Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0030
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Wasserwirtschaftliche Nachhaltigkeit in Metropolen am Beispiel Hamburgs
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Niels-Peter Bertram
Katarina Lange
Die heutige urbane Wasserwirtschaft ist starken Veränderungsprozessen unterworfen: Zunehmend limitierte (Trink-)Wasserressourcen, fortschreitende Versiegelung und Wasserverschmutzung durch Wachstum, Überschwemmungsrisiken sowie der Klimawandel sind nur einige der Herausforderungen, die nach neuen Lösungen und Antworten verlangen. Trotz erheblicher Anstrengungen in der Vergangenheit steht die Freie und Hansestadt Hamburg hier vor großen Herausforderungen. 2011 wurde Hamburg der Titel „European Green Capital“ von der EU-Kommission auf Grund der besonderen Anstrengungen und Ziele der Stadt hinsichtlich Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz verliehen. Auch beim Blue City Index 2013, einer Vergleichsstudie mehrerer europäischer Metropolen, schnitt Hamburg mit sehr gutem Ergebnis ab. Doch Stillstand bedeutet heute Rückschritt. Dieser Artikel beschreibt aktuelle Aktivitäten in Hamburg zur Erreichung einer nachhaltigen und resilienten, d.h. klimaangepassten Wasserwirtschaft.
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32 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Bild 1: Die Alster im Zentrum von Hamburg © HAMBURG WASSER Wasserwirtschaftliche Nachhaltigkeit in Metropolen am Beispiel Hamburgs Wasserwirtschaft, Klimawandel, Anpassungsstrategien, Hochwasserschutz, Hamburg Niels-Peter Bertram, Katarina Lange Die heutige urbane Wasserwirtschaft ist starken Veränderungsprozessen unterworfen: Zunehmend limitierte (Trink-)Wasserressourcen, fortschreitende Versiegelung und Wasserverschmutzung durch Wachstum, Überschwemmungsrisiken sowie der Klimawandel sind nur einige der Herausforderungen, die nach neuen Lösungen und Antworten verlangen. Trotz erheblicher Anstrengungen in der Vergangenheit steht die Freie und Hansestadt Hamburg hier vor großen Herausforderungen. 2011 wurde Hamburg der Titel „European Green Capital“ von der EU-Kommission auf Grund der besonderen Anstrengungen und Ziele der Stadt hinsichtlich Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz verliehen. Auch beim Blue City Index 2013 [1], einer Vergleichsstudie mehrerer europäischer Metropolen, schnitt Hamburg mit sehr gutem Ergebnis ab. Doch Stillstand bedeutet heute Rückschritt. Dieser Artikel beschreibt aktuelle Aktivitäten in Hamburg zur Erreichung einer nachhaltigen und resilienten, d.h. klimaangepassten Wasserwirtschaft. 33 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Die Stadt Hamburg Die Freie und Hansestadt Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands mit etwa 2,05 Mio. Einwohnern inklusive versorgten Umlandgemeinden. Die Jahresniederschlagsmenge beträgt 773 mm, die durchschnittliche Tagestemperatur im Juli 18 °C und 2 °C im Januar. Hamburg betreibt den drittgrößten Hafen Europas, der eine große wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt hat. Die Bevölkerungszahl ist leicht zunehmend [2]. HAMBURG WASSER (HW) ist das kommunale Trinkwasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsunternehmen in Hamburg. 100 % der Bevölkerung sind an das Trinkwassernetz angeschlossen, in das rund 118 Mio. m 3 Trinkwasser pro Jahr eingespeist werden. Das Trinkwasser stammt zu 100 % aus Grundwasser (siehe Bild 2), hiervon kommen 40 % aus Flach- und 60 % aus Tiefbrunnen. Insgesamt betreibt HW 16 Wasserwerke und ein Versorgungsnetz mit einer Gesamtlänge von 5412 km. Aktuell ist der Schutz der Trinkwasserbrunnen vor einer Versalzung aus unterirdischen Salzstöcken eine große Herausforderung. 