eJournals Transforming cities 1/3

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0061
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Der Quadratmeter hoch drei

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Irene Zluwa
Ulrike Pitha
Eine Dachlandschaft zum Erholen für den Menschen? Grüne Energieproduktion mittels Solarzellen? Oder doch ein biodiverser Lebensraum für Tier und Pflanze? Dass diese Vorstellungen zur Nutzung von Flachdächern sich nicht ausschließen, sondern „unter ein Dach“ bringen lassen, bewies ein Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur Wien in Kooperation mit Firmenpartnern aus der Grün- und Gebäudetechnik mit dem Systemkonzept „PV-Dachgarten“.
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45 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün In dem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekt wurden Dachlandschaften entwickelt, die mittels pergolaartig aufgeständerten, lichtdurchlässigen Photovoltaik-Paneelen und einem darunterliegenden Grün- und Erholungsraum eine Dreifachnutzung der wertvollen urbanen Dachflächen erlauben und dabei gleichzeitig die Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen erhöhen (Bild 1). Die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung und der positive Effekt von Pflanzen Die Begrünung von Städten liefert einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituationen in den meist stark versiegelten Stadtquartieren. Die Pflanzen leisten dabei wertvolle Dienste wie Filterung von (Fein-)Stäuben und Bindung von CO 2 sowie die Produktion von Sauerstoff. Dadurch tragen sie positiv zur Hebung der Luftqualität bei. Durch den Einsatz von Pflanzen an städtischen Oberflächen wie z.B. Gebäudewänden oder Dächern wird die Rauigkeit dieser Flächen erhöht, wodurch Wind und Schallreflexion gemindert werden. Die Transpiratonsleistung von Pflanzen trägt zusätzlich zur Kühlung der Luft und in Folge zur Reduktion des „Urban Heat Island“-Effektes bei. Im Bodenaufbau der Begrünungen kann Niederschlagswasser versickern, also in den natürlichen Kreislauf zurückgebracht werden und somit der Spitzenabfluss bei Starkregenereignissen abgefedert werden [1]. Die Bevölkerung im städtischen Raum wächst, täglich werden mehr und mehr Flächen versiegelt, Der Quadratmeter hoch drei Energiegewinnung, Erholung und Grünraum im Photovoltaik- Dachgarten - ein Systemkonzept zur Vereinigung bislang konkurrierender Nutzungswünsche auf dem Flachdach. PV-Dachgarten, PV, Gründach, Stromerzeugung, Urban Gardening Irene Zluwa, Ulrike Pitha Eine Dachlandschaft zum Erholen für den Menschen? Grüne Energieproduktion mittels Solarzellen? Oder doch ein biodiverser Lebensraum für Tier und Pflanze? Dass diese Vorstellungen zur Nutzung von Flachdächern sich nicht ausschließen, sondern „unter ein Dach“ bringen lassen, bewies ein Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur Wien in Kooperation mit Firmenpartnern aus der Grün- und Gebäudetechnik mit dem Systemkonzept „PV-Dachgarten“. Bild 1: Die Dreifach- Funktion des PV-Dachgartens: Energieproduktion mit der PV-Überdachung - Erholungsraum für den Menschen - biodiverses Gründach. © Irene Zluwa 46 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün um Platz für Wohnraum zu schaffen. Durch die Erweiterung und Verdichtung des Stadtraumes wird das Angebot von bodengebundenen Freiräumen stetig reduziert. Neue Freiflächen müssen gefunden werden. Aus diesem Grund wurden Dachflächen von Gebäuden zum beliebten Standort für unterschiedliche Nutzungen. Diese gilt es zu koordinieren und multifunktionale Lösungen zu erarbeiten, die möglichst viele unterschiedliche Funktionen auf dem raren Freiraum kombinieren. Eine Herausforderung, der sich das Team des Forschungsprojektes „PV- Dachgarten“ (Tatwort-Nachhaltige Projekte, ATB- Becker, Ertex-Solar, Gartengestaltung Jörg Fricke, Raintime, IC-Clean Solutions, Wien Süd, Architekturbüro Treberspurg und Partner und drei Institute