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Transforming cities
tc
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0034
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2016
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Smart Cities brauchen smarte Infrastrukturen

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2016
Günter Müller-Czygan
Keno Strömer
Ein großer Teil des Vermögens von Kommunen und Städten – die Wasser- und Abwasserinfrastruktur – ist für die Bürger nicht sichtbar in der Erde vergraben. Die kommunalen Ver- und Entsorgungsanlagen wurden in der Vergangenheit für lange Zeithorizonte geplant und bemessen – entsprechend der erwarteten Bevölkerungsentwicklung, Annahmen zu Industrialisierung und zu Niederschlagseinflüssen. Allerdings zeigt sich, dass die spürbaren Folgen des Klimawandels, verändertes Konsumentenverhalten oder die demografische Entwicklung schon jetzt neue Anforderungen stellen, denen die bestehenden Systeme nicht mehr gerecht werden. Die Lösung: Versorgungssysteme müssen schnell und flexibel an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden. Dazu bedarf es einer guten Datengrundlage, um bei Zukunftsinvestitionen auf der sicheren Seite zu sein.
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50 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Smart Cities brauchen smarte Infrastrukturen Förderprojekt KOMMUNAL 4.0 digitalisiert die kommunale Wasserwirtschaft Infrastruktur, Wasserversorgung, Abwasserbehandlung, Digitalisierung Günter Müller-Czygan, Keno Strömer Ein großer Teil des Vermögens von Kommunen und Städten - die Wasser- und Abwasserinfrastruktur - ist für die Bürger nicht sichtbar in der Erde vergraben. Die kommunalen Ver- und Entsorgungsanlagen wurden in der Vergangenheit für lange Zeithorizonte geplant und bemessen - entsprechend der erwarteten Bevölkerungsentwicklung, Annahmen zu Industrialisierung und zu Niederschlagseinflüssen. Allerdings zeigt sich, dass die spürbaren Folgen des Klimawandels, verändertes Konsumentenverhalten oder die demografische Entwicklung schon jetzt neue Anforderungen stellen, denen die bestehenden Systeme nicht mehr gerecht werden. Die Lösung: Versorgungssysteme müssen schnell und flexibel an die sich verändernden Rahmenbedingungen angepasst werden. Dazu bedarf es einer guten Datengrundlage, um bei Zukunftsinvestitionen auf der sicheren Seite zu sein. Bild 1: KOMMUNAL 4.0 - Vernetzung in smarten Infrastrukturen. © HST 51 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Hilfe der Digitalisierung entgegen gewirkt werden. Basierend auf der Entwicklung einer webbasierten Daten- und Serviceplattform werden intelligente Algorithmen zur Datenanalyse unterschiedlicher Quellen entstehen. So wird eine optimierte, automatisierte und ganzheitliche Erfassung und teilweise Steuerung der Betriebsführung von Kanalnetz, Regenbecken und Kläranlagen ermöglicht. Ergänzend werden innovative Anwendungstools und Geschäftsmodelle entwickelt und diskutierte Anwendungsmöglichkeiten von Industrie 4.0 in den kommunalen Bereich übertragen. Moderne Automationstechnologien, die Basis von Industrie 4.0-Lösungen, werden in der Wasserwirtschaft schon viele Jahre erfolgreich eingesetzt. Elemente wie echtzeitbasierte Steuerungs- oder Monitoringlösungen sind ebenso im Einsatz wie zahlreiche intelligente Sensortechnologien für technisch abgegrenzte Maschinen und Anlagen. Sie bilden ein wichtiges Grundgerüst für zukünftige Digitalisierungsstrategien. Eine durchgängige Vernetzung zwischen Maschinen, Objekten und Organisationseinheiten im Sinne von Industrie 4.0 wurde in der Wasserwirtschaft bislang noch nicht realisiert, obwohl Behörden, Kommunen, Ingenieurdienstleister und Technologieanbieter bereits heute über umfangreiche Datenbestände ihrer Infrastruktursystemen