eJournals Transforming cities 2/1

Transforming cities
tc
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0011
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Gewässer in der Stadt

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Christa Hecht
Lange Zeit waren Stadtplanung und Gewässerbewirtschaftung im urbanen Raum darauf ausgerichtet, Niederschlagswasser schnell von Siedlungs- und Verkehrsflächen abzuleiten. Das wird heute anders gesehen, nicht zuletzt durch die neuen Erkenntnisse über die Auswirkungen und den Umgang mit den in den letzten Jahren öfter aufgetretenen „Jahrhundert“-Hochwassern. Die Einbeziehung von Gewässern in die städtische Klimapolitik und die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie haben neue Aufgaben und ganzheitliche Ansätze in der Wasserwirtschaft gebracht. Immer mehr Menschen schätzen Wasser, das im städtischen Raum erlebt werden kann. Städtische Brunnen oder das Wohnen am Wasser gewinnen ebenfalls stark an Wertschätzung.
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28 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen · Infrastruktur Die Einbeziehung der Wasser- und Abwasserbetriebe, der Stadtentwässerungsbetriebe und der Träger der Gewässerunterhaltung sind neben Stadtplanung und Stadtentwicklung für die Gestaltung des Lebensraums Wasser wichtig. Dies wird hier anhand einiger Beispiele von Mitgliedern der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e. V. herausgearbeitet. Regenrückhaltebecken Langwasser in Nürnberg Die Regenwasserableitung aus einem Stadtteil Nürnbergs wurde durch eine Umgestaltung des Langwassergrabens zum Dutzendteich ökologisch aufgewertet. Durch die Reinigung von belastetem Regenwasser mit Sedimentation und Schilfpoldern in einem Retentionsweiher werden künftig Nährstoffe, insbesondere Phosphor, ausgefiltert. Durch regelmäßiges Mähen der Schilfpolder und die Entnahme der Sedimente werden die Nährstoffe später entsorgt. Im Rahmen eines landschaftspflegerischen Begleitplans wurden dabei der Gewässerquerschnitt erweitert, die Ufer abgeflacht und Überflutungsflächen angelegt. So entstanden neue feuchte und wechselfeuchte Strukturen. Damit Gewässer in der Stadt Lebensraum und Klimafaktor Lebensraum Wasser, Wasserrahmenrichtlinie, Renaturierung, Regenwasser, Entwässerung Christa Hecht Lange Zeit waren Stadtplanung und Gewässerbewirtschaftung im urbanen Raum darauf ausgerichtet, Niederschlagswasser schnell von Siedlungs- und Verkehrsflächen abzuleiten. Das wird heute anders gesehen, nicht zuletzt durch die neuen Erkenntnisse über die Auswirkungen und den Umgang mit den in den letzten Jahren öfter aufgetretenen „Jahrhundert“-Hochwassern. Die Einbeziehung von Gewässern in die städtische Klimapolitik und die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie haben neue Aufgaben und ganzheitliche Ansätze in der Wasserwirtschaft gebracht. Immer mehr Menschen schätzen Wasser, das im städtischen Raum erlebt werden kann. Städtische Brunnen oder das Wohnen am Wasser gewinnen ebenfalls stark an Wertschätzung. Bild 1: Der Wahlebach wurde im Stadtgebiet Kassel naturnah umgestaltet. © AÖW 29 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen · Infrastruktur wird auch der Hochwasserschutz bei Starkregen gewährleistet und die ökologische Qualität des Gewässers erhöht. Im Zuge dieser Maßnahme wurden bis 2015 ein mäandernder Bach angelegt, weiterer Rückhalteraum und neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen geschaffen. Sämtliche Maßnahmen wurden zum Schutz von Natur und Landschaft unter der ökologischen Bauleitung von Stadtentwässerung und Umweltanalytik Nürnberg (SUN) durchgeführt. Dieser städtische Betrieb war dafür zuständig, weil der Stadtteil Langwasser im Trennsystem entwässert wird, wobei Schmutz- und Regenwasser in getrennten Kanalsystemen abfließen. Mit den Maßnahmen wurde der