Transforming cities
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Dieser Dachaufbau reduziert die Hochwassergefahr
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Zunehmende Starkregenereignisse, Überflutungen und die Reduzierung des Grundwasserspiegels verdeutlichen, dass die Ökologie des Wasserkreislaufes empfindlich gestört ist – als Folge des Klimawandels und der anhaltend hohen Flächenversiegelung. An diesem Punkt kommt die Dachbegrünung ins Spiel, die wichtige, zusätzliche Grünflächen in dichter Bebauung schafft. Jede Dachbegrünung speichert eine gewisse Menge Regenwasser und lässt dieses Wasser zeitverzögert abfließen bzw. auf dem Dach verdunsten. Das neue Retentions-Gründach von ZinCo vervielfacht nun ganz gezielt diesen Rückhalte-Effekt und gleicht damit Niederschlagsspitzen effektiv aus. Eine vielversprechende Lösung!
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83 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Im Jahr 2015 wurden laut Bundesumweltministerium täglich 69 Hektar neue Siedlungs- und Verkehrsflächen ausgewiesen. Das entspricht einer Flächen-Neuinanspruchnahme von knapp 100 Fußballfeldern pro Tag. Die anhaltend hohe Versiegelungsrate bewirkt, dass Regenwasser nicht mehr im Boden versickern kann und die kommunalen Entwässerungssysteme bei Starkregenereignissen schnell überlastet sind - mit Überflutungen in der Folge. Maßnahmen zur Entsiegelung werden immer wichtiger, so setzen Städte zum Beispiel Dachbegrünungen in Bebauungsplänen fest und honorieren das Wasserrückhaltevermögen von Gründächern mit reduzierten Abwassergebühren. Dieses Rückhaltevermögen heißt im Fachjargon Retention (lat. retinere = zurückhalten) und bietet beachtliches Potential. Wirkung der Retention Das Rückhaltevermögen dient der Dämpfung und zeitlichen Streckung von Niederschlagsspitzen. Nach den Richtlinien des Deutschen Wetterdienstes wird im Bundesgebiet von Starkregen ab einer Menge von mehr als 5 L/ m² innerhalb von 5 Minuten, mehr als 10 L/ m² in 20 Minuten oder mehr als 17 L/ m² in einer Stunde gesprochen. Starkregen kann jedoch wesentlich heftiger ausfallen. Am 28. Juli 2014 hat es in Münster innerhalb von sieben Stunden 292 L/ m² geregnet. Jede einzelne Dachbegrünung trägt hier zur Entlastung der Kanalisation bei. Eine gewöhnliche Extensivbegrünung speichert zum Beispiel in ihrem Begrünungsaufbau zwischen 20 und 40 L/ m² Wasser, eine Intensivbegrünung zwischen 50 L/ m² und 100 L/ m², in Einzelfällen sogar darüber. Hinsichtlich Hochwassergefahr soll die Dachbegrünung also möglichst viel Wasser speichern können. Andererseits führt aber ein Zuviel an pflanzenverfügbarem Wasser zu Vegetationsumbildungen und damit zu einem erhöhten Aufwand an Pflege oder gar zu Staunässe und Wurzelfäulnis. Daher hat ZinCo das neue Retentions-Gründach zweiteilig aufgebaut - Retentions-Volumen und der eigentliche Begrünungsaufbau sind getrennt. Und so funktioniert es Beim neuen Retentions-Gründach wird unterhalb des Begrünungsaufbaus ein sogenannter Abstandshalter (Spacer) verwendet. Die Höhe der Spacer ist variabel wählbar. So ermöglicht z.B. ein 10 cm hoher Spacer eine Regenwasser-Speicherung von rund 80 L/ m² - gefälleloses Flachdach mit entsprechender Baustatik natürlich vorausgesetzt. Damit lässt sich also das Retentions- Dieser Dachaufbau reduziert die Hochwassergefahr Das neue Retentions-Gründach von ZinCo Roland Appl Zunehmende Starkregenereignisse, Überflutungen und die Reduzierung des Grundwasserspiegels verdeutlichen, dass die Ökologie des Wasserkreislaufes empfindlich gestört ist - als Folge des Klimawandels und der anhaltend hohen Flächenversiegelung. An diesem Punkt kommt die Dachbegrünung ins Spiel, die wichtige, zusätzliche Grünflächen in dichter Bebauung schafft. Jede Dachbegrünung speichert eine gewisse Menge Regenwasser und lässt dieses Wasser zeitverzögert abfließen bzw. auf dem Dach verdunsten. Das neue Retentions-Gründach von ZinCo vervielfacht nun ganz gezielt diesen Rückhalte-Effekt und gleicht damit Niederschlagsspitzen effektiv aus. Eine vielversprechende Lösung! Die neuen Retentions-Gründächer umfassen neben 640 m² Intensivbegrünung der Atrien ganze 3800 m² Extensivbegrünung auf dem Dach obenauf. © Mitsubishi Electric Europe B.V. 82 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Rodungsarbeiten sind künftig nach der ATV DIN 18320 „Landschaftsbauarbeiten“ auszuführen. Die Anforderungen an diese Arbeiten sind darin klar festgelegt. Hält man sich konsequent daran, ist die Frage, ob fachgerechte Rodungen mit der bisher gebräuchlichsten Methode, dem Fräsen, überhaupt noch ausgeführt werden können. Der Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) hat die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV) für Bauleistungen, genauer die DIN 18320 „Landschaftsbauarbeiten“, grundlegend überarbeitet und erweitert. Neu ist, dass alle Haupt- und Nebenleistungen, die mit dem Oberboden zu tun haben, in dieser DIN geregelt sind. Bislang waren Oberboden- und Rodungsarbeiten in der DIN 18300 „Erdarbeiten“ festgelegt. Damit gelten für Rodungsarbeiten ab sofort die Grundsätze des Landschaftsbaus. Tiefe und Breite: DIN 18320 mit detaillierten Vorgaben Klarheit verschafft die ATV DIN 18320 nun zum Vorgehen bei Rodungsarbeiten. Festgelegt ist, dass der zentrale Wurzelstock sowie alles außerhalb 20 cm des Wurzelanlaufes, also des sichtbaren oberirdischen Teils, zu roden ist. Starkwurzeln mit einem Durchmesser über 10 cm müssen entfernt werden - völlig unabhängig davon, wie weit abseits des Stubbens sie liegen. Beides, also sowohl der Wurzelstock als auch die Starkwurzeln sind bis zu einer Tiefe von 30 cm aus dem Boden zu beseitigen. Diese exakte Definition, in welcher Breite und Tiefe die Wurzeln zu entfernen sind, hat Konsequenzen für das Rodungsverfahren: Denn die Reichweite einer Fräse in die Tiefe ist beschränkt. „Wurzelfräsen von kleiner und mittlerer Größe, die am häufigsten in Gebrauch sind, schaffen die 30 cm nur ganz knapp oder gar nicht. Insbesondere bei engen Rodungsstellen, beispielsweise in einem städtischen Baumbeet, lassen sich Wurzelstöcke meist nur wenige Zentimeter unter Flur wegfräsen. Außerdem sind genau an diesen Stellen oft Steine und Betonreste vom Wegebau im Boden, die die Fräse beschädigen können“, meint Hartmut Neidlein, Geschäftsführer der Wurotec GmbH & Co. KG, der über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Baumpflege verfügt. Im Gegensatz zu einer Fräse beschränkt die Reichweite eines Rodungsmessers wie der Wurzelratte, die an den Bagger angebaut wird, nur der Baggerarm. Damit kann nicht nur weit in die Tiefe gearbeitet werden, sondern es lassen sich alle relevanten Wurzeln, auch die Grob- und Seitenwurzeln, entfernen. „An die weiter außen liegenden Starkwurzeln kommt eine Fräse jedoch erst gar nicht heran“ erklärt Neidlein. Wurzelratte ermöglicht Komplettrodungen Die Wurzelratte ist genau zum Zweck von Komplettrodungen entwickelt worden, unabhängig von Größe und Art des Baumstumpfs: Das Rodungsmesser entfernt den Stubben Stück für Stück und anschließend die Grob- und Seitenwurzeln. Das zerkleinerte Wurzelholz ist bei diesem Verfahren frei von Erde, lässt sich dadurch leicht aufsammeln und, wie nunmehr in der DIN 18320 vorgeschrieben, vorschriftsmäßig lagern. Denn neben der präzisen Entfernung schreibt die DIN 18320 auch das Lagern des Wurzelholzes vor. „Abgefrästes Material lässt sich jedoch nicht lagern, weil beim Fräsen ein Gemisch aus Wurzelholz, Erde und Steinen entsteht. Meiner Meinung nach lassen sich aus all diesen Gründen Wurzelrodungen nach der überarbeiteten DIN mit einer Fräse nicht mehr fachgerecht ausführen“, sagt Neidlein. Auftragnehmer bestimmt sein Gerät selbst Welches Werkzeug für die Rodung verwendet wird, legt die DIN 18320 nicht fest: „Selbst wenn in einer Ausschreibung ausdrücklich vom Fräsen gesprochen wird, heißt dass nach der DIN nicht, dass eine Fräse verwendet werden muss“, so Neidlein. „Wahl und Einsatz der Geräte sind - sogar ganz im Gegenteil - ausdrücklich Sache des Auftragnehmers.