verfügen. Die Nutzung solcher Daten beschränkt sich aktuell auf enge, lokale Betrachtungen. Hier fehlt eine zentrale Datenverarbeitung und -analyse, um analog zum Bild von Industrie 4.0 die gesamte technische und organisatorische Prozess-/ Wertschöpfungskette in einem Infrastruktursystem mit all ihren Informationen und Abhängigkeiten zu erfassen, abzubilden und den Betrieb darauf einzustellen. Erst wenn Datenerfassung, Analyse und Steuerung technischer Einheiten hochautomatisiert ablaufen, kann eine smarte und damit flexible Infrastruktur realisiert werden. Nach wie vor werden in Deutschland jedes Jahr bis zu 7 Milliarden Euro in die kommunale Wasser- und Abwasserinfrastruktur investiert [1]. Die über Jahrzehnte gewachsenen Systeme stellen in den meisten Fällen das größte Infrastrukturvermögen von Kommunen und Städten dar, welches zu einem wesentlichen Teil unsichtbar unter der Erde steckt. Es gewährleistet heutzutage eine flächendeckende sowie sichere Ver- und Entsorgung mit einer extrem langen technischen und ökonomischen Lebensdauer. Bis zu 70 % entfallen auf die Kanalisation mit ihren Sonderbauwerken und auf Kläranlagen [2], daher kommt der Abwasserinfrastruktur eine besondere Bedeutung zu. In der Vergangenheit bezogen sich Planungen und Bemessungen von Verbzw. Entsorgungsnetzen mit zugehörigen technischen Anlagen auf lange Zeithorizonte unter der Annahme erwarteter Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung und Niederschlagseinflüsse. Allerdings zeichnet sich deutlich ab, dass die bisherigen Datenannahmen oft unzureichend sind und die Realität ungenau widerspiegeln. Dadurch stehen Betreiber wasserwirtschaftlicher Infrastruktureinrichtungen nun vor großen Herausforderungen. Extremwetterereignisse als Folge des Klimawandels, verändertes Konsumentenverhalten oder die Folgen des demografischen Wandels sind nur einige Themen, bei denen sich eine mangelnde Betriebsflexibilität von Rohrleitungs- und Kanalnetzen, zugehörigen Sonderbauwerken, wie z.B. Regenbecken, Pumpwerke, Hochbehälter, Wasserwerke, Hochwasser-Schutzanlagen und Kläranlagen, immer deutlicher zeigt. Gefragt sind daher Lösungen, die eine zeitnahe und flexible Anpassung bestehender Systeme an vorhandene und sich verändernde Rahmenbedingungen ermöglichen. Außerdem müssen bessere Datengrundlagen geschaffen werden, um sichere Zukunftsinvestitionen vornehmen zu können. Mehr Flexibilität durch Digitalisierung Vielversprechend erscheinen die aktuellen Entwicklungen zur webbasierten Digitalisierung in Industrie, Gewerbe und Gesellschaft, die zusammenfassend z.B. unter den Schlagworten Industrie 4.0 und Smart Cities zunehmend in den Medien präsentiert werden. Auch wenn das Gros der vorgestellten Ideen und Produkte für Anwendungen „über der Erde“ konzipiert sind, liegt es nahe, deren Potential auch „unter die Erde“ zu bringen, um also eine bessere, smarte und damit flexiblere Wasser-/ Abwasserinfrastruktur zu erhalten. Dieses Ziel verfolgt das Förderprojekt KOMMUNAL 4.0. Hier soll der systemimmanenten mangelnden Flexibilität kommunaler Infrastrukturen der Ver- und Entsorgung mit Bild 2: IntelliGrid - Smart Machines für die Regenbeckenreinigung. © HST 52 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Das Projekt KOMMUNAL 4.0 Das vom BMWi geförderte und von der DLR betreute Kooperationsvorhaben KOMMUNAL 4.0 startete am 1. April 2016 und widmet sich in den kommenden drei Jahren in besonderer Weise den zuvor beschriebenen Herausforderungen. Aktuelle sowie erwartete Zukunftsentwicklungen aus den Bereichen Industrie 4.0 und Smart Cities werden auf Anwendbarkeit in der kommunalen Wasserwirtschaft geprüft, weiter entwickelt und auch eigene Lösungen hervorgebracht. Angesichts des hohen, aber bisher nicht systematisch genutzten Digitalisierungspotentials im Bereich der Wasserwirtschaft