Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0008
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Nachhaltige Planung – Nachhaltige Pflege?
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Sandra Sieber
Urbanes Grün und seine stadtklimatischen Funktionen haben im Zuge des Klimawandels wieder an
Bedeutung gewonnen. An der Praxis der Freiflächenpflege ist dieser Bedeutungswandel bislang zum Teil
vorbeigegangen. Gerade in der Gehölzpflege hat sich ein Standard etabliert, der als sichtbares Zeichen
für bestehende Probleme bei der Planung, Ausschreibung und Pflege von urbanen Freiflächen gelten
kann. Wenn Stadtgrün Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung bleiben soll (und muss), dann müssen
auch Planung und Pflege wieder enger verzahnt und aufeinander abgestimmt werden.
tc210019
19 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Die Anpassung an den Klimawandel ist inzwischen ein fester Bestandteil im stadtplanerischen Diskurs. Die Resilienz (Widerstandsfähigkeit) urbaner Räume gegenüber Starkregen, Hitzewellen und Sturmereignissen soll gestärkt werden. Oft sind es urbane Freiflächen, die hier als Potenzial gesehen werden. Im Zuge einer nachhaltigen, klimagerechten Stadtentwicklung sollen Grün- und Freiflächen erhalten oder ihr Bestand ausgeweitet werden. An diese Zielstellung knüpft die Frage nach deren Unterhaltung und Pflege an. Steigende Kosten und sinkende Budget treffen in der Freiflächenunterhaltung nicht erst seit der Eurobzw. Finanzkrise aufeinander. Im Folgenden soll daher ein Blick auf die Praxis der Freiflächenpflege geworfen werden. Was ist der Status Quo und wie passt er zur Forderung nach Klimaschutz und Klimaanpassung durch Stadtgrün? Wie kommt ‘s? Diese Frage stellt sich mir immer wieder beim Anblick von Gehölzen, die Jahr für Jahr (oder auch zweimal jährlich) zu kompakten, grob kugelförmigen „Puscheln“ zurechtgestutzt werden. Sei es in einem kleinstädtischen Park, der Außenanlage einer Firma, einer Hochschule, oder anderswo. Eigentumsverhältnisse und Nutzung mögen andere sein, das Niveau der Pflege hingegen gleich. Gleich gering? Und auch wenn es fast müßig ist, stellt sich die Frage, warum die Maßnahmen so durchgeführt werden, wie sie durchgeführt werden. Bei der Außenanlage an Firma oder Büro mag die Antwort „Hat der Hausmeisterservice halt so gemacht“ noch gelten. Früher war der Hausmeister für den „Hausmeisterschnitt“ verantwortlich, heute der Hausmeisterservice. Altes Problem, neue Benennung. Aber bei öffentlichen Außenanlagen, öffentlichen Grünflächen? In seinem Buch „Gehölzschnitt“ (8. Auflage 1998) hat Heinrich Beltz noch geschrieben, der Hausmeisterschnitt sei ja zum Glück nicht (mehr) so häufig anzutreffen. Ein Blick auf die nächste Freifläche kann Nachhaltige Planung - Nachhaltige Pflege? Stadtgrün und seine Pflege im Kontext des Stadtklimawandels Sandra Sieber Urbanes Grün und seine stadtklimatischen Funktionen haben im Zuge des Klimawandels wieder an Bedeutung gewonnen. An der Praxis der Freiflächenpflege ist dieser Bedeutungswandel bislang zum Teil vorbeigegangen. Gerade in der Gehölzpflege hat sich ein Standard etabliert, der als sichtbares Zeichen für bestehende Probleme bei der Planung, Ausschreibung und Pflege von urbanen Freiflächen gelten kann. Wenn Stadtgrün Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung