Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0022
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Das Grüne Zimmer Ludwigsburg
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Bernd Eisenberg
Die planerische und gestalterische Anpassung der Städte an den Klimawandel ist eine langfristige Aufgabe, für die jedoch heute schon die Weichen gestellt werden müssen. Dies ist angesichts einer dauerhaft hohen Konkurrenz um Flächen und der offenen Fragen zur genauen Wirkungsweise des Stadtklimas eine gewaltige Herausforderung. Als Beispiel für den Umgang mit der Problematik wird das Konzept der Stadtklimakomfortzonen und die Umsetzung einer erfolgreichen lokalen Anpassungsmaßnahme vorgestellt – das Grüne Zimmer Ludwigsburg.
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74 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stadtklima Ausgangslage Für die Region Stuttgart wird eine Verdoppelung der Anzahl der heißen Tage (> 30 °C) bis zum Ende des Jahrhunderts prognostiziert. Die für den Klimaatlas der Region Stuttgart erstellten Bioklimaanalysen zeigen die räumliche Verteilung der belasteten Gebiete. Demnach steigt der Anteil, der an mehr als 30 Tagen von Temperaturen über 30 °C betroffen ist, von 5 % Ende des 20. Jahrhunderts auf über 55 % der Verbandsfläche bis zum Ende dieses Jahrhunderts [1]. Dies wird ganz erhebliche Auswirkungen auf die Nutzbarkeit des öffentlichen Raums in den Städten der Region zur Folge haben. Stadtklimakomfortzonen, die vom Institut für Landschaftsplanung und Ökologie im Rahmen des EU-Projektes TURAS (www.turas-cities.org) entwickelt und erprobt wurden, sollen diesen Prozess untestützen. Gemeint sind damit Bereiche des öffentlichen Raums, die aufgrund ihrer Ausstattung bzw. stadträumlichen Einbindung trotz eines hohen bioklimatischen Belastungspotenzials einen erträglichen Aufenthalt im öffentlichen Raum auch an Hitzetagen ermöglichen. Dies kann durch den Ausbau der „Grünen Infrastruktur“, durch konkrete Empfehlungen zur Erhöhung des Durchgrünungsanteils und weitere bekannte Maßnahmen der Stadt- und Landschaftsplanung erreicht werden [1,- 2,- 3], aber auch durch lokal begrenzte, bauliche Interventionen, an den für den Freiraumnutzer relevanten Stellen. Zur räumlichen Differenzierung der Stadtklimakomfortzonen wurden in der zu Grunde liegenden Studie [4] die Bereiche Ludwigsburgs, die bereits heute Handlungsbedarf aufweisen [1,- 5], analysiert und prioritäre Bereiche lokalisiert, in denen vorranging lokale Anpassungsmaßnahmen vor- Legend Ludwigsburg Priority Area Extended Area Value Heat Stress 0,1,2,3 4 5 6 Urban Climate Comfort Zones Core Areas Title of Map Notes: Elaboration: - B. Eisenberg, - H.-G. Schwarzvon Raumer Cartography: - Mohammed Alfiky Date: August 22, 2014 Source: - Cadastral office city of Ludwigsburg 1: 7.500 Scale Rathausplatz 0 100 200 300 400 50 Meters ± Das Grüne Zimmer Ludwigsburg Freistehende Vertikalbegrünung für das Stadtklima Klimawandel, Stadtbegrünung, Stadtklimakomfortzonen, Anpassungsstrategien Bernd Eisenberg Die planerische und gestalterische Anpassung der Städte an den Klimawandel ist eine langfristige Aufgabe, für die jedoch heute schon die Weichen gestellt werden müssen. Dies ist angesichts einer dauerhaft hohen Konkurrenz um Flächen und der offenen Fragen zur genauen Wirkungsweise des Stadtklimas eine gewaltige Herausforderung. Als Beispiel für den Umgang mit der Problematik wird das Konzept der Stadtklimakomfortzonen und die Umsetzung einer erfolgreichen lokalen Anpassungsmaßnahme vorgestellt - das Grüne Zimmer Ludwigsburg. Bild 1: Prioritäre Bereiche, Abgrenzung aufgrund der Faktoren Hitzelast und Freiraumnutzung. © Eisenberg et al., 2016 Bild 2: Isometrie des Grünen Zimmers. © Eisenberg 75 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stadtklima genommen werden sollten. Ausschlaggebend für die Differenzierung waren die Faktoren: Potenzielles Risiko der thermischen Belastung (Hitzelast) Potenzielle Bewegungsintensität (Freiraumnutzer) Empfindlichkeit der potentiellen Freiraumnutzer sowie bestehende Minderungsmaßnahmen zusätzliche belastende Faktoren (Lärm) Die Ergebnisse der Analysen sind in Bild 1 dargestellt, in der Hitzelast und Bewegungsintensität unter Berücksichtigung bestehender Minderungsmaßnahmen einbezogen wurden [4]. Die hervorgehobenen