der Universität für Bodenkultur Wien (Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, Institut für konstruktiven Ingenieursbau, Institut für Meteorologie)) stellte und ein Systemkonzept für stromproduzierende grüne Dachlandschaften entwickelte. Vorgangsweise im Projekt Als erster Schritt wurden Umfragen zur „Wunschnutzung“ von Dachflächen gemacht. Die potenziellen Nutzer und Nutzerinnen der Dachflächen nannten folgende Funktionen in absteigender Reihenfolge: Ruhe- und Erholungszone, sozialer Treffpunkt, Spiel- und Sportfläche, Urban Gardening, Arbeiten (Home Office). Bei den Befragungen wurde die Produktion von grünem Strom mittels Photovoltaik ebenfalls als sinnvoll angesehen. Zusätzlich wurde festgestellt, dass ein Witterungsschutz (vor Sonne, Regen und Wind) auf den exponierten Dachflächen als wesentlicher Faktor zur Akzeptanz und erfolgreichen Annahme der Flächen notwendig ist. Weiters wurden rechtliche Rahmenbedingungen sowie Stakeholdervorgaben ermittelt, dann mit der Planung der konstruktiven Details (im nächsten Absatz näher beschrieben) begonnen. In einer Versuchsanlage wurden die Bedingungen auf realer Ebene getestet - vor allem die Pflanzenauswahl in den kernschattigen Zonen stellte eine große Herausforderung dar. Aus ausgewählten Indikatorpflanzen konnten Artenvorschläge für die sonnigen Bereiche der Terrassen, für die halbschattigen Bereiche am Rand der Photovoltaik-Überdachung und für die Zonen im Kernschatten der PV abgeleitet werden. Aufbau der Photovoltaik-Dachlandschaften Die pergolaartige Trägerkonstruktion (Bild 2) kann modulartig zusammengesetzt werden. Das Basismodul besteht aus Stahlrahmen und Rohren, die mit Stahlplatten auf der Schutzlage über der (wurzelfesten) Abdichtung der Dachfläche aufliegen. Auf ihr wird die Photovoltaik-Überdachung befestigt, diese ist aus überkopftauglichen Glas-Glas-Modulen mit 30-prozentiger Transparenz ausgeführt (Bild 3). Die erforderliche Restlichtdurchlässigkeit wurde von der Universität für Bodenkultur Wien in einem Vorversuch ermittelt und als Mindestwert für ein erfolgreiches Pflanzenwachstum geeigneter Arten festgelegt [2]. Auf dem Dach befindet sich über den korrosionsgeschützten Stahlplatten ein vollflächiger Gründdachaufbau, der durch die Auflast des Substrates der Windsoglast entgegenwirkt. Dadurch ist keine Dachdurchdringung notwendig und Risiken wie Undichtheit an den Durchdringungsstellen und Schwingungsübertragung in das Gebäude können vermieden werden. Auch ist es mit diesem System möglich, ein Flachdach unkompliziert als energieerzeugende Gründachlandschaft nachzurüsten, wenn es die Statik erlaubt. Anstatt des vollflächigen Gründaches können auch einzelne Tröge auf die Dachfläche aufgesetzt werden. Bild 2: Modulartig erweiterbare Trägerkonstruktion. © Institut für konstruktiven Ingenieurbau, Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen, Universität für Bodenkultur Wien Bild 3: Lichtdurchlässiges Photovoltaikmodul mit gelochten und opaken Zellen. © Roman Fritthum 47 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Über die Stahlrohre der Trägerkonstruktion werden die Leitungen für die Photovoltaik verdeckt geführt. Regenwasser kann von der dichten PV-Überdachung in den Gründachaufbau geleitet und so als nachhaltige Wasserressource für den Dachgarten genutzt werden. Auch Regenwassersammlung mit Hilfe von integrierten Behältern ist möglich. Der Schichtaufbau des Gründaches (wurzelfeste Dachabdichtung - Schutzlage - Drainageschicht - Filtervlies - Vegetationstragschicht) muss mindestens 20 cm betragen, um genug Wurzelraum für höhere Pflanzen bereitzustellen, je stärker die Substratstärke, umso breiter ist das mögliche Artenspektrum. Weiters ist bei der Auswahl der Arten auf die unterschiedlichen Lichtzonen zu achten (Bild 4). Für die vollsonnigen Flächen ist ein breites Artenspektrum möglich und es gibt bereits umfangreiche Listen und Pflanzenempfehlungen. In den Randbereichen unter der PV-Überdachung