekten, Berlin (http: / / www.bmbf.nawam-inis.de/ de/ publikationen). [5] siehe netWORKS3: Intelligentewasserwirtschaftliche Systemlösungen in Frankfurt am Main und Hamburg; http: / / www.networks-group.de/ de Dr. Jens Libbe Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Bereichsleiter Infrastruktur und Umwelt Kontakt: libbe@difu.de AUTOR Bild 6: Die Broschüre zur BMBF-Fördermaßnahme „Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung“ steht auf der Seite www.bmbf.nawam-inis.de zum Download bereit. © BMBF