bleiben soll (und muss), dann müssen auch Planung und Pflege wieder enger verzahnt und aufeinander abgestimmt werden. diese Aussage nicht bestätigen. Es kann natürlich sein, dass die meisten Gehölze einen radikalen jährlichen Rundschnitt (inzwischen? ) einfach benötigen. Dann bliebe für mich aber immer noch die Frage im Raum stehen, welcher gestalterischen Absicht diese „Puschel-Paraden“ denn folgen? „Das machen alle so, also mache ich es auch so“? Die Ursachen für diese „Puschel-Paraden“ sind sicher vielfältig und meist kommen wohl mehre Ursachen einfach unglücklich zusammen: Der Planende hat sich über die spätere Pflege schlicht keine Gedanken gemacht oder er hat für die jeweilige Situation ungeeignete Gehölze gewählt (zu groß, zu wüchsig, zu wenig robust), die Pflegenden (und Ausschreibenden) haben nie erfahren, wie die Pflanzung in der Vorstellung des Planers einmal aussehen sollte und „machen einfach wie sie denken“, Bild 1: Mit dem sogenannten „Hausmeisterschnitt“ werden Pflanzen aufs Minimum zurechtgestutzt. © Sieber 20 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt den Ausschreibenden und/ oder den Pflegenden fehlt die Sachkenntnis, niemand (mit Sachkunde) kontrolliert das Ergebnis … Eine Begründung, die naheliegend erscheint, ist das fehlende Geld der Kommunen. Gerade in kleineren Städten und Gemeinden mag es nur noch einen Gärtner geben, der zwischen einem Trupp Ungelernter und dem (einen) beauftragten Sachbearbeiter, für „Umwelt, Friedhof, Parkanlagen und, und, und...“ vermitteln muss. Hier ist die kleine Gemeinde vielleicht näher an der Ausgangssituation eines Unternehmens, das die Pflege seiner Außenanlagen vergibt, aber letztlich nur prüfen kann, ob die gestellte Rechnung rechnerisch richtig ist. Die fachliche Qualität der erbrachten Leistung kann nicht beurteilt werden. Eine andere Ausgangssituation haben größere Städte, die noch über ein eigenes Gartenamt mit differenzierten Aufgaben und vielleicht sogar noch über eigene Stadtgärtner verfügen. Was den „Schnippelschnitt“ in größeren Städten allerdings auch nicht verhindert. Ist das die Ausgangssituation für die „Green City“ der Zukunft? Zumindest keine tragfähige Basis. Mit dieser Pflegepraxis werden urbane Freiflächen den Anforderungen des Stadtklimawandels nicht gewachsen sein. „Nachhaltige Planung“ wäre hier ein Stichwort, eine Planung die Entwicklung und Pflege mitdenkt und damit eventuell noch kosteneffizienter ist. Denn wenn eine kleine Gemeinde kein Personal oder keine finanziellen Mittel hat, um eine fachlich sinnvolle Pflege auszuführen, warum dann überhaupt eine schwer oder nur intensiv zu pflegende Anlage/ Pflanzung in Auftrag geben? Oder warum Geld für den jährlichen „Puschelschnitt“ ausgeben, der letztlich zum Ausfall (Absterben) ganzer Gehölze führen wird? Warum zu nah am Weg stehende Gehölze nicht einmal rausnehmen und fertig? Warum den fachlich falschen (also nicht erforderlichen) einbis zweimal jährlichen „Puschelschnitt“ nicht einfach sein lassen? Im schlimmsten Fall wird Steuergeld ausgegeben, um von Steuergeldern bezahlte Parkanlagen „herunterzuwirtschaften“ bis nur noch Rasen, Stümpfe und ein paar (dem Schnippelschnitt glücklich entwachsene) Gehölze übrig bleiben. Da hätte man sich das Geld für die Gehölze (und deren „Pflege“) auch gleich bei der Planung sparen können. Sicher, die gezeigten