eJournals Transforming cities 2/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0039
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2017
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Tarifmodell-Umstellungen in Netzsektoren

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2017
Mark Oelmann
Christoph Czichy
Rene Beele
Ein verändertes Nachfrageverhalten und die Veränderung der Siedlungsstruktur (Zuwachs an Ein- und Zweifamilienhäusern bei gleichzeitiger Singularisierung der Haushalte) setzen viele Wasserver- und Abwasserentsorger unter Druck. Hohe Kosten der Systemvorhaltung bleiben bei zurückgehender Nachfrage – ob absolut oder pro Anschluss – jedoch bestehen und führen angesichts sinkender Einnahmen zu erheblichem Kostendruck. Tarifmodell-Umstellungen hin zu einem höheren Anteil der Grundentgelte bilden einen gangbaren Ausweg, bedürfen jedoch einer intensiven Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation. Auch für Fernwärmeversorger und Stromnetzbetreiber gewinnt die Thematik zunehmend an Bedeutung.
tc220028
28 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Kundenseitig und ordnungspolitisch werden hohe Ansprüche an Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Qualität, Nachhaltigkeit sowie an die Beachtung des Ressourcenschutzes in der Verbzw. Entsorgungswirtschaft gestellt: Ziele der Trinkwasserversorgung sind unter anderem die unterbrechungsfreie Bereitstellung von Trinkwasser in hervorragender Qualität und ausreichender Menge bei konstantem Leitungsdruck. In der Abwasserentsorgung sollen unterschiedlichste Abwässer - Schmutz- und Niederschlagswasser - möglichst zügig und kontrolliert, ohne Geruchsbelästigung über Kanäle abgeleitet und anschließend zentral gereinigt werden. Stromnetze sind so zu betreiben, dass - trotz permanenter Frequenzschwankungen - die elektrische Leistungsbereitstellung durch zentrale sowie dezentrale Kraftwerke auf den verschiedenen Netzebenen jederzeit störungsfrei bis zur Endkundenbelieferung gewährleistet wird. Fernwärme wird als Prozesswärme in der Industrie benötigt sowie zum Beheizen von Gewerbeimmobilien und Wohnräumen nachgefragt und temperaturabhängig über Rohrsysteme geliefert. Daneben bieten Fernwärmeversorger die Aufbereitung von stets ausreichender Menge Warmwasser. Fernwärme unterliegt als einzige der vier betrachteten Branchen beim Neuanschluss durch den Konsumenten einem Wettbewerb im (Wärme-)Markt. Ist erst einmal die Entscheidung für ein Heizungssystem getroffen, bleibt der Nachfrager von Wärme bei diesem funktionstüchtigen Heizsystem, da ein Wechsel mit hohen Umstellungskosten verbunden wäre [1]. Die vorgenannten Beispiele zeigen auf, dass die Systemvorhaltung als zentrales Element der vier betrachteten Branchen städtischer Infrastrukturen anzuerkennen ist. Ähnliche ökonomische Ausgangsbedingungen für Ver- und Entsorger sowie Stromnetzbetreiber Eines haben alle vier Branchen gemein: Sowohl Wasser- und Fernwärmeversorger, Stromnetzbetreiber als auch Abwasserentsorger zeichnen sich in ihrer jeweiligen Aufgabenerfüllung durch eine unabdingbare Leitungsgebundenheit aus. Das dazu notwendige Leitungsbzw. Kanalnetz sowie die jeweiligen technischen Bauwerke mit langen Abschreibungsdauern und meist noch längeren tatsächlichen Nutzungszeiträumen bilden sich in der Kostenstruktur dieser Unternehmen ab. Bei Wasserver- und Abwasserentsorgern sind daher Fixkostenbestandteile von 75-85 % an den Gesamtkosten die Regel [2]. Im Fernwärme- und Stromnetzsektor tritt eine ebenfalls sehr hohe