eJournals Transforming cities 1/4

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2016-0094
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Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung

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2016
Enrico Howe
Robert Schönduwe
Andreas Graff
Lena Damrau
Joscha Kükenshöner
Smartphone-Daten sind ein neuer Trend in der Mobilitätsforschung. Sie helfen Planungsbüros, Universitäten, Verkehrsbetrieben, Startups und weiteren Akteuren bei ihren alltäglichen Aufgaben. Aktuell gibt es verschiedene Ansätze der Datengewinnung. Die App „modalyzer“ des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) hat nun einen Ansatz für die Schnittstelle zwischen Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin validiert.
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68 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Das Fahrrad als Verkehrsmittel hat in Berlin aktuell Konjunktur. Die Verkehrswende wird dort verstärkt politisch aufgegriffen und davon profitiert auch der öffentliche Verkehr (ÖV) rund um Bus und Bahn. Beispiele sind die Ergebnisse der durch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt beauftragten Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ [1], die Beachtung der Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ oder die Rolle des Umweltverbunds im Rahmen der Abgeordnetenhauswahl im September 2016, bei der Themen der Verkehrs- und Stadtplanung zunehmend an Wichtigkeit gewannen. Mittlerweile werden in Berlin mehr als 13 % der Wege mit dem Rad zurückgelegt [2]. Gleichzeitig kommt der Ausbau der Schnittstellen zwischen ÖV und Radverkehr kaum voran. Auch der Infrastruk- Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung Erkenntnisse aus dem Projekt „RadSpurenLeser“ zur Vernetzung von Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin Smartphone, Mobilitätsforschung, Berlin, Radverkehr, öffentlicher Verkehr, Intermodalität Enrico Howe, Robert Schönduwe, Andreas Graff, Lena Damrau, Joscha Kükenshöner Smartphone-Daten sind ein neuer Trend in der Mobilitätsforschung. Sie helfen Planungsbüros, Universitäten, Verkehrsbetrieben, Startups und weiteren Akteuren bei ihren alltäglichen Aufgaben. Aktuell gibt es verschiedene Ansätze der Datengewinnung. Die App „modalyzer“ des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) hat nun einen Ansatz für die Schnittstelle zwischen Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin validiert. Bild 1: Durchschnittliche Radverkehrsgeschwindigkeiten in der Berliner Innenstadt [3]. 69 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen turausbau kann mit der gestiegenen Bedeutung des Radverkehrs schwer mithalten. So sind die Radverkehrsgeschwindigkeiten in der Berliner Innenstadt häufig infrastrukturbedingt gering (siehe Bild 1). Bislang stehen Forschern, Planern und Politikern häufig nur lokale Datensets zur Verfügung, die meist nur einen räumlich und zeitlich sehr begrenzten Ausschnitt des Verkehrsgeschehens abbilden. Dies gilt insbesondere für Erhebungen zum Verkehrsverhalten, die meist als schriftliche oder telefonische Befragungen durchgeführt werden. Die Verwendung dieser Erhebungsmethoden bedeuten hohen Aufwand, hohe Kosten und lange Erhebungs- und Analysezeiträume. Angesichts der sich ändernden Angebotslandschaft [4] und sich ebenfalls ändernden Nachfragemustern [5] wächst der Bedarf an kontinuierlich erhobenen Daten, mit denen spezifische Fragestellungen analysiert werden können. Seit einigen Jahren wird versucht, Smartphones als neue Erhebungsinstrumente zu nutzen [6]. Smartphonedaten werden für verschiedene Ansätze erhoben und für Forschung und Beratung nutzbar gemacht - schnell, günstig, qualitativ hochwertig und datenschutzkonform sind nur einige der angelegten Maßstäbe. Das Forschungsprojekt „RadSpurenLeser“ hat genau dies für die Schnittmenge von Radverkehr und ÖV umgesetzt [7]. RadSpurenleser ist eine Studie des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und wurde