und dem dafür zugeschnittenen holistischen Projektlösungsansatz überrascht es nicht, das KOMMUNAL 4.0 in einem reinen Industriewettbewerb aus 130 Bewerbern als einer der 16 Sieger ausgewählt wurde [3]. Werden die Projektentwicklungen richtig eingesetzt, führt dies zu einer höheren Effizienz, Sicherheit und Kontrolle im Betrieb wasserwirtschaftlicher Anlagen und Systeme. Insbesondere die auf internationalen IT-Standards basierenden Plattformlösungen können auch in anderen Infrastruktursektoren zum Einsatz kommen. KOMMUNAL 4.0 (Projektteilnehmer siehe S. 56) strebt folgende wesentliche Ziele an:  Vereinheitlichung der Datenerfassung- und -übertragung aus heterogenen CPS (cyberphysischen Systemen)  Entwicklung einer webbasierten Datenplattform zur Sammlung, Strukturierung und Konvertierung unterschiedlicher Daten/ Datenformate  Entwicklung einer flexiblen Plattformarchitektur zur wahlweisen Nutzung als Intra- oder Internetanwendung  Entwicklung von Anwendungstools aus den Bereichen Design-/ Engineering, Benchmarking, Objekt-/ Netzmonitoring, Datenfusion, Beschaffung, durchgängige Prozesskette und Betriebsoptimierung  Erarbeitung erforderlicher IT-Sicherheitskonzepte  Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle als Basis zur Nutzung und Verbreitung der entwickelten Lösungen  Analyse von Rechtsaspekten zum Thema Cloud Computing Modulare und stufenorientierte Lösungen stehen im Fokus der Projektentwicklungen. Angefangen bei einzelnen intelligenten Aggregaten, sogenannten Smart Machines, ist die Verknüpfung mehrerer Objekte untereinander bis hin zu komplett vernetzten Infrastruktursystemen vorgesehen. Die Überprüfung der Anwendsfähigkeit und Finanzierbarkeit der Projektideen erfolgt in sogenannten Pilotprojekten. Aus einer Vielzahl von Anwendungsideen werden nach erfolgter Analyse und Bewertung die in Frage kommenden Lösungen ausgewählt und in Infrastruktureinrichtungen von Partnerkommunen bis zu ein Jahr lang erprobt. Neben einer Überprüfung der technischen Einsatzfähigkeit ist auch die erfolgreiche Verbreitung bzw. der wirtschaftliche Erfolg der im Rahmen von KOMMUNAL 4.0 entwickelten Produkte sicherzustellen. Hierzu werden geeignete und auf die kommunale Welt zugeschnittene digitale Geschäftsmodelle entwickelt. KOMMU- NAL 4.0 soll als Leuchtturmprojekt die Basis für eine erfolgreiche und sichere digitale Transformation in geeigneten Bereichen der kommunalen Wasserwirtschaft sein. Um dies zu erreichen, muss der Sprung von einzelnen Smart Machines zu einer smarten Infrastruktur gelingen. Die Projektpartner laden Städte und Kommunen dazu ein, Partner von KOMMUNAL 4.0 zu werden, auch Bild 3 (oben): NiRA.web - digitaler Regenschreiber. © HST Bild 4 (unten): Echtzeitüberwachung von Pumpenkennlinien mit IntelliPump. © HST 53 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement gerne mit weiteren Anwendungsideen (siehe www. kommunal4null.de). Als Teil der kritischen Infrastruktur hat die kommunale Wasser-/ Abwasserwirtschaft einen besonderen Stellenwert innerhalb der öffentlichen Ver- und Entsorgung. Deshalb spielt die IT-Sicherheit neben technologischen Entwicklungen eine entscheidende Rolle. Ausgehend von aktuell verfügbaren Sicherheitsmaßnahmen und -lösungen beschäftigen sich die Konsortialpartner des Förderprojektes mit Möglichkeiten, die IT-Strukturen einer Kommune oder Stadt ausreichend zu schützen. Ein wichtiges Ziel bei der Entwicklung geeigneter Datenplattformen ist die Möglichkeit, die vorgesehenen Technologien wahlweise als Internet- und Intranetlösung einsetzen zu können. Kommunale Anwender erhalten so die freie Wahl, die Datenverarbeitung und -kommunikation zu öffnen oder in einem geschlossenen System zu betreiben. Entsprechend müssen auch die Anwendungslösungen auf beide Optionen abgestimmt werden. Wo die