Bereiche sind der barocke Marktplatz (nördlich) und der Schillerplatz (südlich), weitere belastete Plätze sind der Arsenalplatz und der Rathausplatz, an dessen Rand im Rahmen des TURAS- Projektes das Grüne Zimmer als lokale Anpassungsmaßnahme errichtet wurde. Das Ziel lokaler Maßnahmen ist die punktuelle Verbesserung der Aufenthaltsqualität hinsichtlich der thermischen Belastung, was unter anderem dadurch erreicht wird, dass die direkte Sonnenstrahlung reduziert und Temperaturen durch Transpiration der Vegetation und durch Verschattung verringert werden. Mit dem Grünen Zimmer Ludwigsburg wurde im April 2014 eine solche lokale Anpassungsmaßnahme auf der Rathausplatz-Tiefgarage verwirklicht. Die vom Verband Region Stuttgart und der Universität Stuttgart begleitete und von Helix-Pflanzensysteme erstellte Maßnahme wurde von der Stadt Ludwigsburg kofinanziert. Das Grüne Zimmer besteht aus versetzt angeordneten, mit über 30 Arten bewachsenen Wänden, die aus vorkultivierten Drahtgitterkörben zusammengesetzt wurden. Ein besonderes Gestaltungselement des vom Architekturbüro ludwig.schoenle entworfenen Grünen Zimmers sind die baubotanischen Baumwände, deren Kronen von Anfang an umfassend Schatten spenden (Bilder 2 bis 4). Bewässert wird die rund 200-m² große, vertikale Vegetationsfläche zum Großteil mit Oberflächenwasser benachbarter Gebäude, das in einer Zisterne gespeichert wird. Erfahrungswerte Grünes Zimmer Das Grüne Zimmer wird sehr gut von der Bevölkerung angenommen, ein Großteil der beweglichen Bänke und Stühle auf dem Rathausplatz wird von den Nutzern verlagert, um im Grünen Zimmer verweilen zu können. Vandalismusschäden an den Pflanzen und Wänden finden sich auch nach drei Jahren nur sehr vereinzelt. Nach Fertigstellung des Grünen Zimmers wurden verschiedene Untersuchungen zu seiner mikroklimatischen Wirkung durchgeführt. Ziel war es zu ermitteln, wie sich die Situation im Grünen Zimmer im Vergleich zu benachbarten Bereichen darstellt. Zudem sollten seine verschiedenen Zonen hinsichtlich ihrer Aufenthaltsqualität im Tagesverlauf untersucht werden. Die Analysen sind noch nicht abgeschlossen, in diesem Beitrag wird daher nur auf die Temperaturen Bezug genommen, die die Wirkungsweise des Grünen Zimmers verdeutlichen, hinsichtlich der Aufenthaltsqualität für die Nutzer jedoch keine abschließende Beurteilung darstellen. Temperaturen im Grünen Zimmer und im direkten Umfeld Im Sommer 2015 wurden über mehrere Wochen Messungen an Messpunkten im Grünen Zimmer, dem Rathausplatz und dem benachbarten Clussgarten als Beispiel für einen grünen Freiraum durchgeführt (Bild 5). Bild 6 zeigt die durchschnittlichen Temperaturen an den Messstellen je Stunde Bild 3: (oben) Freiraumnutzer nehmen Grünes Zimmer in Besitz - Juni 2015. © Eisenberg Bild 4: (Mitte) Üppige Blütenpracht im Grünen Zimmer Sommer 2015. © Helix Pflanzensysteme VRS Bild 5: (unten) Dauermesspunkte 2015, Treppe (Rathausplatz), Wandkrone, Garten. © Eisenberg 76 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stadtklima zwischen dem 15. Juli und dem 18. August 2015. Der Temperaturverlauf im Grünen Zimmer und im Garten ähneln sich. Die Temperaturen an der Messstelle Rathausplatz weichen tagsüber davon ab und haben einen deutlichen Höhepunkt um 14 Uhr. Die maximale Durchschnittstemperatur liegt bei 37 °C, mit Tageshöchstwerten von über 45 °C (Bild 6). Die maximalen Durchschnittstemperaturen an den Messstellen Grüne Wand (29,7 °C) und Garten (30,4 °C) werden im Verlauf des nachmittags erreicht und bleiben zwischen 15 und 17 Uhr annähernd gleich bleiben. Die Hälfte des Tages, von 22 bis 10 Uhr, verlaufen die Temperaturkurven an den drei Messpunkten parallel und erreichen gegen 7 Uhr am Morgen das Minimum. Pufferfunktion des Grünen Zimmers An Tagen mit maximalen Temperaturen von 30 und 35 °C an der Messstelle Rahausplatz sind die Temperaturen an den Messstellen Garten und im Grünen Zimmer 7 °K niedriger. Das heißt, im Grünen Zimmer gibt es Bereiche, in denen die Temperaturen an Hitzetagen dennoch unter den Schwellenwert von 30 °C sinken. Mit zunehmenden Maximaltemperaturen vergrößert sich sogar die Differenz zwischen den Messstellen auf 10,5 °K, so dass selbst bei Temperaturen von über 40 °C auf dem Rathausplatz 30 - 35- °C im Grünen Zimmer bzw. im Garten gemessen werden, und somit Temperaturspitzen im Grünen Zimmer stärker gemindert werden. Temperaturen abhängig von der Entfernung zur Vertikalbegrünung Während einer ganztägigen Messkampagne am 20.