Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0055
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„Urban farming“ – natürlich auf Dächern!
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Gunter Mann
Die Tendenz zu nutzbaren Intensivbegrünungen mit Freizeit- und Verkehrsflächen ist spürbar. Auf Kaufhäusern, Geschäften, Einkaufszentren, Hotelanlagen, Schulen, Kindertagesstätten, Parkhäusern entstehen für den Menschen nicht nur zusätzlicher „Wohnraum“ mit Spiel- und Sportplätzen, Pausen- und Rückzugsräumen, sondern vor allem Begegnungsstätten generationsübergreifend für junge und ältere Menschen. Und das Reizvolle für alle Investoren – der Baugrund für diese weiteren Nutzflächen ist kostenlos. Er wurde ja schon ebenerdig bezahlt und erfährt „oben“ eine „Zweitnutzung“.
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20 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Kosten intensiver Dachbegrünungen sind bei weitem geringer als die Kosten eines neuen Bauplatzes - man muss sich nur die Grundstückspreise in größeren Städten vor Augen halten. Zudem sind freie Bauplätze vor allem in Ballungszentren Mangelware. Dabei lassen sich ungenutzte Stadtflächen durch die vielen bisher brachliegenden Dächer erschließen und auch zur lokalen und nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln nutzen. Die Stadt versorgt sich selbst - schnell, effektiv, erlebbar. Urban farming auf dem Dach nutzt das schon erworbene Grundstück ein zweites Mal und schafft im Zuge einer intelligenten und nachhaltigen Nutzung die einzigartige Möglichkeit der Lebensmittelversorgung in der Stadt. Durch die Verlagerung der Produktionsstätten in die Stadt hin zum Bedarf werden auch Transportwege gespart und ein weiterer Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Obst- und Gemüseanbau wird erlebbar und fördert neben der gesunden und bewussten Ernährung auch das Miteinander und schafft soziale Netzwerke. Urban farming auf Dächern ist Bestandteil einer zukunftsträchtigen nachhaltigen Stadtentwicklung, die Begrünung von Dächern ist ein wichtiger Gegenpol zur anhaltenden Versiegelung. Dabei leisten begrünte und genutzte Dächer noch viele weitere Vorteile, wie Verbesserung des Umgebungsklimas, Regenwassermanagement, Schutz der Dachabdichtung u.v.m. Systemlösungen zu „urban farming“ auf Dächern Es gibt verschiedene Ansätze zum „Urban farming“ auf dem Dach - von privaten Bauherren, die auf ihrem Dachgarten unter anderem auch ein kleines Gemüsebeet anlegen bis zu erwerbsgartenbauähnlichen Unter-Glasbzw. Offen-Kulturen. Fast alles ist möglich. Abhängig von der möglichen Flächenlast, der geplanten Bewässerungsstrategie und der gewünschten Obst- und Gemüsesorten bieten sich verschiedene praxisbewährte Systeme an: etwa die beiden Varianten der Optigrün-Systemlösung „Gartendach Urban farming“. Diese beiden Varianten unterscheiden sich vorrangig in der Dränschicht und damit in Gewicht und der möglicher Bewässerungsart. Dabei wird in Abhängigkeit der möglichen Flächenlast die Art der Dränageschicht ausgewählt: Optigrün-Festkörperdränage Typ FKD 60 mit hoher Wasserspeicherfähigkeit mit oder ohne Wasseranstau Optigrün-Festkörperdränage Typ FKD 40 als leichtere Variante mit mittlerer Wasserspeicherfähigkeit ohne Wasserstau. „Urban farming“ - natürlich auf Dächern! Von Dachhonig, Gründachmarmelade, Obst- und Kräuterdächern Gunter Mann Die Tendenz zu nutzbaren Intensivbegrünungen