“ Weitere Informationen unter: www.wurotec.de Fachgerechte Rodungsarbeiten mit der Fräse? Überarbeitete ATV DIN 18320 81 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen tritt in öffentlichen und privaten Entwässerungsnetzen auf. In der Regel findet der Einwuchs an den Rohrverbindungen statt. Dies hat zunächst eine undichte Rohrverbindung mit möglichen Ex- und Infiltrationen zur Folge. Darüber hinaus kann Wurzeleinwuchs, insbesondere bei kleinen Abmessungen sogar zum kompletten Verschluss der Leitung führen, verbunden mit der Gefahr überfluteter Straßen und Gebäude. Vorausschauend ist es deshalb, auf ein System zu setzen, das Wurzeleinwuchs wirkungsvoll verhindert und so aufwändige und teure Sanierungen zuverlässig vermeidet. Zehn Jahre Praxistest Im Jahr 2006 legte REHAU auf dem Betriebsgelände in Erlangen ein Versuchsgelände an, um der Frage nachzugehen, ob die Wurzeln verschiedener Baumarten in Muffenverbindungen verschiedener Abwasserrohrsysteme eindringen können. Dazu wurden zwei parallel verlaufende Abwasserrohrleitungen mit jeweils sieben Metern Länge der Nennweite DN 150/ 160 in einer Tiefe von 1,5 m in sandigem Boden verlegt. Die erste Rohrleitung wurde mit dem Kanalrohrsystem AWADUKT PP SN 10 DN 160 realisiert, die zweite Leitung mit einem Steinzeugrohr DN 150. Jeweils am Anfang und am Ende einer Leitung befand sich ein AWASCHACHT DN 1000 beziehungsweise DN 400. Im Fall der Steinzeugleitung erfolgte der Übergang zu den Schächten mit einem Übergangsstück. Oberhalb des Versuchsfelds wurden sieben für den Straßenraum typische Bäume - wie Pappeln, Platanen und Spitzahorn und Robinien - gepflanzt. Nach zehn Jahren wurde der Praxistest von der MFPA Weimar ausgewertet. Das Ergebnis: Die PP-Strecke war vollständig wurzelfrei. Bei der Steinzeugleitung wurde jedoch Wurzeleinwuchs in einer Verbindung im Rahmen einer Kamerabefahrung festgestellt. Auf Basis dieser Auswertung erhielt REHAU das externe Prüfzeugnis der MFPA Weimar mit dem Urteil „PP System aus Schacht und Rohr dauerhaft wurzelfest“. Wurzelfest aus gutem Grund Einer der Gründe für die nachgewiesene Wurzelfestigkeit des REHAU-Kanalnetzsystems liegt in dem hohen Anpressdruck der Dichtung von mehr als 6bar, selbst bei Scherlast. Denn je höher der Anpressdruck desto größer ist auch der Widerstand gegen Wurzeleinwuchs. Verglichen mit Steinzeug (ohne Scherlast) ist er damit etwa doppelt so hoch. Dies belegt auch ein Forschungsvorhaben des Instituts für unterirdische Infrastruktur Gelsenkirchen (IKT). Darüber hinaus weist AWADUKT PP im direkten Vergleich mit Steinzeug eine um 94 % geringere Ringspalte an der Verbindung auf, was dem Wurzeleinwuchs erfolgreich entgegenwirkt. Denn eine Wurzel sucht immer Hohlbeziehungsweise Porenräume, in die sie wachsen kann. Mit bis zu 2,5 bar ist das REHAU-Kanalnetzsystem selbst unter extremen Bedingungen dauerhaft dicht. Die Normanforderung von 0,5 bar wird damit um das Fünffache überschritten. Auch bei erhöhten Scherlasten, bei Verformungen oder Abwinklungen bis 2 Grad bleibt das System zuverlässig dicht. Das REHAU Safety-Lock-System verhindert zudem ein Ausschieben der Dichtung beim Steckvorgang. Weitere Informationen zu den REHAU Kanalnetzlösungen unter: www.rehau.de/ wasser Wurzelfestigkeit bestätigt Kanalnetzsystem und Kanalschächte gemäß Prüfung der MFPA Weimar wurzelfest Ein über zehn Jahre angelegter Praxistest, ausgewertet durch die amtliche Prüfstelle MFPA Weimar, belegt, dass das Kanalrohrsystem AWADUKT PP inklusive der Verbindungstechnik mittels Doppelsteckmuffen sowie die eingesetzten Kanalschächte AWASCHACHT DN 400 und DN 1000 wurzelfest sind. Bild oben: AWADUKT PP Rohre nach 10 Jahren: Keinerlei Anzeichen von einwachsenden Wurzeln. © REHAU Bild unten: Traditionelles Rohrsystem nach 10 Jahren: Muffe undicht, sichtbarer Einwuchs von Wurzeln. © REHAU 80 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Veranstaltungen © Thomas Geiger, NürnbergMesse Landschaftsarchitekten, Fachplaner aus Kommunen und GaLaBau-Unternehmen, die interessiert an praxisrelevanten Informationen, neuen Impulsen und Best-Practice-Beispielen für ihre tägliche Arbeit im Büro und auf der Baustelle sind, sollten einen Besuch auf der GaLaBau vom 14.-17. September 2016 im Messezentrum Nürnberg fest einplanen. Nach der erfolgreichen Premiere 2014 wird das Praxisforum in diesem Jahr um einen Tag verlängert und auf die gesamte Laufzeit der GaLaBau ausgeweitet. Im Rahmen des Messegeschehens gibt es wieder zahlreiche Fachvorträge zu wichtigen Branchenthemen in Halle 1: Am ersten und dritten Tag halten dabei Planungsexperten Kurzvorträge und regen zu Diskussionen an. Am zweiten Tag stehen Beiträge rund um das Thema Spielplatz sowie Präsentationen von GaLa- Bau-Ausstellern an. Und neu: Der Messe-Samstag ist einem Sonderthema gewidmet - dies- GaLaBau mit viertägigem Praxisforum Vorschau: GaLaBau 2016, Nürnberg, 14.-17.9.2016 In der Messestadt Köln findet vom 22. bis 24. November die 16. PMRExpo statt. Fachmesse und dreitägiges begleitendes Vortragsprogramm entwickeln sich jährlich weiter. Die Kernthemen der Veranstaltung: PMR-Konferenz - Die Themen Krisenkommunikation und Kritische Infrastrukturen nehmen auf der Konferenz am 22. und 23.11.2016 eine zentrale Rolle ein. Leitstellenkongress - Das Themenspektrum des Kongresses am 24.11. reicht von gegen- Professioneller Mobilfunk und Leitstellen im Fokus Vorschau: 16. PMRExpo 2016, Köln, 22.-24.11.2016 wartsbezogenen Praxisberichten bis hin zu zukunftsweisenden Trends. Fachforen - Die zentral in der Messehalle stattfindenden Fachforen bieten an allen drei Tagen konzentrierte Informationen und Möglichkeiten der Diskussion für verschiedene Zielgruppen. PMR-Konferenz, Leitstellenkongress und Fachforen werden diesmal durch die neue Fachtagung „PMR für Versorgungsunternehmen“ ergänzt. Dabei werden gezielt EVU-spezifische Themen aus dem Professionellen Mobilfunk herausgegriffen und diskutiert sowie aktuelle Mobilfunktechniken im EVU-Kontext dargestellt. Neu ist auch das weiterentwickelte Karrierekonzept PMRExpo Career. Es besteht aus den beiden Angeboten „Career-Take off! “ und „Career-Jobboard“ und bietet den Unternehmen der PMR-Branche eine Plattform zur Personalgewinnung, Bewerbern mit und ohne Berufserfahrung die Möglichkeit zu Karriereeinstieg und beruflicher Weiterentwicklung. Die Schirmherrschaft übernimmt auch in diesem Jahr Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen. Über hundert Aussteller hatten bei Redaktionsschluss ihre Standfläche bereits gebucht. Aktuelle Informationen zur PMRExpo unter www.pmrexpo.de mal „(Historische) Parks im Klimawandel“. Die Teilnahme ist für GaLaBau-Besucher kostenlos. „Mit dem inhaltlich ausgebauten Praxisforum soll Vertretern aus Kommunen, Landschaftsarchitekten, aber auch dem klassischen GaLaBauer zusätzlich zur Produktschau ein fachlicher Mehrwert geboten werden. In spannenden Vorträgen erhalten Besucher kompakte Lösungsansätze für Fragestellungen aus ihrem Berufsalltag“, erklärt Stefan Dittrich, Abteilungsleiter GaLa- Bau. Aktuelle Informationen zur GaLa- Bau unter www.galabau-messe.de © Markus Schwalenberg, EW Medien und Kongresse Gmbh 79 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre System. Diese Kurzbezeichnungen fassen jeweils eine Vielzahl von Fachdisziplinen und Diskursen zusammen. Die nachhaltige Gestaltung urbaner Lebensräume erfordert neben einem systemischen Verständnis und technologischen Wissen insbesondere auch ein profundes Verständnis von sozio-kulturellen und ästhetischen Praktiken, von Stadtgeschichte und historischen urbanen Visionen, imaginären Ausdrucksformen zum Beispiel in Literatur und Film sowie von Wissenschafts-, Raum- und Architekturtheorien. Die Komplexität der urbanen Zukunft lässt sich in einem viersemestrigen Masterstudium nur ansatzweise abbilden. Um so wichtiger ist es, im Studium eine Haltung lebenslangen forschenden Lernens einzuüben, um sich kompetent im weltweiten und sich stetig wandelnden Wissensangebot zu bewegen. Die Kompetenzvermittlung in inter- und transdisziplinärer Forschung wird von der FH Potsdam als systematischer und integrativer Prozess des Zusammentragens zukunftsrelevanten Wissens begriffen. Mit seinem transdisziplinären Ausbildungsprofil ist der Studiengang nahezu einzigartig in Deutschland. Tabelle 1: Kernelement des Studiengangs ist forschendes Lernen im Kontext von Projektarbeit. Ergänzende Bausteine dienen dem Erwerb von Methoden zur Zukunftsforschung und Wissensintegration sowie zum Erwerb von interdisziplinärem Wissen zum komplexen System Stadt mit drei Spezialisierungsmöglichkeiten. Prof. Dr. rer. nat. Heike Neuroth Professorin für Bibliothekswissenschaft „Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran und erfasst zunehmend alle Lebensbereiche, auch Aspekte unseres privaten Lebens. Trans- und interdisziplinäres Denken und Agieren als eine Schlüsselqualifikation für zukünftige Berufsfelder sowie das Arbeiten in (temporären) Teams gewinnt an Bedeutung. Der Studiengang Urbane Zukunft ist eine großartige Chance, sich an fachlich unterschiedlichen Schnittstellen zu qualifizieren.