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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0037
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Das besondere Energiepaket

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Jana Dietz
Johann Quapp
Die Nutzung von Gebäudedächern zur Stromgewinnung leistet einen entscheidenden Beitrag, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Ihren Innovationscharakter hat diese, bereits seit Jahren etablierte Methode jedoch eingebüßt. Insbesondere dort, wo der Platz knapp ist – nämlich in Städten – bieten die vorhandenen Dachflächen weit mehr Potenzial.
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20 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Für die energetische Versorgung von Gebäuden, sei es in der Wohnungswirtschaft, in Gewerbe-, Produktions- oder Logistikimmobilien sowie in öffentlichen Einrichtungen, werden in der Regel Strom und Wärme benötigt. Um beides auf regenerative Weise bereitstellen zu können, waren bisher zwei eigenständige Systeme erforderlich, von denen eines elektrische, das andere thermische Energie lieferte. Das aus Eis-Energiespeicher und Kraftdach bestehende Energiepaket reduziert die Komplexität für Anwender und stellt Wärme und Strom vernetzt und nahezu emissionsfrei zur Verfügung. Das Eis-Energiespeichersystem, wie es in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, bereits bei über 100-Anlagen in Betrieb ist, setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: dem Eis-Energiespeicher, einer oder mehreren Wärmepumpen, einer Regenerationsquelle sowie einer Steuerung, die das Zusammenspiel aller Komponenten regelt. Der Eis-Energiespeicher, ein in der Regel nicht gedämmter Betonbehälter, der mit herkömmlichem Leitungswasser gefüllt wird, bildet das Herzstück. Umweltenergie wird aus dem Erdreich, solarer Einstrahlung und der Umgebungsluft gewonnen und in diesen unterirdisch platzierten Behälter eingespeist. Darin ist ein Wärmetauscher-System - bestehend aus Regeneration und Entzug - installiert, durch das ein Wasser-Glykol-Gemisch strömt. Über den Wärmetauscher wird die Wärme der in den Eis-Energiespeicher geführten Umweltenergie aufgenommen und bis zu der/ den Wärmepumpe(n) in den Heizungsraum transportiert. Exkurs: Funktionsweise der Wärmepumpe Im Inneren der Wärmepumpe zirkuliert als Kältemittel ein Wasser- Glykol-Gemisch, das durch Umgebungsenergie erwärmt wird. Daraufhin verdampft das Kältemittel und gelangt - jetzt gasförmig - in einen Verdichter. Durch Kompression erhöht dieser die Temperatur des Gases. Im sogenannten Verflüssiger kondensiert das heiße Kältemittelgas und gibt dabei die aufgenommene Wärme ab. In einer Drossel wird der Druck des Kältemittels wieder gesenkt, was zu dessen Verflüssigung führt. Das Kältemittel wird zum Verdampfer zurückgeführt und der Kreislauf beginnt erneut. Die Wärme, die das Kältemittel im Verflüssiger abgibt, wird an das Wärmeverteil- und Speichersystem des Gebäudes ab- Das besondere Energiepaket Eis-Energiespeicher und Kraftdach Erneuerbare Energie, Gebäudeheizung, Gebäudekühlung, Energiespeicher, PVT-Kollektoren Jana Dietz, Johann Quapp Die Nutzung von Gebäudedächern zur Stromgewinnung leistet einen entscheidenden Beitrag, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Ihren Innovationscharakter hat diese, bereits seit Jahren etablierte Methode jedoch eingebüßt. Insbesondere dort, wo der Platz knapp ist - nämlich in Städten - bieten die vorhandenen Dachflächen weit mehr Potenzial. PRAXIS + PROJEKTE Energie © pixabay 21 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie gegeben. In Neubauten handelt es sich dabei meistens um Flächenheizsysteme, im Gebäudebestand