Wasserwirtschaft Industrie 4.0 schon lebt Der Einsatz mechanischer Aggregate mit Automationstechnik ist seit vielen Jahren Stand der Technik in der Wasserwirtschaft. Als embedded, also eingebettete Systeme, leisten solche Aggregate zuverlässig ihren Dienst, da Überwachungs-, Steuerungs- und Regelfunktionen mit verschiedene Zustands- und Umgebungsinformationen (zumeist von Messsensoren) versorgt werden. Zudem dient die Automationstechnik auch der Datenerfassung und -übertragung an übergeordnete Einheiten wie z.B. SCADA-Systemen. Bislang sind hierfür eindeutige und z.T. starre Steuer- und Regelvorgaben definiert, Änderungen an den Vorgaben erfolgen durch den Bediener per Sollwertveränderungen oder direkt auf der SPS-Ebene durch einen Programmierer. Eine Datenverknüpfung erfolgt nur lokal und zumeist kabelgebunden. Die große Frage ist nun: Wie müssen solche Aggregate aussehen, um Smart Machines zu werden, aus deren Vernetzung untereinander dann eine smarte Infrastruktur entstehen kann? KOMMU- NAL 4.0 wird diese Frage für den Bereich der Wasserwirtschaft fundiert beantworten. Dank der Verfügbarkeit rasant steigender webbasierter Anwendungsoptionen im Umfeld von Industrie 4.0 braucht eine Überwachung, Steuerung und Regelung von Maschinen nicht mehr isoliert mit lokal erfassten Daten und lokal eingesetzter Automationstechnik erfolgen. KOMMUNAL 4.0 wird sich dieser und eigens entwickelter Lösungen bedienen und neuartige smarte Applikationen entstehen lassen. Hierzu erhält die Steuerung weiterhin die bisherigen lokalen Maschinen- und die lokalen Sensordaten und bekommt zum Beispiel mit aktuellen lokalen Niederschlagsdaten oder Zustandsinformationen aus einem Rohrleitungssystem von einer zentralen Datenbank zusätzliche Daten mit hohem Mehrwert. In Echtzeit werden alle Daten mit entsprechenden Algorithmen analysiert und die Steuerungsvorgaben (Sollwerte) selbständig an veränderte Umgebungsbedingungen angepasst. Dies ist der wesentliche Unterschied zu den heutigen vernetzten, aber nicht smarten Einzelsystemen. Am Beispiel eines intelligent vernetzten Pumpwerks soll dies verdeutlicht werden. Die Auslegung von Pumpen erfolgt im Regelfall für einen einzigen erwarteten Betriebszustand, dem maximalen Belastungsfall inkl. Sicherheitszuschlägen. Betriebsänderungen oder gar verschiedene Betriebsszenarien spielen dabei keine Rolle. Schwankende Wassermengen sind in nahezu allen Kanal- und Rohrnetzsystemen Normalität. Zudem entstehen Verluste durch ungünstige Rohrleitungsführungen und führen neben anderen Betriebsbedingungen dazu, dass Pumpen außerhalb ihrer ausgewählten optimalen Kennlinie betrieben werden. Auch deshalb, weil in Unkenntnis der tatsächlichen Förderspitzen entsprechende Reserven bei der Dimensionierung der Pumpen vorgesehen werden. Dies hat eine höhere Energieaufnahme und einen schlechteren Wirkungsgrad des Gesamtsystems zur Folge und reduziert damit auch die Standzeit der Aggregate. Neuartige Pumpencontroller (Softwarelösungen wie z.B. das System IntelliPump) nehmen eine permanente Auswertung SMART MACHINES SMART OBJECTS SMART INFRASTRUCTURE SMART CITY CLOUD SERVICE CONTROL- LING DEVICE Bild 5: Die digitale Evolution der Wasserwirtschft. © HST Bild 6: Ganzheitliche Digitalisierung der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung. © HST 54 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement der gesamten Betriebssituationen vor und ermöglichen durch Einsatz einer Frequenzregelung Betriebsverläufe, die mehrere optimale Betriebspunkte je nach Anforderung zulassen. Dies garantiert dauerhaft die vorgesehene Fördersicherheit und reduziert damit den Verschleiß sowie den Energieverbrauch der Pumpe. Einen weiteren Vorteil bietet die kontinuierliche Überwachung des Anlagenbetriebs. Damit können Störungen eher erkannt und der Zustand der Maschine