Fixkostenintensität von mitunter mehr als 50 % auf [3]. Tarifmodell-Umstellungen in Netzsektoren Ver- und Entsorger in der Wasser- und Energiewirtschaft unter Handlungsdruck Tarifmodelle, Gebührenmodelle, Netzsektoren, Systemvorhaltung, demographischer Wandel, Singularisierung der Haushalte, Nachfragerückgang Mark Oelmann, Christoph Czichy, Rene Beele Ein verändertes Nachfrageverhalten und die Veränderung der Siedlungsstruktur (Zuwachs an Ein- und Zweifamilienhäusern bei gleichzeitiger Singularisierung der Haushalte) setzen viele Wasserver- und Abwasserentsorger unter Druck. Hohe Kosten der Systemvorhaltung bleiben bei zurückgehender Nachfrage - ob absolut oder pro Anschluss - jedoch bestehen und führen angesichts sinkender Einnahmen zu erheblichem Kostendruck. Tarifmodell-Umstellungen hin zu einem höheren Anteil der Grundentgelte bilden einen gangbaren Ausweg, bedürfen jedoch einer intensiven Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation. Auch für Fernwärmeversorger und Stromnetzbetreiber gewinnt die Thematik zunehmend an Bedeutung. 29 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Bei Betrachtung der Entgeltstrukturen im Branchenvergleich ist festzustellen, dass - mit Ausnahme der Abwasserbranche - das absolute Gros der Wasser- und Fernwärmeversorger sowie der Stromnetzbetreiber eine fixe Grundentgeltkomponente in ihrem Tarifmodell integriert hat. Die dabei resultierende Erlösstruktur von fixen und variablen Anteilen an den Gesamterlösen steht jedoch häufig der Kostenstruktur diametral entgegen (Bild 1): Beispielhaft stehen im Trinkwassersektor bezogen auf den BDEW-Durchschnittspreis den rund 80 % fixen Kosten lediglich 20 % fixe Erlöse gegenüber. Im Fernwärmebereich liegt der durchschnittliche fixe Erlösanteil tendenziell etwas darüber [1], im Netzentgeltbereich bei Versorgungsnetzbetreibern im Durchschnitt etwas darunter [4]. Zielführend im Sinne der Erlösstabilität wäre eine Angleichung der Erlösfunktion (grün) an die Kostenfunktion (blau), denn: Sinkt die Nachfrage bei nahezu gleichbleibenden Kosten, ist das Unternehmen bei Auseinanderfallen von Kosten- und Erlösstruktur mit einer Kostendeckungslücke konfrontiert. In vielen Fällen wird dabei mit einer Entgelterhöhung reagiert, was wiederum den Sparanreiz der Konsumenten verstärkt und zu einem weiteren Nachfragerückgang führt. Dies kann mitunter eine Entgeltspirale in Gang setzen, die Ver- und Entsorger sowie Stromnetzbetreiber vor große Herausforderungen stellt. Im Abwassersektor hat derzeit nur die absolute Minderheit der Entsorger den Schritt der Einführung einer Grundgebühr unternommen. Diese Tatsache verwundert, denn mit einem reinen variablen Entgelt (in Form des „Frischwassermaßstabes“ bei der Gebührenerhebung) ist zwar dem Gedanken der tatsächlichen Ableitung der Schmutzwasserfracht genüge getan, jedoch nicht der eigentlichen mengenunabhängigen Systemvorhaltung. Die Ausgangslage der Entsorger ist dabei durchaus vergleichbar mit der aus den anderen Netzsektoren - insbesondere auch im Hinblick auf die Entwicklung der abgegebenen Schmutzwassermenge [5]. Dass die rein mengenabhängige Erlösstruktur als etabliertes Konstrukt in den nächsten Jahren verstärkt überdacht wird, darf erwartet werden, denn der Druck für Abwasserentsorger - nicht zuletzt vor dem Hintergrund notwendiger Investitionen - nimmt vielerorts weiter zu und kann langfristig nicht über Kostenersparnisse oder Effizienzhebungen ausgeglichen werden. Eine Umfrage des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ruhr West (HRW) kommt zu dem Ergebnis, dass 70 % der befragten Entsorger eine Umstellung der Schmutzwassergebührenmodelle für notwendig oder sehr notwendig halten bzw. bereits umgestellt haben [6]. Treiber für eine Tarifmodell-Umstellung Aus den unterschiedlichsten Gründen ist kurzbis mittelfristig von einem Nachfragerückgang in den verschiedenen Branchen auszugehen. Dabei ist eine differenzierte Betrachtung zwischen einem absoluten Nachfragerückgang auf Gesamt-Unternehmensebene und einem relativen Rückgang der Nachfrage je Anschluss notwendig. Im Folgenden werden fünf zentrale Treiber für eine Tarifmodell-Umstellung erläutert: In vielen Regionen Deutschlands sind die Auswirkungen des demographischen Wandels bereits spürbar: Geburtenrückgänge und Wanderungsbewegungen sorgen für lokale Bevölkerungsrückgänge. Wurden Netzinfrastruktur und sonstige Systemvorhaltung für ein höheres Bevölkerungs- und Nachfrageniveau ausgelegt, resultieren Überkapazitäten, die aufgrund der langen Nutzungsdauern erst variable Kosten 20 % fixe Kosten 80% Grundpreis Systemkosten Preis pro m³ variable Erlöse 80 % fixe Erlöse 20% x 0 x 1 Menge Deckungslücke Kosten Erlöse Erlöse Kosten variable Erlöse 50 % fixe Erlöse 50 % Ziel Bild 1: Abweichende Kosten- und Erlösfunktion in Netzsektoren. © Oelmann, Czichy, Beele 30 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte langfristig abgebaut werden können. Die entsprechend hohen Fixkosten verteilen sich auf immer weniger Nutzer und erhöhen so die Belastung des Einzelnen. Gleichzeitig sinkt vielerorts aber auch die spezifische Nachfragemenge je Anschluss, sodass sich dieser Effekt durch eine Reduktion der variablen Erlöse pro Anschluss, die derzeit einen großen Teil der Fixkosten decken müssen, für das betroffene Unternehmen verstärkt. Aber auch wachsende Kommunen sind betroffen: Bei Grundstückserschließungen durch Neubauten und bei tiefgreifenden Renovierungsarbeiten kommt es verstärkt zum Einbau wassersparender Armaturen, besseren Dämmwerten bei Fenstern und Fassaden sowie nicht selten zur (teilweisen) Strom-Eigenversorgung durch PV- oder KWK-Anlagen. All dies mindert die zukünftigen Erlöse je Anschluss durch variable Tarifbestandteile. Gleichzeitig müssen Investitionen von den Unternehmen getätigt und das System in ähnlicher Art und Weise vorgehalten werden, wie dies bei der Versorgung von Bestandsbauten der Fall ist. Ein weiterer wesentlicher Treiber für die Notwendigkeit einer Tarifmodell-Umstellung ist die zu beobachtende Veränderung in der Siedlungsstruktur: Der Anteil an Wohngebäuden mit einer Gebäudegröße von Ein- und Zweifamilienhäusern liegt in Deutschland auf Basis der Zensus-Ergebnisse 2011 bei rund 82 % (Bild 2) - Tendenz steigend. Dieser Effekt erhöht die Kosten der Systemvorhaltung bei Ver- und Entsorgern sowie Netzbetreibern. Neubaugebiete müssen mit Investitionen in die Infrastruktur erschlossen und in das System der Bestandsanlagen integriert werden. Dabei verteilen sich die neuen Anschlusskosten auf eine immer geringere Zahl von Nutzern dieser Anlagen. Die Folge ist eine steigende Belastung für alle Netznutzer. Gleichzeitig sinkt die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland. Man spricht dabei von einer „Singularisierung der Haushalte“. Bild 3 zeigt die Entwicklung auf Ebene der Bundesländer. Festzustellen ist, dass der Anteil der 1-Personen-Haushalte in allen Bundesländern zunimmt. Dabei stieg der Anteil zwischen 2006 und 2015, wie im Falle von Mecklenburg-Vorpommern, um bis zu 5,5 Prozentpunkte, was einem Zuwachs von 