“ Strukturkonzept des Studiengangs 1. Projektarbeit 1.1 Visionen urbaner Zukünfte 1.2 Inter- und transdisziplinäres Projekt 1. Semester 2. Semester 2. Stadt als komplexes System 2.1 Stadt als komplexes System Vorlesung 2.2 Stadt als komplexes System Seminar 1. Semester 3. Methoden 3.1 Zukunftsforschung und Wissensintegration 3.2 Projekt- und Transformationsmanagement 1. und 2. Semester 4. Fachliche Vertiefung Die gebaute Stadt Die soziale Stadt Die digitale Stadt Wahlfächer 1., 2. und 3. Semester 5. Forschungspraktikum 6. Masterprüfung Begleitende Lehrveranstaltung Masterarbeit und Kolloquium 3. Semester 4. Semester www.fh-potsdam.de/ forschen/ urbane-zukunft/ masterstudiengang/ Die gebaute, die soziale und die digitale Stadt Hinsichtlich der disziplinären Spezialisierung werden drei thematische Vertiefungsrichtungen angeboten, die zentrale Aspekte urbaner Systeme beschreiben und in deren Zentrum die Gestaltung räumlicher, gesellschaftlicher, infrastruktureller, kultureller und ästhetischer Prozesse und Strukturen stehen: Die „gebaute Stadt“ als räumliches und energetisch-stoffliches System, die „soziale Stadt“ als soziokulturelles System und die „digitale Stadt“ als informationelles © alle Bilder FH Potsdam 78 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre neue Simulations-, Analyse- und Darstellungsweisen (Big Data, Systemmodelle, Informationsvisualisierung) verändern unsere Städte. Diese Veränderungen sind Bestandteil grundlegender gesellschaftlicher Transformationsprozesse und betreffen gleichermaßen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie kommunale Verwaltungen und andere Akteure in ihrer Alltagspraxis. Sie haben Auswirkungen auf städtische Infrastrukturen, auf Formen von Kommunikation und Mobilität, auf Arbeits- und Wohnformen. Fachkompetenz, Schlüsselkompetenz und Gestaltungskompetenz erwerben In Zusammenarbeit mit Praxispartnern aus der Wirtschaft, kommunalen Verwaltungen und wissenschaftlichen Einrichtungen entstehen umfangreiche Forschungsprojekte und Entwicklungsvorhaben. Diese ermöglichen den Studierenden eine thesisbzw. forschungsorientierte Studienstruktur und unmittelbare Beteiligung an Forschungs- und Entwicklungsprozessen im Rahmen der Studienprojekte, Praktika und Masterarbeiten. Dabei können die zu vermittelnden Kompetenzen in drei Kategorien eingeteilt werden. Zum einen bauen disziplinäre und interdisziplinäre Fachkompetenzen auf dem jeweiligen Bachelorstudium auf und sollen durch eine Individualisierung des Studienverlaufs mit Hilfe von Wahlmodulen vertieft werden. Interdisziplinäre Fachkompetenzen werden unter der Klammer der Stadt als komplexes System in einem entsprechenden Modul ausgebildet. Dazu gehört neben allgemeinen Kenntnissen über die Eigenschaften von komplexen Systemen ein vertieftes Verständnis der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen sozialen, institutionellen, infrastrukturellen und informationellen Aspekten von Städten. Zum anderen werden im Masterstudium Schlüsselkompetenzen vermittelt, die sich in gegenstands- und prozessbezogene Bereiche aufgliedern. Zu gegenstandsbezogenen Schlüsselkompetenzen gehören vor allem methodische Fähigkeiten auf den Gebieten der Wissensintegration und Zukunftsforschung vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, im Kontext urbaner Transformationsprozesse kompetent mit Komplexität, Unsicherheit und den Grenzen des Wissens umzugehen. Zu den prozessbezogenen Schlüsselkompetenzen gehören hingegen Gesprächsführungs- und Konfliktlösungsfähigkeiten sowie Techniken des Managements, der Organisation komplexer Transformationsprojekte und der Analyse großer Datenmengen. Zusätzlich werden Kompetenzen im Studiengang vermittelt, die sich an dem im Nachhaltigkeitsdiskurs verbreiteten Konzept der Gestaltungskompetenz orientieren. Damit ist im engeren Sinne die Fähigkeit gemeint, System-, Ziel- und Transformationswissen zur nachhaltigen Entwicklung zu erwerben und anzuwenden sowie Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung zu erkennen. In einem erweiterten Sinne im Kontext des besonderen fachlichen Profils der FH Potsdam ist mit Gestaltungskompetenz auch die kreative Kompetenz gemeint, also die Fähigkeit, neue Ideen für die Zukunft zu gestalten, sei es im dinglichen Sinne (Prototypen, ästhetische Entwürfe, Visualisierungen), im Sinne sozial geteilter Visionen als mentale Prototypen der Zukunft oder im Sinne der Gestaltung sozialer Veränderungsprozesse. Prof. Dr. Antje Michel Professorin für Informationsdidaktik und Wissenstransfer „Information ist ein wesentlicher Rohstoff der digitalen, urbanen Zukunft. Was als Information gilt und wie mit Information umgegangen wird, bestimmen die Praktiken der unterschiedlichen Wissenskulturen. Eine wichtige Kompetenz für das Gelingen interdisziplinärer Arbeits- und Wissenstransferprozesse ist, sich des eigenen Informationsverhaltens bewusst und gleichzeitig sensibel für andere Praktiken des Umgangs mit Information zu sein.“ Prof. Dr.-Ing. Michael Ortgiese Professor für Verkehrswesen Vizepräsident für Forschung und Transfer „Neue Technologien und Organisationsformen eröffnen große Chancen zur Veränderung in Richtung umweltgerechter und auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittener Mobilität in den Städten der Zukunft. Die damit verbundenen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten sind ein wichtiges Thema aktueller Mobilitätsforschung.“ 77 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Transformationsmanager werden Der Masterstudiengang bildet Studierende zur inter- und transdisziplinären Erforschung von Zukunftsvorstellungen aus und bereitet sie auf den vielfältigen Arbeitsmarkt der Wissensgesellschaft vor. Das forschungsorientierte Projektstudium befähigt die Absolventinnen und Absolventen, komplexe Lösungsansätze für eine nachhaltige urbane Entwicklung im Kontext von Bauen und Wohnen, technischer Infrastruktur und Mobilität sowie Demographie und Sozialstruktur zu entwickeln. Dabei ist der kompetente Umgang mit Datenräumen und -visualisierungen und anderen digitalen Forschungsmethoden ein zentrales Querschnittsthema in allen genannten Themenbereichen. Als Leitbild dient das Konzept von „Transformationsmanager- Innen“, die als Schnittstellen- KommunikatorInnen besonders im Bereich von Stadtentwicklung sowie in der Kommunikation von politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen oder Verbänden tätig sind. Als Berufsfelder eröffnen sich aber auch Tätigkeiten in Unternehmen und Institutionen, deren Aufgabe Produktion, Gestaltung und Vermittlung städtischer Lebensräume ist, wie zum Beispiel Consulting-Unternehmen, Startups, Forschung und Entwicklung im Bereich von Mensch-Maschine- Schnittstellen sowie Kulturarbeit, Medien und Kommunikation, Marketing und Tourismus. Neben dem Zugang zu Führungspositionen oder zum höheren Dienst eröffnet der Studiengang durch die Berechtigung zum Erwerb einer Promotion auch den Weg in eine wissenschaftliche Laufbahn, zum Beispiel in universitäre oder außeruniversitäre Forschung und Lehre. Intelligente Städte und Gemeinden im 21. Jahrhundert entwickeln Welche Rolle spielen die kommunalen Akteure wie Stadtverwaltungen oder Stadtwerke, wie müssen sie sich verändern, und wie können sie Transformationsprozesse beeinflussen? Welche Chancen und Risiken ergeben sich aufgrund dieser Transformationsprozesse für Metropolregionen und ländliche Räume? Welche Forschungsmethoden oder Planungs- und Simulationsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, um zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und heute schon bessere Entscheidungen für morgen zu treffen? Entlang dieser Fragestellungen entwickeln die Lehrenden der FH Potsdam gemeinsam mit den Studierenden und im engen Austausch mit Praxispartnern strategische Lösungen. Dabei ist jeder Jahrgang einem bestimmten Themenbereich gewidmet. Im ersten Jahrgangsthema des im Oktober startenden Masterprogramms werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und die Frage, wie Städte und Kommunen darauf reagieren können, untersucht. Die Erfordernisse eines nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen (Energie- und Stoffströme, Raumnutzung), neue technologische Möglichkeiten und neue Geschäftsmodellen (z. B. Car Sharing-Angebote, autonomes Fahren), soziale und demographische Prozesse (Wachstum / Schrumpfung, Individualisierung, Migration und Diversität) sowie Prof. Dr. Tobias Schröder Forschungsprofessur Nachhaltige urbane Entwicklungsstrategien und im Studiengang Vertreter der sozialen Stadt „Das Verständnis der kognitiven und emotionalen Grundlagen von Kommunikationsprozessen in komplexen sozialen Systemen sowie die konkreten Anwendungen solcher Erkenntnisse auf Einstellungsveränderungen und Innovationsdiffusion im Kontext urbaner Veränderungsprozesse ist unabdingbar bei der Erforschung von Städten.