Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0091
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Sicherheitstechnische Verantwortung bei Infrastruktur-Anwendungen
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Michiel Hussaarts
Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gilt seit 1995 die Europäische Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (MRL). Sie zielt darauf ab, dass im gesamten EWR lediglich sichere Maschinen in Verkehr gebracht werden – und zwar nach einem durchgängig hohen europäischen Maßstab. Die MRL muss jedoch nicht nur von Herstellern eingehalten werden.
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54 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Vielen Arbeitgebern, die Maschinen einsetzen, ist mittlerweile bekannt, dass sie bei deren Beschaffung auf das Vorhandensein eines CE-Zeichens und einer EG-Konformitätserklärung achten müssen. Denn Maschinen, die im Europäischen Wirtschaftsraum in oder nach 1995 in Verkehr gebracht worden sind, dürfen nicht ohne das CE-Zeichen betrieben werden. In Deutschland fordert die 9. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (ProdSV) die Maschinenhersteller zur Umsetzung der Maschinenrichtlinie auf. Allerdings ist zahlreichen Betreibern nicht bewusst, dass die MRL nach dem Kauf der Maschine auch für sie als Arbeitgeber relevant sein kann. Da es bei der Maschinensicherheit um Verantwortung und Haftung geht, sollten sie das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sicherheitstechnische Verantwortung bei Infrastruktur-Anwendungen Was Anlagenbetreiber beachten müssen Infrastruktur, Maschinenrichtlinie, CE-Zeichen, Sicherheit, Europäischer Wirtschaftsraum Michiel Hussaarts Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gilt seit 1995 die Europäische Maschinenrichtlinie 2006/ 42/ EG (MRL). Sie zielt darauf ab, dass im gesamten EWR lediglich sichere Maschinen in Verkehr gebracht werden - und zwar nach einem durchgängig hohen europäischen Maßstab. Die MRL muss jedoch nicht nur von Herstellern eingehalten werden. Auch in der urbanen Infrastruktur sind an vielen Stellen Maschinen im Einsatz - zum Beispiel zum Öffnen und Schließen eines beweglichen Stadiondachs. © Phoenix Contact 55 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Absicherung über den Maschinenhersteller und -betreiber Die mit der Arbeit an Maschinen einhergehende Sicherheit und der Gesundheitsschutz werden im EWR parallel über den Hersteller und den als Betreiber fungierenden Arbeitgeber abgesichert (Bild 1). Der Hersteller darf lediglich Maschinen in Verkehr bringen, die den Sicherheitsanforderungen aus der Maschinenrichtlinie entsprechen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wird dem Betreiber mit dem auf der Maschine angebrachten CE-Zeichen und der EG-Konformitätserklärung bestätigt. Weil der Hersteller nur die Beschaffenheit der Maschine aktiv beeinflussen kann und nicht das Umfeld, in dem sie später arbeitet, muss er dem Betreiber unter anderem mögliche Restrisiken aufzeigen. Außerdem hat er die bestimmungsgemäße Verwendung festzulegen sowie auf sonstige Voraussetzungen zur sicheren Funktionsweise seiner Maschine hinzuweisen. Die Betreiber müssen die genannten Voraussetzungen der Hersteller umsetzen. Darüber hinaus ergeben sich aus ihrer Rolle als Arbeitgeber kraft Gesetz weitere Pflichten. Diese sind beispielsweise im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) aufgeführt. Laut § 3 ArbSchG hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, welche auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit einwirken und dabei eine Verbesserung dieser Faktoren anzustreben. Des Weiteren muss er Gefährdungen regelmäßig ermitteln und beurteilen. Bei der Definition der Maßnahmen gilt es, den jeweils aktuellen Stand der Technik zu berücksichtigen. Erst wenn die Gefährdungsbeurteilung vorliegt, die daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen gemäß aktuellem Stand der Technik realisiert sind und festgestellt wurde, dass die Maschine nach aktuellem Stand der Technik sicher ist, darf der Arbeitgeber den Beschäftigten das Arbeitsmittel zur Verfügung stellen. Charakterisierung durch bewegliche Teile Vor diesem Hintergrund erweist sich die rechtliche Situation als überschaubar: Der Hersteller setzt die MRL um und bringt somit eine sichere Maschine in Verkehr. Der Arbeitgeber respektive Betreiber der Maschine beachtet nach deren Kauf das ArbSchG sowie die BetrSichV und sorgt dafür, dass die Maschine sicher betrieben werden kann und auch wird. Die scheinbar exakte Trennung der beiden Verantwortungsbereiche verhindert jedoch nicht, dass der Arbeitgeber im Laufe der Zeit ebenfalls zum Hersteller werden kann - und das mit sämtlichen daraus resultierenden Konsequenzen. Mehr als 20 Jahre nach Einführung der Europäischen Maschinenrichtlinie ist noch immer nicht jedem Betreiber klar, dass er eine „Maschine“ einsetzt. Manches Unternehmen glaubt sogar, bei seiner Anwendung handele es sich nicht um eine Maschine, sondern um eine „Anlage“. Artikel 2 der MRL legt daher fest, was genau unter einer Maschine zu verstehen ist. Die Bestimmungen sehen viele Varianten und Ausnahmen vor, doch grob gesprochen definiert sich eine Maschine wie folgt: Die Maschine besteht aus einer Gesamtheit miteinander verbundener Teile. Sie ist mit einem Antriebssystem ausgestattet und wird nicht von Mensch oder Tier angetrieben. Mindestens ein Teil der Maschine bewegt sich. Die Maschine wurde für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt. Unzählige