15,8 % entspricht. Bei einer Entwicklung hin zu kleineren Haushaltsgrößen sinkt grundsätzlich die spezifische Nachfrage und somit der spezifische Erlös je Anschluss. Dies gilt für das Fernwärmesegment jedoch nicht in so hohem Ausmaß, wie für die drei anderen städtischen Infrastrukturbereiche. Als fünfter zentraler Treiber für eine Tarifmodell- Umstellung sei der Druck auf Unternehmen städtischer Infrastrukturen benannt, der vornehmlich durch Kartellämter ausgeübt wird. Landeskartellämter prüfen ex post, ob es zu missbräuchlicher Preisbildung nach GWB - insbesondere in den Bereichen der leitungsgebundenen Versorgung - gekommen ist. Bei länderübergreifender Tätigkeit eines Unternehmens wird das Bundeskartellamt zuständig. Dabei wurde die Fernwärmeversorgung - in den vergangenen Jahren verstärkt - Analysen unterzogen. Die Entgelthöhe für Musterabnahmefälle sowohl zwischen den regionalen Anbietern als auch im Vergleich unter den Bundesländern schwankte dabei sehr stark. Es zeigten sich deutliche Unterschiede bei den Durchschnittspreisen von bis zu 10 Ct./ kWh zwischen den Netzgebieten. Dabei wurde herausgearbeitet, dass einerseits die Länge der Netze und andererseits die eingesetzte Energieform Preisunterschiede rechtfertigen, jedoch nicht in der oben genannten Schwankungsbreite. Fernwärmepreise müssen sich jedoch vollständig bei anstehenden Fragen der Kartellämter kostenseitig erklären lassen. Erschwerend kann hinzukommen, dass Kunden mit ähnlichem Abnahmeverhalten und (nahezu) identischer Anschlussleistung völlig unterschiedlich bepreist werden - solche Tarifunterschiede sind oft- 65,2% 17,1% 11,9% 4,7% 1,2% 82,3% 1 Wohnung 2 Wohnungen 3 - 6 Wohnungen 7 - 12 Wohnungen 13 und mehr Wohnungen 30,0% 35,0% 40,0% 45,0% 50,0% 55,0% 2006 2015 Bild 2: Anteile der Gebäude nach Anzahl der Wohnungen je Gebäude in Deutschland. Quelle: https: / / ergebnisse. zensus2011.de, zuletzt geprüft am 08.05.2017. Bild 3: Entwicklung der 1-Personen- Haushalte auf Bundeslandebene (2006-2015). Quelle: www.wegweiser-kommune. de, zuletzt geprüft am: 08.05.2017. 31 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte mals „historisch gewachsen“, doch spätestens bei einer kartellrechtlichen Untersuchung geraten die Versorger in Erklärungsnot. Auch aus diesem Grund werden Kartellbehörden immer häufiger zu detaillierteren Prüfungen veranlasst und machen neue Modelle bei Fernwärmetarifen notwendig [7]. Im privatrechtlichen Teil des Trinkwassersektors haben in der jüngeren Vergangenheit prominente Beispiele über Wasserpreisverfügungen durch Kartellämter als abschreckende Beispiele gedient. Als Folge hieraus resultierte einerseits Unsicherheit über bestehende Erlösstrukturen bei Wasserversorgern. Andererseits wurde der Wunsch nach unbedingter Rechtssicherheit im Zuge einer Tarifmodell-Umstellung deutlich. Für beide Faktoren wurde mit verschiedenen Gutachten und jüngster Rechtsprechung (BGH Urteile aus dem Jahr 2015 mit den Aktenzeichen: VIII ZR 136/ 14, VIII ZR 164/ 14 und VIII ZR 338/ 14) der Weg zu neuen Tarifmodellen geebnet [8]. Der Abwassersektor befindet sich nahezu vollständig außerhalb der Kontrolle der Kartellbehörden, da sich die allermeisten Entsorger (> 92 %) in einer öffentlich-rechtlichen Gesellschaftsform befinden. Gebühren werden unter anderem nach den KAG der Länder auf Grundlage einer Satzung erhoben, die durch gewählte Gemeindevertreter beschlossen werden. Durch diese demokratische Legitimation bedarf es keiner weiteren präventiven Kontrollaufsicht, die missbräuchliche Entgelte