“ Prof. Dr. Marian Dörk Forschungsprofessur Information Visualization & Management und im Studiengang Vertreter der digitalen Stadt „Im Prozess fortschreitender Digitalisierung verschiedenster Lebensaspekte wie z.B. kulturellen Sammlungen und urbaner Zusammenhänge eröffnet die interaktive Visualisierung eine vielversprechende Perspektive, um mit der zunehmend als Datenflut empfundenen Herausforderung der Wissensgesellschaft zurechtzukommen.“ 76 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Die Stadt von morgen studieren Die Vermittlung von fachlichen und methodischen Kompetenzen zur fundierten Analyse dieser Herausforderungen und zur Entwicklung integraler Lösungen ist das zentrale Ziel des neuen Masterstudiengangs Urbane Zukunft an der FH Potsdam (FHP). Der Studiengang bietet Studierenden unterschiedlicher fachlicher Herkunft die Möglichkeit eines inter- und transdisziplinären Arbeitens und regt sie dadurch zu vernetztem und systemischem Denken an. Darüberhinaus erschließt er die Kreativitäts- und Innovationspotenziale der Studierenden und ermöglicht profunde Kenntnisse sowie Kontakte in die forschende Praxis. Der Studiengang wird konzeptionell vom Institut für angewandte Forschung Urbane Zukunft (IaF) an der FHP getragen, in welchem seit 2014 die strategischen Forschungsschwerpunkte der Hochschule - Urbane Zukunft, Information und Visualisierung sowie Soziale und regionale Transformation - gebündelt werden. Diese orientieren sich an dem breiten Fächerspektrum der FHP. Das Institut versteht sich als regionaler Katalysator für angewandte Forschung zum Thema Urbane Zukunft und will eine neue Forschungs-, Lern- und Wissenskultur in der Region fördern. Es arbeitet an Forschungsfragen zur nachhaltigen Transformation unserer Städte unter Einbindung von Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dazu werden Partnerschaften mit Kommunen, Forschungseinrichtungen, Planungsbüros, Unternehmen und weiteren Institutionen aus der Praxis geschlossen. Transformation lernen Der Masterstudiengang Urbane Zukunft an der Fachhochschule Potsdam (FHP) Wie leben wir in Zukunft? Auf diese Frage kann es keine gesicherten Antworten geben. Aber es gibt Strategien und Werkzeuge im Umgang mit Unsicherheiten, um Entwicklungen und Möglichkeitsräume zu erforschen, Szenarien oder Prognosen zu entwickeln und die Folgen unseres Handelns abzuschätzen. Betrachtet man die großen gesellschaftlichen Entwicklungsziele, wie zum Beispiel die Transformation zur CO 2 -neutralen und klimaangepassten Stadt, so sind damit zahlreiche, komplexe Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsaufgaben verbunden, denn diese Transformation umfasst gleichermaßen und in einander bedingender Art und Weise ökologische, räumliche, bauliche, soziale, kulturelle, gestalterische, infrastrukturelle, technologische und ökonomische Aspekte, für die es keine einfachen und sektoralen Lösungen gibt. Zu den wichtigen Herausforderungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung gehören unter anderem der demographische Wandel, Strategien und Maßnahmen zum Klimaschutz und Klimawandel, Maßnahmen in Folge von sozialer Segregation, Migration und kultureller Diversität, Beteiligungsprozesse sowie Big Data im Kontext urbaner Informations- und Kommunikationstechnologien (Smart Cities). Prof. Dr.-Ing. Michael Prytula Studiengangsleiter Urbane Zukunft Forschungsprofessur Ressourcenoptimiertes und klimaangepasstes Bauen und Vertreter der gebauten Stadt „Eine Schlüsselstellung in der nachhaltigen Entwicklung urbaner Systeme nimmt die Analyse und Gestaltung des städtischen Stoffwechsels ein (Urbaner Metabolismus). Hierfür ist eine integrale Betrachtung der städtischen Funktionen und der baulichen, räumlichen und infrastrukturellen Systeme hinsichtlich ihrer Energie- und Stoffströme in raum-zeitlicher Ausprägung erforderlich.“ 75 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün einrichtungen). Die regelmäßige Bonitierung erfolgt durch die jeweiligen Mitarbeiter in der Grünflächenämtern. Um die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit des GALK-Straßenbaumtests zu erhöhen, werden alle Daten auf den Internetseiten www.galk.de ausführlich dargestellt. Die Darstellung ist so detailliert, dass für jede teilnehmende Stadt über eine geografische Karte alle Angaben über die bisher gepflanzten Baumarten/ -sorten bis hin zu Anzahl und kartographischer Darstellung des Standorts abrufbar sind. In Köln konnten bis jetzt insgesamt 16 der 35 im GALK-Straßenbaumtest getesteten Baumarten gepflanzt worden. Vor allem bei Neubaumaßnahmen werden gezielt die Test-Bäume gepflanzt und jährlich bonitiert. Die Ergebnisse fließen ein in die Gesamtbewertung und letztendlich auch in die GALK- Straßenbaumliste. LITERATUR UND ANMERKUNGEN [1] Luz, H., Nagel, G., Spengelin, F.: Wohnen in den Städten. Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin (Hrsg.), Berlin 1984. [2] Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Klimawandelgerechte Metropole Köln. Abschlussbericht. LANUV- Fachbericht 50, Recklinghausen 2013. [3] Allianz Umweltstiftung (Hrsg.): „Unter Palmen am Chiemsee? “ - Der Klimawandel und seine möglichen Folgen. Benediktbeurer Gespräche der Allianz Umweltstiftung 2007. [4] h t t p : / / w w w . l a n d w i r t s c h a f t s k a m m e r . d e / landwirtschaft/ pflanzenschutz/ oeffentlichesgruen/ rosskastaniensterben.htm [5] GALK-Arbeitskreis Stadtbäume. Positionspapier. Klimawandel und Stadtbäume, August 2009. [6] GALK-Arbeitskreis Stadtbäume. Positionspapier. Verwendung von nicht einheimischen Baumarten am innerstädtischen Straßenstandort, April 2011. [7] Gauchel, H.: Auswahl und Verwendung innerstädtischer Straßenbäume. Diplomarbeit Universität Hannover, 2004. [8] Bauer, J.: Straßenbäume im Test. Baumzeitung Heft 3, 2008, S. 28-31. [9] Straßenbaumtest des GALK-Arbeitskreises Stadtbäume www.galk.de. Dr. Joachim Bauer stv. Leiter des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen der Stadt Köln Kontakt: joachim.bauer@stadt-koeln.de AUTOR Studierende lesen Transforming Cities als ePaper ein Jahr lang kostenlos. Anschließend zum Vorzugspreis. www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren/ Wer´s früher liest, ist länger schlau. TranCit StudiAbo 74 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün geografischen und klimatischen Voraussetzungen in den einzelnen Städten, weil trotz allgemein ansteigender Durchschnittstemperatur der begrenzende Faktor für die Anpflanzung nicht heimischer Baumarten auch weiterhin deren Frostresistenz ist. In enger Zusammenarbeit mit dem GALK-Arbeitskreis Stadtbäume nimmt die Stadt Köln deshalb seit 2005 an einem bundesweiten praxisorientierten Straßenbaumtest teil [8] (Tabelle 1). Dieser Straßenbaumtest ist als fortlaufende Testreihe angelegt, in der je nach Erkenntnisstand auch immer wieder neue Baumarten/ -sorten aufgenommen werden können. Zielsetzung der Langzeitbeobachtung ist es, praxisbezogene Erkenntnisse über neue Baumarten/ -sorten zu bekommen. Beteiligt sind die Städte Basel, Berlin, Hamburg, Heilbronn, Köln, München, Münster, Osnabrück, Nürnberg, Dresden und Rostock. Die Städte Kopenhagen und Wien nehmen ebenfalls mit einigen Baumarten/ sorten teil. Ein gesondertes Finanzbudget steht den beteiligten Städten nicht zur Verfügung, die Baumpflanzungen werden von den jeweiligen Kommunen im Rahmen anstehender Projekte finanziert und umgesetzt. Mit der Pflanzung von mindestens fünf Bäumen einer Art beziehungsweise Sorte erfolgt eine einmalige Beschreibung des Standortes (Baumumfeld, Exposition), der Pflanzweise (Baumgruben, Baumscheibengröße, Substrat) und der durchgeführten vegetationstechnischen Maßnahmen (Belüftungsbeziehungsweise Bewässerungs- GALK-Straßenbaumtest Köln · Stand 13.11.2014 Gattung/ Art/ Sorte Standort Anzahl bonitiert Stadtteil Bezirk Acer campestre ‚Huibers Elegant ‘ Bechergasse 4 4 Altstadt Nord 1 Acer campestre ‚Huibers Elegant ‘ Robert-Bosch-Straße 15 11 Fühlingen 6 Acer monspessulanum Gerd-Bauckhage-Bogen 21 15 Lövenich 3 Acer platanoides ‚Allershausen‘ Rudi-Jaehne-Straße 5 5 Fühlingen 6 Acer rubrum ‚Scanlon‘ Gottesweg 21 10 Zollstock 2 Acer rubrum ‚Scanlon‘ Liebigstraße 3 3 Neuehrenfeld 4 Amelanchier arborea ‚Robin Hill ‘ Heinrich-Böll-Platz 15 9 Altstadt Nord 1 Eriolobus trilobatus Wilhelm-Kleinertz-Straße (10) - Porz-Westhoven 7 Ginkgo biloba ‚Princeton Sentry ‘ Palanter Straße 10 10 Sülz 3 Ginkgo biloba ‚Princeton Sentry ‘ Indianapolis-/ Wolgogradstraße 5 5 Widdersdorf 3 Koelreuteria paniculata Gerhard-Wilczek-Platz 4 4 Ehrenfeld 4 Koelreuteria paniculata Eva-Hesse-Straße 24 8 Lövenich 3 Koelreuteria paniculata Am Pulverturm 3 3 Mülheim 9 Liquidambar styraciflua -‚Paarl ‘ Im Buschfelde 6 6 Widdersdorf 3 Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ Glasstraße/ Stammstraße 3 3 Ehrenfeld 4 Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ Weidengasse 5 5 Altstadt Nord 1 Magnolia kobus Ehrenstraße 8 5 Altstadt Nord 1 Magnolia kobus Marie-Hüllenkremer-Straße 30 5 Lövenich 3 Magnolia kobus Robert-Bosch-Straße 14 5 Fühlingen 6 Malus tschonoskii Kringsweg 19 9 Lindenthal 3 Malus tschonoskii Kafkastraße 6 6 Bocklemünd 4 Ostrya carpinifolia Kriegerhofstraße 5 5 Fühlingen 6 Ostrya carpinifolia Rudi-Jaehne-Straße 5 5 Fühlingen 6 Ostrya carpinifolia Im Buschfelde 6 5 Widdersdorf 3 Prunus padus ‚Schloss Tiefurt ‘ Unter Gottes Gnaden 6 5 Widdersdorf 3 Prunus padus ‚Schloss Tiefurt ‘ Peter-Steinberg-Weg 10 5 Fühlingen 6 Quercus frainetto Klausenburgstraße 4 4 Widdersdorf 3 Quercus frainetto Am Aspelkreuz 16 11 Widdersdorf 3 Tilia tomentosa ‚Szeleste‘ Klosterstraße 4 4 Lindenthal 3 Tilia tomentosa ‚Szeleste‘ Robert-Bosch-Straße 15 11 Fühlingen 6 Zelkova serrata Curt-Stenvert-Bogen 30 9 Lövenich 3 322 195 Tabelle 1: Übersicht der in Köln gepflanzten 16 Baumarten aus dem GALK-Straßenbaumtest. 