Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0007
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Grüne Infrastruktur sichern
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Peter Menke
In den letzten Jahren sind die Forderungen nach mehr Grün in den Städten immer lauter geworden. Gleichzeitig ist der Druck auf die Grün- und Freiflächen gewachsen – er zeigt sich vor allem in wachsenden Städten infolge des hohen Wohnraumbedarfs.
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16 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Kommunen verfolgen inzwischen verschiedene Strategien zur sogenannten „doppelten Innenverdichtung“. Diese zielt darauf ab, vorhandene Flächenreserven innerhalb des Siedlungsraums baulich sinnvoll zu nutzen, gleichzeitig aber auch die Freiraumversorgung und -nutzbarkeit zu erhalten. Dahinter steht auch das übergreifende bundespolitische Ziel, die Flächenversiegelung zu reduzieren - Städte sollen nicht weiter in die Peripherie wachsen. Das kommunale Dilemma aber zeigt sich deutlich, wenn man die schon heute spürbaren Veränderungen des Klimas in den Fokus nimmt. Es ist offensichtlich, dass insbesondere die bebaute Umwelt auf veränderte Rahmenbedingungen eingestellt werden muss. Schon jetzt nehmen zum Beispiel Starkregenereignisse nachweislich zu und stellen neue Herausforderungen an die Entwässerungssysteme. Hierzu zählen der Ausbau der Dach- und Fassadenbegrünung ebenso wie die Entsiegelung befestigter Flächen durch neue, durchlässige Materialien oder der gebäudenahe Ausbau von Retentionsflächen. Zu erwarten sind auch Zunahmen der Extreme bei Wind und sommerlichen Hitzeperioden, denen die Gebäude und Infrastruktureinrichtungen standhalten müssen. Eiko Leitsch, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung DIE GRÜNE STADT, sieht hier große Aufgaben für die kommunalen Grünverwaltungen: „Freiräume, insbesondere Wasser- und Grünflächen, haben in Städten eine besondere Aufgabe zur Klimaregulierung und gelten als die wirksamsten Instrumente in der Stadtklimatologie: Bäume filtern Schadstoffe, sie befeuchten und kühlen die Stadtluft, sie liefern Sauerstoff und binden CO 2 . Unversiegelte Grünflächen nehmen Oberflächenwasser auf und entlasten so die Kanalisation, die insbesondere bei Starkregen überfordert ist.“ Grüne Infrastruktur Die Ruhrgebietsstadt Essen ist 2017 die von der EU ausgezeichnete „Grüne Hauptstadt“. Dieser Titel wird von einer Jury der EU-Kommission seit 2010 jährlich an Städte vergeben, die nachweislich hohe Umweltstandards erreicht haben und fortlaufend ehrgeizige Ziele für die weitere Verbesserung des Umweltschutzes und der nachhaltigen Entwicklung verfolgen. Dabei ist das Label „Grüne Stadt“ nicht exklusiv auf lebendiges Grün ausgerichtet - vielmehr sind verschiedenste Umweltaspekte zu erfüllen. Dies betrifft Mobilität, Abfall- und Wassermanagement, aber auch Energieeffizienz, Lärmschutz und natürlich Grünflächen. Eben diese Grünflächen spielen - auch jenseits des EU-Wettbewerbs zur Grünen Hauptstadt - eine zentrale Rolle. Grüne Infrastruktur sichern Stadtklimatologie mit lebendigem Grün Peter Menke In den letzten Jahren sind die Forderungen nach mehr Grün in den Städten immer lauter geworden. Gleichzeitig ist der Druck auf die Grün- und Freiflächen gewachsen - er zeigt sich vor allem in wachsenden Städten infolge des hohen Wohnraumbedarfs. Bepflanzte Dächer und Fassaden tragen zur Begrünung der Stadtlandschaft bei. © BGL 17 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Naheliegend, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass grüne Städte vielfältige Grünräume haben, die sich in private und öffentliche Sphären teilen. Parkanlagen, Spielplätze, Uferräume, Friedhöfe, Alleen aber auch das Straßenbegleitgrün machen den öffentlichen Teil aus. Die Summe aus privaten Gärten, bepflanzten Balkons und