eJournals Transforming cities 1/4

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0076
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Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten

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Wir leben in einer zunehmend vernetzten digitalen Welt. Frage ist, welche Auswirkungen der digitale Wandel auf Land und Gesellschaft in Zukunft haben wird – oder wie sich die neuen Technologien volkswirtschaftlich vorteilhaft und auch sozial verträglich einsetzen lassen. Die Digitale Agenda der Bundesregierung zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands nennt an erster Stelle digitale Infrastrukturen, deren Auf- und Ausbau eigentliche Grundlage für die weitere Entwicklung ist. Gleichzeitig soll eine IKT-gestützte, effizientere Nutzung bestehender Infrastrukturen Kosten dämpfen. Wie komplex ist die Anpassung der Infrastruktur gewachsener Städte zu Leitungen und Netzen sogenannter Smart Cities wirklich? Antworten von Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident Forschung, Transfer, Gleichstellung und Weiterbildung der Jade Hochschule am Studienort Oldenburg.
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4 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Infrastrukturen und Suprastrukturen unserer Städte entstanden nach und nach, im Laufe vieler Jahrzehnte. Nun sieht es so aus, als müssten über lange Zeit bewährte Systeme wie etwa Kanalnetze aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels oder zunehmender Urbanisierung neu dimensioniert oder definiert werden. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen? Gerade in der alten Welt, mit dem im Kernbereich der Städte über Jahrhunderte gewachsenen Baubestand bzw. mit der faktischen Baubestandsstruktur gibt es über die ohnehin schon komplexen Anpassungsstrategien infolge von Megatrends wie Klimawandel, Migration und Änderung der Verhaltensweisen hinaus Anforderungen, denen schwer umfassend und allseits zufriedenstellend nachzukommen ist. Gerade wenn Sie unsere Entwässerungssysteme ansprechen, sind diese in den Zentren unserer Städte manchmal an die hundert Jahre alt. Es wird eine große Aufgabe sein, technische Notwendigkeit und Belastung Betroffener im Lot zu halten. Wie kann dieser gewachsene Bestand bewertet und in die strategische Planung für kommende Jahrzehnte integriert werden? Die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen - und dazu gehört auch der Aspekt der Finanzierung - nimmt zu, wenn der Eindruck glaubhaft vermittelt werden kann, dass umfassend und verantwortungsbewusst gehandelt wird. Dies zu belegen gelingt, wenn belastbares Datenmaterial des Ist-Zustandes als Basis aller möglichen Entwicklungsstränge vorhanden ist. Wichtig ist, dass diese Informationen aktuell sind, da sich nur dann ein realistisches Bild in der Planungswelt spiegelt. Mit welchen Mitteln lässt sich die Anfälligkeit von Ver- und Entsorgungsnetzen gegenüber Naturereignissen oder technischen Ausfällen verringern? Ein spannendes Thema, welches in der Fachwelt unterschiedlich diskutiert wird. Wenn man einmal absieht von grundlegenden Dingen, wie zum Beispiel der Beseitigung irgendwelcher Engstellen im Netz, scheint mir sicher zu sein, dass es kein allseits anwendbares Patentrezept gibt. Naturereignisse sind und bleiben Naturereignisse, wir werden verstehen müssen, dass wir uns nicht sinnvoll vor jedem denkbaren Szenario schützen können. Es kann immer nur darum gehen, einen gewissen Status zu erreichen, den Zustand von heute zu verbessern. Diese zum Teil durchaus individuellen Maßnahmen hängen stark von der örtlichen Situation ab. Wird die fortschreitende Digitalisierung neue Impulse in Bezug auf das Planen und Bauen von Netzen bringen? Damit rechne ich sicher. Ein Beispiel: Im Kontext einer sich immer schneller drehenden Welt, kürzeren Bauzeiten bei komplexer werdenden Bauaufgaben arbeiten bereits seit langem Planer verschiedener Gewerke in unterschiedlichen Planungstiefen gleichzeitig an Projekten. Dies gilt insbesondere für den Hochbau. Ich rechne fest damit, dass diese fehleranfällige Struktur durch die fortschreitende Digitalisierung verbessert werden kann. Werden Software-Strategien wie das Building Information Modeling (BIM) stärker in den Vordergrund rücken? Genau an diese Werkzeuge habe ich eben gedacht. Und ja, ich rechne fest damit: Große Auftraggeber wie die Deutsche Bahn sind auf dem Weg, diese Methoden zu installieren. Eine Vorreiterrolle spielt dabei das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in seiner Zuständigkeit für Verkehrswege. Lassen sich bestimmte Entwicklungen aus dem Themenfeld Industrie 4.0 adaptieren? Ganz sicher, BIM-Systeme sind das Themenfeld „Industrie 4.0“ für Bauprozesse. Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten Wir leben in einer zunehmend vernetzten digitalen Welt. Frage ist, welche Auswirkungen der digitale Wandel auf Land und Gesellschaft in Zukunft haben wird - oder wie sich die neuen Technologien volkswirtschaftlich vorteilhaft und auch sozial verträglich einsetzen lassen. Die Digitale Agenda der Bundesregierung zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands nennt an erster Stelle digitale Infrastrukturen, deren Auf- und Ausbau eigentliche Grundlage für die weitere Entwicklung ist. Gleichzeitig soll eine IKT-gestützte, effizientere Nutzung bestehender Infrastrukturen Kosten dämpfen. Wie komplex ist die Anpassung der Infrastruktur gewachsener Städte zu Leitungen und Netzen sogenannter Smart Cities wirklich? Antworten von Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident Forschung, Transfer, Gleichstellung und Weiterbildung der Jade Hochschule am Studienort Oldenburg. 5 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Kann man davon ausgehen, dass Asset-Management- Lösungen nach den recht neuen Standards der ISO 55000-Serie auch für ziemlich alte, oft kaum dokumentierte Infrastrukturen wie etwa Kanalsysteme reale Vorteile bringen? Offen gesagt: ich weiß es nicht. Aber wenn das Problem in nicht vorhandenen Daten liegt, so kommen wir ohnehin nicht darum herum, diese fehlenden Daten in hinreichendem Maße zu beschaffen. Wir brauchen für alle Planungsprozesse - und das wird sich nicht ändern - Informationen über den Ist-Zustand. Allein die Tatsache, dass etwas schon recht alt ist, ist kein Grund anzunehmen, dass die Gebrauchstauglichkeit nicht mehr gegeben ist. Eine praktisch vollständige Vernetzung der Systeme untereinander und mit den Netzbetreibern bedeutet, dass der Druck zur schnellen Digitalisierung in den nächsten Jahren wächst? Es ist schon so, dass hier ein Zug ins Rollen gekommen ist. Und keiner möchte als letzter auf dem Bahnsteig zurückbleiben. Dennoch mahne ich auch zum sorgfältigen Vorgehen. Gute Ideen brauchen in der Umsetzung Zeit, und es wird noch eine Reihe von Erkenntnissen geben, die sich aus den bislang erst von wenigen beschrittenen Wegen ergeben. Nicht alle müssen die gleichen Fehler machen, daher ist eine kontrollierte Entwicklung angemessen. Je mehr infrastrukturelle Planungs-, Steuerungs- und Überwachungsdaten verfügbar werden, desto größere Datenmengen sind zu erwarten. Sind denn heutige Betriebsführungssysteme überhaupt auf die Herausforderungen von „Big Data“ ausgelegt? Die Erfahrung zeigt, dass Betriebsführungssysteme wie alle programmgestützten Tools eine gewisse „Lebensdauer“ haben. Sicher kann man nachrüsten, nachbessern, aber irgendwann werden neue Ansätze notwendig. Nichts hält ewig, kein Rohrnetz, aber auch kein Betriebsführungssystem. Der Zugriff auf Daten erfolgt immer häufiger über Internet und Cloud, umso bedeutsamer wird - vor allem bei kritischen Infrastrukturen in den Bereichen Versorgung und Kommunikation - die Frage nach der Datensicherheit. Lässt sich diese Sicherheit überhaupt gewährleisten? Vor Aktivitäten krimineller Einheiten, letztlich gar vor Eingriffen feindlich gesonnener Staaten, vielleicht als Mittel neuer Kriegsführungsstrategien ist man niemals absolut sicher. Jeder Schutzschirm kann am Ende auch irgendwie überwunden werden. Seitens des Gesetzgebers ist dies erkannt worden, ich erinnere an das Gesetz zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes und darauf aufbauende Verordnungen, zum Beispiel zur Identifizierung kritischer (soll heißen: für das Funktionieren einer Gesellschaft elementar wichtigen) Infrastrukturen. Dabei denke ich manchmal, dass es schön wäre, wenn man im Krisenfall noch in den Modus „Handbetrieb“ umschalten könnte. Das allerdings ist Illusion, fürchte ich. Welche rechtlichen Aspekte treten in diesem Zusammenhang in den Vordergrund? Die Themenwelt um die IT-Sicherheit ist ein komplexes Terrain, in dem ich wirklich nur Laie bin. Aber auch deshalb, um uns Ingenieure und Techniker zumindest für die Probleme zu sensibilisieren, habe ich diesen Themenkomplex in das nächste „31. Oldenburger Rohrleitungsforum“, welches im Februar 2017 stattfinden wird, mehrfach aufgenommen. Hier kommen Experten zu Wort. Wie könnten also die Empfehlungen an Politik, Planer und Betreiber für die kommenden fünf Jahre lauten? Die besprochenen Umbrüche werden kommen, und es bedarf der Menschen, die mit diesen Dingen umzugehen verstehen. Die Jade Hochschule in Oldenburg wird bereits jetzt in zunehmendem Maße das Thema BIM in die Ausbildung der zukünftigen Ingenieure und Ingenieurinnen implementieren. Dazu braucht die Fachhochschule die Unterstützung in Form von Bereitstellung der notwendigen Kapazitäten durch die Politik und - das ist die gute Nachricht - sie bekommt sie auch. Planer und Betreiber sollten bereits jetzt die Angebote nutzen, die sich am Markt entwickeln. Es gilt hier, Eigeninitiative zu entwickeln und den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben zum Beispiel die BIM-Schulungsangebote der Jade Hochschule und der BIM-Baumeisterakademie in Oldenburg zu nutzen. Lebenslanges Lernen muss gelebt werden. Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener im Interview. © iro