Bilder mögen Extreme zeigen. Meist ist es nicht ganz so schlimm. Aber es fasst doch die „Fallhöhe“ oder die realen Hindernisse zusammen, wenn es um Begriffe wie „nachhaltige Bild 2: Üppig bepflanztes Straßenbegleitgrün mit u.a. Rosen, Lavendel, Kornelkirschen und an manchen Stellen auch Walnuss und essbare Johannisbeeren. Alles aufwändig in Form geschnitten - Absicht, missglückte Planung oder Pflegefehler? © Sieber Bild 3: Kreis mit „Puschel“ , hatte der Planer sich das so vorgestellt? © Sieber Bild 4: Nur keinen Wildwuchs zulassen. © Sieber Bild 5: Ein Klassiker - Hecke mit Lücke: Das unfreiwillig vereinzelte Gehölz wird so in Form gebracht . © Sieber 21 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Planung“ oder gar „nachhaltige Stadtentwicklung“ geht. Der Planer steht (ob er sich dessen bewusst ist oder nicht) möglicherweise vor dem Problem, nicht nur Normen, Nutzeransprüche und Sicherheitsaspekte in seiner Planung unter einen Hut zu bringen, er muss seine Planung auch gegen den „Vandalismus“ der Pflegenden absichern. Schlimmstenfalls muss er auch Planungen abliefern, von denen er selbst weiß, dass sie in der Praxis dauerhaft nicht funktionieren können. Nur „Rasen und Bäume“ kann natürlich auch keine Lösung sein und das muss es ja auch nicht. Vielleicht reicht es ja, nicht zum dritten Mal am trockenen Standort eine Baumart nachpflanzen zu lassen, die mit einem trockenen Standort nicht klarkommt? Oder einfach mal die Nachbargemeinde fragen, ob sich die mähbare Staudenmischung bewährt hat? Oder der Pflegetruppe sagen, dass man Amelanchier lamarckii nicht schneiden muss und Efeu oder gar Miscanthus keinen Rundschnitt brauchen? So gesehen, ist „nachhaltige Pflege“ bzw. „nachhaltige Planung“ nichts Neues, nichts Innovatives und vor allem nichts Unmögliches: Mit den vorhandenen Ressourcen Geld und Personal sollte man entsprechend haushalten, im Bau wie in der Unterhaltung. In Dekaden denken, ein Ziel vor Augen haben, wie die Anlage einmal aussehen soll. Entwicklung und Pflege bei der Planung miteinbeziehen, Pflegeziele bei der Ausschreibung kommunizieren. Gegebenenfalls (wenn möglich) bei fachlich falscher Pflege auch mal Schadensersatz fordern? Dass es nicht so einfach ist, beweisen die „Puschel“ da und dort. Denn irgendwo zwischen Planung, Ausschreibung, Vergabe, Ausführung und Kontrolle läuft immer mal wieder etwas schief. Was haben die „Puschel“ nun mit Stadtklima und der Anpassung an den Klimawandel zu tun? Genau: nichts. Hier wird ohne Not CO 2 emittiert, die Gehölze können ihre stadtklimatischen Potenziale nicht ausspielen und sie kämpfen schlimmstenfalls um ihr Überleben. Resilienz müsste anders aussehen. Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Technische Universität Darmstadt Fachbereich Architektur Fachgebiet Entwerfen und Freiraumplanung Kontakt: ssieber@la.rwth-aachen.de AUTORIN Bild 6: Rundgeschnittene Rose mit stehengelassener Blüte - hier hatten die Pflegekräfte wohl Skrupel. © Sieber Bild 7: Gras mit Rundschnitt wer dafür Geld ausgibt ist selber Schuld. © Sieber Bild 8: Das klassische Straßenbegleitgrün zu hoch, zu breit und daher rundgeschnitten. © Sieber Bild 9: Mit einer passenden Pflanzenauswahl hätte man hier im Laufe der Jahre möglicherweise einige Pflegekosten einsparen können. © Sieber
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