verhindert [2]. Bei Stromnetzentgelten schreibt die ARegV eine durch die Regulierungsbehörden zu genehmigende Erlösobergrenze für Netzbetreiber vor, welche auf Basis der ermittelten zulässigen Kosten bestimmt wird. Die Stromnetzbetreiber kalkulieren ihre Netzentgelte innerhalb dieses vorher festgelegten Erlösbudgets selbst. In der Ausgestaltung der Entgeltstruktur sind den Betreibern von Stromnetzen enge regulatorische Grenzen gesetzt, die insbesondere durch die StromNEV geregelt sind. Eine Ex-post-Preisaufsicht durch die Kartellbehörden findet nicht statt. Bild 4 fasst die zentralen Treiber einer Tarifmodell-Umstellung zusammen und gibt eine erste Indikation über das Maß der Betroffenheit für den jeweils betrachteten Sektor. Wege und Herausforderungen bei einer Tarifmodell-Umstellung Tarifmodell-Umstellungen mit dem Ziel einer Erhöhung des Grundentgeltanteils bei gleichzeitiger Senkung des Anteils variabler Entgelte erscheinen vor dem Hintergrund der genannten Treiber für viele Wasser- und Fernwärmeversorger, Abwasserentsorger und Stromnetzbetreiber mittelfristig unabdingbar. Dabei sind jedoch eine ganze Reihe weiterer Faktoren sorgfältig zu prüfen, sodass der Aufwand einer Umstellung nicht unterschätzt werden sollte (Bild 5). Bild 4: Treiber für eine Tarifmodell- Umstellung. © Oelmann, Czichy, Beele Grundsätzliche Zielfindung Modellierung auf Endkundenebene Erlösneutralität Wahl der Bemessungsgrundlage Qualität der Datenbasis Begleitende Kommunikation (Intern/ Extern) Be- und Entlastungen im Umstellungszeitpunkt Weitere Ziele Bild 5: Wege und Herausforderungen bei einer Tarifmodell- Umstellung. © Oelmann, Czichy, Beele Demographischer Wandel Spezifischer Nachfragerückgang Veränderung in der Siedlungsstruktur Singularisierung der Haushalte Druck durch Kartellbehörden Trinkwasser -versorger Abwasserentsorger Fernwärmeversorger Stromnetzbetreiber ++ + 0 ++ + 0 ++ + 0 ++ + 0 ++ sehr hohes Maß an Betroffenheit + hohes Maß an Betroffenheit 0 keine Betroffenheit Quelle: Eigene Darstellung. 32 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Umstellungswillige Unternehmen beschäftigen sich in einem ersten Schritt mit der grundsätzlichen Zielfindung eines neuen Tarifsystems. Die Ziele reichen dabei unter anderem von der Stabilisierung der Umsätze bei zurückgehender Nachfrage bis hin zur Stabilisierung der Entgelte im Zeitablauf vor dem Hintergrund anstehender Investitionen. Zentrales Ziel einer jeden Tarifmodell-Umstellung sollte dabei eine ausgewogene Be- und Entlastungssituation zum Zeitpunkt der Umstellung sein. Dieses Ziel wird vor allem im Hinblick auf eine zumeist hohe Heterogenität der Gebäude- und Abnehmerstruktur oder durch das Vorhandensein systemrelevanter Großkunden zu einer „Herkules-Aufgabe“. Die Be- und Entlastung einzelner Kunden im Rahmen der Umstellung hängt wesentlich von der individuellen Nachfragestruktur und im Fall der Wasser- und Fernwärmeversorgung auch von der jeweiligen Anschlussdimensionierung ab. Ein Austarieren der Be- und Entlastungen ist möglich, macht jedoch eine Modellierung auf Endkundenebene unerlässlich. Nur so kann in transparenter Art und Weise auf spätere Nachfragen eingegangen und Sonderfälle berücksichtigt werden. Daneben ist es mitunter empfehlenswert, dass ein neues Tarifmodell im Umstellungsjahr gegenüber dem alten Modell erlösneutral ausgestaltet wird. Auf diese Weise lässt sich das mögliche Argument einer versteckten Entgelterhöhung entkräften. Auch die Bemessungsgrundlage für den fixen Entgeltbestandteil ist diskutabel und