mit Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Dabei wurde zwischen September 2015 und September 2016 untersucht, wie sich ÖV und Fahrrad im Alltag kombinieren lassen und wie die Kombination dieser Verkehrsmittel gefördert werden kann. Von zentraler Bedeutung ist die Bewertung der Schnittstellen von ÖV und Radverkehr: Fahrradmitnahme in der Bahn, Stellplatzinfrastrukturen an Bahnhöfen und die Nutzung von Bikesharing-Angeboten. Zur Erhebung der Mobilitätsdaten wurde die kostenfreie Smartphone-App „modalyzer“ [8] genutzt. modalyzer ist ein digitales Wegetagebuch, welches zurückgelegte Wege automatisiert verschiedenen Verkehrsmitteln zuordnet. Aktuell werden Fußwege, Fahrrad, Auto, Bus, Regionalzug, S-Bahn, Straßenbahn, U-Bahn und Fernzug automatisiert erkannt. Fernbus, Flugzeug und Wasserfahrzeug können vom Nutzer manuell hinzugefügt werden. Aus diesen Daten werden dem Nutzer persönliche Mobilitätserkenntnisse wie Verkehrsanteile (Modal Split) oder der CO 2 -Ausstoß angezeigt (siehe Bild 2). Ausgangspunkt der Analysen sind die durch Smartphones aufgezeichneten GPS- und WLAN-Daten. Bewegungsdaten der Smartphones und Daten externer Quellen wie z.B. Streckenverlauf von öffentlichen Verkehrsmitteln sind ebenfalls nützlich. An der Studie nahmen 151 Menschen aus Berlin und Umgebung teil. Mit dem Smartphone zeichneten sie ihr alltägliches Mobilitätsverhalten automatisch und datenschutzkonform auf. Ergänzend wurden Einstellungen zur Mobilität sowie soziodemographische Angaben der Teilnehmenden durch eine Online-Umfrage ermittelt. Insgesamt konnten Mobilitätsdaten von über 6000 Tagen und 270 000 Kilometern erhoben werden - 3075 Wege an 1068 Tagen und über 37 000 zurückgelegte Kilometer flossen in die Auswertung ein (siehe Bild 3). Hiermit wurde ein umfangreiches Datenset u.a. für Verkehrsbetriebe, Verbände, zivilgesellschaftliche Gruppen und Anschlussforschung geschaffen. Die Daten eignen sich insbesondere um den Anteil inter- und multimodaler Wege von Radfahrenden zu bestimmen. Intermodalität beschreibt die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf einem Weg (z.B. Fahrrad-Bahn-Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit), während Multimodalität die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb eines größeren Zeitraums beschreibt (z.B. montags mit dem Rad zur Arbeit, dienstags mit dem ÖV). Dabei zeigte sich, dass rund 8 % der gesamten zurückgelegten Bild 2: Vereinfachter Ablauf des Wegetrackings mit modalyzer via Smartphone aus Nutzersicht: Download/ Installation, Wegeerkennung, Ergebniseinsicht [8]. 70 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Wege intermodal zurückgelegt wurden und 12 % der zurückgelegten Radwege mit dem ÖV kombiniert werden (siehe Bild 4). Kennwerte wie diese können u.a. Verkehrsunternehmen bei der Bedarfsplanung unterstützen. Ferner konnte gezeigt werden, dass Multimodalität eine starke Rolle in der Alltagsmobilität der Teilnehmer der Studie einnimmt. So waren 78 % der untersuchten Radfahrer im Wochenverlauf multimodal unterwegs (siehe Bild 5). Besonders häufig traten dabei die Kombination von Fahrrad und ÖV (26 % der Nutzer) sowie Fahrrad-Auto-ÖV (25 % der Nutzer) auf. Die Kombination aus Rad und PKW war zweitrangig (8 % der Nutzer). Im gesamten Sample (nicht nur Radfahrer) waren 68 % der Nutzer multimodal unterwegs. Die Methode ermöglicht weitere Auswertungen wie z.B. die automatisierte Erkennung von Bikesharing-Fahrten, Analyse von Einzugsbereichen von Bahnhöfen, Kernnutzungszeiten verschiedener Mobilitätstypen und Verkehrsteilnehmer (Lastgangkurven) oder der Identifizierung von verkehrsmittelspezifischen Hauptverkehrsachsen und Verweilräumen. Insgesamt nahmen vor allem umweltbewusste Rad- und ÖV-affine Probanden sowie technikaffine Multioptionale an der Studie teil. Bild 3: Gesamtübersicht der in Berlin im Jan/ Feb und Apr/ Mai 2016 mit modalyzer analysierten Wege [3] Bild 4: (links) Anzahl der Wege, Anteil der Wege und Mittelwert der zurückgelegten Distanzen von mono- und intermodalen Wegen [3] Bild 5: (rechts) Bedeutung