besser beurteilt werden, wodurch die Betriebssicherheit insgesamt ansteigt. Ähnliche Anwendungen, wie z.B. die intelligente Beckenreinigung IntelliGrid, die selbstregulierende Belegungskontrolle IntelliScreen zur Erhöhung des Stoffrückhalts bei Horizontalstabrechen oder das EMA-Ablaufmengenerfassungssystem an Regenüberläufen, werden in der Wasserwirtschaft zunehmend eingesetzt. Niederschlag ist die wichtigste Eingangsgröße Niederschlag spielt in der Wasserwirtschaft als Eingangsgröße die wichtigste Rolle für Planung und Betrieb vieler Infrastruktursysteme. Welchen Einfluss unerwartete Niederschlagsmengen haben können, die nicht ordnungsgemäß über vorhandene Kanalsysteme abgeführt werden, sieht man immer wieder bei kritischen Hochwassersituationen. Während an vielen Orten in einem Wasser-/ Abwassersystem unzählige Sensoren einzelne Daten exakt messen, geht der Niederschlag vielfach immer noch als statistischer Wert ohne Beachtung lokaler Besonderheiten in Planungen ein oder wird für Betriebszwecke mit ungenauen Methoden nur an einer einzigen Stelle erfasst. Die Wetterdienste verfügen über große Mengen an historischen und aktuellen Daten sowie Prognosen für die nächsten 72 Stunden, die sich lokal sehr genau zuordnen lassen. Bild 7: Regenbecken - Bewirtschaftung und Reinigung mit prozesstechnisch vernetzter Ausrüstung. © HST Drei Fragen Frage 1: Welche Bedeutung hat das Förderprojekt Kommunal 4.0 für Ihr Institut? Frage 2: Welchen Stellenwert räumen Sie dem Förderprojekt Kommunal 4.0 ein im Zusammenhang mit der digitalen Transformation in der kommunalen Wasserwirtschaft? Frage 3: Auf welchem Entwicklungsniveau sehen Sie die angestrebten Entwicklungsideen im Vergleich zu den Ihnen bekannten Vorhaben in der Wasserbranche?  55 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Antwort 1: Das ifak ist als anwendungsorientiertes Forschungsinstitut sowohl mit mehreren Geschäftsfeldern in der Industrie als auch im Bereich der Wasserwirtschaft tätig. Die Verknüpfung unserer Expertise zur industriellen Automation mit unserem speziellen Branchenwissen im Wasser-/ Abwassersektor im Vorhaben KOMMUNAL 4.0 ist daher eine logische Konsequenz unserer Forschungsaktivitäten. Antwort 2: Wenn es den Partnern gelingt, das Projekt in den folgenden Jahren gemeinsam erfolgreich zu entwickeln, wird eine Referenz für die Nutzung der Konzepte von Industrie 4.0 in der Wasserwirtschaft geschaffen. Schließlich ist der Gedanke der IT- Vernetzung auch - und vielleicht sogar besonders ausgeprägt - für die Wasserwirtschaft relevant. Man denke nur an die vielen dezentralen Pumpstationen, Regenbecken und Messstationen. Antwort 3: Die Zusammenführung bisheriger Insellösungen und die damit einhergehende Datenintegration befinden sich gemäß der Bewertungssystematik TRL (Technology Readiness Level) auf einem Reifegrad der Stufe 2. Für die Modellierung und Simulation haben wir in der Wasserwirtschaft bereits die höchste Stufe 9 erreicht. Für die Ebene der Steuerung liegen wir zwischen Stufe 5 und 8, neue Aspekte wie Sicherheitsfunktionen oder die virtuelle Inbetriebnahme befinden sich noch am Anfang auf Stufe 3. Antwort 1: Ein Beweggrund für die Teilnahme an Kommunal 4.0 ist, den Schritt der digitalen Transformation auch in der kommunalen Wasserwirtschaft durchzuführen und dabei Optimierungspotentiale ausfindig zu machen und umzusetzen. Hierdurch könnte der Energieverbrauch weiter optimiert werden oder auch Arbeitserleichterungen für die Betreiber und Mitarbeiter entstehen, wie zum Beispiel durch optimierte Fehlererkennung, Früherkennung von Auffälligkeiten durch die Vernetzung verschiedenster Sensoren - und das bedeutet Fehlervermeidung. Antwort 2: Das Projekt wird viele Prozesse in der Wasserwirtschaft verbessern. Wir wissen aus Erfahrung, wie viel unnötiger Aufwand eigentlich