oft auch um klassische Radiatoren. Heizungspuffer oder Warmwasserspeicher dienen als Speichersysteme [1]. Die Wärmepumpe entzieht demnach dem Eis-Energiespeicher die darin gespeicherte Umgebungswärme und bringt diese durch Kompression auf ein für den Verbraucher nutzbares Temperaturniveau. Durch den Wärmeentzug kühlt das Wasser im Speicherbehälter ab. Erreicht die Temperatur des Wassers 0 °C, ändert es seinen Aggregatzustand und gefriert. Während dieses Phasenübergangs wird Kristallisationsenergie freigesetzt. Um den Eis-Energiespeicher zu regenerieren, muss Energie zugeführt werden. Manche Bauprojekte bieten dafür vielversprechendes Potenzial in Form von Server- oder Produktionsabwärme. Oder die Regeneration erfolgt über spezielle Solar-Luft- Kollektoren. Dieser aus PE-Rohr gefertigte, nicht verglaste Kollektortyp ist besonders geeignet, da er keine solare Einstrahlung benötigt, sondern Energie aus der Umgebungsluft nutzen kann. Insgesamt liegt die Temperatur im Eis-Energiespeicher auf einem niedrigen Niveau, sodass - auch während des Winters - an Tagen mit Temperaturen über 0 °C mit den SolarLuft-Kollektoren regeneriert werden kann. Das Eis-Energiespeichersystem im Kühlbetrieb Wird auf die Regeneration verzichtet, vereist das Wasser mehr und mehr. Gegen Ende der Heizperiode hat sich im Speicherbehälter dann ein riesiger Eisblock gebildet, der als natürliches Kühlreservoir zur Verfügung steht (natural cooling). Das Wasser im Verteilsystem des Gebäudes nimmt die Kälte des Eises auf und führt diese in das Gebäude. Auf seinem Weg durch das Gebäude nimmt es die dort vorherrschende Hitze mit sich in den Eis- Energiespeicher, wodurch das Eis nach und nach zum Schmelzen gebracht wird. Das Wasser steht dann am Ende des Sommers erneut für den Heizbetrieb bereit. Reicht die natürliche Kühlleistung nicht aus, kann zusätzlich aktiv über die Wärmepumpe gekühlt werden (Bild 1). Im Heiz- oder im aktiven Kühlbetrieb braucht der Antrieb einer Wärmepumpe Strom. Je niedriger die Temperatur der zugeführten Umweltwärme ist, desto mehr Antriebsenergie wird benötigt - und umgekehrt. Aus dem Verhältnis der erbrachten Wärmeleistung zu der zugeführten Antriebsenergie (zugeführter Strom) ergibt sich der Wirkungsgrad der Wärmepumpe, der sogenannte COP (Coefficient of Performance). Im Durchschnitt kann eine Wärmepumpe aus der gesammelten Umweltwärme unter Zuführung von einem Teil elektrischer Energie vier Teile nutzbare Energie für den Verbraucher bereitstellen. Entsprechend ergibt sich daraus eine deutliche Entlastung für die Umwelt. Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit sowie die Klimaschutzwirkung des Eis-Energiespeichersystems ist die Bereitstellung der Antriebsenergie eine wichtige Stellschraube. Strom, der statt aus der Steckdose aus erneuerbarer Energie gewonnen wird, kommt der Umwelt zusätzlich zugute. Soweit die klassische Anwendungsform des Eis-Energiespeichersystems. Ergänzt wird dieses nun durch ein besonderes PVT-Modul - das Kraftdach. Das innovative Kraftdach Eine der größten Herausforderungen der Energiegewinnung in Städten ist das sehr begrenzte Platzangebot. Um, wie eingangs erwähnt, das Potenzial der vorhandenen Dachflächen voll auszuschöpfen, bietet das Kraftdach eine einfache aber wirkungsvolle Lösung: Ein spezieller PVT-Kollektor kombiniert thermische und Bild 1: Wärme- und Kältekreislauf im Eis-Energiespeichersystem. © Viessmann Eis- Energiespeicher GmbH Bild 2: Detailansicht vom Kraftdach. © Kraftwerk Solutions GmbH 22 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie elektrische Module und kann somit auf der gesamten verfügbaren Fläche Wärme und Strom gewinnen. Dabei liegen die thermischen Kollektoren unter den