Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0050
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Innovative Erdgastechnologien für saubere Städte
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Gerald Linke
Deutschlands Städte boomen. Die Folge: Landflucht und brain drain aus den ländlichen Regionen in die urbanen Zentren. Gleichzeitig wachsen die „Speckgürtel“ rund um die großen Städte weiter an. Neben der Entwicklung eines urbanen Lebensgefühls mit einem vielfältigen kulturellen Angebot und einem engmaschigen öffentlichen Nahverkehr gibt es weitere Herausforderungen. Durch das Pendeln vom Wohnort zum Arbeitsplatz hat das Verkehrsaufkommen in urbanen Zentren deutlich zugenommen. Anders als in ländlichen Gegenden sind die Möglichkeiten begrenzt, regenerative Wind- und Sonnenenergie einzufangen und für den Eigenverbrauch zu nutzen. Dennoch sollen unsere Städte und Metropolen einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende leisten. Hierbei stehen Wärmeerzeugung und Mobilität im Mittelpunkt.
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4 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Wärmemarkt: Einsparungen von 20 Millionen Tonnen CO 2 pro Jahr möglich Kein anderer Energieträger wird so oft eingesetzt, um Wohnungen zu heizen und Wasser zu erwärmen - drei Viertel des in Deutschland verbrauchten Erdgases fließen in den Wärmesektor. 20 Millionen Wohnungen werden damit beheizt. Erdgas-Heizungen sind aber nicht nur komfortabel - sie sind auch viel umweltfreundlicher als Ölheizungen oder Kohleöfen, weil Methan bei der Verbrennung deutlich weniger Kohlendioxid erzeugt. Ein weiteres Plus für die Umwelt: Auch Biogas lässt sich nach vorheriger Aufbereitung ins deutsche Erdgasnetz einspeisen. So wird das Klima noch weniger belastet. Aber: Jede dritte Heizung in Deutschland ist älter als 20 Jahre, rund 15 Millionen Anlagen sind bis 2020 modernisierungsbedürftig. Nur ein Viertel der insgesamt 20 Millionen Heizgeräte ist auf dem neuesten Stand der Technik, nutzt also mindestens Brennwerttechnik bzw. erneuerbare Energien. In Deutschland entfallen rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO 2 -Emissionen auf den Wärmemarkt. Diese Zahlen zeigen: Der zentrale Schlüssel zum Erreichen der Klimaschutz- und Energiewendeziele liegt in der Modernisierung Deutschlands Städte boomen. Die Folge: Landflucht und brain drain aus den ländlichen Regionen in die urbanen Zentren. Gleichzeitig wachsen die „Speckgürtel“ rund um die großen Städte weiter an. Neben der Entwicklung eines urbanen Lebensgefühls mit einem vielfältigen kulturellen Angebot und einem engmaschigen öffentlichen Nahverkehr gibt es weitere Herausforderungen. Durch das Pendeln vom Wohnort zum Arbeitsplatz hat das Verkehrsaufkommen in urbanen Zentren deutlich zugenommen. Anders als in ländlichen Gegenden sind die Möglichkeiten begrenzt, regenerative Wind- und Sonnenenergie einzufangen und für den Eigenverbrauch zu nutzen. Dennoch sollen unsere Städte und Metropolen einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende leisten. Hierbei stehen Wärmeerzeugung und Mobilität im Mittelpunkt. des Heizungsbestandes. Genau hier bieten Gastechnologien großes Innovationspotenzial. Zusätzlich lassen sich Erdgassystemlösungen mit Solarthermie oder Bio-Erdgas kombinieren und tragen so zu einer zunehmenden Integration erneuerbarer Energien in den Wärmemarkt bei. Auch durch den Einsatz von Mikro-KWK-Anlagen zur Installation in Wohnhäusern kann eine Effizienzsteigerung im Heizungsmarkt erzielt und gleichzeitig Strom erzeugt werden. Gleiches gilt für Gaswärmepumpen, die Umweltwärme zur Wärmeerzeugung nutzen. Auf diese Weise lassen sich durch technisch einfache Maßnahmen der Heizungsmodernisierung in Deutschland jedes Jahr rund 20 Millionen Tonnen CO 2 einsparen. Würden 10 Millionen veraltete Heizkessel bis 2020 durch moderne Erdgastechnik ersetzt und davon bei zehn Prozent Bio-Erdgas verwendet, könnten sogar Einsparungen von bis zu 45 Millionen Tonnen CO 2 erreicht werden. Erdgas und LNG reduzieren Umweltbelastung in deutschen Städten Der zweite Bereich ist die Mobilität, die in Deutschland für 20 Prozent der CO 2 -Emissionen verantwortlich ist. Hier können Erdgasfahrzeuge einen Innovative Erdgastechnologien für saubere Städte Gastbeitrag des DVGW-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Gerald Linke zu den Perspektiven von Gastechnologien im urbanen Raum 5 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt wichtigen Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Aktuelle Studien belegen, dass hier ein besonders großes Klimaschutz-Potenzial liegt. Wenn bis 2030 ein Fünftel der deutschen Fahrzeugflotte von ölbasierten Kraftstoffen auf Erdgas umgestellt würde, ließen sich jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen CO 2 - Äquivalent vermeiden. Denn die CO 2 -Emissionen von Erdgasfahrzeugen liegen bis zu einem Viertel unter denen benzinbetriebener Autos. Noch klimafreundlicher werden gasbetriebene Fahrzeuge, wenn dem fossilen Energieträger Erdgas regenerativ erzeugtes Biogas beigemischt wird - bei reinem Biogas-Betrieb nimmt der Ausstoß von Kohlendioxid sogar um 97 Prozent ab. Darüber hinaus sinken durch den Erdgasantrieb auch die Stickoxid- und Feinstaubemissionen spürbar. Deshalb erfüllen Erdgasfahrzeuge schon lange die strenge Abgasnorm Euro 6, die seit 2014 für alle verbindlich ist. Besonders wichtig für den urbanen Raum: Erdgasfahrzeuge dürfen in allen Umweltzonen fahren. Neben der Erdgasmobilität im Personenverkehr tritt auch die Nutzung von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) im Transportsektor verstärkt in den Fokus. LNG wird zunehmend als Kraftstoff für den Güterverkehr eingesetzt. Im Verkehrsbereich mit seinen stark auf der Dieseltechnologie basierenden Antriebskonzepten kann LNG mit seinen Emissionsminderungspotenzialen punkten. Im Vergleich zu Diesel werden bei der Verwendung von LNG Schwefeloxid-Emissionen und Feinstaub um fast 100 Prozent, Stickoxid-Emissionen um 80 bis 90 Prozent und der CO 2 -Ausstoß um fast 25 Prozent reduziert. Darüber hinaus können Lärmemissionen halbiert werden. Um die weitere Entwicklung von LNG zu forcieren, haben DVGW, dena und Zukunft ERDGAS im November 2015 eine LNG- Taskforce gegründet. Zusammen mit namhaften Energieunternehmen soll der Markteintritt von LNG im Güterverkehr über Marktanreize und politisch stabile Rahmenbedingungen beschleunigt werden. Strom effizient speichern und transportieren Drittens wird es darauf ankommen, künftig Ökostrom aus den ländlichen Regionen - wo er aus Wind- und Sonnenenergie gewonnen wird - in die Städte zu transportieren. So bietet es sich an, das Gasleitungsnetz als ein Gesamtsystem zu nutzen, in dem Erdgas, Bio-Gas sowie Wasserstoff und synthetisches Methan zu einer gemeinsamen Energiequelle zusammengeführt werden. Über die Erdgasleitungen, die in Deutschland mehr als 500 000 Kilometer lang sind, gelangt die Energie in die Städte, um dort in KWK-Anlagen, kleinen Gaskraftwerken oder im industriellen Bereich eingesetzt zu werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Power-to- Gas-Technologie. Sie ist immer dann sinnvoll, wenn bei kräftigem Wind oder zu viel Sonne mehr Strom produziert wird, als das Netz aufnehmen kann. Mit Hilfe der Elektrolyse entsteht dabei aus dem überschüssigen Ökostrom zunächst Wasserstoff, der in einem weiteren Syntheseschritt zu Methan umgewandelt werden kann. Beides - Wasserstoff wie Methan - lässt sich problemlos ins Erdgasnetz einspeisen. Dadurch wird es transportfähig und trägt entscheidend dazu bei, das Problem der mittel- und längerfristigen Speicherung von großen Strommengen wirtschaftlich zu lösen. Das Erdgasnetz wird damit zum unverzichtbaren Partner von erneuerbaren Energien. Aktuell gibt es in der Bundesrepublik mehr als 20 Demonstrationsprojekte, die die Technologie weiterentwickeln und auf ihre Alltagstauglichkeit prüfen. Acht davon speisen bereits Wasserstoff beziehungsweise Methan in das bestehende Leitungsnetz ein. Bei den weiteren Aktivitäten kommt es jetzt darauf an, Anlagen mit deutlich höherer Leistung im größeren Megawattbereich aufzubauen und damit auch die spezifischen Gestehungskosten deutlich zu reduzieren. Die Chancen für eine deutlich geringere CO 2 -Belastung in deutschen Städten stehen besser denn je. Die Energieversorgung im urbanen Raum sowie viele weitere Topthemen der Gaswirtschaft stehen auf dem Programm des größten deutschen Branchenforums, der gat 2016, die vom 8. bis 10. November in Essen stattfindet (https: / / www.gat-kongress.de). Im Rahmen des Forums „Energiewende vor Ort“ diskutieren u.a. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin und der Düsseldorfer OB Thomas Geisel aktuelle Herausforderungen der kommunalen Wirtschaft. Wie muss eine Infrastruktur geschaffen sein, die die großen Verbrauchszentren sicher mit Energie versorgt? Und welchen Beitrag kann die zunehmende Dezentralisierung der Energiezeugung dazu leisten? Die damit verbundenen Fragen stellen sich damit nicht nur für die großen Energieerzeuger, sondern auch für viele lokal und regional agierende Versorgungsunternehmen, die für eine dezentrale Gas- und Stromversorgung stehen. Die erforderlichen Investitionen in die Verteilnetze werden durch den derzeitigen Regulierungsrahmen nur ungenügend angereizt. Wie kann die Anreizregulierung zielführender ausgestaltet werden und wie wirkt sich dies auf kleinere und mittlere Unternehmen aus? Wie sieht die Stadtwerke-Landschaft im Jahre 2020 aus? Und wie lassen sich die Potenziale im Wärmemarkt in Schwung bringen? Dies sind die Leitfragen, die das Forum für kommunale Wirtschaft kritisch beleuchten und kontrovers mit dem Publikum diskutieren wird.
