Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0054
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Algenzucht an der Hausfassade
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Klaus W. König
Grün ist nicht jedermanns Sache. Architekten raten von grün gestrichenen Fassaden oftmals ab – mit dem Argument, dass diese Farbe in Konkurrenz zum natürlichen Grün der Natur unpassend wirken könnte. Was aber, wenn echtes Chlorophyll aus lebenden Algen den grünen Farbton der Außenwand bildet? Dann passt der Farbton genauso in die Natur, wie die Fassadentechnik des BIQ-Pilotprojekts zur Energiewende.
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16 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Im Zuge der internationalen Bauausstellung entstanden im Jahr 2013 in Hamburg-Wilhelmsburg die Smart Material Houses. Bei ihnen wurden neue und intelligente Baustoffe für Gebäude und Fassaden erprobt. Eines davon ist das BIQ, ein Mehrfamilienhaus nach Passivhausstandard, dessen Südost- und Südwestfassade eine Mikroalgen-Zucht schmückt. Unter Zufuhr von Nährlösung und CO 2 tanken die Algen in 3 m hohen und 60 cm breiten Flachreaktoren Sonne, vermehren sich dadurch kräftig und produzieren nebenbei thermische Energie. Diese wird im Technikraum für Warmwasser und Heizung nutzbar gemacht. Neben der Wärmeerzeugung dienen die schwenkbar aufgehängten Bioreaktoren der Lichtsteuerung und Beschattung sowie dem Wärme-, Kälte- und Schallschutz des kubischen 5-geschossigen Wohnhauses. Mikroalgen als organische Rohstoffquelle Doch damit nicht genug. Die grüne Flüssigkeit zirkuliert periodisch zwischen den 128 Paneelen und der Heizzentrale. Dort werden die Algen regelmäßig im Technikraum geerntet. Das Konzept sieht vor, diese Biomasse für die Pharma- und Kosmetikindustrie oder für die Herstellung von Nahrung und Futtermittel zu verwenden. Die organische Substanz der Mikroalgen bietet dafür hervorragende Voraussetzungen, denn sie enthält neben essentiellen Aminosäuren und ungesättigten Fettsäuren auch prä- und probiotische Substanzen. Was bei derlei Verwertung übrig bleibt, kann einer Biogasanlage zugeführt werden. Das so erzeugte Biogas strömt in eine Brennstoffzelle, die neben Strom und Wärme auch CO 2 be- Algenzucht an der Hausfassade Solaranlage zur Produktion von Wärme und grüner Biomasse Klaus W. König Grün ist nicht jedermanns Sache. Architekten raten von grün gestrichenen Fassaden oftmals ab - mit dem Argument, dass diese Farbe in Konkurrenz zum natürlichen Grün der Natur unpassend wirken könnte. Was aber, wenn echtes Chlorophyll aus lebenden Algen den grünen Farbton der Außenwand bildet? Dann passt der Farbton genauso in die Natur, wie die Fassadentechnik des BIQ-Pilotprojekts zur Energiewende. Bild 2: Vier Geschosse mit Bioreaktoren, jeweils auf der Süd- und Ostseite des Wohnhauses. Die Elemente eines jeden Geschosses sind zu einer Einheit verbunden. © König Bild 1: Die geschlossenen Wandflächen des Wohnhauses sind mit geschosshohen Bioreaktoren bedeckt, in denen hinter Glas Algen durch Sonnenlicht gedeihen. © König 17 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie reitstellt. Dieses lässt sich für die Photosynthese in den Algenpaneelen nutzen. Damit wäre der CO 2 -Kreislauf geschlossen. Doch bis das Vermarkten der Biomasse sich lohnt - was bei einer größeren Anzahl von Gebäuden der Fall sein wird, stammt das erforderliche CO 2 beim Versuchsgebäude aus der Abluft der Gasheizung. Nach Angaben der Initiatoren produziert die Fassade des BIQ täglich 1-2 g Biomasse pro Liter Algenflüssigkeit bzw. 3 kg auf 200 m² Bioreaktorfläche. Der geschätzte Nettogewinn von etwa 4.500 kWh reicht für zwei Energie-bewusst lebende Haushalte. Nutzen und Speichern der Wärme Bei starker Sonneneinstrahlung vermehren sich die Algen schnell und es entsteht viel nutzbare Wärme. Vor allem im Sommer ist der Ertrag hoch, aber der Bedarf gering. Da die 128 Fassadenpaneele grundsätzlich gekühlt werden