Photovoltaik-Modulen und werden vollständig von diesen verdeckt (Bild 2). Während der Sommermonate können sich die Zellen der Solarstrom-Module stark erwärmen. Temperaturen um 75 °C sind dabei keine Seltenheit. Dies führt zu hohen Ertragseinbußen. Beim Kraftdach fällt dieser Effekt deutlich geringer aus, da die untenliegenden thermischen Kollektoren nicht von direkter Sonneneinstrahlung getroffen werden und somit eine niedrigere Oberflächentemperatur haben. An heißen Tagen werden die Solarstrom-Module von unten gekühlt. Auch dem Anspruch an Ästhetik wird Rechnung getragen. Die im Kraftdach sichtbare obere Ebene aus Photovoltaik-Modulen erfüllt hohe optische Standards. Als Symbol einer umweltbewussten Haltung und ökologischer Verantwortung haben sich diese im Stadtbild etabliert. Überschüssiger Strom, der nicht für den Betrieb der Wärmepumpe benötigt wird, kann entweder zur Versorgung anderer elektrischer Geräte genutzt oder in das Stromnetz eingespeist werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den gewonnenen Strom über die Wärmepumpe in Wärme oder Kälte umzuwandeln und im Eis-Energiespeicher zu speichern. Durch die Bereitstellung von Wärme und Strom kann eine weitgehende Unabhängigkeit von externen Energieversorgern und deren Preisschwankungen realisiert werden. Da die Nebenkosten, die sogenannte „zweite Miete“, einen immer deutlicheren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen, bietet dieses Modell neben Einsparungen bei den Betriebskosten vor allem auch Planungssicherheit. Digitales Energiequellenmanagement Ein solchermaßen weitentwickeltes Energiesystem ist gegenüber gewöhnlichen Heiz- und Kühlanlagen weitaus komplexer. Um alle Erträge und Energieflüsse nachvollziehbar zu machen und aufzuzeigen, wie viel Energie wann wofür genutzt wird, gibt es die Möglichkeit des aktiven Energiequellenmanagement s . Die visuelle Darstellung von Eis-Energiespeichersystem und Kraftdach auf dem Tablet oder dem Smartphone veranschaulicht dem Anlagenbetreiber, welche Energiemenge durch das PVT-Modul gewonnen wird und wohin diese Energie fließt. Bezieht die Wärmepumpe in diesem Moment Energie von den Kollektoren oder greift sie auf den Eis- Energiespeicher zurück? Wurde heute bereits überschüssiger Strom an das Netz abgegeben? Energiemanagement im Zeitalter der Digitalisierung eröffnet viele Möglichkeiten. Aus der Praxis: Einsatz für Eis-Energiespeicher und Kraftdach in Baden- Württemberg Im baden-württembergischen Plankstadt bei Mannheim wurde im April 2017 der neue Firmensitz der Wierig GmbH Dach & Fassade eröffnet. Das Gebäude erfüllt verschiedene Zwecke: 660 m 2 Fläche stehen als Lagerhalle sowie für leichte Produktion zur Verfügung. Auf weiteren 320 m 2 sind Büro- und Verwaltungsräume untergebracht. Die beiden Gebäudeteile sind über einen Durchgang miteinander verbunden (Bild 3). Eine Fußbodenheizung ist in beiden Gebäudeteilen verlegt. In Kombination mit einer Wärmepumpenanlage ist ein solches Flächenheizsystem optimal, da es im Heizbetrieb niedrigere Vorlauftemperaturen benötigt und somit entscheidend zur Wirtschaftlichkeit des gesamten Systems beiträgt. In diesem Beispiel beträgt die Sollvorlauftemperatur für die Raumheizung 30 °C. Eine Wärmepumpe vom Typ Vitocal 300-G BW 301.A29 deckt den Gebäudeenergiebedarf ab. Diese stellt dem Gebäude pro Jahr 41 880 kWh Heizenergie zur Verfügung. Dafür benötigt die Wärmepumpe 9307 kWh Antriebsenergie, was weniger als einem Viertel der Heizenergie entspricht. Die restliche Heizenergie stammt aus Umweltwärme. Bild 4: Das Kraftdach aus der Vogelperspektive. © Kraftwerk Solutions GmbH Bild 3: Neubau der Wierig & Huhn GmbH in Plankstadt. © Kraftwerk Solutions GmbH 23 