Große Dutzendteich vor Belastungen aus den Regenwassereinleitungen geschützt und die Gewässergüte und der ökologische Zustand verbessert. Das Dutzendteichgebiet ist ein bedeutender Naherholungsraum innerhalb der Stadt. Durch die Verbesserungen beim Gewässerschutz wurde auch der Erholungswert noch verbessert. Am Langwassergraben wurden durch das Zurückschneiden von Gehölzen freie Ausblicke auf den Bach geschaffen. Sitzplätze wurden umgestaltet, indem Betonplatten entfernt und neue Bänke aufgestellt wurden. So ist das Wasser wieder erlebbar. Die biologische Vielfalt wurde zudem erhöht durch eine Strukturanreicherung mit Totholz, wie im Wald verbliebenen Stämmen, Ästen und Wurzelstöcken, sowie durch Anbringen von Fledermausnistkästen und Freistellen und Sichern von Höhlenbäumen für Fledermäuse und Käfer. Mit der Entnahme des nährstoffreichen Oberbodens in den Böschungsbereichen entstehen neue Standorte für heimische Pflanzen. Naturnahe Umgestaltung des Wahlebaches im Stadtgebiet Kassel Die naturnahe Entwicklung innerstädtischer Fließgewässer ist erklärtes Ziel der Stadt Kassel sowie des Kasseler Entwässerungsbetriebes (jetzt KASSELWASSER). Ahne und Losse und der Lauf des im Stadtgebiet Kassel rund 8,5 km langen Wahlebaches wurden naturnah umgestaltet (Bild 1). Allein mit der Herstellung der Durchgängigkeit des Bachlaufes wurde ein „ökologischer Mindeststandard“ entsprechend der EU-Wasserrahmenrichtlinie erreicht. Zusätzlich wurde zu der gewässerökologischen Aufwertung auch das stadtnahe Naherholungsgebiet aufgewertet. In dem sehr umfangreichen Projekt wurden:  Das denkmalgeschützte Wehr der ehemaligen Herkules- Brauerei umgestaltet;  Ein Bachabschnitt neu angelegt;  Der Fließquerschnitt lokal aufgeweitet;  Der Sohlen- und Uferverbau zurückgebaut;  Das Gewässer auf engem Raum strukturell aufgewertet;  Eine Verzweigungsstrecke angelegt;  Zusätzlich eine temporär durchströmte Flutrinne geschaffen. Die Projektleitung und Koordination hatten der Kasseler Entwässerungsbetrieb. Die fachliche Betreuung das Regierungspräsidium Kassel. Finanziert wurde es vom Hessischen Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz und der EU (Urban II 2000). Umbau der Inde Mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie wurden in Europa Ziele für die Wasserpolitik gesetzt. Die Gewässer sollen in einen „guten Zustand“ versetzt werden, denn die meisten Gewässer sind durch Eingriffe des Menschen und bauliche Maßnahmen stark verändert worden. Außerdem sind sie oft durch Einleitungen belastet, die das Gewässer als Lebensraum von Pflanzen und Tieren gefährden. Jedoch ist die Rückversetzung von Flüssen und Bächen in ihren natürlichen Zustand oft schwierig, ja manchmal sind Veränderungen sogar irreversibel. Der Wasserverband Eifel-Rur setzt auf Maßnahmen, die im Einverständnis mit der Bevölkerung vorgenommen werden. Wichtig ist dabei auch, dass nicht danach umgekehrt Menschen und menschliche Ansiedlungen gefährdet werden. Entlang der Inde hatte der Wasserverband schon einige Bild 2: Ökologisch wirksame Gewässermaßnahmen entlang der Inde. © AÖW 30 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen · Infrastruktur ökologisch wirksame Gewässermaßnahmen vor Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie vorgenommen (Bild 2). Unter anderem wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:  Gewässerneugestaltung zwischen Nothberg und Hücheln im Stadtgebiet von Eschweiler mit dem Rückbau von zwei Steilwehren und der Umgestaltung einer Sohlgleite. So wurde eine Sekundäraue mit einem Retentionsraum von 110 000 m 3 geschaffen.  Die Umgestaltung der Indemündung bei Kirchberg durch Verlängerung des Laufs. Dafür wurde ein Steilwehr rückgebaut und eine Sekundäraue mit einem Retentionsraum von 25 000 m 3 geschaffen.  Geplant ist in Eschweiler-West weiterhin die Gewässerentwicklung durch den Umbau von zwei Wehren, der Laufverlängerung und der Schaffung von Retentionsraum.  