müssen, wird dann von den Rohrbündel-Wärmeübertragern im Technikraum die Energie mit Hilfe einer elektrischen Wärmepumpe in vier Richtungen verteilt: Tagesspeicher für Warmwasser mit max. 60 °C Pufferspeicher für Niedertemperaturheizung mit max. 30 °C Nahwärmenetz der Umgebung, betrieben durch Hamburg Energie Saisonaler Langzeitspeicher in Form von Energiepfählen unter dem Haus. Ende der Sommerperiode waren dort 19 °C vorhanden. Das Limit liegt laut Umweltgesetz bei 20 °C - mehr darf der Untergrund nicht aufgeheizt werden. Der Betrieb der elektrischen Wärmepumpe ist umso effektiver, je niedriger die an der Verbrauchsstelle benötigte Temperatur ist. Insofern hilft die Bauweise gemäß Passivhausstandard, die Stromkosten gering zu halten und zugleich Wärme-Überschüsse Richtung Nahwärmenetz und Langzeitspeicher abgeben zu können. Die Steuerung der Verteilung wird wie alle anderen Prozesse der BIQ-Haustechnik von einer ausgeklügelten Leittechnik kontrolliert. Von der Idee zur Marktreife Die Planer des Grazer Architekturbüros Splitterwerk wollten mit Ihrem Entwurf die Energieproduktion aus dem Heizungskeller heraus ins Sichtfeld der Betrachter rücken. Sie sind davon überzeugt, dass langfristig vertikale Mikroalgen-Zucht dazu beitragen kann, Plusenergiehäuser zu realisieren - nicht nur Wohngebäude, auch Flughäfen, Lagerhallen oder Wolkenkratzer. Doch bis zur Serienreife muss die Idee noch weiterentwickelt werden. Daran arbeitet das Team von Dr. Martin Kerner. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Strategic Science Consult (SSC), einer Biotechnologiefirma mit Sitz in Hamburg. Hier laufen die Fäden der Forschung zu Bioreaktorfassaden zusammen. Es hat sich bereits gezeigt, dass die mit Wasser und Nährlösung gefüllten Bioreaktoren in der Fassade den besten Lebensraum für Mikroalgen bieten. „Wir wollen mit optimierter Anlagen- und Prozesstechnik die Produktivität von Biomasse und Wärme steigern sowie die Akzeptanz der Bewohner verbessern“, erklärt der habilitierte Hydrobiologe Kerner. Versorgung der lebenden Fassade Was stört die Bewohner? Bisher bekommen die Paneele an der Fassade so viel CO 2 , dass sich ein pH-Wert von 7,2 eingestellt hat. Der Eintrag der Luft erfolgt von unten. Sie bewegt in der Flüssigkeit schwimmende Füllkörper durch ihre Turbulenz so, dass diese die Glasflächen reinigen - Voraussetzung für eine gute Sonneneinstrahlung. Die Luft verlässt Bild 3 (oben): Das Algenhaus auf einem Modell-Ausschnitt von Hamburg- Wilhelmsburg (in der Bildmitte). © König Bild 4 (unten): Auf der Rückseite des Gebäudes Photosynthese als grafisches Element. © König Algen gedeihen auch in Salzwasser und auf unfruchtbaren Böden. Für ihr Wachstum benötigen sie Sonnenlicht. 50 000 Algen- und Cyanobakterien-Arten gibt es, so schätzen Wissenschaftler. Rund 5000 davon sind bislang bekannt. Doch nur zehn Arten haben es bisher bis zu einer kommerziellen Nutzung gebracht. Aber weil sie so anspruchslos sind und selbst in Salzwasser in Becken auf unfruchtbaren Böden gedeihen, könnten sie die Probleme lösen helfen, die die energetische Nutzung von Nahrungspflanzen aufwirft. „Algen wachsen sehr viel schneller als Soja oder Mais. Sie brauchen keine fruchtbaren Böden, keine Pestizide und könnten pro Hektar und Jahr einen zehn Mal höheren Ertrag bringen“, sagt Professor Dr. Thomas Brück, Leiter des Fachgebiets Industrielle Biokatalyse der TU München. Quelle: Technische Universität München, 2015 ALGENWACHSTUM 18 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Mikroalgen sind ganz besondere Pflanzen. Sie sind zwar winzig klein, aber dennoch Weltmeister im Wachsen. Im Gegensatz zu Mais oder Raps, den wir von den strahlend gelben Feldern kennen, können sie bis zu 10mal schneller wachsen. Dass sie dennoch nicht besonders groß werden, stört dabei nicht im Geringsten. Streng genommen sind sie nämlich keine richtigen Pflanzen, sondern Pflanzen und zugleich Mikroorganismen. Und wenn diese wachsen, teilen sie