fühlen sich Halbschattenpflanzen wohl, schwierig erweist sich die Pflanzenauswahl in den Flächen, die nur etwa 30 % direkte Strahlung zur Verfügung haben. Hier wird vorwiegend auf Blattschmuckstauden zurückgegriffen, die trotzdem hitze- und trockenheitsverträglich sind. Weitere Forschung und das Sammeln von Erfahrungswerten ist hier notwendig, um ein breiteres Artenspektrum empfehlen zu können. Musterlandschaften Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wurden in einem nächsten Schritt Musterlandschaften entwickelt, die mittels Plandarstellungen, Visualisierungen und Pflanzenvorschlägen, die Einsatzmöglichkeiten einer Photovoltaik-Dachlandschaft aufzeigen sollen: Wie in Bild 7 und 8 gezeigt, dient als erstes Musterbeispiel ein 420 m 2 großer Dachgarten, der für alle Bewohner und Bewohnerinnen eines Wohngebäudes zugänglich sein soll. Der Gründachaufbau hat eine Stärke von 25 cm und wird mit einer trittfesten trockenheitsresistenten Kräuterrasenmischung bepflanzt. Für den Bereich in der Mitte der Dachfläche mit Teeküche und Essplatz sowie für die Wegverbindungen sind Oberflächenbefestigungen mit Platten vorgesehen. Für die Pflanzbeete, die von den Nutzern und Nutzerinnen selbst gestaltet und bewirtschaftet werden können, werden auf den Gründachaufbau Hochbeetelemente mit integrierten Sitzmöglichkeiten aufgesetzt. Für diese Variante wird eine Grundauswahl an Pflanzen vorgesehen, die durch die Bewohner und Bewohnerinnen selbst ergänzt und verändert werden kann. In den schattigen Bereichen des Dachgartens bilden Mahonie, Bergenie und Porzellanblümchen ein schattenverträgliches Grüngerüst. Bild 4: Gründachaufbau mit Bepflanzung im teilschattigen Randbereich. © Irene Zluwa Bild 5: Wildbiene auf dem Gründach. © Irene Zluwa Bild 6: Chilli-Pflanze. © Irene Zluwa Im teilschattigen Randbereich besticht das Garten- Reitgras, ein rotblühender Storchenschnabel mit eindrucksvoller Herbstfärbung und das den ganzen Sommer lang gelbblühende Mädchenauge. Auf den vollsonnigen Flächen treten Goldsedum im Sommer und Hohes Sedum im Herbst in den Vordergrund. Für Dynamik sorgen sich selbst aussäende Pflanzen wie Löwenmaul, Ringelblume und Akelei, die sich in den vorgesehenen Lücken der Pflanzflächen verbreiten sollen. Diese robuste, pflegeleichte Pflanzenauswahl kann von den Nutzern und Nutzerinnen des Dachgartens frei erweitert werden. Besonders die Küchenkräuter Strauchbasilikum, Schnittlauch oder Salbei eignen sich dafür hervorragend. 48 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die zweite vorzustellende Mustervariante zeigt eine Dachlandschaft, die in Mieterparzellen gegliedert ist (Bild 8). Die Grundausstattung, Menge der Hochbeete und Rasenfläche wird in Absprache mit dem Bauträger vorab festgelegt, kann aber im nachhinein noch verändert werden. Zusätzlich bietet ein optionales Gartenhäuschen Platz zum Lagern von Werkzeug und zur Überwinterung von Möbeln. Hierbei ist auf zusätzliche (Wind-)lasten bei der Berechnung der statischen Eignung der Dachflächen zu achten. Jede Parzelle hat einen eigenen Wasseranschluss. In den besonnten Hochbeeten ist jede Art von Bepflanzung möglich, die Vorraussetzungen für Urban Gardening sind hier bestens gegeben. Unter der Photovoltaiküberdachung kann man sich im Schatten nach getaner Arbeit ausruhen oder die Köstlichkeiten der Tagesernte genießen. Für diesen Artikel wurden nur zwei Musterbeispiele herausgegriffen, weitere Möglichkeiten für PV-Dachgärten auf einem Bürogebäude und einem Hochschulzentrum können im Planungshandbuch unter folgendem Link online abgerufen werden: http: / / w w w.baunat.boku.ac.at / f ileadmin/ data/ H 0 3 0 0 0/ H 8 70 0 0/ H 8 74 0 0/ V T/ P V - D a c h g a r te n _ Planungshandbuch.pdf [5] Umsetzungsprojekte gesucht Um diese Idee von der Dreifachnutzung der Fläche nun auf eine reale Ebene zu bringen, werden Umsetzungsprojekte gesucht. Die Projektgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, energieerzeugende