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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0045
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Urbane Wärmeinseln im Untergrund: Nachhaltige Energie für Städte?

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2017
Susanne A. Benz
Carolin Tissen
Philipp Blum
Städte sind heiß. In der Luft und an der Oberfläche führen die erhöhten Temperaturen zu einer Vermin- derung der Lebensqualität bis hin zu vermehrten Hitzetoden in den Sommermonaten. Auch unter der Stadt, im Grundwasser, sind Temperaturen erhöht und drohen die Wasserqualität zu beeinträchtigen. Allerdings bietet die im Grundwasser gespeicherte Wärme auch eine Chance auf nachhaltige Energie- gewinnung. Gelingt es, sie geothermisch zu nutzen, könnte ein Großteil des Heizbedarfs von Wohn- gebäuden in einer Stadt nachhaltig gedeckt und eine Minderung der Wasserqualität verhindert werden.
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60 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Urbane Wärmeinseln im Untergrund: Nachhaltige Energie für Städte? Geothermische Nutzung der innerstädtischen Abwärme Urbane Wärmeinseln, Erneuerbare Energien, Geothermie, Abwärme, Gebäudeheizung Susanne A. Benz, Carolin Tissen, Philipp Blum Städte sind heiß. In der Luft und an der Oberfläche führen die erhöhten Temperaturen zu einer Verminderung der Lebensqualität bis hin zu vermehrten Hitzetoden in den Sommermonaten. Auch unter der Stadt, im Grundwasser, sind Temperaturen erhöht und drohen die Wasserqualität zu beeinträchtigen. Allerdings bietet die im Grundwasser gespeicherte Wärme auch eine Chance auf nachhaltige Energiegewinnung. Gelingt es, sie geothermisch zu nutzen, könnte ein Großteil des Heizbedarfs von Wohngebäuden in einer Stadt nachhaltig gedeckt und eine Minderung der Wasserqualität verhindert werden. THEMA Energie für Städte Der hohe Versiegelungsgrad von Oberflächen sorgt unter anderem für höhere Temperaturen in und unter Städten. © Benz 61 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Das Klima und somit auch Temperaturen werden vom Menschen stark beeinflusst. Während die Hauptursache des globalen Klimawandels in der zusätzlichen Emission von Treibhausgasen liegt, die die Zusammensetzung der Atmosphäre des Planeten verändert, beeinflusst menschliche Aktivität Temperaturen auch auf einer kleineren und lokalen Skala. Änderungen in Landnutzung und Bodenbedeckung beeinflussen Umgebungstemperaturen und führen meistens zu einer Temperaturerhöhung: In großen, dicht besiedelten Städten sind Temperaturen oft mehrere Grad höher als im ländlichen Umfeld. Diese sogenannten urbanen Wärmeinseln sind ein globales Phänomen und können sowohl in der Atmosphäre anhand von Lufttemperaturen, an der Erdoberfläche anhand von Landesoberflächentemperaturen und im Untergrund anhand von Grundwassertemperaturen (Bild 1) nachgewiesen werden. Überirdisch haben sie einen weitreichenden Einfluss auf das Leben der Einwohner, deren Energieverbrauch, aber auch auf das urbane Ökosystem. In Frankreich zum Beispiel. führte die Hitzewelle im August 2003 vor allem in Paris zu vermehrten Todesfällen [1]. Hinzu kommt, dass der Kältebedarf in Stadtzentren um zirka 13 % höher ist, als der in vergleichbaren Gebäuden in ländlichen Gebieten [2]. Im Untergrund kann die urbane Wärmeinsel aber auch als Chance wahrgenommen werden: Die im Grundwasser gespeicherte Wärme kann durch oberflächennahe Geothermie-Anlagen zum Heizen verwendet werden. Ein detailliertes Bild über die Ursachen der Wärmeinsel und deren räumliche Verteilung innerhalb der Stadt ist für die Entwicklung einer nachhaltigen Nutzungsstrategie allerdings notwendig. Ursachen der urbanen Wärmeinsel im Untergrund Urbane Wärmeinseln im Grundwasser werden durch eine Vielzahl anthropogener Wärmeflüsse in den Untergrund verursacht. Quellen dieser Wärmeflüsse sind unter anderem erhöhte Oberflächentemperaturen durch Versiegelung, Gebäudekeller, Fernwärme- und Abwassernetze, sowie Straßen- und U-Bahntunnel (Bild 2) [3]. So wurden zum Beispiel in Mannheim und Zürich Grundwassertemperaturen