sich. Sie werden also nicht größer, sondern einfach immer mehr. Und mehr. Und mehr. Und dabei sind sie letztlich dann doch wieder den Pflanzen ähnlich, denn um zu wachsen, betreiben sie Photosynthese: Sie nehmen CO 2 aus der Umgebung auf und verwandeln ihn mit Hilfe des Sonnenlichts in Sauerstoff. Mikroalgen können sehr viel CO 2 aufnehmen und daraus sehr schnell eine große Menge Biomasse erzeugen. Aus diesem Grund sind sie die idealen Energiepflanzen. Quelle: www.werkstatt-n.de/ projekte/ www.morgen-in-meiner-stadt.de die geschosshohen Paneele an deren oberem Abschluss. Dieser „Airlift“-Prozess ist zu hören und wird auf Wunsch der Bewohner nachts ausgesetzt. Bei Industriefassaden, wo weder Geräusch noch Luftbeschaffenheit störend wirken, könnten die Algenpaneele mit CO 2 -haltigem Abgas aus Kraft-Wärme-Kopplung oder aus Biogasproduktion preiswert versorgt werden. Damit kann diese Technik einen Beitrag zur Bindung von CO 2 leisten. Und die Nährlösung, beim Pilotprojekt noch mineralisch zusammengesetzt, ließe sich umweltschonend aus landwirtschaftlichem oder industriellem Abwasser gewinnen. Auch Gärreste der Biogasproduktion wären dafür geeignet - wodurch sich wieder ein Kreislauf der Produktion von Biomasse aus der mit Algen betriebenen Biogasanlage schließen würde. BIQ auf der EXPO 2017? Ressourcen, die nicht zur Verknappung der Nahrungsproduktion beitragen, werden in Zukunft bevorzugt - so der Stand der wissenschaftlichen Diskussion. Das Algenhaus BIQ in Hamburg-Wilhelmsburg entspricht dieser Maxime. Laut Projektleiter Dr. Stefan Hindersin hätte das ideal zum Thema der Mailänder Weltausstellung 2015 gepasst: Den Planeten ernähren, Energie für das Leben. Doch waren die Ergebnisse des aktuell durchgeführten, fünf Jahre dauernden Monitoring dafür noch nicht auswertbar. Deshalb plane man die Vorstellung des BIQ im internationalen Kontext voraussichtlich bei der EXPO im Jahr 2017 in Kasachstan. Das Motto dort wird lauten „Future Energy: Action for Global Sustainability“. Wie Future Energy - die Energie der Zukunft - aussehen muss, beschreibt mit Blick auf das Jahr 2020 Dieter Lindauer, Betriebs- Bilder 5 bis 8: Heizzentrale im Erdgeschoss mit Wärmespeicher, Entnahmegefäß und senkrecht stehendem Rohrbündel-Wärmeübertrager sowie Zu- und Rücklauf des Algenwassers. © König DAS PFLANZENKRAFTWERK DER MIKROALGEN 19 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie leiter und Geschäftsführer der Stadtwerke Rodgau und 1. Vorsitzender des Bundesverbandes Smart City e.V.: „Die intelligente, vernetzte Stadt der Zukunft versorgt ihre Einwohner mit dezentraler, weitestgehend regenerativer Energie“. Bleibt zu hoffen, dass die Fassadentechnik des BIQ-Hauses ihre Bewährungsprobe besteht. Unter idealen Bedingungen vermehren sich die einzelligen Mikroalgen so, dass sie täglich ihre Anzahl verdoppeln, das ermöglicht neben dem Wärmegewinn durch Solarthermie die Ernte von 15 g Trockenmasse pro Quadratmeter und Tag - intelligente Möglichkeiten also, große Fassadenflächen mit BIQ in solare Kraftwerke zu verwandeln! Literatur • König, K. W.: Balkonpflanzen unterstützen Gebäudetechnik. In: Stadt + Grün, Ausgabe 8/ 2013 • Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung: Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin, März 2010. • Lindauer, D.: Smart City 2020. In: Urban 2.0, Ausgabe 1/ 2012 • Moritz, A.: Energie von der Hausfassade. In: HK-Gebäudetechnik, Ausgabe 2/ 2015 Weitere Informationen www.biq-wilhelmsburg.de Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist. Kontakt: kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 9: Ein Monitoring-Programm, das von 2013 bis 2018 läuft, kontrolliert die Prozesse. © F & E der SSC GmbH Verlässliche und exakte Echtzeitdaten als Schlüssel zum intelligenten Netzwerk. Aktuelle Kommunikationsplattformen für mobile oder stationäre Funkauslesung, zum Aufbau einer zukunftssicheren, erweiterbaren Infrastruktur. Info.de@sensus.com www.sensus.com