Hinterhöfen, begrünten Dächern und Fassaden sind die andere Hälfte des lebendigen Erscheinungsbildes einer Kommune. „Zusammengenommen bilden all diese Grünflächen die Grüne Infrastruktur einer Stadt und im Zusammenspiel entfalten sie ihre positive Wirkung. Entscheidend ist, dass es vor Ort starke Grünverwaltungen gibt, die ihr Potenzial in kommunale Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung einbringen,“ so Eiko Leitsch: „Zur Umsetzung der Pariser Beschlüsse der UN-Klimakonferenz ist eine enge Zusammenarbeit von Kommunalpolitik, Verwaltung, lokaler Wirtschaft und Bürgerschaft zum Ausbau der grünen Infrastruktur in den Städten und Gemeinden von enormer Bedeutung.“ Wärmeinseln und Wassermanagement Die Menschen in Städten und Ballungszentren sind von steigenden Temperaturen, wie sie in Folge des Klimawandels erwartet werden, in besonderem Maße betroffen. Dichte Bebauung bzw. ein insgesamt hoher Versiegelungsgrad führen in Verbindung mit hohem Verkehrsaufkommen und der Emission von Haus- und Gewerbeflächen zu einer hohen Wärmeproduktion und -speicherung insbesondere in den Innenstädten. Die Folgen zeigen sich in sogenannten „Wärmeinseln“. Da in Zukunft häufigere und längere Hitzeperioden zu erwarten sind, in denen sich die Luft in den Innenstädten auch nachts nicht ausreichend abkühlen kann, drohen gesundheitliche Risiken für Stadtbewohner. Vor allem sensible Personengruppen, wie ältere oder kranke Menschen und auch kleine Kinder, sind gefährdet. Auch aus gesundheitspolitischen und aus sozialen Gründen ist also eine angepasste Städteplanung dringend angezeigt. So können beispielsweise Pflege- und Altenheime ebenso wie Schulen und Kindertagesstätten in dichtbebauten Innenstadtbereichen zukünftig aus klimatologischer Sicht problematisch sein. Gleichzeitig wird in den dichtbebauten Innenstadtbereichen das Wassermanagement zu einem wachsenden Problem: Es gibt in den Stadtzentren zumeist nur wenige Versickerungsflächen und Rückhalteräume für Regenwasser, was die Wahrscheinlichkeit von Überflutungen bei starken Niederschlägen erhöht. Überschwemmungen führen zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden an Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen, beeinträchtigen die lokale Wirtschaft und stellen nicht zuletzt für Versicherungen nur schwer kalkulierbare Risiken dar. Aktuelle Projektionen gehen zwar davon aus, dass die Sommer durch den Klimawandel trockener werden, wir jedoch gleichzeitig mit öfter auftretendem und heftigerem Starkregen rechnen müssen. Grün als Instrument der Stadtklimatologie Wie sehr die Folgen des Klimawandels konkrete Probleme in den einzelnen Städten verursachen, hängt davon ab, ob und welche Anpassungsmaßnahmen Wie werden Kommunen gleichzeitig dem Zwang zur Nachverdichtung und dem wachsenden Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Grün in den Städten gerecht? © BGL In mehreren Studien wurde belegt, dass mit Hilfe von grünen Wänden in stark befahrenen Innenstädten die Belastungen durch Stickoxide und Feinstaub massiv senken lassen. An Kletterpflanzen wie Efeu bleiben die giftigen Partikel regelrecht kleben. Auch die Energiebilanz der Wohnräume profitiert von einer Pflanzendecke, denn diese wirkt bei jedem Wetter isolierend. Im Winter erfüllt sie eine Dämmfunktion und es muss weniger geheizt werden. Wenn es dagegen draußen heiß ist, absorbieren Pflanzen auf dem Dach und an der Fassade die UV-Strahlen und verhindern ein starkes Aufheizen der Gebäude. Bei Dächern verlängert sich durch eine schützende Begrünung sogar die Lebensdauer der Dachhaut, denn sie wird von der Witterung nicht mehr so stark beeinträchtigt. Selbst die Kanalisation profitiert von einer grünen Abdeckung: Bei starken Regenfällen kommt es in den städtischen Abwasserleitungen regelmäßig zu Überlastungen und in der Folge zu Überschwemmungen. Durch grüne Dächer wird