Photovoltaik- Dachgärten auf Flachdächern verstärkt zu etablieren, um in Zukunft die Dachflächen unserer Städte ökologisch sinnvoll nutzen zu können. Ideen wie der Photovoltaik-Dachgarten können bodengebundene, öffentliche(! ) Freiflächen und Bäume nicht ersetzen. Nur durch die Kombination von unterschiedlichen (traditionellen) Grünstrukturen und innovativen Lösungsansätzen wie dem PV-Dachgarten können unsere Städte auch unter zunehmender Verdichtung lebenswert bleiben. LITERATUR: [1] Pfoser, Nicole et al.: Gebäude, Begrünung und Energie: Potenziale und Wechselwirkungen. Interdisziplinärer Leitfaden als Planungshilfe zur Nutzung energetischer, klimatischer und gestalterischer Potentiale sowie zu den Wechselwirkungen von Gebäude, Gebäudebegrünung und Gebäudeumfeld. Technische Universität Darmstadt. Abschlussbericht August 2013. [2] Kremer, Anja: Pflanzen unter lichtdurchlässigen Photovoltaikmodulen - Untersuchung des Einflusses unterschiedlicher Beschattungen durch lichtdurchlässige PV-Module auf Indikatorpflanzen. Masterarbeit am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, Universität für Bodenkultur Wien, 2015. Bild 10: Musterbeispiel für einen PV-Dachgarten auf einem Wohngebäude. © für alle Bilder auf dieser Seite: Institut für konstruktiven Ingenieurbau, Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen, Universität für Bodenkultur Wien Bild 7 (oben): Visualisierung des Mustergrundrisses für ein gemeinschaftlich genutztes Dach. Bild 9: Der Photovoltaik- Dachgarten aus der Vogelperspektive. Bild 8 (rechts): Visualisierung für private Mieterparzellen in der PV- Dachlandschaft. 49 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün [3] Dunnett, N., Kingsbury, N.: Planting Green Roofs and Living Walls. Timber Press, Portland, London, 2008. [4] Mann, G. in: Köhler, M.: Handbuch Bauwerksbegrünung, Planung, Konstruktion - Ausführung. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co KG, Köln, 2012. [5] Projektkonsortium PV-Dachgarten (2015): Innovative Systemkonzepte für den Strom erzeugenden Dachgarten der Zukunft, 2015. https: / / forschung.boku.ac.at/ fis/ suchen.projekt _ uebersicht? sprache_in=de&menue_id_in=300&id_ in=9901 Ergebnisse des Forschungsprojektes und Planungsh a n d b u c h : h t t p : / / w w w . b a u n a t . b o k u . a c . a t / fileadmin/ data/ H03000/ H87000/ H87400/ V T/ PV- Dachgarten_Planungshandbuch.pdf AUTORINNEN DI Irene Zluwa Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Vegetationstechnik am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien Kontakt: irene.zluwa@boku.ac.at Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Ulrike Pitha Leiterin der Arbeitsgruppe Vegetationstechnik am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien Kontakt: Ulrike.pitha@boku.ac.at Especially for you - for free. Stand-alone English-language editions of Internationales Verkehrswesen appear under the title of International Transportation. These special issues should provide a new momentum and stimulate a worldwide interdisciplinary discussion of the challenges currently facing transport and logistics. The publications bring together practical and professional views and different perspectives presented by authors from business and industry, science and politics. These articles will be complemented by interviews, commentaries, surveys and analyses. International Transportation is targeted at planners and decision makers in municipalities, communities, public authorities and other institutions, municipal and commercial transport providers, planning groups, engineers, scientists and students. PDF / e-book: cost-free download from the website of Internationales Verkehrswesen and additionally by e-mail to the target groups at partnering institutions across the world. Internationales Verkehrswesen and International Transportation are publications of TRIALOG: PUBLISHERS, Munich Download: www.internationalesverkehrswesen.de/ english Anzeige