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Da das System monovalent ausgelegt ist, steht kein zweiter Wärmeerzeuger ergänzend oder zur Absicherung der Spitzenlasten zur Verfügung. Die Antriebsenergie der Wärmepumpe und der Nebenaggregate wird durch das Kraftdach generiert und geliefert. Bei einer Nennleistung von 45,76 kWp erzeugt das Kraftdach etwa 40 000 kWh/ a Solarstrom (Bild 4). Darüber hinaus zur Verfügung stehender Strom wird im Gebäude genutzt. Rund 75 % der Wärmeerträge aus dem Kraftdach werden direkt für die Wärmepumpe bereitgestellt. Die thermischen Module sammeln und bündeln Umweltwärme und geben diese an die Wärmepumpe ab. Die Photovoltaik-Module des Kraftdachs liefern die elektrische Energie, um die Wärmepumpe zu betreiben. Die verbleibenden 25 % werden in den Eis-Energiespeicher eingespeist und können dort nach Bedarf zur Deckung von Wärmespitzen abgerufen werden. Der zylinderförmige Eis-Energiespeicherbehälter mit einem Durchmesser von 5 m und einer Höhe von 3 m fasst 47 584 L Wasser. Er befindet sich unter der Lager- und Produktionshalle. Davon zu sehen ist lediglich die Einstiegsluke, die in etwa so groß wie ein herkömmlicher Kanaldeckel ist. Der Kühlbetrieb ist von April bis September freigeschaltet. Durch „natural cooling“ können während dieser Monate 5769 kWh Kühlenergie bereitgestellt werden. Wasser, das mit 24 °C aus dem Gebäude kommt, nimmt über einen Wärmetauscher die Kälte des Eises auf und fließt mit nur 19 °C wieder hinein, um das Gebäude zu kühlen. Damit erfüllt das Gebäude in Plankstadt den Standard des KfW-Effizienzhaus 55. Die Betrachtung (Tabelle 1) zeigt, dass das Gebäude in Plankstadt durch das Energiepaket „Eis-Energiespeicher und Kraftdach“ CO 2 -neutral geheizt, gekühlt und mit Strom versorgt wird. Zusätzlich wird der globale CO 2 -Ausstoß jährlich um 7,75 t reduziert. Im Vergleich zu einem klassisch ausgestatteten Gebäude ergibt sich daraus eine Umweltentlastung von 31 t jedes Jahr. LITERATUR [1] Bundesverband Wärmepumpe e.V.: Funktionsweise der Wärmepumpe, 2017. Online verfügbar unter: https: / / www.waermepumpe.de/ waermepumpe/ funktionsweise/ [2] https: / / w w w.umweltbundesa m t . d e / t h e m e n / k l i m a energie/ energieversorgung / strom-waermeversorgung-inz a h l e n ? s p r u n g m a r k e = Strommix [3] Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH: CO 2 -Emissionsfaktoren, 2016. Online verfügbar unter: http: / / www.kea-bw.de/ service/ emissionsfaktoren/ QR Code scannen und Videos zum Eis- Energiespeichersystem auf YouTube ansehen: CO 2 -Ausstoß im Vergleich Variante 1 Variante 2 Heizbetrieb Nutzwärmebedarf 41 880 41 880 kWh/ a Wärmepumpe JAZ 4,50 Stromverbrauch 9307 kg/ kWh CO 2 -Ausstoß Strommix [2] 0,60 kg/ kWh CO 2 -Ausstoß Gas [3] 0,25 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 10 470 5584 kg/ a Kühlbetrieb Eisspeicher Kühlenergie 5769 5769 kWh/ a Kältemaschine JAZ 4,0 Stromverbrauch 1442 kWh CO 2 -Ausstoß Strommix 0,60 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 865 0 kg/ a Stromverbrauch im Gebäude Prognostizierter Verbrauch 20 000 20 000 kWh/ a CO 2 -Ausstoß Strom 0,60 0,60 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 12 000 12 000 kg/ a PV-Anlage Strom Erzeugung -42 222 kWh/ a CO 2 -Ausstoß Strommix 0,60 kg/ kWh PV-Anlage -25 333 kg/ a Summe CO 2 -Ausstoß 23 335 -7.749 kg/ a Tabelle 1: Klimabilanz des Eis-Energiespeichers (Variante 1) im Vergleich zu einer konventionellen Lösung mit Gas und Kältemaschine (Variante 1). AUTOR I NNEN Jana Dietz Marketingmanagement Viessmann Eis-Energiespeicher GmbH Kontakt: j.dietz@eis-energiespeicher.com Johann Quapp Entwicklungsingenieur Kraftwerk Solutions GmbH Kontakt: quapp@kraftwerk-solutions.com