ein Großteil des Regens abgefangen und von den Pflanzen, beziehungsweise dem darunterliegenden Substrat, festgehalten. Was nicht von den Pflanzen benötigt wird, verdunstet langsam und das hat gleich zwei weitere positive Effekte: Weil weniger Regenwasser in die Kanalisation abgeführt wird, sinken die Abwassergebühren, und weil das im Substrat gespeicherte Wasser langsam verdunstet, steigt die Luftfeuchtigkeit in der unmittelbaren Umgebung, die Luft kühlt ab und es lässt sich einfach besser durchatmen. DACH- UND FASSADENBEGRÜNUNG 18 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt ergriffen werden. Die Größe einer Stadt, ihre Einwohnerzahl und die geografische Lage beeinflussen natürlich die Intensität der Klimaveränderung, aber entscheidend wird es sein, frühzeitig lokal Maßnahmen zur Anpassung an die zu erwartenden Folgen umzusetzen. Leitsch: „Eine zentrale Rolle in der Stadtklimatologie spielt hierbei die Begrünung. Dabei kommt es auf individuelle Lösungen an. Je nach Bebauung kann es geboten sein, Bäume zu pflanzen, Dächer oder Fassaden zu begrünen, ein Netz von kleinen Grünflächen, sogenannten Pocket-Parks, vorzusehen.“ Andererseits sei es aber auch wichtig, für einen uneingeschränkten Luftaustausch zu sorgen. Der Zustrom von Kaltluft aus dem Umland dürfe nicht durch Gebäude und auch nicht durch zu dichte Bepflanzung behindert werden. Es sei also wichtig, bei Begrünungsmaßnahmen die jeweilige örtliche Lage sorgfältig zu berücksichtigen, betont Leitsch. Innovative Konzepte seien gefragt - nicht nur bei der Begrünung von Dächern, Fassaden und Hinterhöfen, sondern auch von Straßenbahngleisen und Haltestellen. Strategien entwickeln „Begrünungsmaßnahmen wirken vor allem lokal und im näheren Umfeld. Mikroklimatische Untersuchungen zeigen jedoch, dass sich mit einem Zusammenspiel mehrerer Maßnahmen das Stadtklima verbessern lässt“, so Hans-Georg Dannert vom Umweltamt der Stadt Frankfurt am Main. Er ist dort Klimaexperte und Leiter der Koordinierungsgruppe Klimawandel. „Bei Wärmeinseln kann Begrünung und Entsiegelung bezüglich der Anzahl heißer Tage eine Verbesserung von bis zu 50 Prozent bewirken.“ Dannert bezieht sich hierbei auf eine gemeinsame Studie mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD). Es stelle sich jedoch die Frage, wie man die Umsetzung solcher Maßnahmen fördert. Kleine, mittlere und große Städte stehen vor der Aufgabe, geeignete Strategien zu entwickeln. In Frankfurt gelten zum Beispiel auch Fassaden- und Dachbegrünung als Ausgleich bei Neubebauung. Mit dem städtischen Programm „Der geschenkte Baum“ würden zusätzliche Anreize für eine Begrünung geschaffen. „Private Bauherren, Planer und Bürger werden in Frankfurt mit einer Broschüre über das Thema Klimawandel und Umweltschutz informiert“, so Dannert. Allen Beteiligten müsse klar sein, dass Begrünung eine gute Investition ist. „Die Lebensqualität steigt in jedem Fall - unabhängig davon, um wie viel Grad sich die Durchschnittstemperatur in den nächsten Jahrzehnten erhöht. Mehr unter: www.die-gruene-stadt.de Peter Menke Vorstand Stiftung DIE GRÜNE STADT Kontakt: peter.menke@die gruene-stadt.de AUTOR Dachterrassen tragen Sitzgelegenheiten, Sport- und Spielplätze, Wasserbecken oder große Gehölze. © BGL Die Stiftung DIE GRÜNE STADT hat sich zur Aufgabe gemacht, das Bewusstsein von Bürgern und Entscheidungsträgern in Bezug auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert von Grün zu schärfen. Dazu sammelt und veröffentlicht sie Informationen, die deutlich machen, dass Investitionen in den öffentlichen Raum, insbesondere in Grünflächen in der Stadt, direkte und indirekte Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität, Sicherheit, Wohnen und Erholung haben. Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung DIE GRÜNE STADT ist Eiko Leitsch Kontakt: info@die gruene-stadt.de DIE GRÜNE STADT
