Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0044
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Dynamische Lösungen für dynamische Probleme
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Benötigen Smarte Cities auch smarte Kläranlagen? In den meisten Städten wird Regenwasser in der gleichen Kanalisation abgeleitet wie das häusliche und gewerbliche Schmutzwasser. Bei starken Niederschlägen übersteigt die Wassermenge jedoch schnell die hydraulische Kapazität der Kläranlage. Was zu viel ist, gelangt direkt ins Gewässer, im besten Fall noch über eine Grobreinigung im Regenüberlaufbecken. Um jedoch zu verstehen, wie flexible Lösungen zum Gewässerschutz beitragen können, muss man die Prozesse auf der Kläranlage kennen.
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74 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen · Infrastruktur Kläranlagen reinigen das Abwasser von Industrie und Kommunen in einem mechanisch-biologischen Prozess, dem sogenannten Belebtschlammverfahren. Als „belebter Schlamm“ werden die Mikroorganismen bezeichnet, welche die gelösten organischen Verunreinigungen des Abwassers entfernen, indem sie sich von ihnen ernähren. Dazu benötigen die Mikroorganismen Sauerstoff. Dieser wird als Bestandteil der Luft mit Gebläsen in große, langsam durchströmte Becken eingeleitet, die Turbulenz der aufsteigenden Luftblasen hält den Belebtschlamm in Schwebe. Nebenbei bemerkt sind diese Gebläse nicht selten die größten oder zumindest unter den größten Einzel-Stromverbrauchern der gesamten städtischen Infrastruktur. Ist das Abwasser gereinigt, muss nur noch der Belebt- Dynamische Lösungen für dynamische Probleme Nichts für Starrköpfe: Bestmögliche Abwasserreinigung erfordert mehr Flexibilität Benötigen Smarte Cities auch smarte Kläranlagen? In den meisten Städten wird Regenwasser in der gleichen Kanalisation abgeleitet wie das häusliche und gewerbliche Schmutzwasser. Bei starken Niederschlägen übersteigt die Wassermenge jedoch schnell die hydraulische Kapazität der Kläranlage. Was zu viel ist, gelangt direkt ins Gewässer, im besten Fall noch über eine Grobreinigung im Regenüberlaufbecken. Um jedoch zu verstehen, wie flexible Lösungen zum Gewässerschutz beitragen können, muss man die Prozesse auf der Kläranlage kennen. schlamm vom Abwasser getrennt werden. Dazu werden wieder große Becken eingesetzt, die Nachklärbecken. Diese werden besonders ruhig und langsam durchströmt, außerdem wird das Gemisch aus gereinigtem Abwasser und belebtem Schlamm möglichst geschickt so eingeleitet, dass der Belebtschlamm mit den wertvollen Mikroorganismen absinkt, das gereinigte Abwasser aber aufsteigt und oberflächig abläuft. Das Abwasser kann nun gereinigt dem Gewässer zugeführt werden. Allenfalls bei weitergehenden Anforderungen, wie z.B. der Forderung nach Badewasserqualität, können noch weitere Reinigungsschritte folgen. Der belebte Schlamm, der sich am Boden der Nachklärbecken abgesetzt hat, dickt ein, wird über einen Trichter abgezogen und in die Belebungsbecken zurückgeführt, wo er auf frisches Abwasser trifft und seine Arbeit von Neuem beginnt. Das Nachklärbecken stellt somit die Schnittstelle zwischen der Kläranlage und der Umwelt dar. In den meisten Fällen gelangt das Abwasser von hier direkt wieder in ein natürliches Gewässer. Gelangen durch Funktionsstörung oder Überlastung der Nachklärung aber größere Mengen Belebtschlamm in ein solches Gewässer, führen sie dort zur Sauerstoffzehrung. Im schlimmsten Fall führt dies bis zum Absterben der aquatischen Tierwelt, dem sogenannten „Fischsterben“. Wie sicher ist also der Betrieb von Nachklärbecken? Ihr einwandfreies Funktionieren hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ganz entscheidend ist dabei die momentane hydraulische Last - das ist die Zulaufmenge des Bild 1: Ein Querschnitt durchs Nachklärbecken bei Trockenwetterzufluss (links) und bei maximalem Regenwetterzufluss (rechts). Während sich bei Trockenwetter so gut wie gar kein Belebtschlamm im Becken befindet, droht er im rechten Fall bereits, den Klarwasserablauf zu