Im Stadtgebiet von Stolberg soll zudem die eigendynamische Gewässerentwicklung durch die Beseitigung einer Ufermauer zwischen Zweifall und Vicht gefördert werden. Dafür wurde der Uferrandstreifen vom Wasserverband erworben. Uferpaten in Wuppertal Die Wupper in Wuppertal ist in den letzten Jahren stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt. Die Stadt Wuppertal und der Wupperverband entwickeln gemeinsam den jetzt kanalartig durch die Stadt laufenden Fluss durch naturnahe Umgestaltung mehr und mehr zur Lebensader. Dadurch wenden sich die Bürger dem Fluss wieder gerne zu. Aus der Bevölkerung kam dafür die Idee, dass Firmen, Vereine oder Bürger die Patenschaft für einen Wupperabschnitt übernehmen sollten. Was bei der Nordbahntrasse in Wuppertal hervorragend funktioniert, sollte auch auf die Wupperufer übertragen werden. So entstand die Idee der Wupperpaten, die von der Stadtverwaltung, dem Verein Neue Ufer Wuppertal e. V. und dem Wupperverband weiter ausgearbeitet wurde. Wupperpaten können Einzelpersonen, Familien oder auch Firmen sein. Sie übernehmen in bürgerschaftlicher Verantwortung ehrenamtlich die Patenschaft für einen Abschnitt des Flusses. Sie kümmern sich um ihren Abschnitt, sammeln Müll und sensibilisieren andere Bürger dafür, dass die Wupper sich zur Lebensader entwickelt, die erlebt werden kann und die geschützt werden muss. Die Wupperpaten geben ein positives Vorbild und tragen dazu bei, dass ihr Wupperabschnitt ein Aushängeschild für den jeweiligen Stadtteil ist. Die Patenschaft wird über den Verein Neue Ufer Wuppertal e. V. angebahnt. Der Verein kann anhand von Karten den interessierten Bürgern ihren (Wunsch-) Abschnitt zuweisen. Dabei werden Eigentumsverhältnisse und Schutzgebiete berücksichtigt. Die Wupperpaten bekommen von diesem Verein ein Merkblatt und die Patenurkunde ausgehändigt. Der Verein pflegt auch die Liste der aktiven Paten. Das Merkblatt enthält alle wichtigen Informationen, z. B. über Verhaltensweisen und Ansprechpartner (bei Stadt oder beim Wupperverband). An diese kann sich der Wupperpate um Hilfestellung und mit Fragen und Anregungen wenden. Für die Patenschaften stehen überwiegend die öffentlichen Flächen, die im Eigentum der Stadt sind, zur Verfügung. Am Ufer ansässige Firmen oder andere Grundstückseigentümer sind vielleicht selbst schon auf ihrem Gelände aktiv und engagiert, können aber auch ihr Engagement im Rahmen der Wupperpaten einbringen. Renaturierung der Emscher und Bau des Phoenix-Sees Vor 150 Jahren schlängelte sich die Emscher durch eine idyllische Landschaft. Dann siedelten sich Bergbau- und Stahlbetriebe dort an, zogen Arbeiter, Angestellte mit ihren Familien sowie andere Firmen in die schnell wachsenden Städte entlang des Flusses. Um Überschwemmungen durch Bergsenkungen abzufangen und vor allem das viele Abwasser der Industrie und der Städte abzuführen, wurde die Emscher begradigt und in ein Betonbett gezwängt. Jahrzehnte war das Wasser verseucht und stank buchstäblich zum Himmel. „Köttelbecke“ hieß in dieser Zeit die Emscher, die Menschen hielten sich davon fern. Mit dem Ende des Bergbaus und der Schwerindustrie tat sich die Gelegenheit auf, das Abwasser unterirdisch abzuleiten, die Kanäle in den Untergrund zu verlegen. So wurde im Jahr 1992 das größte Renaturierungsprojekt Europas - der Emscher-Umbau - begonnen, bis 2020 soll er weitgehend abgeschlossen sein. Das Projekt kostet geschätzte 5,266 Milliarden Euro, die Emschergenossenschaft plant und setzt es um (Bild 3). Ein Teil dieses Projektes ist die Anlage des Phoenix-Sees auf dem Gelände der stillgelegten Phoenixhütte in Dortmund. Zusammen mit den Planern der Emschergenossenschaft beschloss die Stadt Dortmund, das ehemalige Hüttengelände auszuheben und zu fluten, nachdem die Hüttenanlagen abgebaut