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Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0031
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Kreislaufwirtschaft in der Abwasserbehandlung

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Maika Wuttke
Malina Meier
Der Bedarf an integrierten und nachhaltigen Gestaltungskonzepten urbaner Lebensräume ist in den letzten Jahren gestiegen. Stadtentwicklungsprojekte bieten eine Plattform zur Erprobung zukunftsfähiger Konzepte. Während der Fokus schon lange auf energieautarken Quartieren liegt, steht die Abwasserbehandlung selten im Mittelpunkt der Projekte, obwohl sich schon jetzt abzeichnet, dass langfristig Alternativen zum bestehenden System aus Mischkanalisation und Freispiegelkanälen vorteilhafter sein können. Wie ist es möglich, die Abwasserbehandlung der Zukunft mit den Anforderungen Nährstoffrückgewinnung, Entfernung von Medikamentenrückständen und verminderter Energieaufwand zu gestalten? Eine innovative und integrierte Lösung auf Quartiersebene stellt das Hamburg Water Cycle ® (HWC) Konzept dar. Im Stadtentwicklungsprojekt Jenfelder Au in Hamburg wird das HWC Konzept derzeit großtechnisch umgesetzt. Bei diesem Pilotprojekt werden Möglichkeiten, Relevanz und Nachhaltigkeit teilstrombasierter und ressourcenorientierter Abwasserbehandlung unter sich wandelnden klimatischen und demographischen Rahmenbedingungen demonstriert und bearbeitet.
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36 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Kreislaufwirtschaft in der Abwasserbehandlung Die großtechnische Umsetzung des Hamburg Water Cycle ® in der Jenfelder Au in Hamburg Abwasserbehandlung, Kreislaufwirtschaft, Trennkanalisation, Unterdrucktechnik, Hamburg Maika Wuttke, Malina Meier Der Bedarf an integrierten und nachhaltigen Gestaltungskonzepten urbaner Lebensräume ist in den letzten Jahren gestiegen. Stadtentwicklungsprojekte bieten eine Plattform zur Erprobung zukunftsfähiger Konzepte. Während der Fokus schon lange auf energieautarken Quartieren liegt, steht die Abwasserbehandlung selten im Mittelpunkt der Projekte, obwohl sich schon jetzt abzeichnet, dass langfristig Alternativen zum bestehenden System aus Mischkanalisation und Freispiegelkanälen vorteilhafter sein können. Wie ist es möglich, die Abwasserbehandlung der Zukunft mit den Anforderungen Nährstoffrückgewinnung, Entfernung von Medikamentenrückständen und verminderter Energieaufwand zu gestalten? Eine innovative und integrierte Lösung auf Quartiersebene stellt das Hamburg Water Cycle ® (HWC) Konzept dar. Im Stadtentwicklungsprojekt Jenfelder Au in Hamburg wird das HWC Konzept derzeit großtechnisch umgesetzt. Bei diesem Pilotprojekt werden Möglichkeiten, Relevanz und Nachhaltigkeit teilstrombasierter und ressourcenorientierter Abwasserbehandlung unter sich wandelnden klimatischen und demographischen Rahmenbedingungen demonstriert und bearbeitet. Bild 1: Kreisläufe im Hamburg Water Cycle ® . © HAMBURG WASSER 37 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Das HWC-Konzept Das HWC-Konzept baut auf zwei Leitgedanken auf: Kreislaufwirtschaft und Stoffstromtrennung greifen ineinander, um die Ressourcen im Abwasser bestmöglich zu nutzen. Die getrennte Erfassung von Schwarzwasser, Grauwasser und Regenwasser macht eine individuelle Behandlung der Abwasserströme je nach Verschmutzungsgrad möglich, wie in Bild 1 dargestellt. So entsteht im HWC-Anschlussgebiet ein Wasser-Energie-Nährstoff-Nexus. Abwasser aus Toiletten, das sogenannte Schwarzwasser, ist der am stärksten verschmutzte Abwasserstrom. Etwa 75-90 % des im Haushaltsabwasser vorkommenden Phosphors sind im Schwarzwasser enthalten - zudem organisches Material und Mikroorganismen. Beim HWC-Konzept wird Schwarzwasser zu Biogas vergoren. Dieses Biogas wird zur Produktion von elektrischer Energie und Heizenergie genutzt, während die Nährstoffe aus dem flüssigen Gärrest beispielsweise