heute noch erforderlich ist, da zwischen einzelnen Prozessen oder Arbeitsschritten die durchgängigen Daten- Schnittstellen noch fehlen. Antwort 3: Es werden neue Konzepte aus dem Bereich Industrie 4.0 in die Wasserwirtschaft übertragen. Dies ist in diesem Bereich bisher noch nicht erfolgt. Antwort 1: In der Wassertechnik gibt es in Deutschland kaum Wachstum, die Musik spielt in den Schwellenländern und in Industrieländern mit hohem Nachholbedarf. Für uns kommt es darauf an, die Kompetenz „am Heimatmarkt“ zu erhalten. Gleichzeitig erkennen wir bei Kommunen einen riesigen Bedarf, ihre Infrastrukturleistungen bei stetig steigenden Anforderungen intelligent zu rationalisieren. Antwort 2: Dank des holistischen, also ganzheitlichen Ansatzes im Bereich der Digitalisierung kommt dem Projekt eine Pionierrolle mit sehr hohem Stellenwert zu. Unser Ziel muss es sein, mit diesem Projekt eine gute Basis für eine erfolgreiche und sichere digitale Transformation der Wasserver- und -entsorgung als Teil der kritischen Infrastruktur in Deutschland zu schaffen, die im besten Falle eine Leuchtturmwirkung besitzt. Antwort 3: Obwohl fast alles, was mit dem Kürzel „4.0“ agiert, auf prinzipiell bereits Erfundenes zurückgreift, ist die Umsetzung in der Praxis noch von vielen Schwierigkeiten geprägt. Wenig ist genormt, noch weniger passt zusammen. Um das zu ändern, muss man kommunal und wasserfachlich verstehen, „wie es wirklich läuft“ - technisch, wirtschaftlich und institutionell. Eines ist klar: 4.0 ist dem Bisherigen so überlegen, wie seinerzeit der Motorwagen dem Pferdewagen. Das Potenzial ist riesig. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Prof. Dr. mult. Karl-Ulrich Rudolph IEEM (Witten) Prof. Dr. Ulrich Jumar ifak (Magdeburg) Prof. Dr. Michael Bongards GECOC (Gummersbach) Drei Antworten 56 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement Obwohl diese Daten digital vorliegen und mit Branchenportalen wie z.B. NiRA.web auch der Wasserwirtschaft bereitgestellt werden, setzen Infrastrukturbetreiber in Unkenntnis neuerer Technologien nach wie vor herkömmliche Regenschreiber ein. Als Vorbild zur intelligenten Nutzung der Wetterdaten kann die Landwirtschaft dienen. Hier wird teilweise die Felderbewirtschaftung nahezu automatisch betrieben. Die Bewässerung wird neben dem von Sensoren ermittelten Feuchtegehalt des Bodens auch mit Niederschlagsdaten der nächsten Tage aus dem Web gesteuert [4]. KOMMUNAL 4.0 wird auch in Sachen Niederschlagsdatenverarbeitung eine Vorreiterrolle in der Wasserwirtschaft einnehmen. Durch Einbindung lokaler Niederschlagsdaten, insbesondere von 72-Stunden-Prognosen, werden wasserwirtschaftliche Einrichtungen effizienter gesteuert. Objekte, wie beispielsweise Regenbecken, Pumpwerke, Hochwasserrückhaltebecken, Kläranlagen etc. werden ihre Daten untereinander austauschen und den Betrieb unter Einbezug des Niederschlags automatisch aufeinander abstimmen. Die zugehörige zentrale Datenauswertung setzt hierbei die Prioritäten und entscheidet, wann welches Regenbecken entleert wird. Dies erfolgt, um z.B. für ein nächstes Starkregen- oder Hochwasserereignis ausreichend Speicherkapazitäten frei zu haben, die Kapazitäten optimal zu nutzen und damit auch Überschwemmungen zu vermeiden. Oder die Entlastungsereignisse aus Regenbecken werden im Sinne eines optimalen Gewässerschutzes unter Einbezug lokaler Niederschlagsdaten gezielt gesteuert. Je mehr quantitative und qualitative Daten pro Bauwerk/ Objekt vorliegen und diese mit lokalen Niederschlagsdaten verknüpft werden, desto besser und effizienter kann jede einzelne Maschine, jedes Objekt und auch das gesamte Infrastruktursystem betrieben werden. Smart werden Schritt für Schritt KOMMUNAL 4.0 steht für die Entwicklung smarter Maschinen bis hin zur smarten Infrastruktur mit dem