73 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Darüber hinaus muss aber auch schon bei der Pflanzung ein erheblicher Mehraufwand betrieben werden, damit Bäume am Extremstandort Straße optimale Standortbedingungen vorfinden um gesund wachsen und ihre Wohlfahrtswirkungen auch tatsächlich leisten zu können. (Bild 2) Aus diesem Grunde werden in Köln schon seit vielen Jahren die von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. herausgegebenen „Empfehlungen für Baumpflanzungen“ bei allen Straßenbaumpflanzungen angewendet und auf die Kölner Verhältnisse angepasst. (Bild 3 und Bild 4). Die Erfahrungen mit diesem Standard sind sehr gut und führen dazu, dass die Bäume zumindest in der Anwachsphase optimale Bedingungen am Standort vorfinden. Standortgerechte Sortenwahl Trotz dieser vegetationstechnischen Verbesserungen sind städtische Straßenstandorte in der Regel gekennzeichnet durch Bodenversiegelung, Überwärmung, unnatürliche Böden und Bodenprofile sowie Mangel an Bodenluft, Wasser und Nährstoffen. Hinzu kommen Belastungen durch Streusalz, Schadgase, Hunde-Urin und potenzielle Verletzungsgefahren für Wurzel, Stamm und Krone. Hinzu kommen die am Standort herrschenden klimatischen Veränderungen, die nicht direkt beeinflussbar sind und somit einen begrenzenden Faktor bei der Verwendung von Baumarten darstellen [5]. Dies hat zur Folge, dass die bisherigen, zumeist heimischen Baumarten bei weiterem Temperaturanstieg und trockeneren Verhältnissen nicht mehr ausreichend an diese Standortgegebenheiten angepasst sind. Deshalb müssen Arten und Sorten gepflanzt werden, die ihre Funktion trotzdem erfüllen können. Wo heimische Arten versagen oder nur eingeschränkt tauglich sind, sind Züchtungen und Pflanzen aus semiariden Gebieten die bessere Alternative. Sofern sich Baumarten bestimmter geografischer Regionen auf Grund der dort herrschenden Bedingungen an unseren innerstädtischen Straßenstandorten behaupten können, sollten diese auch gepflanzt werden. Im Hinblick auf den Klimawandel sind solche Arten unverzichtbar, damit Straßenbäume auch in Zukunft das Bild unserer Städte prägen können. Für den Bereich der innerstädtischen Straßenstandorte sollte deshalb der Schwerpunkt auf eine standortgerechte Arten- und Sortenwahl gelegt und die Frage „heimisch oder nicht heimisch“ in den Hintergrund gestellt werden [6]. Neue Bäume für die Stadt Der Klimawandel zwingt letztendlich dazu, „neue“ Baumarten zu finden und den vorhandenen Baumbestand sukzessive umzubauen. Ein Umbau wird umso dringlicher, betrachtet man kritisch die Zusammensetzung der Baumbestände in den bundesdeutschen Städten [7]. Ebenso wie in Köln sind die Linde und der Ahorn die am häufigsten verwendeten Gattungen, gefolgt von der Platane. In Köln bilden diese drei Baumgattungen über die Hälfte des Straßenbaumbestandes. Ziel einer Anpassungsstrategie an die veränderten Bedingungen muss deshalb die Erhöhung der Artenvielfalt sein, damit dem flächendeckenden Befall mit neuen Schädlingen und Krankheiten vorgebeugt und der Ausfall einzelner Baumarten verkraftet werden kann. Bei der Suche nach „neuen“, geeigneten Baumarten stellt der Standort Straße sehr konkrete Anforderungen an die jeweilige Baumart. Forderungen zur Verkehrssicherheit und zur Aufwandsreduzierung bei Unterhaltung und Pflege sind ebenfalls wesentliche Faktoren bei der Auswahl der Baumart. Dies zwingt dazu, „neue“ Baumarten zunächst in Echtsituationen mehrere Jahre zu testen, bevor entschieden werden kann, ob sie für den Standort Straße geeignet sind (Bild 5). Versuchsreihen auf dem Feld sind deshalb nicht zielführend. Entscheidend ist auch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bild 5: Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ wird auch in Köln im Rahmen des GALK-Straßenbaumtest auf seine Eignung als Straßenbaum getestet. © Stadt Köln Bild 4: Ausgehobene Baumgrube, die später mit Substrat gefüllt wird. Setzen der Belüftungsrohre um die Bodenschichten unter der Baumgrubensohle für Wurzeln zu erschließen. © Stadt Köln 72 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Heute stehen wir vor dem Problem einer weltweiten Veränderung des Klimas. Nach belastbaren Prognosen hat dies für den Raum Köln zur Folge, dass sich die Temperatur relativ zu den vergangenen 50 Jahren nochmals um etwa 2° C bis zum Jahr 2050 erhöhen wird. Dies bedeutet eine Erhöhung der Anzahl der Sommertage von 30 bis zu 70 % gegenüber dem derzeitigen Wert. Mit einer erhöhten Temperatur geht gleichzeitig eine Veränderung der Niederschläge einher. Während diese in den Wintermonaten zunehmen werden, kommt es zu einem Rückgang der Niederschläge in der Vegetationsperiode um 10 bis 25 %. Darüber hinaus werden bis Mitte des Jahrhunderts Niederschlagsereignisse mit hohen Niederschlagsmengen häufiger auftreten. Eine Zunahme von Extremereignissen, wie zum Beispiel lange Trockenperioden, Orkane, Starkregen und Überflutungen, ist bereits in vielen Gegenden spürbar [2]. Entwicklung von Anpassungsstrategien Vor diesem Hintergrund müssen Anpassungsstrategien entwickelt werden, um die nach heutiger Erkenntnis nicht mehr aufzuhaltenden Folgen der Klimaänderung abzumildern und größere Schäden vermeiden zu können [3]. Diesen Ansatz aufgreifend, wird die allgemeine Bedeutung des städtischen Grüns zur Verbesserung des Stadtklimas weiter zunehmen. (Bild 1) Dieser wachsenden Bedeutung steht aber auf der anderen Seite eine zunehmende Gefährdung der Stadtbäume durch die Klimaänderung gegenüber. Der Trend zu wärmeren, trockeneren Sommern und ungleich verteilten Niederschlägen führt zu einer zusätzlichen Belastung (Stress) der Bäume und somit zu höherer Anfälligkeit gegenüber Schädlingen und Krankheiten. Gleichzeitig verzeichnen wir bundesweit ein vermehrtes Auftreten neuer Schädlinge. So hat sich seit vielen Jahren mittlerweile in ganz Deutschland die Kastanienminiermotte ausbreiten können. Auch wenn der Anblick des schon im Spätsommer welken Laubes nicht sehr ansprechend ist, so besteht nach heutigen Erkenntnissen zumindest nicht die Gefahr eines Absterbens der Bestände. Anders sieht es dagegen bei einer neuen bakteriellen Rindenkrankheit aus, die durch Pseudomonas syringae pv. Aesculi ausgelöst wird [4]. Diese seit 2006 in Nordrhein-Westfalen nachgewiesene Krankheit führt mit fortschreitendem Befall zum Absterben der befallenen Kastanien und ist so grundsätzlich in der Lage den gesamten Bestand zu gefährden. In Köln sind bisher nur einzelne Befunde diagnostiziert worden. Massaria-Krankheit bei Platanen Mit welchen heute noch nicht bekannten Problemen wir vielleicht noch konfrontiert werden, wird am Beispiel der Platane deutlich. Die Platane galt in den 1970er Jahren als der Zukunftsbaum, der sowohl mit den extremen Standortbedingungen, als auch mit der zunehmenden Luftverschmutzung jener Zeit hervorragend zurechtkam. Diese Überzeugung hat auch in Köln dazu geführt, dass die Platane häufig verwendet wurde und mit rund 12 000 Bäumen die dritthäufigste Straßenbaumart darstellt. Der seit einigen Jahren auftretende Befall der Platane mit Massaria zeigt jedoch, dass ihrer künftigen Verwendung als Straßenbaum Grenzen gesetzt sind. Am Beispiel Massaria wird aber auch deutlich, dass die mit der Klimaänderung einhergehenden Folgeerscheinungen zum Teil erhebliche Kosten verursachen werden. So ist der Aufwand zur Herstellung der Verkehrssicherheit aufgrund von Massaria sowohl personell als auch finanziell Bild 3: Regelquerschnitt für Straßenbaumpflanzungen. © Stadt Köln Bild 2: Die unterirdischen Strandortbedingungen sind in Großstädten zum Teil sehr ungünstig für das Wachstum von Bäumen. © Stadt Köln 71 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Diese hier nur kurz beschriebenen Phänomene sind seit langer Zeit bekannt und auch allgemein wissenschaftlich untersucht worden [1]. Durch planmäßige Anlage von Grünflächen und die bewusste Pflanzung von Bäumen haben sich die Städte diesen Gegebenheiten angepasst und jeweils eigene Strategien entwickelt um die klimatischen Unterschiede soweit wie möglich auszugleichen. Bäume und begrünte Flächen erfüllen hierbei eine wesentliche Aufgabe. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungen belegen, welche Temperatur senkende und Luftfeuchtigkeit erhöhende Wirkungen von Grünflächen ausgehen. Welchen Einfluss ein einzelner Baum auf das Mikroklima haben kann, wird jeder, der an einem heißen Sommertag Schutz vor der Sonneneinstrahlung unter einem Baum sucht, bestätigen können. Neue Bäume für die klimawandelgerechte Metropole Köln Umweltreport Nordrhein-Westfalen Klimawandel, Stadtbäume, Anpassungsstrategie, Baumarten, Resistenz Joachim Bauer Große Städte weisen gegenüber ländlichen, nahezu unbebauten Gebieten auch ohne den Einfluss des Klimawandels klimatische Unterschiede auf, die von der Größe, Bebauungsdichte und Gliederung der Stadt abhängen. Die wesentlichen Merkmale sind erhöhte Strahlungsintensität, Reduzierung der Feuchte aufgrund der Oberflächenversiegelung sowie erhöhte Temperaturen, die mehr als 10 °C über denen des Umlandes liegen können. Bild 1: Bäume prägen in besonderer Weise das Stadtbild und tragen zur Bildung eines Lokalklimas bei. © Stadt Köln 70 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Dr. Maraja Riechers Human-Ökologin Abteilung Agrarökologie Georg-August Universität Göttingen Kontakt: Mrieche@gwdg.de Dr. Eva Diehl Diplom-Biologin und freie Journalistin, Gießen Kontakt: mail@eva-diehl.net Die Befragungen zeigen auch, dass die Berliner öffentliche Grünflächen entlang eines urbanen-periurbanen Bevölkerungsdichte-Gradienten unterschiedlich nutzen und wertschätzen. Zum Beispiel werden Parks in dicht besiedelten Gebieten wie Berlin Mitte öfter besucht und Wälder eher in periurbanen Bereichen wie in Heiligensee (Bild 2). Die geringere Besuchsfrequenz der jüngeren Gruppe und das Gefühl, das öffentliche Stadtgrün sei nicht ganz so gut erreichbar - im Vergleich zur älteren Gruppe - könnte darauf hinweisen, dass es mehr Angebote für Stadtgrün in Gebieten mit höherer Population geben sollte. Parks sind in Berlin oft überlaufen und werden auch nicht als „richtige“ Natur wahrgenommen, so unsere Interviewpartner. Flecken, die eher ihrer Vorstellung von Natur entsprechen, wie ruhige waldähnliche Gebiete und Wasserflächen, seien für sie nur mit höherem Aufwand zu erreichen. Das stelle vor allem für die Feierabendgestaltung oder Erholung innerhalb der Woche eine Barriere dar. Zusammenfassung Im Fokus der Forschung standen die Nutzung von Stadtgrün in Berlin und dessen Wahrnehmung. Durch Fragebogen (n = 558) und persönliche Interviews mit Berliner Einwohnern und Experten (n = 41) zu kulturellen Ökosystemleistungen wurden Informationen zum Besuchsverhalten von Grünflächen in Berlin gewonnen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Nutzung und Bewertung von Stadtgrün je nach Populationsdichte in den Ortsteilen unterscheidet. Außerdem werden kulturelle Ökosystemleistungen von sozialen Gruppen - ältere in weniger eng besiedelten Gegenden und jüngere im urbanen Ballungsraum lebende Befragte - unterschiedlich bewertet. Kulturelle Ökosystemleistungen werden sehr heterogen bewertet. Präferenzen und unterschiedliche Nutzungsansprüche sind in der Bevölkerung möglicherweise kontrastierend. Damit es nicht zu Konflikten kommt und damit die Stadt-/ Grünflächenplanung den Wünschen vor allem der betroffenen Anwohner entspricht, sollten die Ansprüche verschiedener Bevölkerungsgruppen mit einbezogen werden. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sollte ökologische, ökonomische und soziale Ziele miteinander verbinden. Dafür ist eine Aktivierung der Bevölkerung wichtig, damit Entscheidungen auch den Rückhalt der Bürgerinnen und Bürger haben. LITERATUR [1] De Groot et al.: Challenges in integrating the concept of ecosystem services and values in landscape planning, management and decision making. Ecol. Complex. 7 (2010), p. 260-272. [2] Dempsey, N., Bramley, G., Power, S., Brown, C.: The Social Dimension of Sustainable Development: Defi ning Urban Social Sustainability. Sustain. Dev. 300 (2011), p. 289-300. [3] Bolund, P., Hunhammer, S.: Ecosystem services in urban areas. Ecol. Econ. 29 (1999), p. 293-301. [4] Bonnes, M., Uzzell, D., Carrus, G.,Kelay, T.: Inhabitants’ and experts‘ assessments of environment quality for urban sustainability. Soc. Issues 63: 1 (2007), p. 59-78. [5] Webler, T., Tuler, S., Krueger, R.: What is a good public participation process? Five perspectives from the public. Environ. Manage. 27 (2001), p. 435-450. [6] MEA. 2005. Ecosystems and Human Well-being: Synthesis. Ecosystems 5, p. 1-100. [7] Riechers M., Barkmann J., Tscharntke T.: Perceptions of cultural ecosystem services from urban green. Ecosystem Services. 17 (2015), p. 33 - 39. [8] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg [online]: Bevölkerungsstand-Zensus, Basisdaten 2013. Available at: https: / / www.statistik-berlin-brandenburg.de/ BasisZeitreiheGrafik/ Bas-Bevoelkerungsstand-zensus.asp? Ptyp=300&Sageb=12021&creg=B BB&anzwer=7 (Accessed May 11, 2015). [9] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Bericht A I 5 - hj 1 / 14 (Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 30. Juni 2014, Alter Geschlecht Familienstand Migrationshintergrund Staatsangehörigkeit Religionsgemeinschaftszugehörigkeit Wohnlage Bezirk Ortsteil LOR-Bezirksregion). [10] Calvet-Mir, L., Gómez-Baggethun, E., Reyes-García, V.: Beyond food production: Ecosystem services provided by home gardens. A case study in Vall Fosca, Catalan Pyrenees, Northeastern Spain. Ecological Economics 74 (2012), p. 153-160. [11] Dunnett, N., Qasim, M.: Perceived benefits to human well-being or urban gardens. HortCulture. 10 (2000), p. 40-45. AUTORINNEN 69 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Kinder freier von Einschränkungen im Gegensatz zu stark regulierten und sehr künstlichen Spielplätzen innerhalb Berlins. Sich über die Natur zu bilden, erachteten einige der Befragten als wichtig für die Öffentlichkeit und insbesondere für Kinder. Dazu gehören formelle und informelle Bildung sowie Erfahrungen vom gegenseitigen Lernen über die Natur. In diesem Zuge spielte für die Interviewten die Naturerfahrung eine wichtige Rolle, das bedeutet eine bewusste Erfahrung der natürlichen Umwelt mit allen fünf Sinnen. Dieses sinnliche Empfinden der Natur steht in Kontrast zum reinen Bildungsaspekt, da es sich ausschließlich mit der Wahrnehmung und den Erfahrungen beschäftigt. Gesprächspartner sagten, dass ohne den Kontakt zur Natur kein Bewusstsein für Umwelt, Naturschutz oder Nachhaltigkeit entstehen könne. Faktor Naturschönheit Ein weiterer Aspekt war die Schönheit der Natur, empfunden bei einer vielfältigen Landschaft mit Flüssen und Seen oder einem breiten Panorama. Für die Gesprächspartner waren ästhetische Gefühle meist verbunden mit natürlich erscheinenden Flächen, die wenig von menschlicher Konstruktion oder Pflege erkennen lassen. Auch spirituelle und religiöse Werte wurde dem Stadtgrün von den Befragten zugeschrieben. Dazu gehörten die Einstellungen, dass die Natur eine „Kreation Gottes“ sei oder einen Raum für Kontemplation und Meditation darstelle. Außerdem wurden tief verwurzelte Gefühle der Naturliebe zu der „majestätischen Natur“ angeführt. Einige der Berliner gaben an, das Stadtgrün als Quelle der Inspiration zu nutzen, etwa für Kunst oder die künstlerische Verarbeitung von Naturprodukten. Während sie sich in der Natur aufhielten, könnten sie ihre Gedanken reinigen und ordnen, antworteten einige der Befragten. Viele der Interviewten empfanden die Natur als einen Ort der Begegnung und Kommunikation. Sie könnten damit der Isolation in der Stadt entkommen und soziale Beziehungen stärken. Offene Flächen nutzen sie als Treffpunkt zum gemeinsamen Feiern, Essen oder Ausruhen. Für Personen ohne eigenen Garten oder Balkon sind Grünflächen wichtige Möglichkeiten, um außerhalb der eigenen vier Wände sozial zu interagieren. Die Ansprüche an das Stadtgrün sind unterschiedlich Naherholungsgebiet Wannsee, Tierpark oder urbane Gärten am ehemaligen Flughafen Tempelhof - die Vielzahl von öffentlichem Stadtgrün wird auch von einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen gennutzt. Die Relevanz sozialer Aspekte beim Grünflächenmanagement betonten auch die Berliner Experten in