mit Freizeit- und Verkehrsflächen ist spürbar. Auf Kaufhäusern, Geschäften, Einkaufszentren, Hotelanlagen, Schulen, Kindertagesstätten, Parkhäusern entstehen für den Menschen nicht nur zusätzlicher „Wohnraum“ mit Spiel- und Sportplätzen, Pausen- und Rückzugsräumen, sondern vor allem Begegnungsstätten generationsübergreifend für junge und ältere Menschen. Und das Reizvolle für alle Investoren - der Baugrund für diese weiteren Nutzflächen ist kostenlos. Er wurde ja schon ebenerdig bezahlt und erfährt „oben“ eine „Zweitnutzung“. Bild 1: Blick über zwei Flächen der Obst- und Kräuterdächer in Radolfzell (links). © Optigrün Bild 2: Die Ernte war erfolgreich und ergab viele Gläschen der „Gründach- Marmelade 3-Frucht“ (rechts). © Optigrün 21 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Substratschicht mit den Kultursubstraten Optigrün-Intensivsubstrat Typ i und dem eigens entwickelten Optigrün-Substrat Typ „Urban soil“ kann von 7 bis 35 cm variiert werden und richtet sich nach den Ansprüchen der Pflanzen. Das schon über viele Jahre bewährte Optigrün- Intensivsubstrat Typ i eignet sich vor allem für Obststräucher und Kleinbäume. Es entspricht mit seinen Kennwerten den Anforderungen der FLL-Dachbegrünungsrichtlinie. Das speziell entwickelte Optigrün-Substrat Typ „Urban soil“ zeichnet sich aus durch eine hohe Wasserspeicherfähigkeit bei dennoch guter Wasserdurchlässigkeit und ausreichend hohem Luftporenvolumen. Hier ist wichtig, die kontinuierliche Nährstoffzufuhr über regelmäßige Düngung sicherzustellen. Die Verwendung ausgewählter unbelasteter Zuschlagstoffe bildet die Grundlage für gesunde Früchte und Gemüse. Die Pflanzen bestimmen mit ihren Ansprüchen die Höhe des Substrates, die Nährstoffgaben und die Bewässerungsstrategie. Die Kategorien zeigen unverbindliche Vorschläge, deren Eignung objektbezogen zu prüfen ist. Kategorie 1: Substrathöhe ca. 7 - 12 cm, für Kräuter (z.B. Origanum, Thymian, Rosmarin, Lavendel), Feldsalat, Wald-Erdbeeren. Kategorie 2: Substrathöhe ca. 13 - 25 cm, für Gemüse (z.B. Kopfsalat, Zucchini, Tomaten, Karotten), Beerensträucher. Kategorie 3: Substrathöhe ca. 26 - 40 cm, für kleine Obstbäume. Bewässert wird objektbezogen, abhängig von der Pflanzenauswahl und Flächengröße ganz nach den Wünschen des Bauherrn. Mögliche maximale Flächenlast, Nutzung von Regenwasser und Wasserkreisläufen (z.B. Zisterne), Pflegeaufwand usw. spielen dabei eine wichtige Rolle: 1. Wässern per Hand (Schlauch, Gießkanne) 2. Anstaubewässerung (mit und ohne automatischer Bewässerung) 3. Tropfbewässerung bzw. Bewässerungsvliese Beispiele aus der Praxis „Gründach-Marmelade 3-Frucht“ - Gelebtes Urban farming am Bodensee Beim Projekt „Gerberareal“ in Radolfzell am Bodensee hatte der Auftraggeber Kupprion Immobilien GmbH aus Singen schon sehr konkrete Vorstellungen von den begrünten Dächern. Für die Wohnanlage in der Stadtmitte waren insgesamt drei voneinander getrennte Dachbegrünungsflächen auf Ebene der ersten Obergeschosse geplant. Diese sollten vom Treppenhaus aus begehbar sein. Kupprion wollte nicht nur eine schöne Blumenwiese, sondern ein Dach mit essbaren Früchten und Kräutern. Den Bewohnern der Wohnanlage sollte mit den begehbaren Dachbegrünungen außer dem optischen Blickfang ein zusätzlicher Nutzen geboten werden. Die Dachflächen sind nun mit Beerensträuchern und -stauden sowie Gewürz- und Duftkräutern bepflanzt. Die Anwohner genießen die verschiedenen