Ziel, dies mit einem holistischen Ansatz zur smarten Vernetzung in der Wasserwirtschaft zu erreichen. Die Lösungen werden dabei unter realen Einsatzszenarien entwickelt und erprobt. Diese Vorgehensweise berücksichtigt dabei aktuelle Entwicklungen zu Industrie 4.0 oder Smart City bezüglich steigender Komplexität im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Dies ist weniger in den technischen Herausforderungen begründet, sondern viel mehr in der Notwendigkeit, verschiedene Gruppen und Interessen aufeinander abzustimmen und eine gemeinsame und längerfristig gültige Strategie der Digitalisierung aufzustellen [5]. Dies gilt sowohl für die Abstimmung innerhalb einer kommunalen Organisationseinheit (z.B. Kanalnetz- und Abwasserbetrieb) als auch übergeordnet für eine komplette Stadt oder Kommune. Für die Belange der kommunalen Wasserwirtschaft empfehlen sich daher zehn Schritte (Bild 8), um erfolgreich eine smarte Infrastruktur zu schaffen [6]. Diese Vorgehensweise lässt sich auch auf andere Bereiche einer Smart City / Kommune übertragen oder als Grundlage bei der Bearbeitung einer übergeordneten Digitalstrategie verwenden. Damit wird ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln unterstützt, was die Möglichkeiten intelligent vernetzter Objekte und cyberphysischer Systeme zur effizienten wie effektiven Erfüllung öffentlicher Aufgaben nutzt [7]. In KOMMUNAL 4.0 werden zudem die Erwartungen und Hoffnungen an eine moderne Verwaltung 4.0 berücksichtigt, um eine „Balance zwischen innovativer Zukunftsgestaltung, der Beachtung finanzieller Rahmenbedingungen und den zukünftig eingeschränkten Personalressourcen“ herzustellen [8]. 3 . S C H R I T T : D I E D I G I T A L E S T R A T E G I E 4 . S C H R I T T : H A N D L U N G S E L D E R B E S T I M M E N 2 . S C H R I T T : B E S T A N D S A N A L Y S E 8 . S C H R I T T : E I N Z E L M A S S N A H M E N R E A L I S I E R E N 8 . S C H R I T T : I N T E G R A T I O N I N P L A T T F O R M E B E N E 7 . S C H R I T T : E I N Z E L M A S S N A H M E N F E S T L E G E N SCHRITT: ELDEFINITION P L A N U N G S P H A S E R E A L I S I E R U N G S P H A S E 10. SCHRITT: KOMMUNAL 4 LEBEN 6. SCHRITT: IT-SICHERHEITSKONZEPT UND ISMS ERSTELLEN 5. SCHRITT: KOMMUNAL 4.0-BEAUF- TRAGTEN ERNENNEN ERGEBNISVALIDIERUNG Bild 8: 10 Schritte zu KOMMUNAL 4.0 [6] © HST PROJEKTTEILNEHMER HST Systemtechnik GmbH & Co. KG, Meschede - Projektkoordination (Ansprechpartner: Günter Müller-Czygan, www.hst.de) Pegasys GmbH & Co. KG, Meschede (Ansprechpartner: Uwe Frigger, www.pegasyssoftware.de) Südwasser GmbH, Erlangen (Ansprechpartner: Arne Nath, www.suedwasser.com) Ifak Institut für Automation und Kommunikation e.V., Magdeburg (Ansprechpartner: Prof. Dr. Ulrich Jumar, Dr. Jens Alex, Nico Suchold, www.ifak.eu) Institut GECOC, Cologne Univerity of Applied Science, Gummersbach (Ansprechpartner: Prof. Dr.-Ing. Michael Bongards, Andreas Conrath, www.gecoc.de) IEEM Institut für Umwelttechnik und Management an der Universität Witten/ Herdecke gGmbH, Witten (Ansprechpartner: Prof. Dr. mult. Karl-Ulrich Rudolph, Keno Strömer, www.uni-wh-ieem.de) 57 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Wasser - Lebensmittel und Naturelement für verschiedene kommunale Dienstleistungen vorhanden ist und den technischen Infrastrukturen einen vergleichbar hohen Stellenwert beizumessen ist, wie Energie, Mobilität, Gesundheit etc. Und dort, wo die Digitalisierung erfolgreich eingeführt wurde, konnte sowohl für die Bürger als auch für die Kommunalverwaltung und ihre Infrastruktureinheiten ein erheblicher Mehrwert geschaffen werden. Literatur- und Quellennachweis [1] UBA „Wasserwirtschaft in Deutschland, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, Stand April 2014, Zahlen für 2010. [2] Stefan Hattenbach, Markus Vogel „Das verborgene