unseren Interviews. Tatsächlich ergab die statistische Analyse der Fragebögen, dass die Berliner aus unterschiedlichen sozialen Gruppen ganz unterschiedliche Ansprüche an das Stadtgrün haben. Zudem gab es unterschiedliche Wahrnehmungen je nach Einwohnerdichte im Wohnbezirk. Anhand einer Clusteranalyse lassen sich die Befragten in zwei Gruppen einteilen (Bild 5): Die erste Gruppe setzt sich zusammen aus älteren Personen, die in weniger dicht besiedelten Gebieten von Berlin wohnen. Personen aus dieser Gruppe leben schon länger in Berlin, nutzen oft Grünflächen und bewerten diese als gut zugänglich. Sie schätzten besonders kulturelle Ökosystemleistungen, die direkte Naturerfahrung bewirken, etwa für Bildung oder Inspiration. Als weniger wichtig bewerten sie kulturelle Ökosystemleistungen im sozialen Bereich, wie den Nutzen für soziale Beziehungen und kulturelle Diversität. Im Gegensatz dazu gehören zur zweiten Gruppe jüngere Personen, die mehr im urbanen Ballungsraum wohnen. Kulturelle Ökosystemleistungen bewerten sie eher homogen. Sie schätzen das Stadtgrün aufgrund seines Wertes für soziale Beziehungen und kulturelle Diversität und legen weniger wert auf Naturerfahrung. Diese jüngere Gruppe lebt noch nicht lange in Berlin, besucht Grünflächen weniger oft und bewertet sie als weniger gut zugänglich im Vergleich zur ersten Gruppe. Bild 5: Zweiteilung nutzerspezifischer Gruppen: Junge Bewohner des Ballungsraums und ältere Bewohner des periurbanen Berlins (Gruppen aus Clusteranalyse und Korrelation der Cluster mit den sozialdemografischen Variablen). © M. Riechers Gruppe 1 Gruppe 2 Älter (54.91 Jahre, SD 17.2) Jünger (42.56 Jahre, SD 15.0) Längere Zeit in Berlin gewohnt Kürzere Zeit in Berlin gewohnt Höhere Besuchsfrequenz Geringere Besuchsfrequenz Niedrigere Einwohnerdichte Höhere Einwohnerdichte Stadtgrün als besser erreichbar angesehen Stadtgrün als weniger gut erreichbar angesehen 68 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün WAS SCHÄTZEN DIE BERLINER AM URBAN GARDENING? Einige bereitstellende Ökosystemleistungen, wie dekoratives Material und der Anbau von Essen durch städtische Gartenarbeit [6] wurden von den Befragten in einer engen Beziehung zu kulturellen Ökosystemleistungen genannt. Städtische Gartenarbeit hat in Berlin eine lange Tradition und erlebt durch verschiedene Integrations- oder interkulturelle Gärten zurzeit ein neues Hoch. Doch Nahrungsmittelproduktion spielt bei diesen Gärten keine Hauptrolle, wie unsere Befragten angaben. Schwerpunkt der Gartenarbeit erschien die Gemeinsamkeit zu sein, das praktische Arbeiten mit der Natur und der Genuss draußen zu sein. Urban Gardening spielte auch eine Rolle für die Identifikation der Anwohner mit der natürlichen Umgebung. Sie schafft ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit, in dem die Gärtner sich einen persönlichen Fleck Natur aneignen und nach Belieben gestalten. Zusätzlich kann das eigene Anbauen von Nahrung dazu beitragen, eine emotionale Bindung zur Natur zu schaffen. So scheint es, dass die Bereitstellung von Lebensmitteln neben Erholung und Pflegen von sozialen Beziehungen nur nebensächlich ist und Urban Gardening vor allem auch ein Symbol für kulturelle Leistungen der Natur sind (für ähnliche Ergebnisse [10, 11]). In der qualitativen Studie [7] gaben viele der Befragten Erholung als eine wichtige Funktion des Stadtgrüns an. Die Möglichkeiten für entspannende Tätigkeiten oder Sport in der Natur fassen sie als Kontrast zum Stadtlärm, zur Enge der Gebäude sowie zur räumlichen und visuellen Beschränktheit in der Stadt auf. Natur hingegen gibt vielen Städtern ein Gefühl der Ruhe und der Freiheit. Für viele Befragte war der Aspekt der typischen Berliner Kulturlandschaften wichtig: Sie schätzen das Agrarland im Außenbereich von Berlin, historische Parks, Plätze oder Gartenanlagen als wichtig ein. Auch wichtig für die Berliner und Berlinerinnen war ein Heimatgefühl durch die Identifizierung mit der Natur. Darunter nannten die Befragten etwa die kreative Gestaltung oder Aneignung von Stadtgrün, speziell den Trend des Urban Gardening (Box, Bild 4). Die Interviewten betonten, dass sie sich mehr mit ihrer Umwelt identifizierten und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Heimat empfänden, sofern sie öffentliche Grünanlagen aktiv mitgestalten könnten. Einige gaben an, ihren Wohnort aufgrund des nahe gelegenen Stadtgrüns ausgewählt zu haben. Die soziale und motorische Entwicklung von Kindern durch „arbeiten“ und spielen in der Natur, waren vielen Berlinern ebenfalls wichtig. Hier seien die Bild 4: StadtAcker als Beispiel von Urban Gardening in Berlin auf dem Tempelhofer Feld. © M. Riechers 67 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Ein umfassendes Management der urbanen Grünflächen ist wichtig für eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung in Städten [1, 2], gerade in Zeiten zunehmender Urbanisierung. Urbane Grünflächen sind essenziell für die biologische Vielfalt, um das Mikroklima zu verbessern und zur Erholung von Bürgerinnen und Bürgern [3]. Damit eine Stadtentwicklung nachhaltig gestaltet werden kann, sollten Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden [4, 5]. Vor allem unterschiedliche Ansprüche verschiedener Bevölkerungsgruppen sollten hervorgehoben werden - denn eine Stadtentwicklung braucht den Rückhalt der Bevölkerung (Bild 1). Die theoretische Grundlage der vorgelegten Studie ist das Konzept der Ökosystemleistungen, das durch eine groß angelegte Studie der Vereinten Nationen mit geprägt wurde [6]. Demnach sind Ökosystemleistungen jene Vorteile, die Ökosysteme zu Gunsten der Menschen bereitstellen [6]. Dazu gehören neben sauberem Trinkwasser, Speicherung von Kohlendioxid oder Bereitstellung von Holz auch kulturelle Leistungen. Als kulturelle Ökosystemleistungen definiert das Millennium Ecosystem Assessment [6] nicht-materielle Vorteile des Menschen durch Ökosysteme, etwa spirituelle Bereicherung, kognitive Entwicklung, Reflexion, Erholung und ästhetische Erlebnisse [6]. Inwiefern diese Nutzen aus einem Ökosystem, etwa einem Garten, einer Grünfläche oder einem Wald, gezogen werden, hängt stark vom subjektiven Empfinden der Nutzer ab [7]. In der Studie wurden die akademisch entwickelten Kategorien des Millennium Ecosystem Assessment empirisch getestet - auch, um herauszufinden, welche kulturellen Ökosystemleistungen die Einwohner am Berliner Stadtgrün besonders wertschätzen und inwiefern es dabei Unterschiede zwischen sozialen Gruppen und Wohnbezirken gibt. Dafür wurden zum einen qualitative Bewertungen von kulturellen Ökosystemleistungen durch semistrukturierte Interviews durchgeführt. Befragt wurden drei Gruppen: 1. Fachkräfte in Planungs- und Entscheidungspositionen der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt sowie des Landesforstamts Berlin (n = 9); 2. Repräsentative Vertreter von Gruppen und Organisationen, die sich mit kulturellen Ökosystemleistungen beschäftigen (n = 10) sowie 3. Anwohner als „normale“ Nutzer (n = 22). Zum anderen wurde auf Grundlage dieser qualitativen Arbeiten ein quantitativer Fragebogen konstruiert, um die wichtigsten kulturellen Ökosystemleistungen abzufragen. Diese quantitativen Bewertungen (n = 558) wurden durch direkte Umfragen, basierend auf einer geschichteten Zufallsauswahl in vier Ortsteilen Berlins erhoben (Bild 2). Berlin ist mit 892 km² Fläche und 3.5 Mio. Einwohnern Deutschlands größte und einwohnerstärkste Stadt (Daten von 2013 [8]). Grün- oder Wasserflächen bedecken über 40 % der Hauptstadt. Das Berliner Stadtgrün ist daher sehr unterschiedlich konstituiert und auch Definitionen können sich unterscheiden [1, 3]. Auf Grund dessen, wurden alle Grün- und Wasserflächen Berlins in die Studie mit einbezogen, unabhängig vom Level der Pflege oder des Managements. Das schätzen die Berliner am Stadtgrün Die quantitativen Befragung zeigten, dass alle 10 Kategorien kultureller Ökosystemleistungen hoch geschätzt werden. Wichtigste Vorteile und Nutzen des Berliner Stadtgrüns ist nach gemittelter Auskunft der Befragten der ästhetische, folgend von der direkten, sinnlichen Naturerfahrung sowie religiösen und spirituellen Werten (Bild 3). Bild 2: Durch geschichtete Zufallsauswahl ausgewählte Ortsteile: (1) Berlin Mitte, (2) Altglienicke, (3) Mahlsdorf, (4) Heiligensee [9]. © M. Riechers Bild 3: Durchschnittliche Bewertung unterschiedlicher kultureller Ökosystemleistungen des Berliner Stadtgrüns durch die Einwohner (Ergebnisse aus Befragungen, n = 558). © M. Riechers 66 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die Berliner und ihr Stadtgrün: Wertschätzungen und Unterschiede Pluralistische Bewertung kultureller Ökosystemleistungen