von über 20 °C in Brunnen gemessen, die sich in unmittelbarer Nähe von Tiefgaragen befinden. Temperaturen im ländlichen Bereich liegen in beiden Städten im Normalfall bei unter 12 °C. Aber auch Industrieanlagen können Grundwassertemperaturen beeinflussen. Häufig wird das Grundwasser zur Kühlung genutzt und dann, mit einer genehmigten Temperatur von meist 20 °C, zurück in den Grundwasserleiter geführt. Doch diese Art der Kühlung verliert in Städten ihren Nutzen, da sich die erhöhten Grundwassertemperaturen nur bedingt zur Kühlung eignen. Teils bleibt keine andere Möglichkeit, als auf eine Luftkühlung zurückzugreifen, die eine deutlich schlechtere Energiebilanz und somit erhöhten CO 2 -Ausstoß mit sich bringt [4]. Um einen weiteren Anstieg der Grundwassertemperaturen zu verhindern, sollte die Energie, die durch die anthropogenen Wärmeflüsse in den Untergrund gelangt, auch wieder abtransportiert und im Idealfall genutzt werden. Ein räumlich aufgelöstes Wärmetransportmodell Um einen ersten Schritt in Richtung nachhaltige geothermische Nutzung urbaner Ressourcen zu gehen, wurde am Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Methode entwickelt, um die anthropogen verursachte Wärmeflussdichte in den Untergrund sowie den gesamten daraus resultierenden Wärmestrom zu bestimmen. Während die entwickelte Methode ohne weiteres auf zusätzliche Städte angewandt werden kann, wird sie hier am Beispiel der Städte Karlsruhe und Köln aufgezeigt. Für beide Städte wurden räumlich aufgelöste, statistisch analytische Wärmetransportmodelle entwickelt, die die folgenden sechs anthropogenen Wärmequellen implementiert: durch Versiegelung erhöhte Oberflächentemperaturen, Gebäude, Abwassersysteme, Bild 1: Grundwassertemperaturen werden häufig in Observationsbrunnen gemessen. In Karlsruhe gibt es etwa 80 mit Datenloggern ausgestattete Brunnen in denen täglich Grundwassertemperaturen sowie Flurabstand aufgezeichnet werden. © Tissen 62 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Abwasserleckagen, U-Bahntunnel und Fernwärmenetze. Das pixelbasierte Modell generiert für beide Städte jeweils eine Karte der mittleren Wärmeflussdichte in den Untergrund, die bei der Installation von oberflächennahen Geothermie-Anlagen genutzt werden kann, um geeignete Standpunkte zu wählen und nachhaltige Extraktionsraten zu bestimmen. Zusätzlich wird der Wärmefluss über das gesamte Stadtgebiet, also die anthropogen verursachte Wärme, die jedes Jahr in den Untergrund der Stadt fließt, berechnet [5]. Wieviel Energie fließt in den urbanen Untergrund? Die mit Abstand höchsten Wärmeflussdichten werden durch Fernwärme verursacht - mit im Schnitt mehr als 60 W/ m 2 der Netzfläche. Alle anderen analysierten Wärmequellen geben weniger als 6 W/ m 2 in den Untergrund ab. Die geringste Wärmeflussdichte stammt von erhöhten Oberflächentemperaturen. Im städteweiten Durchschnitt fließen etwa 0,2 W/ m 2 unbebauter Oberfläche in den Untergrund. In Grünanlagen und unter Rasen wird Wärme sogar nicht von der Oberfläche an das Grundwasser abgegeben, sondern das Grundwasser heizt die Oberfläche auf (Bild 3). Die gesamte mittlere Wärmeflussdichte aller Wärmequellen zusammen beträgt in Karlsruhe 1,1 W/ m 2 und 0,4 W/ m 2 in Köln. Im Vergleich dazu beträgt die geothermische Wärmeflussdichte, also die vom Erdkern ausgehende Wärmeenergie, in beiden Städten weniger als 0,1 W/ m 2 und ist somit deutlich geringer als die anthropogen verursachte Wärmemenge. Der große Unterschied zwischen den Flussdichten von Karlsruhe und Köln ist auf den sogenannten Flurabstand zurückzuführen - der Abstand zwischen Grundwasser und Erdoberfläche. Während der Grundwasserspiegel in Karlsruhe im Schnitt nur 5 m unter der Erdoberfläche liegt, ist dieser in Köln etwa mit 10 m etwa doppelt so tief. Der Flurabstand ist umgekehrt proportional zur übertragenen Wärmemenge und so führen die geringen Werte in Karlsruhe zu höheren Wärmeflussdichten. Dies zeigt sich auch deutlich beim Wärmefluss, der von Gebäuden ausgeht. Von Kellern ausgehende Wärmeflussdichten variieren stark in Abhängigkeit von Kellertiefe und