eJournals Transforming cities 2/1

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0009
36
2017
21

Hochwasserschutz und Hitzevorsorge durch begrünte Dächer

36
2017
Gunter Mann
Täglich wird in Deutschland die Fläche von etwa 70 Hektar Natur versiegelt. Die Hälfte dieser Flächen verschwindet langfristig aus dem natürlichen Wasserkreislauf. Die Kanalisation ist in fast allen Städten veraltet und unterdimensioniert. Investitionen und Erweiterungen im bestehenden System sind sehr kostenintensiv und werden deshalb vermieden. Die kostengünstigere Lösung ist die Beschränkung der zulässigen Einleitung in die überlasteten Kanalnetze. Zudem hat der Überflutungsnachweis nach DIN 1986-100 in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die anfallende Wassermenge soll nachweislich auf dem eigenen Grundstück zurückgehalten werden, ohne dass es zur Überflutung von Gebäuden kommt. Neben dem Flächenverbrauch zwingen uns Klimawandel (Urban Heat Island Effect und Extrem-Regenereignisse), Bevölkerungs- und Städtewachstum zum Umdenken und Handeln.
tc210022
22 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Neue Regelwerke und Annäherung von Siedlungswasserwirtschaftlern und Dachbegrünern Es tut sich was in Sachen Regenwasserbewirtschaftung, vor allem unter Berücksichtigung von Dachbegrünungen. Das spiegelt sich eindrucksvoll in dem aktuellen Projekt „Grün trifft Blau“ wieder, das von der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V. (FBB) initiiert und derzeit von der Hafen City Universität Hamburg federführend betreut wird. Hier fand Ende letzten Jahres ein erster Erfahrungsaustausch namhafter Siedlung s was ser wir t schaf tler und Dachbegrüner statt, bei dem unter anderem über die verschiedenartigen Anwendungen von Abflussbeiwerten diskutiert wurde. Neue Regelwerke gehen richtungsweisend auf die zuvor Hochwasserschutz und Hitzevorsorge durch begrünte Dächer Dachbegrünung als wichtiger Bestandteil der Regenwasserbewirtschaftung heute und morgen Gunter Mann Täglich wird in Deutschland die Fläche von etwa 70 Hektar Natur versiegelt. Die Hälfte dieser Flächen verschwindet langfristig aus dem natürlichen Wasserkreislauf. Die Kanalisation ist in fast allen Städten veraltet und unterdimensioniert. Investitionen und Erweiterungen im bestehenden System sind sehr kostenintensiv und werden deshalb vermieden. Die kostengünstigere Lösung ist die Beschränkung der zulässigen Einleitung in die überlasteten Kanalnetze. Zudem hat der Überflutungsnachweis nach DIN 1986-100 in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die anfallende Wassermenge soll nachweislich auf dem eigenen Grundstück zurückgehalten werden, ohne dass es zur Überflutung von Gebäuden kommt. Neben dem Flächenverbrauch zwingen uns Klimawandel (Urban Heat Island Effect und Extrem-Regenereignisse), Bevölkerungs- und Städtewachstum zum Umdenken und Handeln. Bild 1: Begrünte Dächer, hier die Waldspirale in Darmstadt, zur Verbesserung des Stadtklimas © Optigrün 23 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum angesprochene Situation ein und berücksichtigen immer mehr die vielseitigen positiven Wirkungen begrünter Dächer mit Wasserrückhaltung und -speicherung, Abflussverzögerung und Verdunstung. Dabei sind in erster Linie das DWA-Regelwerk Arbeitsblatt DWA-A 102/ BWK-A 3 „Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer“ und die DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke - Teil 100“ zu nennen. Im Arbeitsblatt DWA-A 102 geht es um das Ziel, den bebauten Zustand dem vorherigen, unbebauten Zustand gleichzusetzen und den natürlichen Wasserhaushalt in den Vordergrund zu stellen. Die Stellschrauben dazu sind Abflussverhalten, Grundwasserneubildung und Verdunstung. Die Dachbegrünung mit ihrer großen Kühlleistung ist dabei die effektivste Möglichkeit, Wärme aktiv abzuführen. Mit ihr lassen sich der lokale Wasser- und Energiehaushalt intakt halten und urbane Hitzeinseln verhindern. Die DIN 1986-100 gibt für begrünte Dächer modifizierte Spitzenabflussbeiwerte Cs in Anlehnung an die FLL-Dachbegrünungsrichtlinie an und führt den mittleren Abflussbeiwert Cm ein. Mit dem Cm können nun Retentions- und Versickerungsberechnungen durchgeführt werden. Die etwa Mitte 2017 neu erscheinende Dachbegrünungsrichtlinie der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. bedient sich erstmals des Begriffs „Retentionsdach“ und verbindet dies mit einem Anstaudach plus gedrosseltem Ablauf. Ebenso werden Spitzen- und Jahresabflussbeiwerte in Abhängigkeit der Schichthöhe benannt und auf Langzeitsimulationen verwiesen. Innovationen der Gründach-Branche Retentionsdach und Drossel 4.0 Smart Flow Control Die Optigrün international AG hat diesen Entwicklungen Rechnung getragen und die Systemlösung „Retentionsdach“ Typ Drossel mit den Varianten „Gründach“ und „Verkehrsdach“ entwickelt. Damit gibt es nun innovative Lösungen, um einen vorgegebenen Maximalabfluss einzustellen und somit die Einleitbeschränkung in den Kanal zu erfüllen. Das