von Berliner Stadtgrün Ökosystemdienstleistungen, soziale Stadtplanung, Grünflächen, Fragebögen, Interviews Maraja Riechers, Eva Diehl Erholung, Treffpunkt mit Freunden oder ästhetischer Genuss - urbane Grünflächen können vielerlei Funktionen für Städter haben. Diese unterschiedlichen Ansprüche der Nutzer zu berücksichtigen, ist essenziell für eine sozial verträgliche Stadtplanung. Kulturelle Ökosystemleistungen sind Teil eines umfassenden Konzeptes, um Flächen zu kategorisieren und zu bewerten. Im Rahmen einer Studie der Georg-August-Universität Göttingen wurde untersucht, wie Berlinerinnen und Berliner städtische Grünflächen nutzen, welche kulturellen Ökosystemleistungen sie besonders schätzen und wie soziodemografische Faktoren diese Einschätzungen beeinflussen. Dazu wurden rund 40 Interviews geführt und etwa 560 Fragebögen ausgewertet. Bild 1: Junge Berliner nutzen eine offene Grünfläche am Bahnhof Potsdamer Platz als Treffpunkt. © M. Riechers 65 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Maren Pretzsch Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Planungsqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: mpretzsch@hnee.de Claudia Friede Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: cfriede@hnee.de Dr. Jutta Heimann Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Ökologische Qualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: jheimann@hnee.de Dr. Dörte Martens Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: dmartens@hnee.de Irma Stopka Projektleiterin Stiftung Naturschutz Berlin Kontakt: mail@stiftung-naturschutz.de Prof. Dr. Jürgen Peters Leiter der Arbeitsbereiche Planungsqualität und ökologische Qualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: jpeters@hnee.de Prof. Dr. Heike Molitor Projektleitung, Leiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: hmolitor@hnee.de Bedingungen getroffen werden. Als Ergebnis ist geplant, praxisbezogene Leitfäden zu veröffentlichen, welche der Etablierung des Konzeptes in weiteren deutschen Großstädten dienen. Bei der Implementierung des Konzeptes handelt es sich ausdrücklich nicht um eine reine Anforderung an Fachplanung und Naturschutz. Die Notwendigkeit der Einrichtung von Naturerfahrungsräumen muss auch vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit gesehen werden. Naturerfahrung in der Kindheit kann die Basis für eine gesunde Entwicklung und ein späteres umweltbewusstes Verhalten sein. Naturerfahrungsräume können Räume der gemeinsamen Erfahrungen für Stadtkinder aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus sein. Naturerfahrungsräume als fester Bestandteil im städtischen Freiraumsystem könnten einen wichtigen Beitrag für eine ganzheitliche, soziale und ökologisch nachhaltige Stadtplanung leisten. LITERATUR [1] Maas, J., Verheij, R. A., Groenewegen, P. P., de Vries, S., Spreeuwenberg, P.: Green space, urbanity, and health: how strong is the relation? Journal of Epidemiology & Community Health, 60 (2006) p. 587-592. [2] Raith, A., Lude, A.: Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fördert. Unter Mitarbeit von Beate Kohler und Gudula Ritz-Schulte. oekom, München, 2014. [3] Kytta, M., Hirvonen, J., Rudner, J., Pirjola, I., Laatikainen, T.: The last free-range children? Children‘s independent mobility in Finland in the 1990s and 2010s. In: Journal of Transport Geography 47, (2015) p. 1-12. DOI: 10.1016/ j.jtrangeo.2015.07.004. [4] Brämer, R.: Das Bambi-Syndrom. Befunde zur jugendlichen Naturentfremdung, 1998 (natursoziologie.de, 7). Online verfügbar unter http: / / www.wanderforschung.de/ files/ bambik z1234003206.pdf, zuletzt geprüft am 23.02.2016. [5] Schemel, H.-J., Reidl, K., Blinkert, B.: Naturerfahrungsräume in Städten - Ergebnisse eines Forschungsprojektes (http: / / www.naturerfahrungsraum.de/ pdfs/ ner_ziegenspeck_02.pdf), zuletzt geprüft am 23.02.2016. [6] Stopka, I., Rank, S.: Naturerfahrungsräume in Großstädten. Wege zur Etablierung im öffentlichen Freiraum; Abschlussbericht zur Voruntersuchung für das Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin“. Unter Mitarbeit von Irma Stopka und Sandra Ranka. Bonn, 2013, BfN Bundesamt für Naturschutz (BfN-Skripten, 345). [7] BNatSchG: Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege - Bundesnaturschutzgesetz vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2542). Zuletzt geändert durch den Artikel 421 der Verordnung vom 31.08.2015 (BGBl. I S. 1474). Online verfügbar unter http: / / www.gesetze-im-internet.de/ bundesrecht/ bnatschg_2009/ gesamt.pdf, zuletzt geprüft am 30.03.2016. AUTOR I NNEN 64 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün ähnliche Grünanlage). Alle drei Flächen liegen in der Nähe zu Großsiedlungen und sind Bestandteil der Förderkulisse des Förderprogramms zur integrierten Stadtentwicklung „Zukunftsinitiative Stadtteil II“, welches den Abbau der ungleichen innerstädtischen Lebensbedingungen und die gezielte Aktivierung lokaler Potenziale zum Ziel hat. Die Auswahl der Pilotflächen erfolgte mit dem Ziel einer möglichst umwelt- und sozialgerechten Verteilung. Die Naturerfahrungsräume liegen im fußläufig und möglichst barrierefrei erreichbaren Umfeld kinderreicher Wohngegenden. Entsprechend den in der Voruntersuchung gewonnenen Erkenntnissen für die Einrichtung nachhaltig nutzbarer und gut besuchter Naturerfahrungsräume wurde bei der Flächenauswahl darauf geachtet, dass sich in unmittelbarer Nähe geeignete Einrichtungen (z.B. Jugendhilfe-, Umweltbildungseinrichtungen) befinden, die bereit sind, sich um die Flächen und ihren Betrieb zu kümmern. Diese Einrichtungen übernehmen Kontrollaufgaben ebenso wie Informations- und Koordinationsaufgaben. Im Rahmen des Hauptvorhabens sollen Bedingungen (sowohl planerischer als auch praktischer Art) ermittelt werden, die gegeben sein müssen, um Naturerfahrungsräume langfristig als festen Bestandteil städtischer Freiräume installieren zu können. Dabei ist auch das Konzept im Hinblick auf die Anwendbarkeit in Großstädten zu überprüfen und ggf. anzupassen. Hier geht es vor allem um die Ermittlung von Mindestgrößen und die Ermittlung des Bedarfes an Betreuung, die erforderlich ist, damit das Konzept seinen Ansprüchen an Funktionsfähigkeit, informeller Bildung, Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Gesundheitsprävention auch gerecht werden kann. Konkrete Fragestellungen dazu sind: Welcher Aufwand, welche Kosten entstehen bei Einrichtung und Betrieb von Naturerfahrungsräumen? Welche Sicherheitsanforderungen sind an Naturerfahrungsräume zu stellen? Sind die daraus resultierenden Aufgaben im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten der öffentlichen Hand leistbar? Wie kann und muss die Kontrolle von Naturerfahrungsräumen organisiert werden, um einen sicheren Betrieb gewährleisten zu können? Welche Aufgabenteilungen sind zwischen den Fachbehörden und möglichen anderen Akteuren als Betreiber sinnvoll? Wie können vertragliche Regelungen zwischen den Flächeneigentümern, i.d.R. den Fachbehörden, und möglichen Betreibern aussehen? Ist eine pädagogische (Minimal)-Betreuung für neu eingerichtete Naturerfahrungsräume notwendig und sinnvoll, damit diese Flächen in ihrer Funktion überhaupt erst erkannt und angenommen werden? Wie sieht diese Betreuung konkret aus? Wer kann sowohl die erforderlichen Sicherheitskontrollen als auch eine adäquate pädagogische Betreuung übernehmen und diese auch längerfristig sicherstellen? Die durch die praktische Umsetzungsarbeit des Hauptvorhabens aufgeworfenen Einzelaspekte sind Gegenstand der wissenschaftlichen Begleitung. Die Bearbeitung erfolgt in drei interdisziplinär verknüpften Arbeitsbereichen: Flächensuche und Standortauswahl entsprechend den oben beschriebenen Maßgaben gestalten sich schwierig. Hier sollten im Projektverlauf Möglichkeiten der Flächenfindung, Flächensicherung und die Anforderungen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sowie die daraus resultierenden Haftungsfragen untersucht werden. Die angeführten Aspekte werden im Arbeitsbereich Planungsqualität vereint und bearbeitet. Sozialwissenschaftliche Fragestellungen, die generelle Akzeptanz und Aktivität der Kinder in Naturerfahrungsräumen betreffend, werden im Arbeitsbereich Lebensqualität behandelt. Veränderungen von Flora, Fauna und Vegetation unter der Nutzung der Kinder werden im Arbeitsbereich ökologische Qualität untersucht. Die Laufzeit des Hauptvorhabens erstreckt sich von August 2015 bis August 2018. Die wissenschaftliche Begleitung wird zeitlich darüber hinaus Daten sammeln und auswerten. So können Aussagen zu Dynamik und Betrieb der Flächen unter realen Bild 6: „Wir gestalten mit.“ © C. Röttgers, Stiftung Naturschutz Berlin