in Form von Flüssigdünger zurückgewonnen werden können. Grauwasser ist das übrige anfallende Haushaltsabwasser - zum Beispiel aus Duschen und Waschmaschinen. Mit CSB-Gehalten von etwa 630 mg/ L ist Grauwasser weniger verschmutzt als Schwarzwasser. Daher kann es mit weniger Aufwand gereinigt werden als gemischtes Abwasser. Eine dezentrale Wiederverwendung des Grauwassers ist ebenfalls möglich. Die Energieeinsparungen der Grauwasserbehandlung im Vergleich zur Behandlung gemischten Abwassers wirken sich wesentlich auf die positive Energiebilanz des HWC-Konzeptes aus. Regenwasser wird beim HWC in naturnahen Kreisläufen geführt. Dadurch kann das Mikroklima von Quartieren verbessert werden und eine aufwändige Behandlung entfällt. Die großtechnische Umsetzung des HWC in der Jenfelder Au Das Projektgebiet „Jenfelder Au“ umfasst ein ehemaliges Kasernengelände. Auf 35 ha wird dort das HWC-Konzept für etwa 2500 zukünftige Einwohner umgesetzt. Die ambitionierten Klimaziele der Stadt Hamburg und das soziale Konzept dieses Stadtentwicklungsgebiets bieten einen idealen Rahmen, um erstmals das innovative HWC-Konzept im großtechnischen Maßstab umzusetzen. Für die Implementierung in der Jenfelder Au wurde das HWC-Konzept optimiert und an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Die Umsetzung wurde durch die Forschungsvorhaben KREIS (BMBF), En: Eff Stadt (BMWI) gefördert und wird baulich durch die Förderungsmaßnahme Life+ (EU) begleitet. Das wichtigste Merkmal der Optimierung des HWC für das Projekt Jenfelder Au ist die Schwarzwassererfassung über Unterdrucktoiletten und -leitungen. Weil Unterdrucktoiletten nur etwa einen Liter Wasser pro Spülvorgang verbrauchen, enthält das Schwarzwasser CSB-Konzentrationen von bis zu 9000 mg/ L und Trockensubstanzgehalte von etwa 7000 mg/ L. Erwartet wird, dass pro Person und Tag etwa 6-8 L Schwarzwasser anfallen, das sich optimal für die Vergärung im Biogasreaktor eignet. Das Unterdrucknetz in der Jenfelder Au wurde von HAMBURG WASSER optimiert, um einen verlässlichen Betrieb und gute Wartungsmöglichkeiten zu garantieren. In der zentralen Unterdruckstation auf dem Betriebshof wird in zwei Tanks der notwendige Unterdruck erzeugt. Aufgrund der Höhenunterschiede in der Jenfelder Au werden diese mit unterschiedlichen Betriebsdrücken betrieben - dadurch ist eine Energieeinsparung von etwa 30 % möglich [1]. Im Störungs- oder Wartungsfall ist die Bereitstellung des Unterdruckes außerdem durch nur einen der beiden Unterdrucktanks realisierbar. Auch die Unterdrucknetze wurden teilweise redundant konzipiert - etwa 20 % Redundanz im Netz sowie im Abstand von 20-50 m installierte Absperrventile garantieren eine gute Wartbarkeit der Netze und die Begrenzung des betroffenen Gebietes im Störfall. Die Verbindungen zwischen den Hauptleitungen ermöglichen einen flexiblen Betrieb der Unterdrucknetze. Die Unterteilung des Unterdrucknetzes in Stränge erleichtert darüber hinaus die Überwachung des Netzes. Bild 2 zeigt das Unterdrucknetzwerk in der Jenfelder Au. Bild 2: Unterdrucknetz Jenfelder Au. © HAMBURG WASSER 38 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Auf dem Betriebshof der Jenfelder Au befindet sich neben der zentralen Unterdruckstation auch der Fermenter zur anaeroben Schwarzwasservergärung. Dort sollen neben dem Schwarzwasser aus dem Quartier auch urbane Co-Substrate, wie Fettabscheiderrückstände aus der lokalen Gastronomie, vergoren werden. Ein Blockheizkraftwerk auf dem Betriebshof erzeugt aus dem Biogas elektrische Energie und Heizenergie. Die dezentrale Schwarzwasserbehandlung ermöglicht kurze Transportdistanzen - sowohl für das Abwasser im Unterdrucknetz, als auch für die Heizenergie aus dem Biogas, die nach Möglichkeit direkt im Quartier eingesetzt werden soll. Das Grauwasser wird in der Jenfelder Au über konventionelle Freispiegelkanäle transportiert. Für die dezentrale, energieeffiziente Grauwasserbehandlung kommen beispielsweise