Grundprinzip sieht wie folgt aus: Auf dem Dach wird ein Wasserspeicher (Stauraum) geschaffen, über dem zusätzlich entweder eine Dachbegrünung oder eine Verkehrsfläche eingebaut wird. Das bedeutet also Retentionsraum plus zusätzliche Dachnutzung mit Begrünungsbzw. Verkehrsfläche. Basis des Systems ist die Wasserretentionsbox WRB, mit der ein mögliches Wasseranstauvolumen von bis zu 140 Liter pro Quadratmeter geschaffen werden kann. Aufgrund des integrierten Kapillarsystems wird das zwischengespeicherte Niederschlagswasser aus der Wasserretentionsbox WRB in den Begrünungsbau gezogen und über die Vegetation verdunstet - mit den verbundenen positiven Wirkungen der primären Kühlung und der Verbesserung des Stadtklimas. Diese wichtige Eigenschaft wurde schon 2012 in „Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel“ vom Umweltbundesamt beschrieben und als eine der bevorzugten Maßnahmen der Hitzevorsorge benannt. Mit dem Retentionsdach Typ „Drossel“ lässt sich die maximale Abflussspende einstellen und bis auf 1 - 10 Ll/ s x ha „drosseln“. Die Anstauhöhe kann mit dem Regenwassersimulationsprogramm RWS 4.0 exakt berechnet werden. Doch damit nicht genug, die Optigrün international AG stellte gerade auf der Messe GaLaBau in Nürnberg erstmals die zum Patent angemeldete Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ vor - und gehörte auch gleich zu den Gewinnern der GaLaBau-Innovationsmedaille. Innovaive Entwicklungen wie etwa präzisere Wettervorhersagen, verbunden mit einer Wetter-App-gesteuerten Ablaufdrossel eröffnen neue technische Möglichkeiten, das Bild 2: Multifunktionale Dachnutzung: begehbarer Dachgarten und darunter Retentionsraum. © Optigrün 24 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Retentionspotenzial von Dachbegrünungen wesentlich besser zu nutzen. Das Funktionsprinzip der Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ sieht wie folgt aus: Es wird so viel Regenwasser wie möglich in der Wasserretentionsbox gespeichert und der Vegetation zur Verdunstung über Kapillarsäulen zur Verfügung gestellt. Ein verzögerter Abfluss erfolgt nur, wenn der Speicher voll ist. Ansonsten steht das Wasser wie oben beschrieben den Pflanzen zur Verfügung. Kündigt sich ein Regenereignis an, stellt die Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ mittels einer über Internet verbundenen Wetter-App sicher, dass der Ablauf geöffnet und der Stauraum auf dem Dach wieder soweit verfügbar wird, dass die angekündigte Regenmenge aufgenommen werden kann. Wenn beispielsweise ein Starkregenereignis von 35 mm angekündigt ist, lässt die Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ vorher genau so viel Wasser ab. Der Abfluss vom Dach erfolgt in der Regel nur vor einem Regenereignis - also dann, wenn die Kanalisation (noch) nicht belastet ist. Während einem Regenereignis wird die Kanalisation durch den Regenrückhalt in den Wasserretentionsboxen auf dem Dach entlastet. Da die Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ nicht nur automatisch, sondern auch manuell aus der Ferne überwacht und gesteuert werden kann, eröffnen sich auch für die kommunale und überregionale Wasserwirtschaft ganz neue Möglichkeiten: Wenn viele Dächer in einer Stadt mit dieser Technik ausgestattet und diese miteinander vernetzt werden, lässt sich der Regenwasserhaushalt und die Hochwasservorsorge flächendeckend aktiv steuern. So erhält jede Stadt die Möglichkeit, sich ein großes steuerbares Regenüberlaufbecken auf verschiedenen, jedoch miteinander vernetzten Dächern der Stadt anzulegen. Regenwassersimulationsprogramm RWS 4.0 Mit dem erst seit kurzem verfügbaren Regenwassersimulationsprogramm RWS 4.0, basierend auf der Software STORM der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker mbH, werden die vorgenannten neuen Richtlinien, Normen und Innovationen berechenbar und neue Maßstäbe der Regenwas serbewir t s chaf tung mit Dachbegrünungen gesetzt. Die gesamte Wasserbilanz aller möglichen Maßnahmen (Dachbegrünung, Versickerung, Teiche, Zisternen) können gekoppelt und die Gesamtwasserbilanz berechnet werden. So werden Verdunstungsleistungen auch bei komplexen Bauvorhaben darstellbar und Überlaufhäufigkeiten und Überflutungsnachweise berechenbar. Zusammenfassung Eine moderne Regenwasserbewirtschaftung unter Berücksichtigung begrünter Dächer, innovativer Systeme und dem Nachweis durch Langzeitsimulationen hat für das Stadtklima viele Vorteile, unter anderem Hitzevorsorge und lokalklimatische Verbesserungen. Für Bauherr und Planer ergeben sich viele Vorteile, etwa die hohe Planungssicherheit, Einsparung von Baugrund und Kostenreduzierung (zum Beispiel: Niederschlagswassergebühr). www.optigruen.de (Webcode „web244“) Dr. Gunter Mann Prokurist Optigrün international AG und Präsident Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB) Kontakt: mann@optigruen.de AUTOR PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bild 3: Funktionsprinzip der Drossel 4.0 „Smart Flow Control“ © Optigrün