erreichen. Diese Darstellungen lassen sich durch Strömungssimulationen berechnen. © hydrograv 75 2 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen · Infrastruktur Abwassers zur Kläranlage sowie Menge und aktuelle Absetzeigenschaften des belebten Schlammes. Mit steigender Zulaufmenge, beispielsweise infolge eines starken oder lang anhaltenden Regens, verlagert sich zunehmend Belebtschlamm aus dem Belebungsbecken in das Nachklärbecken. Der Schlammspiegel steigt (Bild 1). Erreicht der Schlammspiegel die Ablaufoberkante des Nachklärbeckens, ist Gefahr im Verzug, man spricht von „Schlammabtrieb“. Dies geschieht umso schneller, je mehr Belebtschlamm sich im System befindet und je schlechter der Schlamm eindickt. Um solche kritischen Situationen zu vermeiden, kommt es besonders darauf an, den belebten Schlamm möglichst in der idealen Höhe ins Nachklärbecken einzuleiten. Mittels Computersimulationen der Strömungsverhältnisse im Nachklärbecken fand Dr. Martin Armbruster (hydrograv GmbH) heraus, dass sich die optimale Einlaufhöhe für den Belebtschlamm immer kurz unter dem aktuellen Schlammspiegel befindet. Dieser Anforderung werden herkömmliche, starre Einlaufbauwerke nicht gerecht. Bei ihnen ändert sich die Einlaufhöhe nicht - der Schlammspiegel steigt und fällt dagegen dynamisch mit der jeweils aktuellen Zulaufmenge ins Nachklärbecken. Um seine Erkenntnis in die Praxis umzusetzen, entwickelte Dr. Armbruster das adaptive Einlaufbauwerk „hydrograv adapt“ der Firma hydrograv (Bild 2). Strömungssimulationen (CFD) bilden die Grundlage für die maßgeschneiderten Anlagen. Dazu wird die Geometrie bestehender Nachklärbecken am Computer nachgebildet; dann wird virtueller Belebtschlamm in diese Modelle eingeleitet und das dynamische Verhalten des Schlammspiegels in Abhängigkeit von Zulaufmenge und Schlammeigenschaften analysiert. Anhand der Ergebnisse wird die Geometrie für das adaptive Einlaufbauwerk ausgelegt. Aber auch für herkömmliche Nachklärbecken bieten Strömungssimulationen einen Vorteil. Bei Regenereignissen sind die Kläranlagen lediglich verpflichtet, einen bestimmten Teil des zufließenden „Mischwassers“ - dem Gemisch aus Abwasser und Regenwasser, das sich in unseren Kanalisationen bildet - zu übernehmen. Manche Kläranlagen sind mit der vorgeschriebenen Mischwassermenge überfordert (siehe Bild 1 rechts), andere wiederum hätten noch freie Kapazitäten. Mit ihrem Know-how im Bereich der Strömungssimulation hat die Firma hydrograv ein Überwachungssystem entwickelt, das per CFD permanent die aktuelle Leistungsfähigkeit von Nachklärbecken bewertet. Dazu werden Menge und Absetzeigenschaften des Belebtschlammes erfasst und mittels stündlich wiederholter Strömungssimulationen die aktuelle maximal mögliche Zulaufmenge an Abwasser bestimmt. Die Kläranlage bekommt eine Warnmeldung, falls die behördlich vorgeschriebene Zulaufmenge an Mischwasser zu einer Überlastung führen würde. Der höchste Nutzen für die Entwässerung der Stadt ergibt sich natürlich in Kombination dieser beiden computergestützten Optimierungen. Um jedoch das volle Potential des Schlammmanagementsystems „proload.sms“ und der adapt-Technologie der Firma hydrograv zu nutzen, wären flexible Höchstgrenzen der Mischwasserübernahme erforderlich. Dann könnten viele Kläranlagen sogar mehr Mischwasser übernehmen, als es ihnen bisher erlaubt ist. Stadt, Kläranlage und Gewässer verschmelzen zu einem cyberphysischen System, mit dem Ziel der optimalen Ableitung und Reinigung des anfallenden Schmutz- und Regenwassers. Zum Wohle des Menschen und der Natur. Dass die Transformation von Abwasser-Infrastruktur zu dynamischen Systemen hohen Nutzen bringt, ist durch erfolgreiche Beispiele belegt. Bild 2: Bei Trockenwetter leitet das adaptive Einlaufbauwerk der Firma hydrograv den Belebtschlamm weit unten, nahe der Beckensohle ein (links). Bei Regenwetter öffnet sich der Einlaufschlitz und fährt gleichzeitig mit steigendem Schlammspiegel nach oben (rechts). hydrograv GMBH Eisenstuckstraße 46 01069 Dresden info@hydrograv.com www.hydrograv.de IFAT: Halle A3, Stand 443