Vermögen der Kommunen: Entwicklung einer Strategie zum Werterhalt in einer Dorfgemeinde“, Tagungsband DWA Landesverbandstagung 2015. [3] http: / / www.bmwi.de/ DE/ Presse/ pressemitteilungen,did=720380.html [4] http: / / www.kreiszeitung-wochenblatt. de/ rosengarten/ panorama/ farming-40die-landwirtschaft-stehtvor-der-viertenrevolution-d72195.html [5] Michael Jaekel: „Smart City wird Realität: Wegweiser für neue Urbanitäten in der Digitalmoderne“, Springer-Verlag 2015. [6] http: / / www.hst.de/ kommunal4null/ viernull/ artikel/ 10-schritte-zu-kommunal-40/ [7] Prof. Dr. Jörn von Lucke: „Smart Government Intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln“, Open Government Tage der Landeshauptstadt München Werkstattbericht, München, 10.09.2015 [8] http: / / www.behoerden-spiegel.de/ icc/ Internet/ nav/ 1f7/ 1f75009d-e07d-f011-4e64- 494f59a5fb42%26uCon%3Df8a033bf-f28e-3102a6d6-847b988f2ee2%26uTem%3Daaaaaaaaaaaaaaaa-bbbb-000000000003 Dipl.-Ing. Günter Müller-Czygan Bereichsleiter Verfahrenstechnik, Maschinen und Anlagen HST Systemtechnik GmbH & Co. KG, Meschede Kontakt: guenter.mueller-czygan@hst.de M.Sc. Keno Strömer IEEM gGmbH - Institut für Umwelttechnik und Management an der Universität Witten/ Herdecke, Witten Kontakt: stroemer@uni-wh-ieem.de AUTOREN KOMMUNAL 4.0 als Fundament einer Smart City/ Kommune Nicht nur, weil sie am tiefsten Punkt liegt, bildet die wasserwirtschaftliche Infrastruktur das tragende Fundament einer Stadt oder einer Kommune. Als größtes kommunales Vermögen ist hier im Zuge einer digitalen Transformation ein enormes Effizienzpotential vorhanden. Natürlich sind Apps zur Kanalreinigung oder zur Erfassung von Pumpendaten weniger attraktiv für die Bevölkerung als die Meldung eines freien Parkplatzes auf dem Smartphone. Betrachtet man jedoch die heutigen erforderlichen Aufwendungen, die eine wasserwirtschaftliche Infrastruktur in einem Kommunalhaushalt bedeuten, können Einsparungen in diesem Bereich so manche smarte Bürgerlösung zusätzlich ermöglichen. Projekte wie Kommunal 4.0 werden zur Steigerung der Effizienz beitragen und damit Ressourcen schonen (z.B. Stromverbrauch und ein verminderter Einsatz von Chemikalien zur Abwasserreinigung durch eine intelligente Steuerung), sowie die Sicherheit der Stadt verbessern (z.B. durch die Auswertung lokaler Wetterdaten und Korrelationsvergleiche mit bereits vorliegenden Überflutungsereignissen). In einem öffentlichen Sektor, der unter anderem immer mehr unter Preisdruck steht, neuen strikteren gesetzlichen Anforderungen, z.B. an die Reinigungsqualität, ausgesetzt ist und politisch gewollt einen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten soll, sind Betriebsoptimierungen mit „real-time, online, 4.0“ von kritischer Bedeutung. Mit einem Engagement in KOMMUNAL 4.0 und der aufgezeigten möglichen Vorteile kann die komplexe Rolle der Wasserver- und Entsorger in Deutschland auch in Zukunft erfolgreich von Städten und Kommunen ausgefüllt und zusätzlich eine internationale Vorreiterstellung geschafft werden. KOMMUNAL 4.0 ist eine wesentliche Voraussetzung zur technischen Integration von cyberphysischen Systemen in urbane Systeme. Es ermöglicht die Anwendung des Internet der Dinge und des Internet der Dienste im kommunalen und städtischen Kontext zu sich selbststeuernden Lösungen und Ökosystemen, insbesondere bei technischen Infrastrukturen [7]. Aus diesen Gründen ist bei fast allen Städten und Kommunen die Bereitschaft vorhanden, die Chancen der Digitalisierung nicht nur auf klassischer Verwaltungsebene (smart government), sondern auch in der Wasserwirtschaft zu nutzen. Dies lässt sich anhand bisheriger Reaktionen zum Thema Kommunal 4.0 klar erkennen. Generell haben die Verantwortlichen in deutschen Städten und Kommunen erkannt, dass ein hoher Bedarf an Digitalisierung