99 % der Bevölkerung sind an die zentrale Kanalisation mit anschließender Abwasserreinigung Hamburg in Zahlen Bevölkerung mit versorgtem Umland (Mio) 2.05 Durchschnittliche Regenmenge (mm) 773 Jahresdurchschnittstemperatur °C) 9 Bevölkerungsdichte (Einwohner/ km 2 ) 230 Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in Hamburg Trinkwasser Abwasser Versorgungsgebiet (Trinkwasser) km 2 1200 Einzugsbereich (Abwasser) km 2 1400 Versorgungen (Anschlüsse) 677 000 Entsorgte Grundstücke 700 000 Angeschlossene Bevölkerung (%) 100 Angeschlossene Bevölkerung (%) 99 Verbrauch (m 3 ) pro Person und Jahr 52,6 Erfasstes Abwasser (m 3 / Einwohner und Jahr) 75 Netzeinspeisemenge (Millionen m 3 / Jahr) 118 Behandelte Abwassermenge (Millionen m 3 ) 141 Wasserverluste (m 3 ) pro Anschluss und Jahr 7,2 Gesamter Klärschlammanfall (t. TS pro Jahr) 46 900 Wasserverluste (%) 4,4 Thermisch behandelte Klärschlammmenge (t. TS pro Jahr) 46 900 Durchschnittliches Netzalter (a) 43 Durchschnittsalter des Abwassersystems (a) 46 Anzahl der Wasserwerke 16 Anzahl der Kläranlagen 4 Wasserpreis (€/ m 3 ), netto (ab 01.01.2016) 1,71 Abwassergebühr (€/ m 3 ) 2,09 Niederschlagswassergebühr (€/ m 2 versiegelte Fläche) pro Jahr 0,73 Netzlänge (km) 5412 Länge von Mischwasserkanälen (km) 1216 Trinkwasseranteil aus Flachbrunnen (%) 40 Länge von Regenwasserkanälen (km) 1710 Trinkwasseranteil aus Tiefbrunnen (%) 60 Länge von Schmutzwasserkanälen (km) 2224 Tabelle 2: Kennzahlen zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in Hamburg [2] Tabelle 1: Hamburger Basisdaten [2, 3] angeschlossen. Es fallen dabei rund 75 m 3 Abwasser pro Person und Jahr an. HAMBURG WASSER betreibt vier Kläranlagen in denen etwas mehr als 140 Mio. m 3 Abwasser jährlich behandelt werden [3]. Der gesamte anfallende Klärschlamm wird thermisch verwertet. Das Ableitungssystem besteht aus Misch-, Schmutzwasser- und Regenwasserkanälen mit einer Gesamtlänge von rund 5620 km. Aufgrund des zum Teil recht hohen Alters einiger Kanäle liegt ein Aufgabenschwerpunkt in der Erneuerung und Sanierung der Kanalisation. HW ist für die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung in Hamburg verantwortlich. Weitere wichtige wasserwirtschaftliche Institutionen in der Stadt sind die Behörde für Umwelt und Energie (BUE), der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), die Hamburg Port Authority (HPA) und die Bezirksämter als Untere Wasserbehörden. Bild 2: Rohwasserförderung und Einwohnerzahlen © HAMBURG WASSER 34 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Aktuelle wasserwirtschaftliche Herausforderungen HAMBURG WASSER und seine Partner stellen sich folgenden besonderen wasserwirtschaftlichen Herausforderungen: Zunehmende Flächenversiegelung: Nach aktuellen Klimavorhersagen wird es in Hamburg zukünftig insbesondere im Hochsommer zu intensiveren Starkregenereignissen kommen. In Verbindung mit der fortschreitenden Versiegelung bisheriger Freiflächen könnte die Kanalisation häufiger überlastet werden und infolge dessen beispielsweise Keller und Straßen überfluten. Zusätzlich trägt die Flächenversiegelung auch zur Aufheizung der Innenstädte im Sommer bei. Abwasser: Um den zukünftigen Bedarf an Nährstoffen wie Phosphor und Stickstoff nachhaltig und umweltverträglich sicher zu stellen, ist es wichtig, die Rückgewinnung der im Abwasser enthaltenen Nährstoffe zu steigern. In der aktuellen Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung von 2013 ist die Steigerung der Phosphorrückgewinnung aus Abwasser ausdrücklich festgehalten [5]. Mit dem Projekt HAMBURG WASSER Cycle ® in der Jenfelder Au (siehe Seite 36) sowie einer Pilotanlage zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammasche stellt sich HW dieser Herausforderung. Ein allgemeines Problem der Großstädte ist die Einhaltung der Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Die meisten Gewässer haben keinen guten ökologischen Zustand und nur ein geringes ökologisches Potenzial. Sie sind oft anthropogen überformt, begradigt oder befestigt. Bei Trockenwetter dominieren Einleitungen von gereinigten Abwässern und Drainagen. Bei Regenwetter sind insbesondere die Abflüsse von Hauptverkehrsstraßen stofflich und hydraulisch sehr belastend für die Gewässer. Demographie: Nicht nur die Infrastruktur in der Stadt wird immer älter, sondern auch die Bevölkerung. Dies bedeutet, dass bei der Erneuerung der Infrastruktur auch die Bedürfnisse der älter werdenden Bevölkerung berücksichtigt werden müssen, wie zum Beispiel ein sinkender Pro-Kopf-Wasserverbrauch oder eine Steigerung des Medikamentenkonsums. Trinkwasser: Die in einigen Gebieten Hamburgs vorkommenden Salzstöcke führen zu einer Versalzung der sie umgebenden Grundwasservorkommen. Wenn in der Nähe dieser Salzstöcke liegende Brunnen viel Grundwasser fördern, muss der Salzgehalt im