muss im Trinkwasser- und Abwasserbereich nicht unbedingt der Zählergröße entsprechen, sondern kann sich beispielsweise am Wohneinheiten-Maßstab orientieren. Im Fernwärme- und Stromnetzentgeltbereich können als Bemessungsgrundlage zum Beispiel Anschlusswert, Spitzenlast oder Systemdienlichkeit des Abnahmeverhaltens herangezogen werden. Dabei spielt die Qualität der Datenbasis eine herausragende Rolle. Bei einem Wechsel der Bemessungsgrundlage liegen entsprechende Werte und Parameter nicht notwendigerweise in verlässlicher Qualität vor - sie müssen zunächst erhoben werden. Nicht zu unterschätzen ist schließlich die begleitende Kommunikation über den gesamten Umstellungsprozess. Intern sind dabei nicht nur Aufsichtsrat, Geschäftsführer und Führungskräfte einzubinden, sondern auch die zuständigen Mitarbeiter abzuholen, damit diese auf Kundennachfragen angemessen reagieren können. Ein weiterer elementarer Baustein ist die rechtzeitige externe Kommunikation mit Politikern, Pressevertretern, Vertretern von Wohnungsbaugesellschaften und großen Industrie- und Gewerbebetrieben. Ihnen die Notwendigkeit und die Relevanz einer Umstellung nahezubringen, ist genauso wichtig für die Akzeptanz eines neuen Tarifmodells wie das Gespräch mit interessierten Bürgern. Fazit und Ausblick Betreiber städtischer Infrastrukturen in den Netzsektoren Wasser- und Fernwärmeversorgung, Abwasserentsorgung und Stromnetzbetrieb weisen eine sehr ähnliche Ausgangssituation durch eine Leitungsgebundenheit und das bestehende Missverhältnis zwischen Kosten- und Erlösstruktur auf. Dabei geraten diese Unternehmen durch die fünf zentralen Treiber immer weiter unter Kosten- und Handlungsdruck. Im Bereich der Trinkwasserversorgung gibt das in enger Zusammenarbeit mit dem BDEW entwickelte Internettool www.tarifmodellwasser.de bereits nach Eingabe weniger Kennzahlen erste anonyme Indikationen über Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Tarifmodell-Umstellung [9]. Jedoch sind nicht alle Branchen gleichermaßen durch die dargelegten Treiber betroffen, eine kartellrechtliche Preis-Missbrauchsaufsicht findet zum Beispiel lediglich im Fernwärme- und im privatrechtlichen Trinkwasserbereich statt. Für viele Unternehmen stellt eine Tarifmodell- Umstellung einen gangbaren Ausweg dar, der jedoch mit Sorgfalt angegangen werden sollte. Grundsätzliche unternehmensspezifische Definitionen der Haupt- und Nebenziele bilden die Basis für die weiteren Schritte einer Umstellung. Im weiteren Vorgehen gilt es, die regionalen Spezifika ausreichend zu berücksichtigen und die Be- und Entlastungseffekte bei den Kunden im Blick zu behalten. Ohne eine fachliche Begleitung mögen diese Herausforderungen und insbesondere die entstehenden Dynamiken im Rahmen der Kunden- und Stakeholderkommunikation unterschätzt werden. Im Bereich der Wasser- und Fernwärmeversorgung sowie der Abwasserentsorgung hat die Unternehmensberatung MOcons GmbH & Co. KG bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe in Klein-, Mittel- und Großstädten bei Umstellungsprojekten begleitet. Dabei ist sie verlässlicher Partner bei der Unterstützung von Tarifmodell-Umstellungen auch bei besonderen Anforderungen, wie beispielsweise der Tarifvereinheitlichung bzw. dem Erhalt konzessionsbedingter Tarifunterschiede bei mehreren Versorgungsgebieten oder Preiszonen. Beim Thema Stromnetzentgelte ist MOcons eng mit dem „Kompetenzzentrum Energienetze“ der Hochschule Ruhr West verbunden und unterstützt die Forschungsanstrengungen durch Einbringen praktischer Expertise.