Beerensorten - Johannis-, Stachel-, Josta- und Erdbeeren - die sie von Juni bis August ernten können. Lavendel, Rosmarin, Thymian und Origanum bereichern den Obst- und Kräutergarten, der mit einer „einfachen Intensivbegrünung“ vor vier Jahren hergestellt wurde. Die Menschen vor Ort nutzen die Obst- und Kräuterdächer gerne und intensiv und ernten jedes Jahr viele Beerenfrüchte und nutzen die frischen Kräuter für ihre Küche. Hier hatte auch die „Gründach-Marmelade 3-Frucht“ von Optigrün ihren Ursprung. Auf einem der Dächer wurden im Juli Johannis-, Stachel- und Jostabeeren geerntet und von Mitarbeiterinnen der Optigrün international AG zu einer köstlichen Marmelade verarbeitet. „Urban farming“ auf dem Dach ist so mit allen Sinnen erlebbar! Dachbegrünungen vereinen eine Vielzahl positiver Wirkungen und Funktionen. Die meisten von ihnen sind erforscht und mit Zahlen hinterlegt. Hier eine kurze Übersicht der wichtigsten Vorteile: • Schutz der Dachabdichtung • Wärmedämmung im Winter und Hitzeschild im Sommer • Erhöhung des Wirkungsgrades von Photovoltaikanlagen • Wasserrückhaltung und Minderung der Spitzenabflüsse: Hochwasserschutz • Verbesserung des Umgebungsklimas • Minderungsmaßnahmen bzw. ökologische Ausgleichsflächen • Verbesserung der Luftschalldämmung • Filterung von Luftschadstoffen und Feinstaub • Minderung von Elektro-Smog. • Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes, zusätzliche Wohn- und Nutzflächen • Aufwertung der Gebäudearchitektur, Imagewerbung, „Grün am Bau“ POSITIVE WIRKUNGEN BEGRÜNTER DÄCHER Bild 3: Systemlösungen Gartendach Typ Urban farming. © Optigrün 22 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Gemüseanbau und mehr in Rotterdam Auf dem Dach des Schieblock im niederländischen Rotterdam wird auf etwa 1 000 Quadratmeter Dachfläche intensiv Urban farming betrieben. Das Schöne dabei ist, dass es nicht um erwerbsmäßigen Gartenbau und reinen Ertrag geht, sondern darüberhinaus um Naturerlebnis, gesellschaftliche Kontakte, Kommunikation, Bildung und natürlich auch um kulinarische Highlights - auf dem Dach werden auch Speisen angeboten mit dem dort geernteten Gemüse! Auf dem Urban-Farming-Dach finden regelmäßig Veranstaltungen und Workshops statt und immer wieder werden interessierte Reisegruppen über das Dach geführt. Honig vom Gründach in der Innenstadt Augsburgs Das Hotel Drei Mohren in Augsburg nutzt dagegen mehrere tausend Quadratmeter Fläche seiner begrünten Dächer nicht als Obstwiese sondern als Bienenweide. Direkt auf der extensiven Dachbegrünung mit einer Sedum- Kräuter-Vegetation stehen mehrere Bienenstöcke, so dass die Honigbienen nicht weit zu fliegen haben, um Pollen und Nektar zu sammeln. Die Bienen finden vor allem in den Monaten Juni/ Juli zahlreiche Blüten vor und sind bei passender Wetterlage überaus aktiv. Der daraus gewonnene Bienenhonig wird an der Hotel- Rezeption für wenig Geld als kleine Erinnerung an den Aufenthalt verkauft. Bei der Planung begehbarer und genutzter Dächer sind grundsätzlich bestimmte Punkte zu beachten: • Dachabdichtung nach DIN EN 18195 • Wurzelfeste Dachabdichtung nach FLL bzw. DIN EN 13948 • Kein bis geringes Gefälle für mögliche Anstaubewässerung • Ausreichende Statik (Schnee- und Verkehrslast, Gründachaufbau, ggf. Punkt-Lasten) • Höhere Randabschlüsse bzw. eingerückte Pflanzbeete (ggf. arbeits- oder rollstuhlgerechte Hochbeete) • Absturzsicherung • Wasseranschluss (ausreichend dimensioniert und auf die Bewässerungsstrategie angepasst) • Der Nutzung angepasste Zugänge und befestigte Wirtschaftswege • Bei Bedarf barrierefreier Zugang (z.B. bei Krankenhäusern, Seniorenwohnanlagen u.