Tropfkörper in Frage. Die optimale Ausführung der Grauwasserbehandlung für die Jenfelder Au soll im Rahmen der weiteren Forschungsarbeiten am Projekt erarbeitet werden, sobald die ersten Einwohner im Quartier leben. Das Regenwasser bekommt in der Jenfelder Au neben dem Kreislaufgedanken eine gestalterische Bedeutung. Der Bebauungsentwurf des Architekturbüros West8, der den städteplanerischen Wettbewerb für die Jenfelder Au gewonnen hat, bindet das Wasser explizit in den urbanen Lebensraum mit ein. Offene Gewässer lockern das urbane Erscheinungsbild der Jenfelder Au auf und schaffen attraktive Erholungsflächen. Dafür wird das Regenwasser in offenen, geschwungenen Wasserläufen, der „Kühnbachkaskade“ in das zentrale Rückhaltebecken „Kühnbachteich“ geleitet. Eine Vision, wie das Leben am Wasser in der Jenfelder Au aussehen könnte, ist in Bild 3 dargestellt. Ausblick Der Spatenstich für den Baubeginn in der Jenfelder Au hat im September 2013 stattgefunden. Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden die gesamten Unterdrucknetze und Grauwassersiele fertiggestellt und die Vakuumtanks geliefert und eingebaut. Bild 4 zeigt einen Abschnitt der verlegten Leitungen. In Bild 5 sind die Vakuumtanks in der entstehenden Unterdruckstation zu sehen. Die Unterdruckstation auf dem Betriebshof wird im April 2016 fertiggestellt, so dass das Entwässerungssystem ab diesem Zeitpunkt betriebsbereit ist. Parallel dazu finden die ersten Hochbauarbeiten statt, sodass ab Anfang 2017 die ersten Bewohner einziehen können. Durch den Pilotprojektcharakter der Jenfelder Au mussten einige Herausforderungen gemeistert werden, die eine zukünftige Realisierung von HWC Pro- Bild 3: Vision Jenfelder Au (© West8) Bild 4: Verlegung der Vakuumleitungen (Februar 2015). © HAMBURG WASSER Bild 5: Vakuumtank in der Unterdruckstation (März 2016). © HAMBURG WASSER 39 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement jekten erleichtern werden: Ein laufendes Verfahren zur Änderung des Hamburgischen Abwassergesetzes soll die rechtliche Grundlage für den Einsatz von Unterdrucktoiletten schaffen. Informations- und Schulungsmaterial zum HWC für die beteiligten Gewerke und für interessierte Anwohner sorgt für eine gute Akzeptanz der Unterdrucktechnik und schafft technisches Know-How, das für zukünftige Umsetzungen dieser Technik wichtig ist. LITERATUR [1] Giese, T., Kuck, W., Li, Z., Schoenfelder, W.: Intelligente Überwachung im Vakuumnetz - Stadtquartier erzeugt Hälfte des Energiebedarfs selbst. Deutsches Ingenieurblatt, 9, 2014. Dipl.-Ing. Maika Wuttke Projektingenieurin Projekt Jenfelder Au HAMBURG WASSER Kontakt: maika.wuttke@hamburgwasser.de Malina Meier Qualitäts- und Energiemanagement HAMBURG WASSER Kontakt: malina.meier@hamburgwasser.de AUTORINNEN Especially for you - for free. Stand-alone English-language editions of Internationales Verkehrswesen appear under the title of International Transportation. These special issues should provide a new momentum and stimulate a worldwide interdisciplinary discussion of the challenges currently facing transport and logistics. The publications bring together practical and professional views and different perspectives presented by authors from business and industry, science and politics. These articles will be complemented by interviews, commentaries, surveys and analyses. International Transportation is targeted at planners and decision makers in municipalities, communities, public authorities and other institutions, municipal and commercial transport providers, planning groups, engineers, scientists and students. PDF / e-book: cost-free download from the website of Internationales Verkehrswesen and additionally by e-mail to the target groups at partnering institutions across the world. Internationales Verkehrswesen and International Transportation are publications of TRIALOG: PUBLISHERS, Munich Download: www.internationalesverkehrswesen.de/ english Anzeige