waren. So entstanden ein See so groß wie die Binnenalster in Hamburg, Wohnraum am See, Cafés und 31 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen · Infrastruktur Restaurants in Uferlage und eine Marina. Die Emscher schlängelt sich dazu gemächlich am See vorbei durch den Stadtteil. Die Menschen können wieder Wasser erleben und mit ihm leben, der Wohn- und Freizeitwert ist gestiegen. Aber auch die Natur, Pflanzen und Tiere holen sich ihren Anteil zurück. Teichhühner und Schleiereulen, Graureiher und sogar Störche wurden schon gesichtet, Fische sind in das Gewässer gewandert. Zusätzlich dient der künstliche See der Emscher als Rückhaltebecken bei Hochwasser. Historische Wasserwirtschaft und Wasserkunst in Augsburg In Augsburg sind ab dem Mittelalter gebaute Kanäle und Wassertürme, Monumentalbrunnen der späten Renaissance sowie mehrere Wasserkraftwerke des frühen 20. Jahrhunderts als authentische Denkmäler erhalten. Der seit den Römern betriebene Wasserbau hat das Stadtbild geprägt. In Augsburg stehen die drei ältesten Wassertürme Deutschlands und wohl sogar Mitteleuropas - fünf Wasserwerke mit sieben Wassertürmen wurden bewahrt. Ein Industriedenkmal von internationalem Rang ist das historische Wasserwerk am Hochablass von 1878/ 79. Augsburg liegt auf einer von den beiden aus den Alpen kommenden Flüssen Lech und Wertach sowie von der Singold bzw. nach 1590 vom Senkelbach umflossenen Schotterhochterrasse. Der Wasserreichtum dieser Lage ermöglichte die römische Brauchwasserversorgung sowie, seit dem Mittelalter, die Wasserkraftnutzung durch das Handwerk und - ab 1836 durch mechanische Kraftübertragung und ab 1901 durch Strom erzeugende Wasserkraftwerke - die rasch wachsende Maschinenbau- und Textilindustrie. Die Trinkwasserversorgung der hoch über den wasserführenden Schichten liegenden Kernstadt erforderte ab 1412 - erstmals in Deutschland - Wasserhebung durch wasserradgetriebene Kolbenpumpen bzw. Archimedische Schrauben. Die Stadt exportierte das Wissen ihrer Brunnenmeister europaweit und war zugleich Anziehungspunkt für Wasserspezialisten aus ganz Europa. Die Bedeutung seines Wasserreichtums zeigte Augsburg durch drei Monumentalbrunnen mit hochrangiger Bronzegießkunst: die ältesten bestehenden Anlagen im Stil des Manierismus nördlich der Alpen. Hydrotechnische Modelle in der weltweit einzigartigen Modellkammer des Maximilianmuseums Augsburg sowie die Bestände des Stadtarchivs Augsburg, der Kunstsammlungen der Stadt Augsburg und der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg haben das Wissen und die Kunst der historischen Wasserwirtschaft über ein halbes Jahrtausend bewahrt. Augsburg ist somit ein weltweit bemerkenswertes und einmaliges „Archiv der Wasserwirtschaft“ für das Zeitfenster zwischen 1412 und 1922. Das Wasser und die Brunnenkunst sind im Bewusstsein der Augsburger verankert. In den letzten Jahren ist das Wasser wegen der Bewerbung der Stadt mit ihrer historischen Augsburger Wasserwirtschaft als UNESCO- Welterbe noch stärker in den Vordergrund getreten. Von Mai bis Oktober finden jährlich an jedem ersten Sonntag im Monat die Augsburger Wassertage statt. Dann können Denkmäler von „Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst in Augsburg“ - wie das Wasserwerk am Roten Tor und das Wasserwerk am Hochablass - besichtigt und erlebt werden. Seit 2015 dreht sich auch das 2012 abgebaute Wasserrad am Schwallech wieder, als Denkmal für die Wasserkraftnutzung. Möglich wurde dieser Wiederaufbau im Lechviertel durch Spenden der Bevölkerung, von Unternehmen, von am Aufbau beteiligten Handwerksfirmen und von den Stadtwerken Augsburg. Christa Hecht Geschäftsführerin der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) Kontakt: hecht@aoew.de AUTORIN Bild 3: im Jahr 1992 wurde das größte Renaturierungsprojekt Europas - der Emscher- Umbau - begonnen. © EGLV