ä. mit Therapiegärten) • Gründachaufbau in Abhängigkeit der Pflanzen und Lastreserven • Bei Bedarf Maßnahmen zur Verwehsicherheit und Schattierung PLANUNG VON „URBAN FARMING“-DÄCHERN Bild 4 bis 7: Urban farming-Dach in Rotterdam (links oben), Bienenstöcke auf dem Hotel Drei Mohren in Augsburg (rechts oben), erwerbsmäßig auf einem New Yorker Dach angebautes Gemüse (links unten) wird unten im Haus verkauft (rechts unten). © Optigrün 23 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Weitere Bauteile bei genutzten Dächern Mit weiteren Einbauteilen lässt sich das Urban-farming-Dach ergänzen und zu einem komplett aufeinander abgestimmten System erweitern. Rand- und Beeteinfassungen Eine elegante Lösung zur Einfassung von Pflanzbeeten bieten beispielsweise die Optigrün- Randelemente aus Aluminium, die abgestimmt auf die Gründach-Systemaufbauten erhältlich sind. Die Randelemente werden jeweils objektbezogen angefertigt und können bei vorausschauender Planung optimal in die Dachbegrünungsnutzung einbezogen werden. Folgende Eigenschaften zeichnen die Randelemente Typ Alu aus: Wertbeständiges Material: Aluminium Kleine und größere abgrenzbare Flächen Freie Gestaltung in Form, Farbe und Größen; auch runde Formen, Bögen und Schrägen Objektbezogene Maßanfertigung in fast allen Abmessungen und Formen Frost- und bruchsicher, witterungsbeständig Leicht zu transportieren und zu verlegen Sonder-Details wie Treppen, Sitzgelegenheiten, LED- Beleuchtung, Wasserbecken Auflastgehaltene Absturzsicherung genutzter Dächer Damit die intensive Dachnutzung beim „Urban Farming“ sorgenfrei geschehen kann, muss auch eine Geländer vorgesehen werden. Dabei bieten sich auflastgehaltene Geländerlösungen an, damit nicht in die Dachabdichtung und -konstruktion eingegriffen werden muss. Ein praxisbewährtes Beispiel ist das Geländersystem SkyGard: Kein Eingriff in die Dachabdichtung oder Dachkonstruktion Standsicherheit durch die Auflast der Dachbegrünung Projektbezogene Berechnung der Standsicherheit und Verlegeplan Maßlieferung der Systemteile, damit keine Schneidarbeiten Problemlose Anpassung an Dachneigung und Unebenheiten durch den in alle Richtungen drehbaren Kugelgelenkfuß Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten bei den Geländerfüllungen in Form (Glas, Stab) und Farbe (RAL) Dr. Gunter Mann Prokurist Optigrün international AG und Präsident Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB) Kontakt: mann@optigruen.de AUTOR Bild 9: Schmackhafte Himbeeren vom Berliner Gründach. © Optigrün Erweiterung mit Halterungen für Schattiergewebe, Sonnenschirme usw. möglich Fazit Begrünte Dächer vereinen eine Vielzahl an positive Wirkungen, die sich je nach den örtlichen Gegebenheiten nachweisbar rechnen können. Dachbegrünungen gehören zweifelsohne zu den Konzepten eines nachhaltigen Bauens. Für die fachgerechte Planung und Umsetzung von Dachbegrünungen gibt es Richtlinien. Urban farming, natürlich mit Dachbegrünung! Was könnte das Thema „Green building“ und „Nachhaltigkeit“ besser verkörpern und die vielen brach liegenden Dachflächen in der Stadt der Zukunft besser nutzen! ? Bild 8: Berlin, Wiegmann-Klinik: Obst und Therapie auf dem Dach - „Urban farming“ mitten in der Stadt. © Optigrün