Flurabstand. Nicht isolierte Keller, die bis ins Grundwasser reichen, wie es in Karlsruhe häufiger der Fall ist, verlieren bis zu 20 W/ m 2 Bodenfläche. Dieser Wärmeverlust von Gebäuden ist nicht nur eine potenzielle Gefährdung der Grundwasserqualität, sondern verursacht auch zusätzliche Heizkosten für die Immobilienbesitzer [5]. Bild 3: Karte der durch menschliche Einflüsse verursachten Wärmeflussdichte in Karlsruhe und Köln [5]. © KIT Bild 2: Schema zur Verdeutlichung der unterirdischen Wärmequellen innerhalb der städtischen Umgebung [5]. © KIT 63 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Jedes Jahr fließen etwa 2 PJ anthropogen verursachter Wärmefluss in den Untergrund von Karlsruhe und 1 PJ in Köln (nur linksrheinische Stadthälfte). Ein Großteil dieser Wärmeenergie stammt von Gebäuden und versiegelten Oberflächen. Während beide Wärmequellen nur wenig Wärmefluss pro Quadratmeter generieren, führt die hohe Anzahl an versiegelten und bebauten Flächen dazu, dass beide Wärmeflüsse in ihrer Summe stadtweit dominieren. In Köln verursachen beide Wärmequellen jeweils zwischen 30 und 40 % des gesamten anthropogen verursachten Wärmeflusses in den urbanen Untergrund. In Karlsruhe dagegen stammen nur 10 % des gesamten anthropogenen Wärmeflusses von erhöhten Oberflächentemperaturen. Dafür werden rund 70 % des Wärmeflusses von bebauten Flächen verursacht, vor allem von Gebäuden, wie z. B. Tiefgaragen, die direkt ins Grundwasser reichen [5]. Ein nachhaltiges Nutzungskonzept Das hier vorgestellte räumlich aufgelöste Modell ist ein grundlegender Baustein bei der Entwicklung eines nachhaltigen Energiekonzepts und einer thermischen Bewirtschaftung des Untergrunds in Städten. In Kombination mit dem räumlich aufgelösten Wärmebedarf innerhalb einer Stadt ist es durch das hier vorgestellte Modell möglich, den anthropogen verursachten Wärmetransport in den urbanen Grundwasserleitern abzufangen und als Heizwärme zu nutzen. Bei den Beispielen Karlsruhe und Köln könnten so 32 % bzw. 9 % des jährlichen Heizwärmebedarfs dauerhaft und nachhaltig gedeckt werden. Dies ist ein Schritt in Richtung der Energiestrategie 2020 der Europäischen Kommission, die 20 % erneuerbare Energien fordert. Dies verhindert gleichzeitig auch eine weitere Erwärmung des städtischen Untergrunds, die sich negativ auf die Grundwasserqualität und das oberirdische Stadtklima auswirken würde. Ist das Ziel nicht nur eine zukünftige Erwärmung des Grundwassers zu verhindern, sondern die urbane Wärmeinsel im Untergrund um etwa 4 °C zurück auf ihre natürliche Temperatur abzukühlen, kann auch die im Untergrund gespeicherte Energie geothermisch genutzt werden. Diese Wärmeenergie würde derzeit genügen, um Karlsruhes Heizwärmebedarf für drei Jahre und Kölns Heizwärmebedarf für 1,5 Jahre zu decken (Bild 4). LITERATUR [1] Dhainaut, J.F., Claessens, Y.E., Ginsburg, C., Riou, B.: Unprecedented heat-related deaths during the 2003 heat wave in Paris: consequences on emergency departments. Crit Care (2004) 8, p. 1-2. [2] Santamouris, M.: On the energy impact of urban heat island and global warming on buildings. Energy and Buildings (2014) 82, p. 100-113. [3] Menberg, K., Bayer, P., Zosseder, K., Rumohr, S., Blum, P.: Subsurface urban heat islands in German cities. Sci Total Environ (2013) 442, p. 123-33. [4] Blum, P., Campillo, G., Kölbel, T.: Techno-economic and spatial analysis of vertical ground source heat pump systems in Germany. Energy (2011) 36, p. 3002-3011. [5] Benz, S.A., Bayer, P., Menberg, K., Jung, S., Blum, P.: Spatial resolution of anthropogenic heat fluxes into urban aquifers. Sci Total Environ (2015) 524-525, p. 427-439. Bild 4: Im Untergrund gespeicherte Energie, Wärmemenge, die jährlich in den urbanen Untergrund gelangt und jährlicher Heizwärmebedarf im Vergleich [5]. © KIT Dr. Susanne A. Benz Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: susanne.benz@kit.edu Carolin Tissen, M.Sc. Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: carolin.tissen@kit.edu Prof. Dr. Philipp Blum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: philipp.blum@kit.edu AUTOR I NNEN