Anlagen umfassen bewegliche Teile und Antriebe. Deshalb fallen Applikationen wie bewegliche Brücken, Schleusen, Roll- und Schiebetore, Schiebe-, Dreh- und Karusselltüren, Verkehrsschranken, Personenschleusen, Hebebühnen oder Laderampen in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie (Bild 2). Wie bereits erwähnt, dürfen sie seit 1995 nicht mehr ohne CE-Zeichen und EG-Konformitätserklärung in Verkehr gebracht und betrieben werden. Das trifft auch dann zu, wenn die Maschinen für den „Eigengebrauch“ gedacht sind, sie also vom Hersteller selbst genutzt werden. Veränderung in Leistung, Funktion oder Typ So lange Maschinen mit CE-Zeichen erworben sowie im Originalzustand und nach den Vorgaben des Herstellers eingesetzt werden und der Käufer gleichzeitig das ArbSchG und die BetrSichV einhält, ergeben sich aus dem Irrglauben, keine Maschine zu betreiben, keine größeren Probleme. Sobald sich Bild 1: Der Schutz des Arbeitnehmers ist in einem Zwei-Säulen- Modell geregelt, das sich aus zwei vermeintlich getrennten Welten zusammensetzt. © Phoenix Contact 56 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen aber die Rolle des Arbeitgebers vom ursprünglichen Maschinenbetreiber zum Hersteller wandelt, muss er die daraus resultierenden Konsequenzen bedenken. Wie es zu einem solchen Rollenwechsel kommt, soll anhand von zwei Beispielen erklärt werden. Wenn neue Maschinen in Verkehr gebracht werden, ist die MRL anzuwenden. Im sogenannten „Blue Guide“, dem Leitfaden zur Anwendung der europäischen harmonisierten Gesetzgebung, erläutert die EU-Kommission verschiedene europäische Richtlinien. Dort wird unter anderem festgelegt, dass diese Richtlinien sowohl für das Inverkehrbringen neuer Produkte als auch für existierende Produkte gültig sind, die derart in der Leistung, Funktion oder vom Typ geändert werden, dass ein neues Produkt entsteht (Bild 3). In Deutschland ist diese Art der Veränderung besser als „wesentliche Änderung“ bekannt. Eine Änderung erweist sich - vereinfacht gesagt - erst dann als „wesentlich“, sofern die vorhandenen Schutzmaßnahmen an der Maschine nach der Veränderung nicht mehr ausreichen und mit einer einfachen Schutzeinrichtung nicht angepasst oder ergänzt werden können. Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, sollte jeder Betreiber, der eine Maschine im eigenen Namen verändert oder verändern lässt, selbst und bestenfalls vorab ermitteln. Führt er tatsächlich eine wesentliche Änderung durch, wird der Betreiber zum „Hersteller“ der (neuen) Maschine. Das bedeutet, dass er die Konformität zur Maschinenrichtlinie erneut nachweisen muss, auch wenn bereits ein CE-Zeichen auf der ursprünglichen Maschine angebracht war. In diesem Zusammenhang hat der Betreiber beispielsweise die Umsetzung der für seine Maschine relevanten harmonisierten Normen für die Maschinensicherheit zu belegen. Verkettung zu einer Gesamtheit von Maschinen Die sogenannte „Gesamtheit von Maschinen“ ist ein weiteres Beispiel für die Wandlung des Betreibers in die Herstellerrolle. Laut Artikel 2a der MRL gilt die Maschinenrichtlinie für das Inverkehrbringen von Maschinen ebenso wie für die Gesamtheit von Maschinen. In Deutschland handelt es sich um eine Gesamtheit von Maschinen, sofern verschiedene Maschinen so miteinander verkettet sind, dass sowohl ein produktionstechnischer als auch ein sicherheitstechnischer Zusammenhang gegeben ist. Sind einzelne oder unvollständige Maschinen derart aufgestellt, dass sie eine geschlossene Einheit bilden und als eine Gesamtheit zusammenwirken respektive auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind und bei- Bild 2: Verkehrsschranken fallen ebenfalls in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie. © Phoenix Contact Bild 3: Wenn es sich bei einem Umbau um eine wesentliche Veränderung handelt, muss die Maschinensicherheit nochmals betrachtet und CE unter Umständen erneut nachgewiesen werden. © Phoenix Contact 57 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Ir. Michiel Hussaarts Safety Engineer im Competence Center Safety Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR spielsweise durch eine übergeordnete gemeinsame Steuerung als Gesamtheit betätigt werden, besteht ein produktionstechnischer Zusammenhang. Ein sicherheitstechnischer Zusammenhang liegt dann vor, wenn beispielsweise ein Ereignis an der einen Maschine eine Gefährdung bei der anderen (verketteten) Maschine auslösen kann. Dass sich Maschinen ebenfalls in Infrastruktur-Anwendungen zu einer Gesamtheit verketten lassen, sollten die in dieser Branche tätigen Betreiber nicht einfach ausschließen. Fazit Arbeitgeber und Betreiber können sich also nicht in jedem Fall auf das an der Maschine angebrachte CE-Zeichen beziehen. Das Vorhandensein der Kennzeichnung am Arbeitsmittel entbindet sie nicht von der Pflicht zur regelmäßigen Durchführung oder Aktualisierung einer Gefährdungsbeurteilung. Sobald Maschinen verändert oder verkettet werden, kann sich der Arbeitgeber vom Betreiber zum Hersteller wandeln und somit verantwortlich für ein neues CE- Zeichen sein. Das Competence Center Safety von Phoenix Contact bietet hier beratende und unterstützende Dienstleistungen sowohl für Maschinenhersteller als auch -betreiber an. Weitere Details sind auf der Homepage des Unternehmens unter www.phoenixcontact.de/ safery-services zu finden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Anzeige »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, München, www.trialog-publishers.de