Untergrund kontinuierlich beobachtet werden, um einen Anstieg des Salzgehaltes und eine Ausbreitung des versalzten Grundwassers zu verhindern. Moderne Computermodelle geben für eine nachhaltige Betriebsführung wichtige Hinweise: Bevor neue Brunnen in Betrieb gehen, werden diese auf ihren Einfluss auf mögliche Versalzungseffekte hin überprüft. Nichtsdestotrotz ist es in einer hochverdichteten Stadt wie Hamburg sehr schwierig geworden, Grundstücke an geeigneten Standorten für neue Trinkwasserbrunnen zu finden. Energie: Energieeffizienz, Energierückgewinnung und die Steigerung der Energieproduktion sind insbesondere bei einem energieintensiven Prozess wie der Abwasserreinigung in den Klärwerken von großer Bedeutung. Neue Technologien werden von HAMBURG WASSER in einem kontinuierlichen Ver- Bild 4: Windenergiegewinnung auf dem Hamburger Klärwerk Köhlbrandhöft. © HAMBURG WASSER 1800 1860 1200 1600 35 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement besserungsprozess entwickelt und umgesetzt. 2011 wurde Hamburgs zentrale Abwasserbehandlungsanlage „Köhlbrandhöft-Dradenau“ (2,7 Mio. Einwohnergleichwerte) kohlenstoffneutral. Viele Projekte waren über die klassische Klärgasnutzung hinaus notwendig, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen. Unter anderem: Abwärme vom Klärschlammverbrennungsprozess wird genutzt, um ein nahe gelegenes Containerterminal mit Wärme zu versorgen. Drei Windturbinen (zwei mit 2.5 MW, eine mit 3 MW, je 140 m hoch, 100 bis 117 m Rotordurchmesser) auf den Kläranlagen Dradenau und Köhlbrandhöft produzieren 24 000 MWh p.a. elektrische Energie. Überschüssiges Faulgas wird gereinigt, in Biomethan umgewandelt und in das örtliche Gasnetz eingespeist. Mehr als 120 Betriebsfahrzeuge werden mit Gas betrieben, das Motto von HAMBURG WASSER lautet „Ihr Abwasser ist unser Antrieb“. Integriertes Regenwassermanagement (IRWM): Das IRWM verfolgt das Ziel, einen möglichst naturnahen lokalen Wasserhaushalt in der Stadt durch eine stärkere Fokussierung auf die ortsnahe Versickerung und Verdunstung gegenüber der direkten Ableitung von Niederschlägen zu ermöglichen und so zum Gewässerschutz und Überflutungsschutz beizutragen. Hier fließen zusätzlich Maßnahmen zur Vermeidung oder Verringerung des Eintrages von Schmutzstoffen in Gewässer und Maßnahmen der Überflutungsvorsorge mit ein. Zur Erreichung dieser und weiterer Ziele haben HAMBURG WAS- SER und die Behörde für Umwelt und Energie das Projekt RISA (RegenInfraStrukturAnpassung) - siehe Seite 40 - ins Leben gerufen. SYNOPSE: Ziel des Forschungsprojektes SYNOP- SE ist eine Verbesserung der Datengrundlage für die Planung und den Betrieb von Stadtentwässerungssystemen. Zur optimalen Dimensionierung der Abwasserkanäle sind gute Daten entscheidend. Gerade Niederschlagsdaten, die als zentrale Belastungsgröße bedeutenden Einfluss auf das Planungsergebnis haben, stehen aber oft nur lückenhaft zur Verfügung. Das Projekt SYNOPSE entwickelt künstliche Regenzeitreihen in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung, welche die Charakteristik natürlichen Regens widerspiegeln. Das Kanalnetzmodell der Stadt Hamburg dient dabei, neben den Modellen weiterer Großstädte Deutschlands, als Teststrecke für künstlichen Regen. LITERATUR [1] Van Leeuwen, C.J.: City Blueprints: baseline assessment for water management in 11 cities of the future. Water Resources Management 27: 5191-5206 DOI 10.1007/ s11269-013-0462-5, 2013. [2] Van Leeuwen, C.J., Bertram, N.-P.: Wasserwirtschaftliche Grundlagenuntersuchung europäischer Metropolen und Regionen - Ergebnisse für Hamburg. DVGW Jahresrevue Dezember 2013. [3] HAMBURG WASSER; HAMBURG ENERGIE 2014. Geschäftsbericht. [4] Kruse, E.: Integriertes Regenwassermanagement für den wassersensiblen Umbau von Städten. Fraunhofer IRB Verlag. Stuttgart, 2015. [5] CDU; CSU; SPD. 2013. Koalitionsvertrag: Deutschlands Zukunft gestalten. [6] BMBF 2013. INIS: Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Bild 3: Städtebauliche Entwicklung in Hamburg, © Elke Kruse [4] Dipl.-Ing. Niels-Peter Bertram Projektleiter Wasserwirtschaftliche Kooperationen HAMBURG WASSER Kontakt: niels-peter.bertram@hamburgwasser.de M.Sc. Katarina Lange Technische Trainee HAMBURG WASSER Kontakt: katarina.lange@hamburgwasser.de AUTOREN 1910 1955 2008