der verschiedenen multimodalen Verkehrsmittelkombinationen, Einheit: Anzahl der Nutzer [3] 71 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Aus den Analysen der Trackingdaten und der begleitenden Online-Erhebung wurden dezidierte Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Wirtschaft abgeleitet. Die Untersuchungsgruppe wünschte sich beispielsweise mehr, sicherere und vielfältigere Abstellanlagen für Räder. So gibt es in Berlin bislang nur wenige abschließbare Fahrradboxen und es gibt kein Fahrradparkhaus - hochwertige Räder werden bislang somit kaum an Bahnhöfen abgestellt und verhindern eine Stärkung des Umweltverbunds aus Fahrrad und ÖV. Die Fahrradmitnahme sollte erleichtert werden. Hier gibt es ein Spannungsfeld zwischen Radfahrern und ÖV-Kunden, die ohne Fahrrad unterwegs sind. Hier setzt ein erstes Pilotprojekt „Rad im Regio“ des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg an [9]. Darüber hinaus ist ein dichteres Bikesharing-Angebot in Planung, um eine bessere An- und Abreise zu den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs zu ermöglichen. Das Beispiel RadSpurenLeser zeigt, dass Smartphone-generierte Datensätze einen wichtigen und neuen Beitrag zur Mobilitätsforschung leisten können. Mit modalyzer wurden bereits seit 2013 Forschungsfragestellungen zur Umweltentlastungswirkung von E-Carsharing in urbanen Räumen (WiMobil), der Rolle von Wearable Devices (Guide- 2Wear), zu Trends in der Alltagsmobilität (Multimo), zur Indoor-Navigation (DIMIS) oder auch in der internationalen Kooperation (u.a. mit der Ukraine und Mexiko) beantwortet. Über den hier beschriebenen Ansatz hinaus gibt es weitere technische Ansätze. Bereits jetzt zeigt sich, dass in der Kombination mit klassischen Methoden der Verkehrsforschung Smartphonebasierte Wegetagebücher neue Erkenntnisse zur Unterstützung der urbanen Transformation generieren können. LITERATUR [1] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin; Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK); Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH; Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gGmbH, et al.: Machbarkeitsstudie Klimaneutrales Berlin 2050. Potsdam, Berlin, 2014. [2] Technische Universität Dresden & Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, 2014: Tabellenbericht zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten - SrV 2013“ in Berlin. Dresden. [3] Schönduwe, R., Graff, A., Damrau, L., Kükenshöhner, J., Howe, E.: Erhebungsergebnisse. Abschlussveranstaltung RadSpurenLeser, 2016. https: / / www.innoz.de/ sites/ default/ files/ 3 _radspurenleser_ergebnisse. pdf [4] Canzler, W., Knie, A.: Die digitale Mobilitätsrevolution. Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten. München, 2016. AUTOR I NNEN Enrico Howe Projektleiter RadSpurenLeser InnoZ GmbH Kontakt: enrico.howe@innoz.de Dr. Robert Schönduwe Experte für geographische Mobilitätsanalysen InnoZ GmbH Kontakt: robert.schoenduwe@innoz.de Andreas Graff Experte für CAWI InnoZ GmbH Kontakt: andreas.graff@innoz.de Lena Damrau GIS-Analysen InnoZ GmbH Kontakt: lena.damrau@innoz.de Joscha Kükenshöner GIS-Analysen InnoZ Gmbh Kontakt: Joscha.kuekenshoener@innoz.de [5] Lanzendorf, M., Schönduwe, R.: Urbanität und Automobilität. Neue Nutzungsmuster und Bedeutungen verändern die Mobilität der Zukunft. Geographische Rundschau. Jg. 6 (2013), S. 34-41. [6] Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) (Hrsg.): Konzeption eines mobilfunkgestützten Erhebungssystems für Mobilitätsbefragungen. Wien, 2010. [7] Howe, E.: Rückblick. Abschlussveranstaltung Rad- SpurenLeser am InnoZ, 2016. https: / / www.innoz. de/ de/ rueckblick-abschlussveranstaltung-radspurenleser-am-innoz [8] modalyzer: Das Logbuch für dein Smartphone, 2016. Homepage der Wegeerfassungstools modalyzer. https: / / www.modalyzer.com/ de [9] Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg: Informationen zur Fahrradmitnahme im VBB. Rad im Regio, 2016. http: / / www.vbb.de/ de/ k/ startseite/ rad-imregio/ 359703.html