- Juli 2016 wurden in einem Transsekt in 0,3 m, 1-m, 2 m Entfernung nördlich und südlich der Hauptwand Lufttemperaturen gemessen (südlich auch in 3 m Entfernung) und zu einem Referenzpunkt auf der angrenzenden Wiese in Beziehung gesetzt (Bild- 9). Die maximalen Temperaturunterschiede zwischen dem Referenzmesspunkt Wiese und dem Messpunkt WS1 (Wand südlich 1 m von der Wand entfernt) betrugen in der Mittagszeit mindestens 3,3-°K und als Maximum 7,3-°K am späten Nachmittag (Bild 10). Die maximale Differenz zwischen Wiese und dem Messpunkt auf der Nordseite betrug 8,9- °K in der Mittagszeit, verringerte sich jedoch im Laufe des Nachmittags mit zunehmender direkter Sonneneinstrahlung und der Wirkung der aufgeheizten Pflastersteinflächen bis schließlich die Messpunkte WN1 und WN2 am frühen Abend höhere Temperaturen aufwiesen (Bild 11). Auf der Südwie auf der Nordseite ist im Abstand bis 1 m eine Temperaturreduktion feststellbar, die, abhängig vom Sonnenstand, auch weiter wirkt. Auf der Nordseite ist die Wirkung am Vormittag und bis in den Nachmittag deutlich ausgeprägter und auch weiter reichend. Sobald jedoch die Wirkung des Blätterdachs wegfällt und die tiefer stehende Sonne direkt einfällt, verringert sich der Effekt schlagartig (Bild 11). Die Standortbedingungen im Grünen Zimmer ergänzen sich und es bietet somit im Laufe eines Tages immer Bereiche, in denen die Temperaturen deutlich geringer sind als am Referenzstandort. Es zeigt sich zudem, dass es im Grünen Zimmer im Laufe des Bild 6 und 7: (oben, Mitte): Vergleich der Temperaturen an den Messstellen. © Eisenberg et al. Bild 8 (unten): Unterschiede der Temperaturen zwischen den Messstellen, sortiert nach den Maximaltemperaturen. © Eisenberg et al. 77 1 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stadtklima Tages immer auch Bereiche gibt, die den Temperaturen an der Dauermessstelle entsprechen und diese somit als repräsentativ für das Grüne Zimmer angesehen werden kann. Fazit Die Analysen zu Stadtklimakomfortzonen haben in Ludwigsburg einen relevanten Standort für lokale Anpassungsmaßnahmen identifiziert und mit dem Grünen Zimmer wurde eine effektive und populäre Maßnahme umgesetzt. Die mikroklimatischen Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des grünen Zimmers im unmittelbaren Umfeld. Die Temperaturreduktion gegenüber dem aufgeheizten Rathausplatz ist deutlich und mit der am Rand von kleinen Parkanlagen zu vergleichen. Das Potenzial der freistehenden Vertikalbegrünung ist hiermit noch nicht ausgeschöpft. Sie können als Klimaanpassungsmaßnahme im größeren Umfang oder an Extremstandorten als multifunktionale grüne Wände eingesetzt werden und darüber hinaus der Biotopvernetzung, der Wasserretention oder dem Lärm- und Immissionsschutz dienen. Das Institut für Landschaftsplanung und Ökologie wird dazu auch in Zukunft weiterforschen. LITERATUR [1] Verband Region Stuttgart: Klimaatlas Region Stuttgart. In: Schriftenreihe Verband Region Stuttgart 26, 2008. [2] BMVBS - Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Stadtentwicklung (Hrsg.) (2012): StadtKlima - Kommunale Strategien und Potenziale zum Klimawandel. Ergebnisse Modellprojekte. = ExWoSt-Informationen 39/ 3. Bonn [3] Landeshauptstadt Stuttgart (2012): Klimaanpassungskonzept Stuttgart KLIMAKS. https: / / www. stadtklima-stuttgart.de/ stadtklima _filestorage/ download/ kliks/ KLIMAKS-2012.pdf [4] Eisenberg, B., Gölsdorf, K., Weidenbacher, S., Schwarzvon Raumer, H.-G.: Report on Urban Climate Comfort Zones and the Green Living Room Ludwigsburg, 2016. [5] Schütze, E. , Wallenborn, T., Nieschling, A.: Stadt Ludwigsburg Freiflächenentwicklungskonzept, 2014. Teil 1 - Analyse, Leitbild, Konzept. Bild 10: (oben) Temperaturunterschied in Abhängigkeit der Entfernung zur Grünen Wand, Südseite. © Eisenberg et al. Bild 11: (unten) Temperaturunterschied in Abhängigkeit der Entfernung zur Grünen Wand, Nordseite. © Eisenberg et al. Dr.-Ing. Bernd Eisenberg Landschafts- und Freiraumplaner Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart Kontakt: be@ilpoe.uni-stuttgart.de Bild 9: Messpunkte, Nord-Süd-Transsekt. © Eisenberg et al. AUTOR
